Das Problem mit dem Rebound

Energieeffizienz ist keine Klimaschutzmaßnahme, lautet die provokante These des Schweizer Journalisten Marcel Hänggi, die er in seinem aktuellen Buch "Wir Schwätzer im Treibhaus" darlegt.

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Von
  • Marcel Hänggi
Inhaltsverzeichnis

Neue Technologien beherrschen mehr denn je den Diskurs über die Zukunft: Einerseits werden sie als unerlässliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Standortpolitik im globalen Wettbewerb propagiert, andererseits als Grundlage einer möglichen Dystopie von umfassender Kontrolle und Manipulation kritisiert. Gleichzeitig wird Technik meist als etwas Gegebenes, Sekundäres hingenommen, werden ihre Grundlagen und Entwicklungsspielräume selten ausreichend reflektiert. In loser Folge bringt TR Online deshalb eine Reihe von Essays zur Technik.

Der folgende Text ist ein Auszug aus dem Buch "Wir Schwätzer im Treibhaus", in dem der Schweizer Journalist Marcel Hänggi hart mit gängigen Vorstellungen zum Klimaschutz ins Gericht geht. Eine davon lautet, dass eine Effizienzrevolution den Übergang zu einem nachhaltigen Wirtschaftssystem befördern würde. Die Wirtschaftsgeschichte zeigt jedoch: Es kommt meist ganz anders.

Vor hundert Jahren kam es zu einer veritablen kleinen Effizienzrevolution. Neue Glühbirnen, die mit Wolframfäden leuchteten, verbrauchten nur ein Viertel so viel Strom für die selbe Leuchtkraft wie die alten Birnen mit Kohlenstofffäden. Elektrischer Strom wurde damals hauptsächlich zur Straßenbeleuchtung genutzt. Würde nun der Umsatz der Stromwirtschaft einbrechen? Die Sorgen waren umsonst: Weil Licht weniger kostete, wurde es zum Massengut; der Stromverbrauch stieg rapid an.

Klimaschutz geht nur, wenn weniger fossile Energieträger verbrannt werden. Das lässt sich auf dreierlei Art erreichen: Erstens durch mehr Effizienz – das selbe mit weniger Energie tun. Zweitens durch Substitution – das selbe mit anderer Energie tun. Diese beiden Wege werden im Bericht des Uno-Expertengremiums für den Klimawandel, IPCC, erläutert, sie sind Gegenstand aller nationalen Klimaschutzstrategien. Sie verlangen technischen Fortschritt. Sie sind auf Wachstumskurs, mit ihnen lässt sich Geld verdienen. Der dritte Weg heißt Suffizienz (Genügsamkeit): weniger tun. Er verlangt nicht technischen Fortschritt, sondern Verhaltensänderung. Er strebt das Gegenteil von Wachstum an, mit ihm lässt sich kaum Geld verdienen. Von ihm ist selten die Rede.

Welche Effizienz?

Effizienz ist das Lieblingswort der Energiepolitiker. Das Potenzial ist gewaltig, weil wir heute so verschwenderisch mit Energie umgehen: Allein durch verbesserte Energieeffizienz, schätzt der Energieökonom Eberhard Jochem von der ETH Zürich, ließe sich der »Energiebedarf je Energiedienstleistung um durchschnittlich mehr als 80 bis 85 Prozent reduzieren«.

Aber was ist überhaupt Energieeffizienz? Was ist, beispielsweise, ein effizientes Auto? Zunächst gibt es die technische Effizienz des Motors: Bewegungsenergie geteilt durch Energieinput (in Form von Treibstoff). Der Wirkungsgrad von Motoren ist im Verlauf der Automobilgeschichte stark gestiegen – wie sollte es angesichts der Milliarden, die in Automobilentwicklung geflossen sind, anders sein.

Etwas anderes sind die gefahrenen Kilometer pro Liter Benzin. Auf diese Effizienz zielen die meisten Klimaschutzmaßnahmen im Verkehrsbereich ab. Auch das IPCC meint Kilometereffizienz, wenn es von Maßnahmen im Verkehr spricht. Diese Effizienz stagniert seit den 1970er Jahren. Die Effizienzgewinne auf der Ebene der Motoren wurden nämlich nicht dazu genutzt, sparsamere Auto zu bauen, sondern stärkere, schnellere, schwerere. Das Modell T von Ford, 1908 erstmals gebaut, war mit zwölf Litern auf hundert Kilometer so effizient (oder ineffizient) wie heutige Offroader. Doch das Ziel von Mobilität besteht ja in aller Regel nicht darin, so und so viele Kilometer zurückzulegen. Sondern, von zu Hause zum Arbeitsplatz oder zum Einkaufen oder zum Ort einer Freizeitbeschäftigung zu gelangen. Man könnte die Effizienz eines Verkehrssystems also dadurch ausdrücken, wie viel Energie es braucht, um ein bestimmtes Mobilitätsbedürfnis zu erfüllen. Wenn ein Auto mit der selben Menge Benzin zehn Prozent weiter fahren kann, aber die Wege gleichzeitig zehn Prozent länger werden, ist nichts gewonnen.

