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Das Netzwerk der nächsten Generation

Dr. Wolfgang Stieler

Doug Van Houweling, Chef des Forschungsnetzes Internet2, erinnert das heutige Internet eher an eine Schneckenpost. Doch das soll sich bald ändern.

Was würde man bekommen, wenn man genügend Geld hätte, sich die bestmögliche Internet-Technik zu kaufen? Das Forschungsnetz Internet2 liefert eine Antwort auf diese Frage: Seine High-Performance- Architektur schließt 240 Forschungs- und Universitätseinrichtungen in den USA zusammen. Die Internet2-Verbindungen sind schnell genug, um gigantische Datenmengen zu übertragen – beispielsweise aus physikalischen Experimenten oder von Observatorien.

Der normale Internet-Benutzer kann das Internet2-Netwerk derzeit noch nicht verwenden. Doch seine Technologie zeigt, was in einer idealen Internet-Welt alles möglich wäre: Von Live-HDTV bis hin zu enorm komplexen 3D-Online-Spielen. Die US-Ausgabe der Technology Review unterhielt sich mit Douglas Van Houweling, CEO des Forschungsnetztes Internet2, ob und wann dessen High-Performance-Technologien auch ins reguläre Internet kommen.

Technology Review: Was bringt die Internet2-Technik der Wissenschaftsgemeinschaft?

Doug Van Houweling: Forscher aus aller Welt nutzen das Internet2-Netz zur Zusammenarbeit etwa bei Experimenten aus der Hochenergie-Physik, bei der medizinischen Diagnose sowie zur Bereitstellung großer Datenmengen, die in Supercomputern zur Verfügung stehen. Mehr als 200 US-Universitäten sind führend im Internet2 vertreten; sie arbeiten mit Industrie und Regierung zusammen, um fortschrittliche Netzwerk- Anwendungen und Technologien zu entwickeln, die in Forschung und Lehre eingesetzt werden sollen.

240 Institutionen, 34 Bildungsnetzwerke in US-Bundesstaaten und 70 internationale Netzwerke hängen bereits am Internet2, um neue Netzwerktechnologien zu untersuchen und revolutionäre Internet- Anwendungen zu entwickeln. Außerdem nehmen fast 70 Firmen aus zahlreichen Industriebereichen teil, die aktiv am Internet2 mitarbeiten. Diese Firmen spielen eine zentrale Rolle dabei, die neuen Technologien zu verstehen und fortzuentwickeln. Sie werden später auch dafür sorgen, dass Internet2-Entwicklungen in die Hand Hunderter Millionen von Internet-Nutzern in aller Welt kommen.

Was ist das Hauptproblem beim heutigen Internet?

Van Houweling: Die aktuelle Internet-Technologie stößt bereits an Grenzen, die ein weiteres ökonomisches Wachstum verhindern könnten. Die Verbreitung geschlossener Architekturen, die Tendenz bei Unternehmen, eher ihre eigenen Interessen zu schützen als in offene Standards zu investieren, immer größere Sicherheitsgefahren in verschiedenen Bereichen und diverse Skalierungsprobleme führen dazu, dass das Netz nicht vorankommt.

Was würde der normale Endnutzer von einem Internet der nächsten Generation erwarten?

Van Houweling: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch Ottonormalverbraucher die gleichen Kapazitätsanforderungen an das Netzwerk stellen, die die Forschungs- und Bildungs-Community heute hat. Telekom-Firmen sprechen bereits seit Jahren davon, Glasfaser direkt bis in die Häuser zu verlegen, damit den Kunden anspruchsvolle digitale Inhalte geliefert werden können. Wollten wir heute Videos in HDTV-Technik oder Surround-Sound in hoher Qualität über das Internet übertragen, würde das aktuelle Netz zusammenbrechen. Das alte "If You Build it, They Will Come"-Konzept funktioniert unter den heutigen Bedingungen nicht – einfach nur Glasfaser zu verlegen, würde nicht ausreichen.

Was soll in Zukunft möglich sein?

Van Houweling: Ich glaube, dass das Netzwerk der Zukunft ganz neue Anwendungen ermöglichen wird – kollaborative Ansätze, die allumfassend sein werden, verteilte Ressourcen, rechenintensive Simulationen in Echtzeit, HDTV-Video "on demand" und viele weitere Funktionen, die man sich heute noch gar nicht vorstellen kann. Diese neuen Anwendungen werden enorme Veränderungen für uns bringen – wie wir arbeiten, wie wir lernen, wie wir uns unterhalten, wie wir regiert werden und wie wir leben. Drei zentrale Dinge müssen zuvor allerdings noch erreicht werden: Wir brauchen optische Netze, bessere Authentifizierungsverfahren und eine verlässliche Punkt-zu- Punkt-Performance im Netzwerk.

Wie lässt sich das grundlegende Problem der Bandbreite lösen?

Van Houweling: Die Internet2-Community nutzt einen innovativen und ambitionierten Ansatz, um die Skalierungsproblematik zu lösen. Wir nutzen ein Hybrid-Modell aus der aktuellen IP-basierten Technologie in Verbindung mit optischen Schaltwegen, die an das traditionelle Telefonsystem erinnern. So wird es möglich sein, Endkunden wie Unternehmen die gewünschte Bandbreite zu liefern – auf jede erdenkliche Art. Diese On-Demand-Möglichkeiten dürften ganze Industrien verändern – von der Medizin über das Gesundheitswesen bis hin zu Kunst und Unterhaltung (und noch viel mehr).

