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30 Kilometer laufen, sagt ChatGPT – Vorsicht, wenn die KI Trainingspläne macht!

Rhiannon Williams

(Bild: Maridav/Shutterstock.com)

Der Chatbot ChatGPT kann Fitness-Ratschläge und Trainingspläne erstellen. Die klingen teilweise schon beeindruckend, aber man sollte sie nicht zu ernst nehmen.

Als ich vor einigen Wochen die E-Mail mit der Bestätigung für die Teilnahme am London-Marathon erhielt, war ich erst begeistert und dann erschrocken. Kaum sechs Monate nach meinem letzten Marathon war mir klar, was damit auf mich zukam: Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat würde ich durch Regen, Kälte, Müdigkeit und Kater laufen müssen, um rechtzeitig bis April fit zu werden. Beim Marathon ist es nämlich so: Der Lauf an sich ist nicht die größte Herausforderung, sondern das Training davor.

Damit das Training interessant und abwechslungsreich bleibt, holen sich einige Sportlerinnen und Sportler inzwischen Tipps von einer Künstlichen Intelligenz. Sie nutzen den Chatbot ChatGPT, der so ziemlich alles – womöglich bis hin zu Bachelor- und Masterarbeiten [1] – verfassen kann, als eine Art Personal Trainer, um das unermüdliche Laufen angenehmer zu gestalten. Die ersten Unternehmen verkaufen sogar bereits Fitnesspläne, die ChatGPT erstellt hat.

Es klingt ja auch durchaus verlockend: ChatGPT beantwortet Fragen in Sekundenschnelle und erspart somit das mühsame Durchsuchen von Dutzenden Websites, um relevante Informationen zu finden. Man kann dem Chatbot Folgefragen stellen, um ausführlichere und persönlichere Antworten zu erhalten, und die Informationen werden in einem angenehmen Plauderton klar und deutlich aufbereitet. Das System wurde mit Daten trainiert, die aus Websites, Wikipedia-Einträgen und archivierten Büchern stammen, sodass es bei der Beantwortung allgemeiner Fragen teilweise ziemlich gut ist. Aber kann ChatGPT das perfekte Workout erstellen?

Um die Frage zu beantworten, habe ich ChatGPT gebeten, mir einen 16-wöchigen Marathon-Trainingsplan zu erstellen. Gleich die erste Antwort war unbrauchbar; für einen Marathon muss man die wöchentlichen Laufdistanzen schrittweise erhöhen und die längste Distanz sollte, so die allgemeine Auffassung, bei maximal 32 Kilometern liegen. ChatGPT dagegen schlug mir während des Trainings maximal 16 Kilometer vor – viel zu wenig, um am Ende einen Marathon meistern zu können.

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Zweiter Versuch. "Erstelle mir einen 16-wöchigen Marathon-Trainingsplan", tippte ich in die Eingabemaske ein. Diesmal schlug mir die KI vor, am Tag vor dem Rennen einen 30-Kilometer-Trainingslauf zu machen. Immerhin hatte der Bot die maximale Trainingsdistanz erhöht, aber wer am Tag vor dem Marathon schon 30 Kilometer abreißt, wird erschöpft an der Startlinie stehen und sich vermutlich während des Laufs verletzen, da der Körper nicht mehr genügend Reserven hat.

Aber warum hat mir ChatGPT überhaupt zwei verschiedene Antworten auf dieselbe Frage gegeben? Nachfrage bei OpenAI, dem Unternehmen, das den Chatbot entwickelt hat. Große Sprachmodelle neigten dazu, bei jeder Frage eine andere Antwort zu geben, sagt ein Sprecher: "Das liegt daran, dass es sich nicht um eine Datenbank handelt. Es generiert bei jeder Frage oder Abfrage eine neue Antwort". Auf der Website von OpenAI wird erklärt, dass ChatGPT zwar aus dem Hin und Her innerhalb einer Konversation lernen kann, aber nicht in der Lage ist, frühere Konversationen zu nutzen, um zukünftige Antworten zu geben.

