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Applefest 1981: Rückblick auf die erste Apple-Messe vor 40 Jahren

René Meyer

(Bild: Narnars0, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

1981 findet die erste Messe rund um Apple-Computer statt. Sie ist zugleich die Premiere für zwei der bekanntesten Spieleserien.

Im Juni 1981 steigt in Boston das erste Applefest. Es ist nicht nur die erste Veranstaltung rund um die Produkte des Unternehmens; man sagt, es sei das erste Treffen überhaupt zu einem einzelnen Computer. Zumindest das erste unabhängige. Denn die kleine Hausmesse Apple Expo mit ihren Stationen in vier amerikanischen Städten findet im März und April 1981 etwas eher statt; aber sie richtet sich nur an Händler. Bedeutende Messen zu jener Zeit sind die West Coast Computer Fair in San Francisco und die National Computer Conference in Chicago. Doch die sind thematisch breit, und Anfang der achtziger Jahre gibt es eine Vielzahl an Computern, die nicht miteinander kompatibel sind.

Zunächst denkt man an ein einmaliges Clubtreffen, mit lokaler Ausstrahlung. Doch der Apple II [1] ist mittlerweile groß genug für eine eigene Messe. Seit seiner Vorstellung 1977 kann er kontinuierlich Anteile gewinnen und sich gegenüber dem TRS-80 und dem Atari 400/800 behaupten. Die Mitbewerber, die später am meisten zu schaffen machen, sind noch nicht auf dem Markt: Im August 1981 wird der IBM PC vorgestellt [2]; im Januar 1982 der Commodore 64 [3].

So ist eine spezialisierte Messe zu einem Rechnertyp keine schlechte Idee; und die Veranstalter achten darauf, dass die Aussteller nur Apple-Produkte zeigen. Der Name Applefest ist zweideutig, denn er steht vor allem in den USA und in Kanada für Feste rund um die Frucht, ein wenig mit dem Erntedankfest vergleichbar.

Hinter dem Applefest steckt ein gerade 18 Jahre alt gewordener Mann: Jonathan Rotenberg. Er gehört 1977, mit 13 Jahren, zu den Gründern der Boston Computer Society, einer Organisation für Computernutzer, die durch zahlreiche Gruppen, einer Zeitschrift und Veranstaltungen rasch an Größe und Einfluss gewinnt. Bis 1990 bleibt er ihr Präsident. In Boston gibt es eine feste Niederlassung, sogar mit festangestellten Mitarbeitern, mit einer Bibliothek und einer Auswahl verschiedener Heimcomputer.

Für das erste große Event soll geklotzt und nicht gekleckert werden. Als Veranstaltungsort wählt man eine ehemalige burgähnliche Rüstungskammer, das Plaza Castle. Es dient noch heute als exklusive Adresse. Man gewinnt rund 100 Aussteller und erstellt ein Vortragsprogramm.

In Magazinen wie Softalk werben ganzseitige Inserate. "The Most Exciting Event of All Time for Apple* Computer Users" wird vollmundig versprochen. Der Stern ist nur Makulatur. Zwar gibt es seit Monaten bereits den Apple III, doch er ist sehr teuer und nur teilweise kompatibel zum Vorgänger. Zudem sorgen technische Probleme am Anfang für einen Rückruf bereits verkaufter Geräte.

So schmückt die Anzeige für das Applefest nur ein Apple II; und in der gleichen Ausgabe der Softalk gäbe es 23 Fotos und Zeichnungen vom Apple II, aber kein einziges Bild vom Apple III, beklagt sich ein Leser. Der Rechner floppt dermaßen, dass man sich nicht traut, das Folgemodell Apple IV zu nennen.

Das Applefest geht über zwei Tage, kostet schmale drei Dollar Eintritt und ist eine Mischung aus (Verkaufs-)Messe und Konferenz. Die Aussteller sind Apple-Händler, Hersteller von Zubehör wie Schnittstellen und Steckkarten, Software-Entwickler und Zeitschriften. Zu den Neuheiten gehören das E-Mail-Programm "Micro-Courier", die Textverarbeitung "Executive Secretary" und eine Umsetzung von Terrapin der in den achtziger Jahren verbreiteten Sprache Logo.

Im Hotel gleich gegenüber werden Vorträge und Seminare geboten. Sie decken Themen ab wie den Einsatz von Farbgraphiken, Software im Betrieb, DFÜ, Einstieg in die Programmierung oder Rechner im Klassenzimmer. Zu den Referenten gehören Daniel Bricklin, einer der beiden Väter der ersten Tabellenkalkulation VisiCalc [4], und Richard Casabonne, ein Pionier für digitales Lernen.

