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Ausblick auf den Arbeitsplatz von Morgen

Steffan Heuer

"Office 2.0"-Konferenz in San Francisco: Selbst große Bankhäuser springen inzwischen auf den "Social Networking"-Zug auf.

Der Titel der Konferenz war eigentlich etwas irreführend, denn was mehrere Hundert Teilnehmer auf der "Office 2.0"-Konferenz [1] in San Francisco zwei Tage lang besprachen und über Laptops und Smartphones gebeugt vorlebten, sollte besser "Work 2.0" getauft werden – die Zukunft der vernetzten Arbeit, bei der nicht nur die Grenze zwischen Beruf und Privatem, sondern auch zwischen Produktivitätsanwendungen und Spielerei verschwindet.

Unternehmen, das machte die Veranstaltung deutlich, entfernen sich immer weiter von traditionellen Arbeitsplätzen mit fest installierten Software-Bündeln wie Microsofts Office und wenden sich stattdessen elektronischen "Loseblattsammlungen" im Web zu. Selbst Investmentbanken, Telekomkonzerne und Pharma-Multis arbeiten bereits mit Webdiensten, die noch vor kurzem nur eines Amateurs für würdig befunden wurden – Blogs, Wikis, RSS-Feeds und soziale Netzwerke, die mehr an Facebooks Klatschrunden als an zugeknöpfte Firmenverzeichnisse erinnern.

Office 2.0 rühmte sich selbst, als Konferenz ohne Papier auszukommen. Jeder zahlende Teilnehmer erhielt im Veranstaltungspreis inbegriffen ein iPhone von Apple, auf dem er das aktualisierte Programm verfolgen und andere Teilnehmer direkt antexten konnte. Darüber hinaus ließen sich parallel ablaufende Diskussionsrunden und Präsentationen von mehreren Dutzend Firmen live oder als Aufzeichnung auf dem Smartphone verfolgen – im hoch auflösenden Format gestreamt und archiviert von der Silicon Valley Video-Neugründung Veodia. Trotz der multimedialen Ablenkung in jeder Westentasche fanden sich immer noch genügend Teilnehmer zu interessanten Debatten rund um den Arbeitsplatz von Morgen zusammen.

Die Definitionen, was Office 2.0 ausmacht, sind dabei ebenso schwammig wie die Beschreibung der davon betroffenen "Wissensarbeiter". Sind Anwendungen des immer noch boomenden Mitmach-Webs für tausende Arbeiternehmer in einem multinationalen Konzern, der Sicherheits- und Börsenregelungen folgen muss, ebenso relevant wie für kleine und mittelständische Unternehmen? Ist es sinnvoll, eine strenge Trennung zwischen Web-basierten und traditionellen Software-Installationen vorzunehmen?

Steven Aldrich vom Finanzsoftwarehaus Intuit etwa präsentierte eine Statistik, wonach vor 100 Jahren gerade einmal ein Fünftel aller Arbeitnehmer mit der Verwaltung und Aufbereitung von Informationen befasst war. Mitte der 90er Jahre hatte sich diese Zahl auf 60 Prozent erhöht, und heute sei praktisch jeder neu geschaffene Arbeitsplatz von Informationstechnik abhängig, so Aldrich. Wen man kennt und welche Arbeitsprozesse man benutzt, so der Intuit-Manager, ist heute der entscheidende Wettbewerbsvorteil. Deswegen seien Programme und Dienstleistungen gefragt, die sich weniger auf eine bestimmte Anwendung als vielmehr auf die zu manipulierenden Informationen konzentrierten.

Intuit warb auf der Veranstaltung mit einer neuen Kategorie des so genannten "sozialen Geschäftsnetzwerks" in Form seines Webdienstes Quickbase, mit dem sich alles von der herkömmlichen Datenbank über Projektmanagement bis hin zu einem Firmenwiki anlegen und verwalten lässt. Der Dienst hat bislang rund 225.000 Nutzer, vom Einmann-Betrieb bis zu Installationen mit rund 7.000 Arbeitnehmern und deren Zulieferern. In erster Linie ersetzen oder ergänzen Unternehmen damit Desktop-Programme wie Microsoft Excel oder Access.

Der Einsatz solcher Werkzeuge verändert das Arbeitsverhalten, wie Jonathan Rochelle berichtete, der bei Google für dessen Tabellenkalkulation und Textverarbeitung verantwortlich ist. "Wenn bei uns jemand eine E-Mail mit Anhängen verschickt, wird er beschimpft. Wir versenden nur noch Links zu Dateien, und die Umstellung erfolgte sehr schnell und unternehmensweit."

