Corona: Warum es so schwierig ist, den Johnson & Johnson-Impfstoff zu prüfen

Die Uhr läuft für die Regulierungsbehörden, die Nebenwirkungen von Covid-Impfstoffen zu kontrollieren. In den USA gibt es besondere Probleme.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 107 Kommentare lesen

(Bild: Steven Cornfield / Unsplash)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Cat Ferguson
  • Mia Sato
Inhaltsverzeichnis

Die Zukunft des Eine-Dosis-Impfstoffs von Johnson & Johnson bleibt weiter in der Schwebe. Während die EU-Zulassungsbehörde EMA das Vakzin weiter empfiehlt, wird es in den USA zunächst nicht mehr ausgeliefert, nachdem ein Beratungsgremium empfohlen hatte, Berichte über seltene – und manchmal tödliche – Nebenwirkungen genauer zu untersuchen.

Die US-Centers for Disease Control (CDC) und die Zulassungsbehörde Food and Drug Administration (FDA) rieten am 13. April zum vorübergehenden Stopp des Johnson & Johnson-Impfstoffs, nachdem bei sechs geimpften Personen seltene Blutgerinnsel im Gehirn aufgetreten waren. Diese war mit einer anderen Störung gepaart, bei der ein Mangel an Blutplättchen die Blutgerinnung hemmt. Eine Patientin starb.

CDC-Beratern zufolge sollte die Pause mindestens eine Woche dauern, während weitere Informationen gesammelt und überprüft würden. „Wir werden nie perfekte Daten haben und es wird immer Unsicherheit geben“, sagte Grace Lee, Professorin an der Stanford University und Vorsitzende der technischen Untergruppe „Covid-19 Vaccine Safety“ des Beratungsgremiums. „Für mich geht es wirklich darum, bessere Risikoschätzungen zu erhalten.“ Die Ausschussmitglieder wollten Daten darüber sammeln und bewerten, wer am meisten von Komplikationen bedroht sein könnte und wie hoch dieses Risiko mit jenem ist, Covid-19 zu bekommen und es zu verbreiten.

Alle sechs gemeldeten Fälle traten bei Frauen auf. Während der klinischen Studien war ein weiterer Fall bei einem männlichen Probanden gemeldet worden. Alle Patienten waren zwischen 18 und 48 Jahre alt, und einige wurden mit dem blutverdünnenden Heparin behandelt, das typischerweise für Blutgerinnsel verwendet wird, aber den Zustand dieser Patienten verschlechterte. Die Symptome ähneln jenen, die nach Verabreichen des AstraZeneca-Impfstoffs auftraten, den viele europäische Länder nur noch eingeschränkt oder wie Dänemark gar nicht mehr verwenden. Die aktiven Komponenten von beiden werden von modifizierten Adenoviren transportiert, die sich nicht mehr vermehren können.

Da jedoch weitere Impfstoffe verfügbar sind, die auf andere Art funktionieren, halten es Experten für sinnvoll, die Johnson & Johnson-Vakzine zu prüfen. Der Impfstoff macht nur 7,5 Millionen der 195 Millionen verimpften Dosen in den USA aus. Die Pfizer-BioNTech- und Moderna-Impfstoffe, die mRNA verwenden, machen den Großteil aus.

„Die Risiken und Vorteile einer weiteren Verabreichung des J & J-Impfstoffs können nicht isoliert betrachtet werden“, sagt Seema Shah, Bioethikerin am Lurie Children’s Hospital in Chicago. „Wenn Menschen Alternativen haben, zumindest während die FDA die Lage prüft, ist es sinnvoll, die Menschen zu diesen Alternativen zu lenken.“

Wird der Johnson & Johnson-Impfstoff wieder freigegeben, wird er möglicherweise nicht wieder für alle verfügbar sein. Sichere Impfstoffe zu gewährleisten ist besonders wichtig, da sie an gesunde Menschen verabreicht werden, anstatt bereits kranke Menschen zu behandeln. Sobald klar ist, welche Gruppen am meisten davon profitieren oder geschädigt würden, lassen sich abgestufte Empfehlungen geben. Mehrere EU-Länder haben beispielsweise erklärt, dass der AstraZeneca-Impfstoff älteren Menschen mit einem höheren Komplikationsrisiko im Falle einer Covid-19-Erkrankung verabreicht werden sollte, anstatt jüngeren Menschen, bei denen ein höheres Risiko für Impfkomplikationen besteht.

„Letztendlich ist das entscheidende Problem, wenn ich eine 30-jährige Frau bin und diesen Impfstoff bekomme, wie viel erhöht das mein Risiko für diese schlechte Sache?“ sagt Arthur Reingold, Vorsitzender der kalifornischen Covid-19 Scientific Safety Review Workgroup und ehemaliges Mitglied des Impfstoffbeirats der CDC. Eine kompliziertere Frage ist, welche Daten der Ausschuss prüfen wird, um eine endgültige Entscheidung zu treffen.

