Bionische Bauchspeicheldrüse dosiert Insulin für Diabetiker per Algorithmus

Das Gerät berechnet mit einem Algorithmus die Kohlenhydrate einer Mahlzeit und gibt automatisch die richtige Menge Insulin ab. Beides entlastet den Patienten.

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Diabetes

Eine handelübliche Insulinpumpe.

(Bild: dpa, Jens Kalaene/Archiv)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Rhiannon Williams
Inhaltsverzeichnis

Eine bionische Bauchspeicheldrüse, die automatisch Insulin abgibt, hat den Blutzuckerspiegel von Menschen mit Typ-1-Diabetes wirksamer gesenkt als Insulin-Pumpen oder -Injektionen. Das schreiben Forscher von der Harvard Medical School Ende September im Fachjournal "New England Journal of Medicine".

Das kreditkartengroße Gerät namens iLet lässt sich kontinuierlich tragen, in der Regel am Unterleib befestigt. Es überwacht den Blutzuckerspiegel einer Person rund um die Uhr und gibt bei Bedarf automatisch Insulin über einen dünnen Schlauch ab, der in den Körper eingeführt wird. Das Gerät bestimmt alle Insulindosen selbst. Bionisch bedeutet, dass die Funktionsweise der künstlichen Bauchspeicheldrüse der des biologischen Vorbildes nachgebildet oder daran angelehnt ist.

Typ-1-Diabetes ist eine ernste Erkrankung, bei der die Bauchspeicheldrüse nicht genügend Insulin produzieren kann. Das Hormon hält den Blutzucker unter Kontrolle. Wird es nicht in ausreichender Menge ausgeschüttet, ist der Blutzuckerspiegel zu hoch und verursacht Schäden. Menschen mit Typ-1-Diabetes müssen deshalb kontinuierlich ihren Blutzuckerspiegel überwachen und sich jeden Tag mehrmals Insulin verabreichen.

Es gibt auch andere Arten von künstlichen Bauchspeicheldrüsen. Diese erfordern allerdings in der Regel, dass Benutzer Informationen eingeben, bevor die Geräte Insulin abgeben. Dazu gehört vor allem die Menge an Kohlenhydraten, die er bei seiner letzten Mahlzeit gegessen hat.

Stattdessen stützt sich das iLet auf die Angabe des Gewichts des Benutzers und die Art der Mahlzeit, die er zu sich nimmt, wie zum Beispiel Frühstück, Mittag- oder Abendessen, die der Benutzer über die iLet-Benutzeroberfläche eingibt, und es verwendet einen adaptiven Lernalgorithmus, um automatisch Insulin abzugeben. Das heißt, wenn der Blutzuckerspiegel der Person zu hoch ist, passt sich das System an, um eine höhere Insulindosis zu verabreichen, und wenn der Blutzuckerspiegel zu niedrig ist, gibt es weniger ab.

Das Harvard-Team, das mit anderen Universitäten zusammenarbeitete, versorgte 219 Diabetes-1-Patienten, die mindestens ein Jahr lang Insulin benötigt hatten, 13 Wochen lang mit einem bionischen Pankreasgerät. Das Team verglich ihre Blutzuckerwerte mit denen von 107 Diabetikern, die während des gleichen Zeitraums andere Methoden der Insulinverabreichung wie Injektionen oder Insulinpumpen verwendeten.

Der Blutzuckerspiegel der Gruppe mit der bionischen Bauchspeicheldrüse sank von 7,9 Prozent auf 7,3 Prozent, während der Blutzuckerspiegel der Gruppe mit der Standardbehandlung konstant bei 7,7 Prozent blieb. Die American Diabetes Association empfiehlt einen Blutzuckerwert von weniger als 7,0 Prozent, doch laut einer Studie aus dem Jahr 2019 wird dieser Wert nur von etwa 20 Prozent der Menschen mit Typ-1-Diabetes erreicht.

Das Team der Harvard Medical School hat die Ergebnisse der Studie bei der US-Zulassungsbehörde FDA eingereicht, in der Hoffnung, das Produkt in den USA auf den Markt bringen zu können. Zwar hatte ein Team von der Universität Boston und dem Massachusetts General Hospital die bionische Bauchspeicheldrüse bereits 2010 erstmals getestet. Die aktuelle Studie ist aber die bisher umfangreichste.

Das Gerät könnte Menschen mit Diabetes das Berechnen der Kohlenhydratmenge in einer Mahlzeit ersparen, sagt Duane Mellor, Leiter für Ernährung und evidenzbasierte Medizin an der Aston Medical School im britischen Birmingham. Das sei was ein großer Vorteil, da das Zählen eine konstante Belastung ist. Mellor war nicht an der Studie beteiligt. "Auf der anderen Seite müssen sie die Kontrolle [über die Bestimmung der Insulindosis] abgeben, was für Menschen, die schon lange an Diabetes leiden, schwierig sein könnte."

"Es gibt viele Menschen, die derzeit Probleme haben, weil sie nicht über die richtigen Hilfsmittel verfügen, und ich denke, dass das iLet vielen von ihnen zu einer besseren Blutzuckerkontrolle verhelfen könnte", sagt Steven Russell, außerordentlicher Professor für Medizin an der Harvard Medical School, der die Studie leitete. "Das wird langfristig ihr Risiko für Diabetes-Komplikationen verringern und ihr Leben einfacher machen."

(vsz)