Und genau das geschieht, weshalb Hermann Knoflacher, Professor für Verkehrsplanung der Technischen Universität Wien, sagt: »Nur die Verrückten sagen, die Mobilität steige. Was steigt, ist der Mobilitätsaufwand: Energieverbrauch, Landschaftverschleiß, Luftverschmutzung.« Ein höherer Aufwand für die selbe Mobilität bedeutet aber: ihre Effizienz hat abgenommen! Und diese Abnahme der Mobilitätseffizienz ist, paradoxerweise, eine direkte Folge der gestiegenen Kilometereffizienz: Quartierläden würden nicht verschwinden und Einkaufszentren nicht »auf der grünen Wiese« entstehen, wenn die Kunden nicht schnell und billig dort hin gelangten.

Rebound, Backfire

Ein schnelleres Verkehrsmittel, das dazu beiträgt, dass die Wege länger werden; eine effizientere Glühlampentechnik, die dazu beiträgt, dass mehr Licht nachgefragt wird: Solche Effekte heißen in der Ökonomie »Rebound«. Rebound frisst (zumindest) einen Teil des technischen Einsparpotenzials der erhöhten Energieeffizienz weg. Führt die Effizienzsteigerung insgesamt sogar zu mehr Verbrauch – beträgt der Rebound mehr als hundert Prozent –, so spricht man von Backfire.

Rebound wurde – noch nicht unter diesem Begriff – erstmals im 19. Jahrhundert beschrieben. In seinem Werk Die Kohlefrage (The Coal Question) postuliert William Stanley Jevons 1865, dass Effizienzgewinne zu Backfire führen: »Es ist eine völlige Gedankenverwirrung anzunehmen, die effiziente Verwendung von Brennstoffen sei gleichbedeutend mit einem reduzierten Verbrauch. Das genaue Gegenteil ist wahr.« Danach waren Rebound und Backfire lange Zeit kein Thema mehr für die Wirtschaftswissenschaften, wohl vor allem deshalb, weil sich diese für Ressourcenverbrauch kaum mehr interessierten. Erst um 1980 tauchte das Konzept in der ökonomischen Literatur wieder auf.

Zum Rebound tragen verschiedene Mechanismen bei. Das eingangs erwähnte Glühbirnenbeispiel ist ein Fall von sogenanntem direktem Rebound. Sparsamere Lampen erzeugen billigeres Licht; was weniger kostet, wird mehr nachgefragt. Wenn der Preis der Energie sehr tief ist, fällt der direkte Rebound gering aus: Es ist bei den heutigen Strompreisen kaum anzunehmen, dass jemand eine Energiesparlampe länger brennen lässt, als er eine herkömmliche Glühbirne brennen ließe, nur weil ihr Licht weniger kostet. Auch Benzin ist (noch) zu billig, als dass bei sparsameren Autos ein großer direkter Rebound zu erwarten wäre – jedenfalls hierzulande. In Ländern mit tiefen Einkommen könnte das anders aussehen, und das von vielen Umweltschützern erträumte Zweiliterauto könnte sich im globalen Maßstab als Alptraum herausstellen, wenn es Ähnliches bewirkt wie die Wolframlampen vor hundert Jahren.

Daneben gibt es indirekte Formen von Rebound. Wer Energie spart, spart auch Geld. Aber dieses Geld gibt man wieder für etwas anderes aus, das ebenfalls Energie verbraucht. Wer dank besserer Isolation seines Hauses ein paar Hundert Euro im Jahr für Heizöl spart, fliegt damit vielleicht einmal mehr in die Ferien. Verhindern lässt sich diese Form von Rebound nur, wenn man dafür sorgt, dass das Geld gar nicht in Umlauf gerät – zum Beispiel, indem man weniger arbeitet. Das wäre dann Suffizienz.

