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100 Jahre Weihnachtskonzert – die erste Rundfunksendung Deutschlands

Karl-Gerhard Haas

Ein "Radiola"-Radio

(Bild: CemoLmages/Shutterstock.com)

Am 22. Dezember 1920 wurde in Deutschland erstmals eine Art Programm übertragen – das Weihnachtskonzert des Senders Königs Wusterhausen. Jetzt funkt es wieder.

Keine Diskussion – das erste richtige Radioprogramm Deutschlands sendete man ab 1923 aus dem Vox-Haus in Berlin. Aber vor dem Regelbetrieb galt es zu probieren, ob alles wie gewünscht und erhofft funktioniert. So kam es am 22. Dezember 1920 um 14 Uhr zum ersten per Radio ausgestrahlten Weihnachtskonzert Deutschlands – das die Deutschen offiziell nicht hören durften.

Der Sender stand auf dem Funkerberg (ehemals: Windmühlenberg) bei Königs Wusterhausen in Brandenburg, auf der Luftlinie rund 27 Kilometer südöstlich des Berliner Zentrums gelegen. Ab dem Jahr 1911 baute die Telegrafentruppe des Deutschen Heeres dort Sendeanlagen und Antennentürme auf – zunächst für drahtlose Telegrafie, also die Übertragung von Morsezeichen.

Für diese primitivste Form eines Binärcodes reichten die Möglichkeiten der damals brandneuen und wenig erforschten Funktechnik bereits. Denn erst 1886 hatte Heinrich Hertz überhaupt entdeckt, dass sich elektromagnetische Wellen übertragen und an entfernter Stelle Funken überschlagen lassen. Der italienische Autodidakt und Tüftler Guglielmo Marconi demonstrierte kurz vor der Jahrhundertwende in Großbritannien erste Funktelegrafengeräte – im Detail verstand er die Technik aber noch nicht. Dessen ungeachtet begann der Pionier 1900 mit dem Aufbau eines transatlantischen Senders in Poldhu auf der Halbinsel The Lizard in Cornwall, der 1902 erstmals bestätigt Signale über den Atlantik transportierte.

Durch die persönliche Bekanntschaft mit dem Chef der britischen Telegrafenverwaltung, William Henry Preece, gelang es dem Deutschen Adolf Slaby schon 1897, Marconis Versuche auf britischem Boden zu studieren – Professor Wolfgang König von der TU Berlin nennt es [1] "Industriespionage". Slaby erkannte den Wert der Entdeckung; kurz nach der Jahrhundertwende 1903 war er einer der Gründerväter der Firma Telefunken, die dann nicht nur für Deutschland jahrzehntelang Sendetechnik baute – unter anderem auch für den Funkerberg.

Funkerberg-Museum (0 Bilder) [2]

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Den nutzte bis zum Ende des Ersten Weltkriegs das Militär. 1919 übernahm die Deutsche Reichspost Gebäude, Sendeanlagen und Betrieb. Im selben Jahr wechselte Hans von Bredow vom Telefunken-Direktoriumsvorsitzenden als Ministerialdirektor zum Reichspostministerium. Er skizzierte noch im selben Jahr die Wirkung des von ihm postulierten "Unterhaltungsrundfunks" [4] – und wurde ausgelacht. Keimzelle des Funkbetriebs bei König Wusterhausen war das Senderhaus 1, welches heute das Funkerberg-Museum [5] beherbergt.

Die für Telegrafie brauchbaren Löschfunken- und Knallfunkensender waren für Sprach-, Musikübertragung gar, ungeeignet, erst mit den damals modernen Lichtbogensendern [6] standen ausreichend stabile und störarme Gerätschaften zur Verfügung, deren Trägerfrequenz sich vom analogen Audiosignal modulieren ließ. Ab dem Juni 1920 versuchten die Techniker, durch von Bredow ermuntert [7], in Funkpausen über den Sender vom Grammophon gespielte Musik zu übertragen [8] – offensichtlich erfolgreich.

So versammelten sich am 22. Dezember 1920 musikalische Postangestellte direkt im Gebäude des eigentlichen Senders – ein Aufnahmestudio gab es nicht. Auf dem Programm standen "Stille Nacht, heilige Nacht" und andere Weihnachtslieder, der Hochzeitsmarsch aus Wagners "Lohengrin" – als Zugabe intonierten die Postler Luthers "Ein feste Burg ist unser Gott" [9].