Und was ist mit der Tatsache, dass mir ChatGPT potenziell schädliche Ratschläge gegeben hatte? "Bei ChatGPT handelt es sich um eine Forschungsvorschau. Wir weisen die Leute von vornherein darauf hin, dass es gelegentlich falsche Informationen generieren und auch gelegentlich schädliche Anweisungen oder voreingenommene Inhalte produzieren kann", sagt der Unternehmenssprecher.

Tatsächlich enthält einer meiner von der KI erstellten Trainingspläne den klugen Hinweis, dass es eine gute Idee sei, ihn von einem (menschlichen) Coach überprüfen zu lassen. Ein anderer Trainingsplan rät mir, auf meinen Körper zu hören und Ruhetage einzulegen. Ein anderer enthält wiederum überhaupt keine Warnungen, was den Eindruck verstärkt, dass viele Antworten von ChatGPT widersprüchlich sind.

Allein deshalb kommt es für mich nicht infrage, mein Training in die Hände einer KI zu geben. Andere Menschen haben aber offenbar weniger Hemmungen: In der Fitness-Bubble von TikTok, Reddit und Twitter lese ich während meiner Recherche immer wieder von Menschen, die ChatGPT nutzen, um Trainingspläne zu erstellen – und diese dann auch tatsächlich befolgen.

Austin Goodwin [18] etwa, ein Fitnessfanatiker aus Tennessee, stieß bei seiner Arbeit im Content Marketing auf ChatGPT. Er begann damit, dem Modell allgemeine Fragen zum Thema Fitnesstraining zu stellen. Er ließ sich erklären, was progressive Überlastung beim Gewichtheben bedeutet (allmähliche Steigerung des Gewichts oder der Anzahl der Wiederholungen) und warum ein Kaloriendefizit zum Abnehmen erforderlich ist. "Ich bekam Antworten, die ich von einer Person mit mehrjährigem Wissen erwarten würde", sagt Goodwin: "ChatGPT ist eine Google- oder Wikipedia-Suche auf Steroiden – es erweitert das Wissen und hebt es auf die nächste Ebene."

Goodwin ist nicht der Einzige, der das Potenzial von ChatGPT als Konkurrent für die Google-Suche sieht – Berichten zufolge hat das Google-Management ChatGPT zu einer "Code Red"-Bedrohung erklärt. [19]

Tatsächlich kann ChatGPT in vielen Fällen Informationen aus erster Hand gut präsentieren. Als ich es bat, einen Plan für Gewichtheben zu schreiben, erhielt ich eine passable Routine mit Übungen wie Kniebeugen, Klimmzügen und Ausfallschritten. Um die Grenzen weiter auszutesten, sagte ich dem Bot, dass ich zusätzlich "schlank werden wollte". Er gab mir eine angenehm zurückhaltende Antwort mit dem Hinweis, dass es "wichtig sei, auf die Ernährung zu achten, wenn man schlank werden will". So weit, so richtig.

Goodwin hat die Grenzen von ChatGPT getestet, indem er Fragen stellte, auf die er die Antworten bereits kannte. Das hat auch Alex Cohen [20] getan, ein anderer Fitnessfan, der für ein Start-up namens Carbon Health im Gesundheitsbereich arbeitet. Cohen bat ChatGPT zunächst, seinen täglichen Gesamtenergieverbrauch zu berechnen (die Gesamtzahl der Kalorien, die jemand an einem Tag verbrennt; ein nützliches Instrument, um abzuschätzen, wie viel man zu sich nehmen sollte, um Gewicht zu verlieren, zu halten oder zuzunehmen). Anschließend bat er das Programm um die Erstellung von Beispielen für Mahlzeiten und Trainingspläne.

Wie Goodwin, war auch Cohen von der Darstellung der Informationen beeindruckt. Ihm wurde jedoch schnell klar, dass das Programm weder einen Ernährungsberater noch einen Personal Trainer ersetzen kann. "Es passt die Trainingspläne nicht an meine spezielle Körperform, meinen Körperbau oder meine Erfahrung an", sagt Cohen. Und ChatGPT stellt den Nutzern keine zusätzlichen Fragen, die die Antworten verbessern könnten.

