WikiFlix: "Wollte zeigen, welche Kleinode es gibt"

Prime Video und Netflix werden immer teurer. Die neue Plattform WikiFlix hat dagegen ein kostenloses Medienangebot – mit so manchem Klassiker.

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Screenshot der Startseite von WikiFlix.

Lesezeit: 4 Min.

Kommerzielle Streaming-Plattformen wie Amazon Prime Video, Netflix oder Disney+ zahlen viel Geld, um Filme wie Serien zu produzieren oder zu lizenzieren – und geben diese Kosten gerne an die Nutzer weiter. Mit der neuen Plattform WikiFlix gibt es nun ein Streaming-Angebot, das auf Public-Domain-Filme ausgelegt ist. Derzeit sind dort mehr als 3100 frei verfügbare Filme zu sehen, von Stummfilm-Klassikern bis zu aktuellen animierten Zeichentrick-(Kurz-)Filmen. Die Plattform basiert auf der Verknüpfung von öffentlich zugänglichen Datenquellen. Die Videodateien selbst liegen auf den Servern von Wikimedia Commons, dem Internet Archive und YouTube. Nach dem Vorbild großer Streaming-Dienste kann man WikiFlix nach verschiedenen Genres durchstöbern – zum Beispiel nach B-Western, Filmen von Frauen oder Filmen in Tamil.

Programmiert hat die Plattform Magnus Manske, ein Wikipedianer der ersten Stunde. Er hat unter anderem den fünften Wikipedia-Eintrag sowie die MediaWiki-Software geschrieben, dazu noch zahlreiche Tools. Im Interview spricht er über die Entstehung und die Hintergründe von WikiFlix.

Wie sind Sie auf die Idee zu WikiFlix gekommen?

Ich hatte zufälligen Kontakt zu einem Nutzer, der bereits ein paar manuell gepflegte Wikiseiten mit Public-Domain-Filme angelegt hatte, die es auf Wikimedia Commons gab. Ich dachte mir dann, hey, das kann man doch visuell ansprechender gestalten und automatisieren, sodass man zum Beispiel Filme nach Land, Genre, Regisseur oder Schauspielern gruppieren kann.

Magnus Manske beim dritten Geburtstag von "Wikidata".

(Bild: Wikimedia / Jason Krüger / cc by-sa 4.0)

Was ist denn der Mehrwert gegenüber YouTube oder der Internet Movie Database?

Wenn man wirklich nur Datenschnipsel suchen will, ist man bei Wikidata oder der IMDB wahrscheinlich besser aufgehoben. Und wenn man genau weiß, was man will, kann man auch bei YouTube oder Google suchen. Ich wollte einfach einmal zeigen, wie viele frei verfügbare Filme es überhaupt gibt und dass auch einige Kleinode darunter sind. Und ich wollte die Erfahrung von Streamingdiensten wie Netflix und Amazon Prime kreieren, durch die man browsen kann, ohne genau zu wissen, wonach man sucht. Es war erst als Demo gedacht, wurde dann aber doch sehr schnell sehr populär.

Aufgenommen werden nur Filme, deren Copyright abgelaufen ist – also solche, die vor mehr als 70 Jahren veröffentlicht wurden?

Nein, es ist komplizierter. Die Dateien auf Wikimedia Commons, YouTube und dem Internet Archive sind alle in den USA gehostet, also gilt US-Recht mit einem Schutz von 95 Jahren. Allerdings gibt es diverse Ausnahmen. In Indien beispielsweise gilt das Copyright weniger lang. Und in den USA gibt es eine gewisse Zeitspanne, in der man das Copyright erneuern muss. Und das ist häufig nicht geschehen. Die Frage ist manchmal etwas diffizil. Aber meine Erfahrung aus mehr als 20 Jahren zeigt, dass die Community sehr gut darin ist, eventuelle Fehler schnell zu korrigieren.

Was machen Sie, wenn Dateien von den Servern verschwinden? Häufen sich dann nicht irgendwann die toten Links?

Es gibt diverse Bots auf Wikidata, die von Freiwilligen betrieben werden und die Integrität von Links überprüfen. Wenn das trotzdem irgendwann mal ein Problem werden sollte, kann ich relativ einfach etwas schreiben, was alles rauswirft, was nicht mehr existiert.