Geadelt wird das Applefest durch den Auftritt der Apple-Gründer Steve Jobs und Steve Wozniak. Der für die Region Nordost zuständige Verkaufsmanager überzeugt sie, die Keynote zu halten. Keine Kleinigkeit, ist Apple doch zu diesem Zeitpunkt schon mehr als 100 Millionen Dollar schwer; und zwischen Cupertino und Boston liegen mehr als 4.000 Kilometer. Doch die beiden Steves sind beide Tage vor Ort und geben Seminare. Zudem gestaltet Apple zwei spezielle Räume. Einen mit mehr als zwanzig Apple II zum Ausprobieren verschiedener Programme; einen anderen mit genauso vielen Apple III, an denen eine 45 Minuten lange Einführung geboten wird.

Auch Spiele-Entwickler sind unter den Ausstellern. Manchmal geht ein wenig unter, vor allem hier in Europa, dass neben Atari und Commodore ebenso der Apple II eine einflussreiche Plattform für Spiele ist. Viele bekannte Serien nehmen hier ihren Anfang. Etwa "Wolfenstein" oder "Ultima". Auch Dakin5, damals ein Spezialist für Planungs- und Analyse-Software und auf dem Applefest auffällig vertreten, veröffentlicht ab 1981 unter dem Label-10 Spiele für den Apple, wie "Dragon Fire".

Zu den Akteuren der Messe gehört Adventure International, die als Autoren des ersten Textadventures für Heimcomputer gelten: "Adventureland" von 1978; noch vor "Zork", das ja seinen Ursprung auf dem Großrechner hat. Es erscheint zunächst für den TRS-80 und wird später für viele Systeme umgesetzt; darunter natürlich den Apple II. Zum Applefest hat das Team um Scott Adams bereits rund zehn Spiele veröffentlicht.

Der später prominenteste Spiele-Aussteller ist Sierra, der 1981 noch den Namen On-Line Systems trägt. Gegründet wird er vom Ehepaar Roberta und Ken Williams. Es bringt im Mai 1980 für den Apple das erste Adventure mit Graphiken heraus, "Mystery House", mit einfachen, vierfarbigen statischen Strichbildern als Ergänzung der Textbeschreibung und der Eingabe von Kommandos. Es folgen weitere Adventures wie "Wizard and the Princess" und "Cranston Manor".

Seinen ersten Auftritt hat das junge Spiele-Studio Sir-Tech, das ursprünglich unter dem Namen Siro-Tech gegründet wird; nach dem Nachnamen Sirotek der Gründer. Es verkauft eine Demo-Version eines Rollenspiels: "Wizardry". Sie hat nur drei Dungeons; den Sommer über wird an der Fertigstellung des nach eigenen Angaben mit 14.000 Zeilen Code möglicherweise umfangreichsten Spiels für Heimcomputer getüftelt; die für die Entwicklung geschriebenen Tools nicht eingerechnet. "Wizardry" zieht zunächst zwei Nachfolger mit sich, die jeweils den Vorgänger voraussetzen (da man keine Spiel-Charaktere erstellen, sondern nur importieren kann) und wächst zu einer unübersichtlichen Serie, die auch auf Konsolen und als Online-Spiel erscheint.

Unter den Ausstellern ist auch Chuck Benton, ein Ingenieur aus Boston. Er schreibt 1981 in BASIC ein schlüpfriges Text-Abenteuer: "Softporn Adventure". Es gilt, drei Frauen zu erobern; und das erfordert allerlei Strategien – und Geld, das man im Casino verdient. Eigentlich ist es nur eine Programmierübung, aber seinen Freunden gefällt es. Sie ermutigen ihn, es im Eigenverlag zu veröffentlichen; eine Vorgehensweise, mit der viele große Spielserien wie "Ultima" und Studios wie Codemasters starten. Es verkauft sich nicht gut; aber einer der Käufer auf dem Applefest ist Ken Williams. Auch er hat Freude an dem Spiel, und die beiden kommen ins Geschäft. Viel ändert sich nicht am Spiel. Zwar überlegt man, wie bei den anderen Spielen von Sierra, den Text durch Standgraphiken zu bereichern. Doch die Idee wird fallengelassen; und "Softporn" bleibt das einzige Spiel von Sierra, das keine Graphiken hat. Es wird relativ populär, was auch dem berühmt-berüchtigten Cover-Foto [5] zu verdanken ist. Das schafft es im gleichen Jahr gar ins Time Magazin; vielleicht als erstes Computerspiel überhaupt. Es zeigt drei Frauen mit nacktem Oberkörper in einem Badefaß; und die drei Frauen sind Roberta Williams und zwei ihrer Kolleginnen von On-Line Systems. Der Skandal ist perfekt; und das Spiel verkauft sich 50.000 Mal. Doch noch viel berühmter wird das farbige Remake: "Leisure Suit Larry" [6] von Al Lowe.