Dabei wäre es falsch, einfach herkömmliche Anwendungen ins Web zu stellen, warnte Danny Kolke, CEO der Firma Etelos, die auf die Entwicklung von Web 2.0-Programmen für Unternehmen spezialisiert ist. Lösungen ließen sich nicht eins zu eins übertragen, sondern müssten in drei Aspekten flexibel sein: Software-Dienste der Zukunft sollten Ortsbewusstsein (location awareness) besitzen, sowie den Kontext und das Gerät des Nutzers verstehen. Die besten Ideen liefern dabei die ungeduldig wartenden Kunden selbst, meint Kolke: "Innovation heute besteht darin, das zu liefern, worauf der Markt hofft. Wir werden förmlich in neue Anwendungen hinein gesaugt."

Sein Lieblingswerkzeug sei jedoch nach wie vor E-Mail, verriet der Web 2.0-Experte, auch wenn heutige Clients und Webmail-Versionen stark verbesserungsbedürftig seien. Neue Anbieter wie Timebridge oder Ikordo bauen deshalb auf bestehenden E-Mail-Programmen (in erster Linie Outlook) auf, und ergänzen sie um Funktionen, mit denen sich die Planung und Abstimmung von Besprechungen automatisieren lässt. Anstelle einer Assistentin verwendet Ikordo etwa herkömmliche E-Mails wie "Ich habe nächsten Mittwoch um Vier Zeit" und baut aus dem Feedback einen allen Teilnehmer passenden Termin, der dann in Outlooks Kalender automatisch eingefügt wird.

Mehrere Vertreter großer Unternehmen berichteten in San Francisco zudem, wie sie intern den Einsatz von Kollaborationswerkzeugen wie Blogs, RSS-Feeds, Chats oder Wikis vorantreiben. Denis Browne, bei der US-Tochter des Softwarehauses SAP für zukunftweisende Entwicklungen ("Imagineering") zuständig, verglich die Suche nach besseren Arbeits- und Kommunikationsmitteln mit "Goldwäsche". Ziel müsse sein, die Reibungsverluste entlang der Wertschöpfungskette für Arbeitnehmer, Unternehmen und seinen externen Partner zu verringern und Störgeräusche ("Noise") herunterzufahren.

Ein Beispiel sei, die trockenen und leblosen Datenbanken der Personalabteilung mit einer Social Networking-Plattform zu kombinieren. Dann ließen sich plötzlich Farbe, Kontext und der wahre Wert von Mitarbeitern identifizieren – etwa ungeahnte Experten ausfindig machen. SAP habe aber gegenwärtig keine derartigen Anwendungen live geschaltet, sondern experimentiere noch, sagte Browne.

Bereits einen Schritt weiter ist das Investmenthaus Morgan Stanley in New York. Die Großbank mit rund 50.000 Mitarbeitern in mehr als 40 Büros weltweit hat erste Schritte zur sich selbst organisierenden Web 2.0-Zusammenarbeit unternommen, berichtete der hausinterne Experte Adam Carson.

Es gehe darum, "das Unternehmen mit sich selber zu verbinden" und ihm neue und ungeahnte Kräfte zu entlocken. Dabei sind laut Carson allerdings erhebliche Hürden zu überwinden, von der Unterstützung durch die Führungsebene, die zumeist ohne das Web aufwuchs, bis zu strengen Regelungen, was Kommunikationsfluss und Archivierung für Finanzdienstleister angeht.

Was gemeinhin als Web 2.0 bezeichnet wird, von Tagging bis RSS-Feeds, lässt sich laut Carson nicht einfach in ein Unternehmen übertragen. Deswegen verwendet der Banker den enger gefassten Begriff "Enterprise 2.0" für all jene Anwendungen, die Mitarbeiter, Partner und Kunden enger aneinander zu binden und Informationen freier, schneller und effizienter austauschen zu lassen.

"Die Frage lautet nicht, ob es passiert, sondern wann", sagte Carson über seine Erfahrungen des vergangenen Jahres. In spätestens zehn Jahren sei mindestens die Hälfte der Spitzenmanager Teil der Facebook-Generation, die grundlegend veränderte Vorstellungen von Zusammenarbeit und Privatsphäre mitbringe. Ein Unternehmen, das diesen Trend ignoriert, baut sich nach Ansicht des Experten selbst gemachte Wettbewerbsnachteile auf.

