Arktis: Mit Unterwasser-Mikrofonen dem nächsten Gletscherabbruch auf der Spur

Forscher wollen besser verstehen, was genau beim Schmelzen der Gletscher passiert. Deshalb lauschen sie dem Knacken von Luftblasen im Eis.

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Durch den weltweiten Temperaturanstieg ziehen sich die Fronten der Gezeitengletscher zurück und schmelzen. Dadurch wird im Eis eingeschlossene Luft freigesetzt. Wissenschaftler können diese Freisetzung der Luft belauschen und die Geräusche möglicherweise dazu nutzen, die Auswirkungen des Klimawandels auf die Eisschollen zu messen.

(Bild: Johnson, Vishnu, Deane)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert
Inhaltsverzeichnis

Der Hornsund ist der südlichste Fjord Spitzbergens. Umgeben von schroffen Bergspitzen, Tafelbergen und beeindruckenden Gletscherfronten gilt er als einer der abwechslungsreichsten und schönsten des Svalbard Archipels. Die verzweigte Bucht erstreckt sich 25 Kilometer ins Landesinnere. Wie überall in der Arktis, so zeigen sich auch hier die Auswirkungen der Klimaerwärmung sehr deutlich. Eine geschlossene winterliche Eisdecke gibt es nur noch selten und die Fronten der Gezeitengletscher ziehen sich immer weiter zurück.

Hier erforschen Grant Deane und Hari Vishnu wie sich das Schmelzen der Gletscher am besten langfristig beobachten lässt. Denn das findet zum großen Teil im Meerwasser unter dem Eis statt. Wärmeres Wasser taut die Gletscherzungen an und löst sie von unten auf, so dass sie aufschwimmen. Dadurch brechen zunehmend häufiger große Eisblöcke mit gewaltigem Getöse ab und rutschen in das Wasser des Hornsunds.

Deane ist Ozeanograf am Scripps-Meeresforschungsinstitut in San Diego, Kalifornien, und Vishnu ist Experte für Unterwasserakustik und maschinelles Lernen am akustischen Forschungslabor der Nationalen Universität Singapur. Ihre Basis ist die polnische Polarforschungsstation in Isbjørnhamna am Nordufer des Fjordeingangs. Sie gehört zum Geophysikalischen Institut der polnischen Akademie der Wissenschaften, das die beiden unterstützt. Von hier aus starteten die Forscher mit einem Schlauchboot zu ihren Messkampagnen an den Abbruchkanten der Gletscher Hans, Paierl und Mühlbacher am Nordufer und des Samarin-Gletschers am Südufer.

Die Arktis ist ein wahrer Hotspot des Klimawandels. Nirgendwo sonst fiebert die Erde so sehr wie hier. Allein zwischen 1971 und 2019 stieg die Oberflächentemperatur um den Nordpol dreimal stärker als im globalen Durchschnitt.

Schmilzt das Meereis, kann es die Strahlen der Sommersonne nicht mehr zurück ins All spiegeln. Die freigelegten, dunklen Wasserflächen nehmen die Wärme auf und beschleunigen so die globale Erderhitzung, nicht aber den Meeresspiegelanstieg.

Schmelzen jedoch die inländischen Gletschermassen auf Spitzbergen und Grönland, steigen weltweit die Ozeane. Allein im zentralen Eisschild Grönlands ist genug Wasser für einen weltweiten Meeresspiegelanstieg von sieben Metern gespeichert.

Doch noch haben Eis- und Meeresforscher nicht so richtig verstanden, was beim Schmelzen der Gezeitengletscher eigentlich wirklich passiert. Satellitenaufnahmen zeigen ja nur ein Bild von der Oberfläche — und das auch nur, wenn keine Wolken die Eisströme verdecken. Was in und unter den Gletscherzungen passiert, blieb bisher verborgen.