Selbst Suffizienz ist aber nicht vor einer weiteren Form des Rebound gefeit: Wenn ich weniger Energie brauche, sinkt die Nachfrage, was auf den Preis drückt, was wiederum die Nachfrage erhöht (general equilibrium effects). Salopper ausgedrückt: Was ich spare, verbraucht ein anderer. Schließlich verändern technische Effizienzsteigerungen das Konsumverhalten (transformational effects). Dazu gehört, dass ein Verkehrsmittel wie das Auto, wenn es effizienter wird, Verkehrs- und Siedlungstrukturen und soziale Normen schafft, die wiederum mehr Verkehr hervorbringen.

Unsichtbar und kaum zu messen

Reboundeffekte kommen auch in anderen Bereichen vor. So hat die Waschmaschine den Haushalten keine Zeitersparnis gebracht: Es wird heute einfach öfter gewaschen. Und weil mehr riskiert, wer sich sicherer fühlt, bringen Sicherheitstechniken im Verkehr nicht unbedingt einen Sicherheitsgewinn. In Australien haben die Kopfverletzungen pro gefahrene Kilometer zugenommen, seit dort die Helmpflicht für Fahrradfahrer eingeführt wurde: ein Fall von Backfire.

Das widerspricht unserer Alltagserfahrung: Man sieht leicht das Unfallopfer, das dank Helm glimpflich davongekommen ist. Ob der Helm zu einer riskanteren Fahrweise beigetragen und damit den Unfall mitverursacht hat, lässt sich im Einzelfall nicht feststellen und nur indirekt mit statistischen Mitteln abschätzen. Das selbe gilt für Energiesparmaßnahmen: Wenn ich dank besserer Isolation weniger heize, sehe ich das an der tieferen Heizölrechnung. Die indirekten Reboundeffekte sind nicht sichtbar. Was unsichtbar ist, lässt sich schwer messen. Das staatliche britische Energieforschungszentrum hat 2007 einen Bericht vorgelegt, der den Stand der Forschung zum Energie-Rebound überblickt. Fazit: Man weiß sehr wenig. Einigermaßen robuste Zahlen gibt es lediglich zum direkten Rebound und lediglich zu Bereichen wie Verkehr und Haushalt in Industriestaaten – hier wird der Effekt auf zehn bis dreißig Prozent geschätzt. Kaum brauchbare Schätzungen gibt es zum Gesamtrebound sowie zu ärmeren Ländern. Es sei jedoch, schreibt die Studie, davon auszugehen, dass der Gesamtrebound in vielen Fällen mehr als fünfzig Prozent betrage – das heißt, dass weniger als die Hälfte des technischen Sparpotenzials tatsächlich genutzt wird. In gewissen Fällen sei auch mit Backfire zu rechnen – vor allem dann, wenn eine Effizienzsteigerung zu Wirtschaftswachstum führe. Auf jeden Fall »wäre es falsch anzunehmen, Reboundeffekte seien so gering, dass man sie vernachlässigen könnte«. Genau das tut aber die Politik, das tun große Teile der Wissenschaft und auch das IPCC. Der IPCC-Bericht von 2007 erwähnt Rebound fünfmal und erklärt den Begriff im Glossar. Er geht aber nicht darauf ein: Die Formulierungen lauten »Einige argumentieren, es gebe einen Rebound-Effekt« oder »Es mangelt an Schätzungen über den Ausmaß des Rebound-Effekts«.

Dabei ist es augenfällig: Technik wird effizienter, seit es sie gibt; noch nie ging deshalb der globale Energieverbrauch zurück. Wie effizient (fossile) Energie genutzt wird, ist für das Klima vollkommen irrelevant: Es kommt allein darauf an, wie viel davon verbraucht wird. Und deshalb ist Effizienzsteigerung keine Klimaschutzmaßnahme. Sondern eine ökonomische Maßnahme, um mit weniger Energie umzugehen. Es ist eine gute Nachricht, wenn die Energieökonomen sagen, dass das Potenzial von Effizienzsteigerungen riesig sei: Das bedeutet, dass die Wirtschaft eine Energieverknappung leicht vertragen dürfte. Man darf aber nicht erwarten, dass Effizienzsteigerung automatisch zu Minderverbrauch führt.

Substitution – oder Zusatzfutter?

