Computerspiele

Die Steuerung über Bewegungen gilt als Zukunft der Unterhaltungsbranche. Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach schlichten Handygames – zwei gegensätzliche Trends, die der Computerspielemarkt problemlos vereint

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Von
  • Holger Dambeck

Die Steuerung über Bewegungen gilt als Zukunft der Unterhaltungsbranche. Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach schlichten Handygames – zwei gegensätzliche Trends, die der Computerspielemarkt problemlos vereint.

Hiroshi Yamauchi war auf der Suche nach neuen Produkten. Sein Unternehmen stellte seit 1889 Spielkarten für den heimischen Markt in Japan her, aber das große Geld war damit nicht zu machen. 1966 beobachtete der Firmenboss einen seiner Ingenieure, der mit einer selbst gebauten Ziehharmonika-Hand spielte. Drückte man die beiden Griffe am Ende des Ziehharmonika-Gestänges zusammen, dann schoss der Plastikgreifer nach vorn und packte zu.

Yamauchi brachte ihn unter dem Namen Ultra-Hand auf den Markt, mehr als eine Million Stück wurden verkauft – der erste Paukenschlag des Spielkartenherstellers mit dem Namen Nintendo. Danach ging es für die Firma steil aufwärts: In den siebziger Jahren verkaufte sie die ersten Videospiele, es folgten der legendäre Game Boy und Konsolen wie der Nintendo GameCube.

Nintendo-Gründer Hiroshi Yamauchi ist längst einer der reichsten Männer Japans, und sein Unternehmen gehört zu den ganz Großen der Spielebranche. Kein Wunder. Die Geschäfte mit Computer-Games laufen prächtig, nicht nur bei Nintendo: Der weltweite Umsatz mit Computerspielen erreichte im Jahr 2009 den Wert von 52,5 Milliarden Dollar. Gespielt wird mittlerweile überall: zu Hause am PC oder an der Konsole, im Büro über den Webbrowser, in der U-Bahn mit dem Smartphone oder der Mobilkonsole. Den größten Umsatz bringen derzeit die Spielkonsolen. Das stärkste Wachstum wird es in den nächsten Jahren jedoch bei Online- und Handy-Spielen geben, wie die Unternehmensberatung PriceWaterhouseCoopers prognostiziert (siehe Artikel auf Seite 64 in Technology Review 12/2010).

Einer der wichtigsten Trends auch für die kommenden Jahre sind natürliche Interfaces. Nintendo landete mit seiner Wii-Konsole einen Riesenerfolg – in erster Linie wegen des Controllers, der Handbewegungen erkennen kann. Ein Tennisspiel auf der Wii hat so kaum noch etwas mit dem Pixelschubsen zu tun, das in den siebziger Jahren den Klassiker „Pong“ berühmt machte.

Der Erfolg der Wii, die noch nicht einmal eine hochauflösende Darstellung (HD) unterstützt, steht für den aktuellen Wandel der Branche. Die Gamer verlangen nach neuen, kreativen Spielkonzepten, die sie von den etablierten Publishern nur selten bekommen. Denn große Titel sind in der Produktion teuer. Weil die Spielehersteller aber das Risiko scheuen, veröffentlichen sie statt eines neuartigen Titels lieber Teil zwei oder drei eines Klassikers. Nintendo wagte mit der Wii etwas ganz Neues – und gewann.

Eine einfache, intuitive Bedienung wie bei der Konsole von Nintendo ist vielen Gamern mittlerweile wichtiger als die hochgerüstete Grafik von PlayStation 3 (PS3) und Xbox360. Das liegt auch daran, dass Computerspiele inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Technikverliebte Hardcore-Gamer, die sogar Geld für spezielles Gaming-Zubehör ausgeben (siehe Artikel Seite 62), sind nur noch ein Segment der Zielgruppe, in den USA bilden Frauen seit einiger Zeit die Mehrheit unter den Spielern.