Genau das ist zunehmend die Domäne von Akustikern. Schon heute registrieren Unterwasser-Mikrofone, Hydrophone genannt, das Knarzen und Krachen, wenn sich ein Eisblock an der Vorderfront eines Gletschers löst und ins Meer rauscht. Damit lassen sich aber nur grobe Rückschlüsse auf den Eisverlust ziehen.

Aber die Wissenschaftler sind noch vielversprechenderen Geräuschen auf der Spur. Es sind Knackgeräusche (Hörprobe – Ton an) in tauendem Eis in unterschiedlichen Lautstärken und wechselnder Häufigkeit, die sich unter Wasser fortpflanzen. Mit den richtigen Messmethoden könnten sie genauere Informationen liefern, wie und wann eine Gletscherfront anfängt instabil zu werden, bevor ein Eisklotz abbricht.

Die Ursache des Knackens sind Luftblasen, die vor langer Zeit bei der Gletschereisbildung weit im Binnenland eingeschlossen wurden. Es sind die gleichen Blasen, in denen Chemiker beispielsweise im festen, kilometerdicken Eisschild Zentralgrönlands die Treibhausgaskonzentrationen vergangener Erdzeiten messen. Unter der Last der oberflächlich nachwachsenden Neubildung von Eis bei fließenden Gletschern geraten die Blasen unter Druck, der bis zu 20 Atmosphären betragen kann. Schiebt sich die Eiszunge nach Jahren dann ins Meer, platzen die Blasen.

"Wir haben beobachtet, dass die Intensität der Geräusche, die von schmelzendem Gletschereis erzeugt werden, tendenziell zunimmt, wenn die Wassertemperatur steigt", erläutert Deane, der sein Forscherleben Blasen und Bläschen jeder Art gewidmet hat, ob in Schaumkämmen von Meereswellen oder eingeschlossen im Eis.

300 Meter vor jeder der vier Abbruchkanten versenkten die beiden Forscher etwa zehn Hydrophone im Wasser, alle zwei Meter einen. "Wenn wir die Schallerzeugung besser verstehen und wissen, wie sich der Schall in der Gletscherbucht ausbreitet, planen wir die Verwendung eines einzigen Sensors auf dem Meeresboden", erklärt Deane. Ein Algorithmus würde dann genügen, die am Boden eingefangenen Geräusche auf die anderen Tiefen umzurechnen.

"Wir gehen davon aus, dass der Terminus, das Ende der Gletscherzunge, in wärmerem Wasser schneller schmilzt, wodurch die Blasen auch schneller in den Ozean entweichen und mehr Geräusche erzeugen", erläutert Deane.

Satellitenbilder zeigen zwar, wo das Ende eines Gletschers liegt, nicht aber, wie viel davon in einer bestimmten Zeit wirklich schmilzt. Die Kombination aus Vorwärtsfließen, Kalben (also dem Abbrechen größerer Eismassen) und Schmelzen des Gletschers bestimmt die Position des Endpunktes einer Gletscherzunge. "Satellitenbilder geben nur Aufschluss über das Nettoergebnis dieser Effekte. Wir wollen dagegen feststellen, wie stark das Eis schmilzt."

Vishnu ergänzt: "Die Überwachung der Geräusche rund um die Uhr vermittelt einen besseren Eindruck von der Unterwasser-Gletscherschmelze, die ja einen ganz erheblichen Teil des Eisverlustes ausmacht."

Die Ergebnisse ihrer Messkampagne im Hornsund-Fjord stellten die beiden Meeres- und Eisakustikforscher am 3. Dezember 2021 beim 181. Treffen der Akustischen Gesellschaft von Amerika in Seattle, Washington, zur Diskussion.

"Doch unser Ziel ist es ja eigentlich, vor den Gletschern rund um Grönland und Spitzbergen Langzeit-Schallmessstationen einzurichten," beschreibt Vishnu die Zukunft. "Es ist jedoch noch eine ziemliche Herausforderung, unser System so weit zu entwickeln, dass es auf einem derart großen Maßstab über lange Zeit genau und autonom arbeitet." Aber die Grundlage dafür haben er und Deane jetzt immerhin gelegt.

(jle)