Chip-Krieg: Warum sich Japan den US-Chiprestriktionen gegen China anschließt

Japan sieht sich in der Halbleiter-Industrie an der Seite der USA und nicht Chinas. Dabei verfolgt die Regierung eigene Interessen. Eine Analyse.

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Flaggen von China und Japan

Flaggen von China und Japan.

(Bild: e X p o s e / Shutterstock)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Martin Kölling
Inhaltsverzeichnis

Im Großmachtkonflikt zwischen China und den USA hat sich Japan längst strategisch positioniert: Die ostasiatische Inselnation sieht sich im Zweifelsfall als Teil des amerikanischen Imperiums und nicht als Untertan chinesischer Hegemonie. Das zeigte Ende März die Entscheidung, die Chip-Restriktionen der USA gegenüber China auf japanische Weise zu unterstützen.

Die USA wollen die Entwicklung der chinesischen Chipindustrie bremsen, indem sie den Export von Technologien für die neuesten Chipgenerationen verbieten. Deshalb drängte Washington die beiden wichtigsten Lieferanten von Chiptechnologie, Japan (Tokyo Electron/TEL, Advantest und Nikon) und die Niederlande (ASML), die Initiative zu unterstützen.

Mit Erfolg: Die japanische Regierung will nun im Sommer das Devisen- und Außenhandelskontrollgesetz um 23 Technologien ergänzen, die für die Halbleiterproduktion notwendig sind. Nur Länder, die zu den bevorzugten Handelspartnern Japans gehören (darunter die EU, Taiwan und Singapur), können weiterhin ohne Exportgenehmigung in Japan einkaufen.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Dabei wollte die Regierung den Eindruck vermeiden, die Maßnahme richte sich gegen China. Wirtschafts- und Handelsminister Yasutoshi Nishimura: "Diese Exportkontrollen gelten für alle Regionen und richten sich nicht gegen ein bestimmtes Land." Die Regierung wolle prüfen, ob die Gefahr einer militärischen Zweckentfremdung bestehe.

In China wurde der Schritt jedoch so verstanden, wie er ist. Chinas Außenminister Qin Gang kritisierte: "Die USA haben die japanische Halbleiterindustrie mit Mobbing-Taktiken brutal unterdrückt, jetzt wiederholen sie ihre alten Tricks gegen China." Er warf Japan vor, ein "Lakai" Washingtons zu sein. Die Blockade werde China nur in seiner Entschlossenheit bestärken, in der Chipindustrie unabhängig von Importen zu werden.

Die Trotzreaktion ist verständlich, denn die Folgen sind potenziell hart. Japan, der einstige Weltmarktführer in der Chipproduktion, ist technologisch nach wie vor eine Großmacht in der Halbleiterproduktion. Ohne die Chipanlagen und -technologien von Tokyo Electron laufen nicht einmal die hochmodernen DUV-Lithographieanlagen des niederländischen Konzerns ASML, die für Produktionsprozesse im einstelligen Nanometerbereich benötigt werden, von chinesischen Fabriken ganz zu schweigen.

Auch bei anderen Technologien, Materialien und Chemikalien sind die Chiphersteller auf Japan angewiesen. So ist Japan ein gesuchter Partner: Taiwans TSMC, der weltgrößte Auftragsfertiger von Halbleitern, baut beispielsweise mit Sony als Co-Investor eine Chipfabrik in Japan. Denn die Japaner sind nicht nur ein großer Kunde, sondern bieten selbst Chip-Know-how, das TSMC nutzen will. Außerdem unterhält TSMC in Japan ein Forschungszentrum mit japanischen Zulieferern der Chipindustrie, um die neue Generation von 3D-Chips zu entwickeln.

Die USA stehen dem nicht nach. Japan ist nicht nur neben Taiwan und Südkorea Teil von Joe Bidens "Chip-4-Allianz", mit der der US-Präsident eine US-zentrierte Lieferkette aufbauen will. Die Regierungen der USA und Japans haben auch vereinbart, gemeinsam die Produktion von 2-Nanometer-Chips zu entwickeln. Um diese Vereinbarung mit Leben zu füllen, haben sich im vergangenen Jahr IBM und das frisch gegründete japanische Mega-Start-up Rapidus zusammengetan.

China ist für japanische Unternehmen ein wichtiger Absatzmarkt. Tokyo Electron macht rund ein Viertel seines Umsatzes mit dem großen Nachbarn. Dass Tokio nun bereit ist, einen Teil des Geschäfts zu opfern, zeigt, wie wichtig der Regierung das Bündnis mit den USA ist. Angesichts der wachsenden militärischen Macht Chinas setzt die japanische Regierung alles daran, sich als enger Partner der USA zu beweisen, um die Schutzmacht in Asien zu halten, ohne dabei die eigenen Interessen zu vergessen.

Die japanische Regierung fürchtet nicht nur, dass China die von Japan kontrollierten Felseninseln erobert. Es geht auch um Chinas Invasionsdrohungen gegen Taiwan, deren Chiplieferungen ebenfalls eine Rolle spielen.

Taiwan gehört zur so genannten ersten Inselkette, die wie ein Riegel vor der Ostküste der eurasischen Landmasse liegt und China den freien Zugang zum Pazifik versperrt. Fällt die Insel an China, könnte das Reich der Mitte nicht nur Japans überlebenswichtige Seeverbindungen leichter kappen. Peking könnte auch leichter Gebietsansprüche auf japanische Inseln durchsetzen.

Wie sehr Japan deshalb auf die USA setzt, zeigte sich nach dem Wahlsieg von Donald Trump 2016: Der damalige Premierminister Shinzo Abe eilte sofort als erster internationaler Würdenträger nach New York, um Trump persönlich zur Präsidentschaft zu gratulieren. Auch Joe Biden, der Trumps "America First" industriepolitisch immer weiter ausbaut, kann auf Japan zählen, wie die Zusammenarbeit in der Chipindustrie zeigt. Inwieweit sich die neuen Maßnahmen auf die chinesische Chipindustrie auswirken werden, bleibt abzuwarten. Die Regierung hat sich mit der Regulierung auch einen gewissen Ermessensspielraum bewahrt.

Wie geschickt Japan divergierende Tendenzen verbinden kann, zeigt der Ukraine-Krieg: Japan unterstützt die Sanktionen gegen Russland, sagt der Ukraine mehr als fünf Milliarden Dollar für den Wiederaufbau zu – und hält an seinen Investitionen in zwei Öl- und Gasfelder auf der russischen Insel Sachalin fest. In der Chipfrage geht die Gratwanderung weiter.

Einen Tag nach der Ankündigung reiste Außenminister Yoshimasa Hayashi zu Gesprächen nach China. Dort sprach er nicht nur mit dem chinesischen Außenminister Qin, sondern auch mit Premierminister Li Qiang und vor allem mit Wang Yi, der als Mitglied des Politbüros des Zentralkomitees der Partei und Direktor des Büros der Zentralen Kommission für Auswärtige Angelegenheiten der eigentliche Architekt der chinesischen Außenpolitik ist. Dies zeigt, dass Japan kein "Lakai" Amerikas ist, sondern trotz einer härteren Haltung gegenüber China still und leise seine eigenen Interessen verfolgt.

(jle)