Trotz der schwankenden Qualität der Fitnesstipps von ChatGPT haben einige Nutzer die Ratschläge tatsächlich im Fitnessstudio befolgt. John Yu [21], ein TikToker aus den USA, filmte sich selbst dabei, wie er ein sechstägiges Ganzkörpertrainingsprogramm mithilfe von ChatGPT absolvierte. Er wies ChatGPT an, ihm jeden Tag einen Muster-Trainingsplan zu geben, der darauf zugeschnitten war, welchen Teil seines Körpers er trainieren wollte (Arme, Beine und so weiter), und führte dann das Training durch, das ChatGPT ihm vorgab.

Die Übungen, die das Programm vorschlug, waren für sich genommen völlig in Ordnung und einfach genug, um sie zu befolgen. Yu fand jedoch, dass es den Übungen an Abwechslung mangelte. "Streng nach dem zu trainieren, was ChatGPT mir vorgibt, fände ich langweilig", sagt er.

Lee Lem [22], ein Bodybuilding-Influencer aus Australien, sieht das ähnlich. Er bat ChatGPT, ein "optimales Beintrainingsprogramm" zu erstellen. Das Programm schlug die richtigen Übungen vor – Kniebeugen, Ausfallschritte, Kreuzheben –, aber die Pausen zwischen den Übungen waren viel zu kurz. "Das ist hart!" sagt Lem und lacht: "Es ist unrealistisch, zwischen zwei Sätzen nur 30 Sekunden Pause zu machen.

Das bringt das Kernproblem der ChatGPT-Vorschläge auf den Punkt: Sie berücksichtigen den menschlichen Körper nicht. Sowohl Lem als auch Yu haben festgestellt, dass sich wiederholende Bewegungen uns schnell langweilen oder müde machen. Menschliche Trainer wissen, wie sie ihre Vorschläge variieren können. ChatGPT muss man ausdrücklich darauf hinweisen.

Für einige ist der Reiz eines von der KI erstellten Trainings jedoch nach wie vor unwiderstehlich. Manche zahlen sogar dafür. Ahmed Mire, ein in London ansässiger Softwareentwickler, verkauft von ChatGPT erstellte Pläne für jeweils 15 Euro. Die Leute teilen ihm ihre Trainingsziele und -vorgaben mit, und er jagt sie durch ChatGPT. Er sagt, dass er seit dem Start seines Service im vergangenen Monat bereits Kunden gewonnen hat und bereits überlegt, Diätpläne zu erstellen. Dass ChatGPT kostenlos ist und man gar nicht für Antworten zahlen müsste? Geschenkt, sagt Mire: Seine Kundinnen und Kunden würden vor allem für den Komfort zahlen.

Alle, mit denen ich für diesen Text gesprochen habe, sahen die Trainingsvorschläge von ChatGPT als unterhaltsame Experimente und nicht als ernsthafte sportliche Anleitung. Sie alle hatten ein ausreichendes Verständnis von Fitness und davon, was für ihren Körper funktioniert und was nicht, um die Schwächen des Modells zu erkennen. Sie alle wussten, dass sie die Antworten skeptisch betrachten mussten.

Doch Menschen, die noch nicht so lange trainieren und weniger Erfahrung haben, könnten sie vielleicht eher für bare Münze nehmen, einschließlich der Gefahr, sich durch falsche Pläne oder Anleitungen dabei zu verletzen.

Das bedeutet nicht, dass KI-Modelle bei der Entwicklung von Fitnessplänen keine Rolle spielen können oder sollten. Aber es unterstreicht, dass man ihnen nicht unbedingt trauen kann. ChatGPT wird sich verbessern und könnte lernen, von sich aus Rückfragen zu stellen: So könnte es die Nutzenden fragen, ob es Übungen gibt, die sie hassen, oder ob sie sich über Verletzungen ärgern. Aber im Grunde kann es keine originellen Vorschläge machen, und es hat kein grundlegendes Verständnis der Konzepte, die es wiederkäut.

Da ChatGPT mit bestehenden Informationen aus dem Internet trainiert wurde, kann es sein, dass der Chatbot etwas vorschlägt, was manche Nutzerinnen und Nutzer nicht wussten, aber viele andere schon, erklärt Philippe De Wilde, Professor für künstliche Intelligenz an der Universität von Kent in England. Obwohl viele Antworten technisch korrekt seien, wird ein menschlicher Experte fast immer besser sein.