Kennt das Internet2 eine Lösung für die aktuellen Spam- und Betrugsprobleme?

Van Houweling: Heutzutage werden Endkunden und Firmen jeden Tag mit Spam, Viren und anderen unschönen Internet-Dingen bombardiert. Es ist fast zum Klischee geworden, die Frage zu stellen, was wir gegen all den Spam tun können. Trotzdem scheint das Problem immer schlimmer zu werden und niemand eine wirkliche Antwort zu haben. Wem kann man also vertrauen? Ich sehe eine Netzwerkzukunft, in der es eine Vertrauensstruktur gibt, bei der sich Gemeinschaften aufgrund zuvor abgestimmter Regeln und Rahmenbedingungen gruppieren. Diese nennen wir "Federations", Bündnisse.

Eine Federation ist ein Zusammenschluss von Organisationen, die gemeinschaftliche Attribute, Gebräuche und Bestimmungen pflegen, um Informationen untereinander auszutauschen – sowohl über ihre Nutzer als auch über ihre Ressourcen. Zusammenarbeit und Handel untereinander werden so sicher und authentifiziert sein. Eine Federation erinnert an ein Dorf, allerdings nicht im geographischen Sinne. Im Internet2 gibt es bereits heute globale Federations zwischen Forschern, Künstlern und Studenten, die an gemeinsamen Projekten arbeiten. Ich glaube, dass solche Bündnisse und vertrauenswürdige Gemeinschaften es den Internet-Nutzern ermöglichen werden, nur die Informationen zu erhalten, die sie tatsächlich wünschen. Das Spam-Problem würde schon dadurch gelöst, dass jede Art von Kommunikation authentifiziert sein müsste und jede ungewollte Information ganz leicht zu ihrer wahren Quelle zurückverfolgt werden kann. Die Anonymität von Spammern und Betrügern würde so aufgehoben.

Wie sieht es mit der Grundfunktionalität des neuen Netzes aus? Im heutigen Internet sind unterbrechungsfreie TV- und Telefonsignale nahezu unmöglich.

Van Houweling: Im heutigen Internet gibt es keine Garantie dafür, dass Daten, die durch das Netzwerk fließen, in einer bestimmten Zeit auch eintreffen. Man kann sich das Internet als Post zweiter Klasse vorstellen. Das führt zu einer kaum vorhersehbaren und nicht selten wenig verlässlichen Benutzererfahrung für all jene, die auf die zeitnahe Anlieferung von Daten angewiesen sind. Ein gutes Beispiel ist die Internet-Telefonie-Technik VoIP, die heutzutage immer mehr verwendet wird. Trotz der gleichen Internet-Verbindung funktioniert die Anbindung manchmal gut und manchmal schlecht. Wenn die Verbindung abbricht oder es zu einem Konnektivitätsverlust kommt, müssen oftmals Profis ran.

Auch heutzutage ist das Lösen von Netzwerkproblemen eher eine Kunst als eine Wissenschaft; der Durchschnittsnutzer kann Probleme häufig nicht alleine lösen. Haben wir erst einmal ein Netz, dass seine Geschwindigkeit selbst prüfen kann und die Technik zur Diagnostizierung von Problemen gleich eingebaut hat, wird das Internet wesentlich verlässlicher sein. Ohne Verlässlichkeit und leichte Fehlerbehebbarkeit werden sich Anwendungen und Dienste der nächsten Generation auch nicht breit durchsetzen.

Was ist die große Vision hinter alledem? Und wann wird sie tatsächlich umgesetzt sein?

Van Houweling: Wir brauchen ein smartes, verlässliches, sicheres und schnelles Internet, mit dem man besser forschen, Geschäfte tätigen, sich fortbilden und Gemeinschaften bilden kann, die sich dann mit ganz neuen Möglichkeiten untereinander austauschen. Durch Partnerschaften mit Bildungs- und Forschungseinrichtungen, der Regierung und der Industrie wissen wir bereits, was die zentralen Elemente sind, die ein Netzwerk der nächsten Generation ausmachen: Die Verwendung Hunderter von Wellenlängen über moderne Glasfaserkabel mit verbesserten Internet-Protokollen; Punkt-zu-Punkt-Verbindungen mit Höchstgeschwindigkeit sowie smarte Software, die sowohl Inhalte als auch die Privatsphäre schützt und gleichzeitig die Nutzer authentifiziert, Spam verhindert und E-Commerce absichert. Ich bin optimistisch, dass ein solches Internet sich durch eine globale Zusammenarbeit von Organisationen wie dem Internet2 schaffen lässt.

Wir wollen diese neue Technik zusammen mit unseren Partnern aus der Industrie in den nächsten fünf bis zehn Jahren in die Hände der Endkunden bringen. Internet2 ist ein Sprungbrett für die Industrie, das den Weg aus den Forschungslabors hin zu kommerziellen Produkten ermöglicht. Wir können bereits heute neue Technologien in einer futuristischen Umgebung testen. Diese Lernerfahrung können die Partnerfirmen dann in ihre Produkte und Dienste übernehmen. Bereits heute wird Internet2- Technik im kommerziellen Sektor verwendet – so nutzen über 150 Institutionen bereits die für das Internet2 geschaffene Authentifizierungssoftware. Das ist nur ein Beispiel von vielen, wie wir neue Technologien an die Öffentlichkeit bringen

Die Fragen stellte David Talbot; Übersetzung: Ben Schwan. (wst [1])


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