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Bluthochdruck und Diabetes: Kann Gentechnik CRISPR bei Volkskrankheiten helfen?

Jessica Hamzelou

(Bild: gopixa/Shutterstock.com)

2022 startete die erste Studie am Menschen zum Senken des Cholesterinspiegels. Der Ansatz könnte "fast jedem" helfen, meint das leitende Unternehmen.

Eigentlich wissen wir längst, wie man gesund leben sollte: Eine ausgewogene Ernährung, regelmäßige Bewegung und weniger Stress helfen dabei, Herzkrankheiten zu vermeiden. Und genau die sind bekanntermaßen Todesursache Nummer eins auf der Welt. Was wäre aber, wenn man sich gegen die wichtigsten koronaren Erkrankungen auch impfen lassen könnte? Und zwar mit einem Impfstoff, der die eigene DNA so verändert, dass ein lebenslanger Schutz gewährleistet ist?

Diese Vision muss nicht mehr weit entfernt sein, behaupten Forscher. Große Fortschritte in der Geneditierung, insbesondere bei der CRISPR-Technologie, könnten dies in absehbarer Zeit ermöglichen. In den Anfängen wurde CRISPR noch dazu verwendet, Bereiche der DNA wegzuschneiden, deshalb auch der umgangssprachliche Begriff der "Genschere". Heute wird es auch als Möglichkeit getestet, bestehenden genetischen Code zu verändern und sogar völlig neue DNA-Abschnitte oder möglicherweise ganze Gene in das Genom des Menschen einzufügen.

Die neuen Verfahren bedeuten, dass CRISPR potenziell bei der Behandlung von viel mehr Krankheiten helfen könnte – und zwar auch solchen, die nicht alle genetisch bedingt sind. Im Juli 2022 startete Verve Therapeutics beispielsweise eine Studie einer CRISPR-basierte Therapie, die den genetischen Code eines Menschen so verändern soll, dass der Cholesterinspiegel dauerhaft sinkt. [1] Der erste Empfänger der Therapie – ein Freiwilliger in Neuseeland – hatte das erbliche Risiko eines hohen Cholesterinspiegels und litt bereits an einer Herzerkrankung. Kiran Musunuru, Mitbegründer und leitender wissenschaftlicher Berater bei Verve, ist allerdings der Ansicht, dass der Ansatz seiner Firma fast jedem helfen könnte.

Während andere Innovationen noch in der Petrischale und an Versuchstieren erforscht werden, wurden CRISPR-Behandlungen bereits am Menschen getestet. Das ist schon allein deshalb erstaunlich, weil die Technologie erstmals vor rund zehn Jahren zur Veränderung eines Zellgenoms eingesetzt wurde. "Das war ein ziemlich schneller Weg in die Klinik", sagt Alexis Komor von der University of California in San Diego, der einige der neueren Formen der CRISPR-Geneditierung entwickelt hat.

Solche Behandlungen funktionieren normalerweise durch die direkte Veränderung der DNA im Genom. Bei der ersten Generation der CRISPR-Technologie werden im Wesentlichen Schnitte in der DNA vorgenommen. Die Zellen selbst reparieren diese Eingriffe dann – und der Prozess verhindert in der Regel, dass eine vorhandene schädliche Genmutation negative Auswirkungen hat. Neuere Formen von CRISPR funktionieren auf eine etwas andere Art. Da wäre zum Beispiel das sogenante Base Editing, das Forscher auch als "CRISPR 2.0" bezeichnen. Diese Technik zielt auf die Kernbausteine der DNA ab, ihre Basen.

Es gibt bekanntlich vier DNA-Basen, die mit A, T, C und G bezeichnet werden. Anstatt die DNA zu zerschneiden, können CRISPR-2.0-Maschinen einen dieser Buchstaben in einen anderen umwandeln. Das Base Editing kann ein C gegen ein T oder ein A gegen ein G austauschen. "Es funktioniert nicht mehr wie eine Schere, sondern eher wie ein Bleistift mit Radiergummi", erklärt Musunuru. Theoretisch sollte das Base Editing sogar sicherer sein als die ursprüngliche Form der CRISPR-Geneditierung. Da die DNA nicht zerschnitten wird, ist die Gefahr geringer, dass man versehentlich ein wichtiges Gen ausschaltet oder dass sich die DNA durch die Aufräummaßnahmen der Zellen auf fehlerhafte Art wieder zusammensetzt.

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Die cholesterinsenkende Therapie von Verve nutzt das Base Editing, ist aber nicht die einzige derartige experimentelle Behandlung. Ein Unternehmen namens Beam Therapeutics nutzt den Ansatz bereits, um Behandlungen für die Sichelzellenanämie [3] und andere Erkrankungen zu entwickeln. Weiterhin gibt es auch noch das sogenannte Prime Editing, quasi "CRISPR 3.0". Mit dieser Technik können Wissenschaftler ganze Teile der DNA ersetzen oder neue Abschnitte mit genetischem Code einfügen. Das Verfahren gibt es erst kurz und es wird noch an Labortieren erforscht. Doch das Potenzial gilt als enorm.