Hilfreiche Informationen sind möglicherweise genau deshalb Mangelware, weil das Problem schnell erkannt wurde und der Johnson & Johnson-Impfstoff bislang nur in den USA eingesetzt wird. Das Unternehmen gab an, dass es Lieferung in Länder der Europäischen Union verzögert hat. Eine Entscheidung zu treffen kann sich jedoch auch als schwierig erweisen, da die medizinischen Daten in Amerika stark fragmentiert sind.

Ohne ein nationales Gesundheitssystem gibt es keine umfassende Möglichkeit, Risiken und Nutzen für verschiedene Gruppen zu bewerten, die den Impfstoff erhalten haben. Es gibt kein föderales System, Patientendaten mit Impfstoffaufzeichnungen zu verknüpfen. Stattdessen müssen die Aufsichtsbehörden hoffen, dass die Ärzte von der Pause erfahren und proaktiv Fälle melden, die sie zuvor nicht mit Impfungen in Verbindung gebracht hatten. „Es könnte einen Kliniker dazu anregen, zu sagen: ‚Oh mein Gott, Mrs. Jones hatte das vor drei Wochen‘, sagt Reingold. „Und bei einigen Menschen, die innerhalb der letzten zwei Wochen eine Dosis bekommen haben, könnten diese seltene Nebenwirkung noch auftreten.“

Das freiwillige System mag archaisch erscheinen, aber auf diesem Weg wurden die Behörden auf die sechs untersuchten Fälle aufmerksam. Sie wurden der CDC über eine Online-Datenbank für das Melden von Nebenwirkungen (VAERS) verzeichnet. Auf dieser offen zugänglichen Website können sich medizinisches Personal, Patienten und Pflegekräfte die Regierung über mögliche Nebenwirkungen eines Impfstoffs informieren.

Da das System aber eine Opt-In-Teilnahme erfordert, ist es unmöglich, die genauen Risiken mithilfe von VAERS-Daten zu berechnen. Epidemiologen betrachten es im Allgemeinen als einen Ort, an dem sie nach Hypothesen suchen können, die Impfstoffe mit Nebenwirkungen in Verbindung bringen, und nicht als eine Quelle für die Bestätigung ihres Verdachts.

„Es ist ein chaotisches System. Jeder kann alles melden, unabhängig davon, ob es biologisch plausibel ist, dass es sich um einen Impfstoff handelt oder nicht“, sagt Mark Sawyer, Mitglied des Beratungsausschusses für Impfstoffe und verwandte biologische Produkte der FDA, der die Covid-19-Impfstoffe für die öffentliche Verwendung überprüft hat. „Dann ist es die Aufgabe zu sortieren und herauszufinden, gibt es hier wirklich ein Signal?“

Einem nationalen Gesundheitssystem am nächsten kommt der „Vaccine Safety Datalink“ der CDC, ein Konsortium von US-Krankenversicherern für Krankenhaus-Behandlungen. Das System enthält Aufzeichnungen von etwa zehn Millionen Patienten. Leider wurden bisher nur 113000 Johnson & Johnson-Impfstoffe von diesem System erfasst. „Im Zusammenhang mit diesen anderen Überwachungssystemen wurden einfach nicht genügend Impfstoffdosen von Johnson & Johnson verabreicht, um ein Problem zu erkennen. Es ist einfach ein zu seltenes Ereignis“, sagt Reingold.

Es gibt viele ethische und praktische Bedenken in Bezug auf die Impfpause. Da der Johnson & Johnson-Impfstoff nur aus einer Dosis besteht und nicht eingefroren werden muss, ist es möglicherweise eher für Menschen geeignet, die keinen guten Zugang zu einer Klinik haben und nur einmal anreisen müssen. Andere Gremium-Mitglieder haben zudem Bedenken, dass eine anhaltende Impfpause neue Zweifel am Impfstoff schüren würde.

Nicht zuletzt beklagten viele Experten, dass der Datenmangel insbesondere die Risiko-Aufschlüsselung für verschiedene Gruppen erschwere. „Es ist möglich, dass wir keine weiteren Informationen bekommen. Dann müssen wir trotzdem eine Entscheidung treffen“, sagte Stanfords Lee. „Aber ich hoffe, dass wir in den nächsten ein oder zwei Wochen in der Lage sein werden, [Risiken] robuster zu erfassen.“

Dieser Artikel ist Teil des "Pandemic Technology Projects", das von der Rockefeller Foundation unterstützt wird. (vsz)