Über den 5-Kilowatt-Langwellensender auf der Frequenz 85,7 Kilohertz erreichte die Darbietung der Laienmusiker vom Funkerberg große Teile Europas, der Sender deckte einen Radius von rund 1500 Kilometern ab. Aus Luxemburg, Holland, Bosnien, England, Schweden und anderen Ländern kamen Empfangsbestätigungen. Auch in Deutschland dürften einige Bastler an ihren Detektorempfängern der einstündigen Darbietung [10] gelauscht haben, hüteten sich aber vor schriftlichen Belegen ihres Tuns. Denn der als Folge des verlorenen Ersten Weltkriegs ausgehandelte Versailler Vertrag verbot den Deutschen das Hören von Funksignalen, nur Reichspostler hatten die Lizenz zum Lauschen [11] – im Gegensatz zu den Postlern im Sender. Die funkten schwarz – was offenkundig folgenlos blieb.

Nach der geglückten Bescherung folgten weitere Versuche, schließlich hoben die Siegermächte das Empfangsverbot für Deutschland auf und 1923 begann dann der Rundfunk legal [12] – und gebührenpflichtig. Der Funkerberg lag nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der Sowjetischen Besatzungszone, der späteren DDR. Deren "Deutsche Post" übernahm die Anlagen 1949 – über sie sendete man die Rundfunkprogramme der DDR. Nach der Wiedervereinigung 1990 betrieb die Telekom die Anlagen und legte sie 1997 still.

In Nicht-Seuchen-Zeiten führt das Museum durch die erhaltenen Gebäude. Ein ursprünglich zur Stromversorgung genutztes Dieselaggregat ist ebenso funktionsfähig wie ein Nachbau des Lichtbogensenders – der jetzt auf 150 Kilohertz funkt. Zum 2016 vom Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE) als Meilenstein der Technikgeschichte gewürdigten Jahrestag, also am 22. Dezember um 14 Uhr, überträgt der Funkerberg wieder ein Weihnachtskonzert (Empfangsmöglichkeiten finden Sie hier [13]).

Einen direkten Live-Stream gibt es nicht, wer kein Kurzwellenradio hat, findet unter http://kiwisdr.com/public/ nach Klick auf "KiwiSDR Map" aber eine Karte mit Kurzwellenempfängern, die das Signal ins Netz leiten. Standorte in Europa sollten das Konzert vom Funkerberg aufschnappen können. Das erste Hörfunkprogramm des Bayerischen Rundfunks erklingt am selben Tag von 8 bis 9 Uhr im 1920er-Retro-Sound – eine Woche lang ist diese Sendung auf dessen Internetseite [14] abrufbar.

Am 22. Dezember erklingt das erste Hörfunkprogramm des Bayerischen Rundfunks von 8 bis 9 Uhr im 1920er-Retro-Sound.

(Bild: BR)

Im Museum Funkerberg finden Besucher auch ein Modell der vollständigen früheren Sendeanlage – samt der "Chile"-Antenne, die an ein unrühmliches Kapitel der Geschichte der damaligen Bundesrepublik erinnert. Nach dem 1973 vom US-Geheimdienst CIA angezettelten Militärputsch in Chile, dem eine folternde und mordende Junta folgte, flohen viele Chilenen. Die BRD gewährte den wenigsten Asyl – anders als die DDR, die viele Flüchtlinge aufnahm. Sie versorgten vom Funkerberg aus mit einer auf Chile gerichteten Kurzwellenantenne die Heimat mit Informationen.

(kbe [15])


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[1] https://www.zdf.de/dokumentation/terra-x/das-unsichtbare-netz-funktechnik-pionier-der-drahtlosen-100.html
[2] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4996534.html?back=4996433;back=4996433
[3] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4996534.html?back=4996433;back=4996433
[4] https://www.spiegel.de/geschichte/erstes-rundfunkkonzert-a-948664.html
[5] http://museum.funkerberg.de/
[6] https://www.fading.de/rundfunk-sendetechnik/geschichte_der_sendetechnik
[7] https://www.deutschlandfunkkultur.de/die-versuchsstelle-in-koenigs-wusterhausen-toene-vom.3780.de.html?dram%3Aarticle_id=489249
[8] https://www.tagesspiegel.de/themen/brandenburg/mit-stille-nacht-auf-sender/669696.html
[9] https://www.br.de/radio/bayern1/radio-geschichte-100.html
[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Detektorempf%C3%A4nger
[11] https://www.deutschlandfunk.de/weihnachtskonzert-fuer-schwarzhoerer.761.de.html?dram%3Aarticle_id=114006
[12] https://www.heise.de/news/90-Jahre-Radio-in-Deutschland-2035291.html
[13] https://100jahrerundfunk.de/weihnachtskonzert/
[14] https://www.br.de/radio/bayern1/index.html
[15] mailto:kbe@heise.de