Denn das Prime Editing würde die Möglichkeiten beträchtlich erweitern. Die erste CRISPR-Technik und das Base Editing sind in gewisser Weise begrenzt – sie können nur in Situationen eingesetzt werden, in denen das Zerschneiden der DNA oder das Ändern eines einzelnen Basenbuchstabens sinnvoll ist. Prime Editing könnte es Wissenschaftlern nun ermöglichen, völlig neue Gene in das Genom eines Menschen einzufügen. Das würde viele weitere genetische Störungen als potenzielle Therapieziele erschließen. Wenn man eine bestimmte Mutation korrigieren will, die sich dem Base Editing entzieht, "ist Prime Editing die einzige Möglichkeit", betont Musunuru.

Wenn die Technik einmal funktioniert, könnte sie revolutionär sein. Eine Gruppe Menschen mit einer Erkrankung könnten alle möglichen genetischen Einflüsse haben, die sie anfällig gemacht haben. Durch das Einfügen einer Genkorrektur könnten sie jedoch möglicherweise alle geheilt werden, sagt Musunuru. "Wenn man eine neue korrekte Kopie des Gens einfügt, spielt es vielleicht keine Rolle mehr, welche Mutation man hat", sagt er. "Man fügt eine funktionierende Kopie ein und das reicht dann."

Zusammengenommen könnten diese neuen Formen von CRISPR den Anwendungsbereich der Gen-Editierung drastisch erweitern, so dass sie potenziell für viel mehr Menschen und für ein viel breiteres Spektrum von Krankheiten zur Verfügung stehen. Und die Krankheiten müssen nicht einmal durch genetische Mutationen verursacht werden. Denn schon die älteren Verfahren eignen sich auch zur Bekämpfung von Krankheiten, die nicht unbedingt etwas mit falschem Erbgut zu tun haben. Die Behandlung von Verve zur dauerhaften Senkung des Cholesterinspiegels ist laut Musnuru ein erstes Beispiel für eine CRISPR-Behandlung, von der die Mehrheit der Erwachsenen auf dem Planeten profitieren könnte.

Bei der Therapie wird ein Gen dauerhaft ausgeschaltet, das für ein Protein namens PCSK9 kodiert, das offenbar eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung des Cholesterinspiegels im Blut spielt. In der Folge wird weniger von dem Protein gebildet. "Selbst wenn man von einem normalen Cholesterinspiegel ausgeht und PCSK9 ausschaltet und den Cholesterinspiegel noch weiter absenkt, verringert sich das Risiko eines Herzinfarkts", meint Musunuru.

In Experimenten mit Mäusen und Affen sank der Cholesterinspiegel im Blut innerhalb weniger Tage um etwa 60 bis 70 Prozent, so Musunuru. "Und wenn er einmal gesunken ist, bleibt er auch unten", fügt er hinzu. Das Unternehmen geht davon aus, dass seine erste klinische Studie am Menschen einige Jahre brauchen wird.

Wenn die Studie erfolgreich verläuft, wird das Unternehmen mit größeren Versuchen fortfahren. Die Behandlung muss von der US Food and Drug Administration (FDA) genehmigt werden, bevor sie von Ärzten in den USA verschrieben werden kann. "Es wird noch eine Weile dauern, bis [CRISPR-Behandlungen] tatsächlich zur Anwendung zugelassen sind", räumt Musunuru ein. Doch in Zukunft, sagt er, könnte man den gleichen Ansatz nutzen, um Menschen auch vor Bluthochdruck und Diabetes zu schützen.

Komor von der UC San Diego sagt, dass eine CRISPR-basierte Behandlung zur Vorbeugung von Alzheimer ebenfalls wünschenswert sein könnte. Sie gibt jedoch zu bedenken, dass die Bearbeitung des Genoms gesunder Menschen ethisch zweifelhaft ist und für Menschen, denen es ansonsten gut geht, ein unnötiges Risiko darstellen könnte. "Wenn ich die Möglichkeit hätte, meine Leberzellen zu verändern, um möglicherweise in Zukunft den Cholesterinspiegel zu senken, würde ich wahrscheinlich Nein sagen", sagt sie. "Ich möchte mein Genom so belassen, wie es ist, es sei denn, es gibt ein Problem.

Jede neue Behandlung muss mindestens so sicher sein wie die bereits verfügbaren, sagt Tania Bubela, die an der Simon Fraser University in Burnaby, British Columbia, die rechtlichen und ethischen Auswirkungen neuer Technologien untersucht. Viele Medikamente haben Nebenwirkungen. "Der Unterschied ist, dass man bei einem Medikament die Verabreichung ändern kann", sagt Bubela. "Bei einer Gentherapie kann ich mir nicht vorstellen, wie man das machen könnte."

Der Preis und die Sicherheit jeder Gentherapie werden darüber entscheiden, ob sie wirklich der breiten Masse helfen kann, sagt Bubela: "Ich finde es schwierig zu glauben, dass eine Gentherapie wie CRISPR jemals sicherer oder kostengünstiger sein wird als eine einfache Cholesterinpille." Aber sie räumt ein, dass der "One-Shot"-Ansatz für manche attraktiv sein könnte.

Es gibt einen guten Grund dafür, dass sich die ersten Versuche mit CRISPR auf Menschen mit seltenen Erkrankungen konzentriert haben, für die es nur wenige Möglichkeiten gibt, sagt Komor: "Das sind die Menschen, die am meisten Hilfe brauchen." Die Erweiterung der Anwendungsmöglichkeiten von CRISPR sei zwar spannend, aber "wir haben die ethische Verpflichtung, diesen Menschen zu helfen, bevor wir der breiten Masse helfen".

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(jle [5])


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