"Es ist ein Hilfsmittel, aber kein Evangelium", sagt Rebecca Robinson, Fachärztin für Sport und Bewegungsmedizin in Großbritannien. Wenn ChatGPT überhaupt nützlich sei, dann vor allem als unterhaltsame Methode, um ein Trainingsprogramm aufzupeppen, das schon etwas abgestanden ist, oder als zeitsparende Methode, um Übungen vorzuschlagen, an die man selbst vielleicht nicht gedacht hätte.

Die Fitness-Influencer Lem und Yu haben inzwischen wieder aufgegeben, mithilfe einer KI zu trainieren. Das gilt auch für mich. Ich habe mich inzwischen an Büchern und Magazinen von renommierten Laufexperten orientiert, um meinen eigenen Marathon-Trainingsplan zu erstellen. Nach den ersten vier Wochen komme ich gut damit zurecht. Ob die Schinderei sich gelohnt hat, werde ich spätestens am 23. April beim London-Marathon sehen.

[23]

(jle [24])


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https://www.heise.de/-7475392

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/hintergrund/KI-schreib-meine-Thesis-Welchen-Einfluss-ChatGPT-auf-die-Bildung-haben-koennte-7395084.html
[2] https://www.heise.de/hintergrund/Sundar-Pichai-ueber-Gemini-und-das-kommende-Zeitalter-der-KI-9568189.html
[3] https://www.heise.de/hintergrund/Studie-prueft-welche-KI-Modelle-eher-links-oder-rechtslastige-Antworten-geben-9239710.html
[4] https://www.heise.de/hintergrund/IBM-und-Nasa-entwickeln-KI-Klimamodell-9545243.html
[5] https://www.heise.de/hintergrund/Warum-KI-Erkennungswerkzeuge-so-leicht-zu-betruegen-sind-9211815.html
[6] https://www.heise.de/hintergrund/Deep-Dive-Wie-der-EU-eine-schlaue-KI-Regulierung-gelingen-kann-9195243.html
[7] https://www.heise.de/hintergrund/Neuling-in-der-Klasse-ChatGPT-und-Co-kommen-in-die-Schule-9237002.html
[8] https://www.heise.de/news/GPT-3-schlaegt-Studierende-im-analogen-Denken-9235021.html
[9] https://www.heise.de/news/Dieses-neue-Tool-koennte-Ihre-Bilder-vor-KI-Manipulationen-schuetzen-9229026.html
[10] https://www.heise.de/hintergrund/Arbeiten-fuer-die-KI-Clickworker-erhalten-90-Cent-pro-Stunde-7219329.html
[11] https://www.heise.de/hintergrund/Wie-wir-verhindern-koennen-dass-Big-Tech-die-KI-beherrscht-9549136.html
[12] https://www.heise.de/news/ChatGPT-sorgt-fuer-mehr-Produktivitaet-im-Marketing-9220628.html
[13] https://www.heise.de/news/Sprachmodell-fuer-medizinische-Fragen-von-Google-veroeffentlicht-9216479.html
[14] https://www.heise.de/hintergrund/Was-hinter-dem-Hype-um-OpenAIs-Q-Modell-steckt-9543318.html
[15] https://www.heise.de/news/Outsourcing-Gigworker-die-KI-trainieren-helfen-lassen-sich-von-KI-helfen-9200516.html
[16] https://www.heise.de/hintergrund/Spiele-KI-von-DeepMind-lernt-schnelles-Programmieren-9188294.html
[17] https://www.heise.de/ratgeber/Sieben-Tipps-damit-Sie-souveraen-bei-KI-Themen-mitreden-koennen-9162581.html
[18] https://twitter.com/austintgoodwin
[19] https://www.nytimes.com/2022/12/21/technology/ai-chatgpt-google-search.html
[20] https://twitter.com/anothercohen/status/1599531037570502656
[21] https://www.tiktok.com/@johnyu
[22] https://www.tiktok.com/@l_eel_em?lang=en
[23] https://www.instagram.com/technologyreview_de/
[24] mailto:jle@heise.de