Sony und Microsoft haben auf den Erfolg von Nintendos Gestensteuerung reagiert. Seit September ist der Move-Controller für die PS3 auf dem Markt, ein schwarzer Plastikstab mit Knöpfen und Handschlinge, der eine extrem präzise Steuerung erlaubt. Beim Tischtennis beispielsweise kann der Spieler sogar Bälle anschneiden und schnell zwischen Vor- und Rückhand wechseln. Der Move-Controller ist mit Beschleunigungs- und Lagesensoren bestückt. Ein bunt leuchtender Softball an der Controllerspitze verrät der kleinen PS3-Kamera Eye, wo und in welchem Abstand sich der Controller vor dem Fernseher befindet. So registriert die PS3 Handbewegungen genauer als die Wii.

Microsoft geht mit Kinect noch einen Schritt weiter und schafft den Controller gleich ganz ab. Stattdessen übernimmt der gesamte Körper des Spielers die Steuerung. Eine Webcam-Leiste unter dem Fernseher erfasst Arm- und Beinbewegungen, die Hampelsteuerung soll vor allem Einsteiger locken. Wie gut Kinect Bewegungen einordnen kann, zeigt das Kampfspiel „Fighters Uncaged“ von Ubisoft. Langer Haken, kurzer Haken, Tritt, Ausweichen mit dem Oberkörper – das Spiel erkennt Dutzende verschiedener Kampfsporttechniken und setzt sie um.

Was mit den neuen Steuerungen Move (PS3) und Kinect (Xbox360) noch alles möglich ist, werden die kommenden Jahre zeigen. Die Hersteller hoffen, dass ihre Konsolen dank der veränderten Interfaces für Käufer länger attraktiv bleiben und damit auch einen längeren Lebenszyklus haben. Bislang kam nach etwa fünf Jahren eine neue Konsole auf den Markt, diese Zeitspanne soll sich nun um vier bis fünf Jahre ausdehnen.

Klar ist aber auch: Die Gestensteuerung passt nicht zu allen Spielen, sie kann nämlich auch sehr umständlich sein. Das merkt man als Spieler spätestens dann, wenn man mal wieder im falschen Menü landet, weil die Geste nicht exakt genug war. Für Actionspiele eignet sich die Gestensteuerung bislang kaum. Wenn es eine Drittelsekunde oder länger dauert, bis eine Bewegung des Spielers richtig erkannt und im Spiel umgesetzt wird, dann ist das angesichts des extrem schnellen Gameplots zu langsam. Möglicherweise ändert sich das ja bei der kommenden Konsolen- und Controllergeneration.

In ihren Labors arbeiten Forscher in aller Welt derweil schon an der nächsten Stufe natürlicher Interfaces: der Gehirnsteuerung. Wenn die Impulse beim Spielen ohnehin aus dem Kopf kommen, warum soll man dann noch den Umweg über Gesten oder Schaltknöpfe nehmen? Einen Cursor nach links und rechts bewegen können Gamer bereits heute allein kraft ihrer Gedanken. Mit Sensoren gespickte Kopfhauben oder Hirnscanner messen die Gehirnaktivität, Software wertet die Muster aus und interpretiert sie als Steuerbefehle für das Spiel.

Mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie können Forscher zum Beispiel schon ganz gut ermitteln, an welches von zehn vorgegebenen Wörtern ein Mensch gerade denkt. Die Trefferquote liegt bei 90 Prozent. Marcel Just von der Carnegie Mellon University ist optimistisch, dass die Gedankenleserei in den nächsten Jahren große Fortschritte machen wird: „Wir ...

Die Fokus-Artikel im Überblick:

  • Entwicklung: Bewegungssteuerung als neuer Trend in der Unterhaltungsbranche
  • Zubehör : Maßgeschneiderte Gadgets für Gamer
  • Handys: Das Smartphone wandelt sich zur mobilen Spielkonsole
  • Spezialeffekte: Augmented Reality verschmilzt Fantasie und Wirklichkeit
  • Internet: Gamer können ihr Hobby künftig im Netz betreiben
  • Aggression: Die Wirkung von Gewaltspielen ist umstritten
  • Didaktik: Lernspiele halten Einzug in Schulen, Behörden und Kliniken

(kd)