(Auch "Ultima II" kann Sierra verlegen, das beim Applefest 1982 gezeigt wird; aber man streitet sich ums Geld; und nachdem sich Richard "Lord British" Garriott bereits bei "Ultima I" von seinem ersten Publisher übervorteilt sieht, gründet er 1983 seine eigene Firma: Origin.)

Das Applefest ist auch Schauplatz des ersten formalen Versammlung des frisch gegründeten Industrieverbands, der Association of Software Producers. Ihr gehören Branchengrößen wie Mitch Kapor an, Autor des Graphikprogramms "Tiny Troll" (der wenige Monate später Lotus gründet und mit "1-2-3" einen Hit landet). Stanley Crane, erfolgreich unter anderem mit der Datenbank DB Master für den Apple. Barney Stone von Stoneware, dem Publisher von DB Master. Und Ken Williams von On-Line Systems.

Unterm Strich ist die Veranstaltung ein großer Erfolg. Sie zieht rund 10.000 Besucher an, die teilweise aus Hongkong, Europa oder Südamerika kommen. Die Vortragssäle sind gut besucht; vor den Apple-Räumen bilden sich Schlangen. Das Magazin Softalk schwärmt: "Für jeden gab es etwas. Wir sprachen mit Schülern, die vor allem nach Spielen Ausschau hielten; einem Priester, der nach einer Datenbank suchte, um Kirchenbücher zu verwalten; zwei Nonnen, die am Unterricht per Computer interessiert waren; einem Rentnerpaar, das sein Einkommen verbessern wollte; und einer Menge anderer Besucher, die den Apple privat oder beruflich nutzen wollen."

Vor allem freuen sich die Händler. Ein kleiner Stand macht 37.000 Dollar Umsatz; ein anderer füllt laufend Waren aus seinem Truck vor dem Gebäude auf. Bereits beim Abbauen will mancher Aussteller einen Stand für das nächste Jahr buchen. Dort, 1982, findet das Applefest bereits, zeitlich versetzt, in drei weiteren Städten statt: in Minneapolis, Houston und San Francisco. Später wird daraus irgendwie die Macworld Expo.

Auch für John Romero, einen der Väter von "Wolfenstein 3D", "Doom" und "Quake" [7], wird das Applefest zum Sprungbrett ins Business. 1987 nimmt er am Stand von Origin die Diskette von "Ultima" aus einem Apple II und schiebt sein eigenes, viel besser aussehendes Spiel hinein. Und bekommt prompt einen Job angeboten. Den er, nach acht Jahren als Hobby-Entwickler, annimmt.

In den achtziger Jahren wächst die Boston Computer Society auf mehr als 30.000 Mitglieder. Viele Premieren kann sie verbuchen; darunter die erste öffentliche Vorführung des Macintosh im Januar 1984, nur ein paar Tage nach der Premiere bei der jährlichen Aktionsversammlung und nach dem Super Bowl, bei dem der legendäre Mac-Werbespot "1984" von Ridley Scott zum ersten (und einzigen) Mal ausgestrahlt wird. Doch in den neunziger Jahren verglüht der Stern; 1996 löst sich die Vereinigung auf.

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Für den Organisator Jonathan Rotenberg bleibt das Applefest 1981 das eindrucksvollste Wochenende seines Lebens. Nicht nur, dass er sein Idol Steve Jobs kennenlernt. Schon Wochen zuvor hat er mit Bostons bester Köchin ein vegetarisches 7-Gänge-Menü ausgetüftelt, das zu einem Presse-Dinner mit Jobs und einigen Journalisten dargeboten wird. Mit dem Wissen, dass die Lieblingsfrucht des Apple-Gründers nicht etwa der Apfel ist, sondern die Erdbeere. Am Ende gelingt es Rotenberg gar, die Gäste in sein Elternhaus zu locken und sich mit Jobs unter vier Augen auszutauschen (und einen goldenen Federhalter mit Apple-Logo und eine Einladung nach Kalifornien zu erhalten).

(bme [9])


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/hintergrund/Geschichte-von-Apple-Der-Apple-II-mehr-als-nur-Grundlage-des-Erfolgs-4941086.html
[2] https://www.heise.de/news/20-Jahre-IBM-Personal-Computer-45191.html
[3] https://www.heise.de/hintergrund/Heute-vor-25-Jahren-Die-Insolvenz-des-Computerpioniers-Commodore-4409125.html
[4] https://www.heise.de/news/Vor-30-Jahren-Mit-Visicalc-bricht-eine-neue-Aera-an-832164.html
[5] https://en.wikipedia.org/wiki/Softporn_Adventure
[6] https://www.heise.de/news/Rueckkehr-von-Leisure-Suit-Larry-Moechtegern-Macho-voll-im-Saft-4222389.html
[7] https://www.heise.de/news/John-Romero-Von-id-Softwares-Anfaengen-und-World-of-Warcraft-Sucht-3296840.html
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