Große Unternehmen, die in der Vergangenheit komplette Systemlösungen kauften und sie auf Jahre hinaus nur dann veränderten, wenn Anbieter wie Microsoft ein Update auslieferten, stehen in der neuen Arbeitswelt oft vor der schwierigen Entscheidung, ob sie sich für Produkte von Start-ups entscheiden sollen, die ebenso flink wie klein und manchmal damit instabil sind. Darüber hinaus stellt sich auch bei Web-basierten Anwendungen immer die Frage, wie kompatibel sie sind.

Einen viel versprechenden dritten Weg zwischen Softwarepaketen alter Prägung wie Microsoft einerseits und reinen Web-basierten Paketen wie Googles beständig wachsender Sammlung von Programmen ("Apps") bieten die in der Organisation OpenSAM zusammen geschlossenen Neugründungen. OpenSAM, kurz für "Open Simple Ajax Mashups", wurde im Sommer 2006 von ursprünglich zwei kleinen Softwareschmieden aus der Taufe gehoben und ist inzwischen auf knapp ein Dutzend Mitglieder angewachsen, die fast alle auf der "Office 2.0" präsentierten.

Indem sich alle Anbieter auf bestimmte Standards einigten, könne ein Unternehmenskunde nicht nur auf eine unbegrenzt ausbaufähige Suite von Anwendungen und Diensten zugreifen, sondern sich auch auf ihre Integration verlassen, so der OpenSAM-Mitbegründer Tom Snyder.

Mit einem auf dem Authentifizierungsverfahren "OpenID" basierenden Single Sign-On etwa haben Nutzer Zugriff auf zentrale Dateispeicher und Managementdienste, Online-Kalender, Präsentations-Software, Textverarbeitung, Konferenzschaltungen im Audio- und Videoformat und andere Programme, die miteinander kommunizieren und einander starten können, ohne dass Nutzer zwischen unterschiedlichen Passwörtern, Abrechnungswegen oder Dateien hin- und herspringen müssen.

Die gegenwärtig zwei OpenSAM-Portale heißen "ShareMethods" und "Huddle". Wer sich bei ihnen einloggt, kann etwa Videokonferenzen des Anbieters "Persony" buchen und in die Kalender von "Jotlet" einfügen oder Dokumente in "iNetWord" erstellen und zur elektronischen Unterschrift via "EchoSign" verschicken. Dateien lassen sich in jedem der beteiligten Dienste speichern und aufrufen.

Jedes der bislang elf Mitglieder – von EditGrid in Hongkong bis Huddle in London – hat nach Firmenangaben mehrere tausend Nutzer und in einigen Fällen Unternehmen mit bis zu 500 Lizenznehmern. ShareMethods etwa ist bei der Redaktion des Wirtschaftsmagazins "BusinessWeek" und beim schwedischen Smart Card-Hersteller HID im Einsatz. Die erst ein halbes Jahr alte Firma Huddle hat das deutsche Bonusprogramm Payback als einen ihrer größten Testkunden gewinnen können.

OpenSAM ist jedoch keine API-Plattform, betonte dessen Gründer Snyder, und funktioniert mit bestehenden Plattformen wie Salesforce.com oder Microsoft Sharepoint. Ein weiterer wichtiger Zuwachs für OpenSAM ist aus seiner Sicht die Infosys-Tochter XGen, die einen virtuellen Mailserver für Firmenkunden anbietet.

Als nächste Schritte, um den etablierten Softwaresuiten die Schau zu stehlen, arbeiten die Mitglieder der Initiative am universellen Kopieren und Einfügen von Inhalten und vor allem am Offline-Zugang für Dateien. Letzterer ist eine der größten Hürden für Web-Dienste, mit denen auch MS Office-Konkurrenten wie "Zoho" und "ThinkFree" ringen. Beide Firmen stellten ihre Offline-Lösungen in San Francisco vor.

"Wenn Office 2.0 nur bedeutet, dass ich im Netz sein muss, um meine Arbeit zu erledigen, dann ist das nicht nur schlimm, sondern beschissen", formulierte der CEO der Mikrocomputer-Marke OQO, Dennis Moore, deutlich – und nicht ganz uneigennützig, da seine Firma einen PDA- und Laptop-Zwitter im Miniformat verkaufen will. "Office 2.0 heißt für mich, dass ich meine Arbeit überall hin mitnehmen kann." (bsc [2])


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