Mithelfen – so funktioniert’s

Basis für WikiFlix ist die offene Datenbank Wikidata, die Informationen über rund 31.000 Filme enthält. Viele dieser Filme sind auch frei verfügbar, vor allem auf den Plattformen Wikimedia Commons, Internet Archive und natürlich YouTube. Damit solche Filme auf WikiFlix auftauchen können, müssen die Wikidata-Einträge aber mit der entsprechenden Video-Datei verknüpft werden. Dabei kann jeder mithelfen. Es funktioniert so:

Auf dieser Seite ist aufgelistet, welche Filme zwar in Wikidata als "Public Domain" markiert, aber noch nicht mit einer Videodatei verknüpft sind. Klickt man den Film an, landet man auf der dazugehörigen Wikidata-Seite. Daneben gibt es Buttons, die eine Suche nach Filmtitel und Jahreszahl auf den drei Plattformen anstoßen. Ein grüner Pfeil hinter einem Button besagt, dass die Suche zumindest irgendwelche Ergebnisse erbracht hat. Buttons mit rotem Häkchen braucht man also gar nicht erst anzuklicken – es existiert offenbar keine entsprechende Videodatei.

Gibt es hingegen einen oder mehrere Treffer, sind menschliche Helfer gefragt. Sie müssen entscheiden, ob eine gefundene Videodatei wirklich dem gesuchten Film entspricht, indem sie die Eckdaten vergleichen – etwa Titel, Jahr, Regisseur, Spieldauer.

Oft gibt es passende Videodateien auf allen drei Plattformen. "Die kann man gerne alle drei eintragen", sagt Magnus Manske. Wem das zu aufwendig ist, der möge sich auf Wikimedia Commons konzentrieren. Dieses Archiv sei am "stabilsten", hier verschwinden die Dateien also nicht so schnell wieder aus dem Netz.

Gerade bei YouTube stößt man oft eine verwirrende Fülle gleicher oder ähnlicher Streifen. Welche davon auswählen? Manske empfiehlt, die längste und "sauberste" Version zu nehmen, also ohne Untertitel, Wasserzeichen oder Verweise auf Remastered-DVDs.

Als nächstes muss der "Identifier" herauskopiert werden, also die eindeutige Kennung des Videodatei. Bei YouTube ist das nicht die ganze URL, sondern nur die Zeichenfolge in der URL hinter "v=". Bei Wikimedia Commons steht der Identifier zwischen rechteckigen Doppelklammern [[]]. Er lässt sich mit einem Klick auf "Copy" kopieren. Bei Archive.org wird der Identifier in den Metatags explizit als solcher aufgelistet.

Wie kommen diese Identifier nun in die Datenbank? Das ist im Moment noch etwas kontraintuitiv: Man klickt unten auf der Wikidata-Seite auf "add statement" und trägt händisch "video" in das sich öffnende Feld ein. Der herauskopierte Identifier wird dann in das sich öffenende freie Feld daneben eingefügt. Dann braucht man nur noch auf "publish" klicken, und der entsprechende Film sollte innerhalb einer Stunde im Filmportal auftauchen.

Haben Sie neben Beruf bei der ganzen ehrenamtlichen Arbeit für Wikimedia überhaupt noch Zeit, sich selbst Filme anzuschauen?

Ja, gelegentlich muss ich auch mal abschalten und mir was angucken.

Was sind denn Ihre Lieblingsfilme? Haben Sie besondere Schätze entdeckt?

Alles von Charlie Chaplin ist sehr unterhaltsam. Metropolis ist natürlich ein Klassiker. Und Plan 9 from Outer Space ist auch Public Domain, obwohl der erst von 1959 ist. Er gilt als schlechtester Film aller Zeit – so schlecht, dass er schon wieder Kult ist. Und wenn man Horror mag: Wir haben Nosferatu und Night of the Living Dead. Nosferatu mag ich auch deshalb sehr gerne, weil der Film zeigt, wie einem das Copyright damals schon Knüppel zwischen die Beine geworfen hat. Der Regisseur wollte ursprünglich Dracula verfilmen, hat aber vom Bram Stoker Estate keine Erlaubnis bekommen. Daraufhin hat er das Ganze "Nosferatu" genannt.

(grh)