Das zweite Lieblingskind der Energiepolitik ist die Substitution, die Ersetzung fossiler durch erneuerbare Energiequellen (je nach politischer Präferenz auch durch Atomenergie). Weltweit werden derzeit achtzig Prozent des Energiebedarfs mit fossilen Energieträgern gedeckt. Können erneuerbare Energiequellen diesen Anteil übernehmen? Diese Frage zerfällt in zwei Teilfragen. Denn Substitution – Ersetzung – geschieht in zwei Schritten: Etwas Neues wird hinzugefügt, etwas Altes entfernt. Deshalb lauten die Teilfragen: Ist das Potenzial vorhanden? Und: Was bewirken neue Energieangebote aus erneuerbaren Quellen auf dem Energiemarkt? Die erste Teilfrage betrifft das Hinzufügen, die zweite Teilfrage betrifft das Entfernen. Worauf es fürs Klima ankommt, ist einzig das Zweite – die Entfernung fossiler Energieträger aus der Wirtschaft. Die politische Diskussion dreht sich aber einzig um das Erste – die Förderung erneuerbarer Energien. Ob erneuerbare Energieangebote, die neu auf den Markt gelangen, die fossilen tatsächlich ersetzen – oder ob sie zusätzlich konsumiert werden – scheint empirisch noch nicht untersucht worden zu sein. Aber man kann sich mit theoretischen Überlegungen behelfen.

Ein zusätzliches Angebot drückt zunächst auf den Preis. Wenn der Preis sinkt, werden einige Anbieter nicht mehr Gewinn bringend produzieren können und aufgeben. Substitution findet also statt. Aber der tiefere Preis kurbelt die Nachfrage an, es wird insgesamt mehr nachgefragt . In welchem Verhältnis diese beiden Reaktionen zueinander stehen, hat mit der Marktsituation und mit den Preiselastizitäten von Angebot und Nachfrage zu tun. Kapitalintensive Großkraftwerke mit hohen Fixkosten und tiefen variablen Kosten werden bis zu einem gewissen Punkt auch zu Dumpingpreisen weiter produzieren. Verdrängt werden zuerst kleinere Anlagen mit niedriger Marge und geringem Kapitalpolster. Es besteht die Gefahr, dass neue Angebote zuerst bestehende Angebote erneuerbarer Energien vom Markt drängen.

Politszenarien gehen heute in der Regel davon aus, dass Substitution zu hundert Prozent stattfindet. Das führt zu einer ähnlichen Überbewertung des Substitutionspotenzials erneuerbarer Energien, wie das Vernachlässigen von Rebound zu einer Überbewertung der Energieeffizienz führt. Auch die Methodologie zur Bewertung so genannter »Klimaschutzprojekte«, die Reduktionszertifikate für den Emissionshandel generieren, ignoriert alle Reboundeffekte. Deshalb sind diese Zertifikate systematisch überbewertet (selbst wenn es bei der Zertifizierung mit Rechten Dingen zugeht, was sehr häufig nicht der Fall ist) und haben mithin keinen Klimaschutz, sondern Mehremissionen zur Folge.

Bleibt die Suffizienz. Natürlich ist auch ihr Potenzial riesig: Es gibt ein menschenwürdiges Leben ohne Flugreisen und elektrische Wäschetrockner, und niemand braucht Hundert-und-mehr-PS-Fahrzeuge zum Glücklichsein. Man könnte also an die Bürger appellieren, sie sollten sparen, und den Moralfinger erheben. Doch auch Suffizienz unterliegt, wie bereits erwähnt, einem gewissen Rebound – wer sparsam lebt, riskiert, dass ein anderer verbraucht, was er spart. Es ist das Problem der Allmende, das sich nicht auf der Ebene des Induviduums lösen lässt. [http://dieoff.org/page95.htm]

Den Hahn zudrehen

Kinder spielen mit einem Brunnen, der aus vielen Rohren Wasser speit. Halten sie ein Rohr zu, speien die anderen um so stärker. Das ist lustig. Was aber, wenn der Brunnen aus Milliarden Rohren speit? Die Energieeffizienz zu steigern und erneuerbare Energieträger zu fördern gleicht dem Versuch, den Wasserdurchfluss durch einen solchen Brunnen zu reduzieren, indem man einzelne Rohre zuhält. Was wäre besser? Man sollte nicht zu weit nach einer Antwort suchen: Man muss den Wasserhahn der Zuleitung zudrehen. Nur wenn weniger Kohlenstoff in die Wirtschaft rein geht, kommt weniger Kohlendioxid hinaus.

Auszug aus:
Marcel Hänggi, Wir Schwätzer im Treibhaus. Warum die Klimapolitik versagt, Rotpunktverlag, Zürich 2008, 285 Seiten, 21,50 Euro. (nbo)