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Der Aufstieg von Lexus

Christian Domke Seidel

(Bild: Lexus)

Ohne den Hybridantrieb wäre Lexus heute nicht denkbar. Erst das Zusammenspiel von Verbrenner und E-Motor hauchte der Luxusmarke ihren Charakter ein.

Die Konkurrenz lachte Toyota aus. Nicht nur einmal. Mehrmals. Als Verbrauchsminderung in der Autoindustrie noch als Profitkiller galt, machten die Japaner den Hybridantrieb zum Massenprodukt. Als Lobbyverbände gegen Umweltauflagen zu Felde zogen, verpasste sich der Konzern eine "Earth Charta" zur Minimierung des eigenen CO2-Ausstoßes. Und um sparsame Autos auch im Luxussegment zu etablieren, gründete Toyota einfach die Marke Lexus. Und die Japaner lachten immer zuletzt. Doch von vorne.

Alle waren sie da. Damals, 1989. Die hohen Tiere von Cadillac und Lincoln, Rolls-Royce und Jaguar, Mercedes und BMW. Kein Wunder. Denn Toyota hatte angekündigt, ins Premiumsegment einzusteigen. Die namhafte Konkurrenz wollte dabei sein, wenn die Japaner das dafür vorgesehene Luxus-Kaninchen aus dem Hut ziehen würden auf der North American International Auto Show (NAIAS) in Detroit.

Toyota musste etwas Drastisches unternehmen, wollte der Konzern in diesen Markt der dicken Renditen vorstoßen, und tat das auch. Im Nachhinein betrachtet zeugte es von erstaunlicher Weitsicht und selten gewordener, realistischer Selbsteinschätzung, dass die Japaner gleich eine neue Marke gründeten. Die Geburtsstunde von Lexus. Mitsamt der Limousine LS 400.

Lexus LS400

Der Lexus LS400 auf einem zeitgenössischen Werbebild aus dem Jahr 1994: So wollten die Japaner den LS400 gern gesehen haben - als Luxusauto der Erfolgreichen. Die Limousine war technisch tadellos, doch das allein reicht in dieser Klasse nicht.

(Bild: Toyota)

Für Toyota war diese Präsentation 1989 im Herzen der amerikanischen Autoindustrie ein erster Gipfel. Dass es die Japaner überhaupt so weit gebracht hatten, war schon erstaunlich genug. Als Toyota 1957 zum ersten Mal den amerikanischen Markt betrat, erlitten sie ganz bitter Schiffbruch. Der "Toyopet Crown" sollte für die Marke der Türöffner zum damals attraktivsten Automarkt der Welt sein. Innerhalb von 14 Monaten verkauften sie jedoch gerade einmal 287 Stück.

Toyopet Crown

Der Toyopet Crown wurde in den USA kein Erfolg. Sondern ein Flop, an dem Toyota selbst Schuld hatte. Wenn man ihm etwas Gutes nachsagen will: Seine üble Qualität weckte den Ehrgeiz der Verantwortlichen, es besser zu machen.

(Bild: Toyota)

Kein Wunder. Die Türen klapperten und der Wind pfiff durch alle Ritzen. Das Projekt wurde vorerst eingestampft. Doch diese Niederlage weckte bei Konzernchef Eiji Toyoda, dem Großneffen des Firmengründers Sakichi Toyoda, den Ehrgeiz. Er wollte in diesem Markt Erfolg haben. Auch, weil er – wie viele Konkurrenten – damals schon auf eine globale Strategie setzte. Schritt eins war es deswegen, trotz dieses Desasters in den USA weiterhin Präsenz zu zeigen. Mit robusten Pick-ups statt Alltagsautos für jedermann schafften sich die Japaner das Image-Fundament für einen zweiten Anlauf.

Schritt zwei war die Einführung von "kai-zen" für die Entwicklung und Produktion der Autos. Übersetzt bedeutet es so viel wie "Veränderung zum Besseren". Im Kern geht es darum, das Endprodukt zu verbessern, indem jeder noch so kleine Schritt in der Entstehung permanent optimiert wird. Das brauchte natürlich Zeit. Bis 1965 um genau zu sein. Dann kehrte Toyota mit dem (bitte nicht lachen) Corona und dem Corolla zurück nach Amerika.

Toyota Corona 1979

Toyota Corona aus dem Jahr 1979

(Bild: Toyota)

Im selben Maß, in dem Toyota bei der Produktion zuverlässiger und kundenorientierter wurde, nahm bei der amerikanischen Konkurrenz die Konzentration ab. Die Qualität stimmte nicht und das Gespür für Trends und globale Entwicklungen fehlte völlig. Für sie war die Ölkrise 1973 ein Schlag ins Kontor. Toyota stieg parallel zum größten Importeur in den USA auf, derweil der freie Fall der amerikanischen Marken ungehindert weiterging. Lee Iacocca beantragte für Chrysler sogar Staatshilfen. 1979 war Toyota plötzlich der größte Autohersteller der Welt.

Zu diesem Zeitpunkt ging bei Toyota Motor Sales (TMS) in den USA ein Stern auf. Sein Name: Yukiyasu Togo. Togo präsentierte dem Vorstand in Japan drei Ideen, die allesamt mit unbequemen Wahrheiten verbunden waren. Punkt eins: Corolla, Corona, Cressida und Celica sorgten zwar für gute Absätze, waren aber langweilig. Die Baby-Boomer, die so viel Geld für Autos übrighatten wie keine Generation vor ihnen, wollten spannendere Produkte. Punkt zwei: Eine rein japanische Automarke ist in ihrem Erfolg limitiert. Aus Imagegründen, und um Wechselverluste zu vermeiden, müsse Toyota ein Werk in den USA bauen.

Diese zwei Punkte winkte der Vorstand widerspruchslos durch. Das Ergebnis war, dass ab 1988 Toyota Camrys in Kentucky gebaut wurden. Über die Emotionalität eines Camry kann gestritten werden, über dessen kommerziellen Erfolg nicht. Das Fahrzeug wurde innerhalb von zwei Jahren zum meistverkauften Mittelklassemodell in den USA. Die dritte unbequeme Wahrheit auf Togos Liste verlangte etwas genauere Planung: Toyota steht für qualitativ hochwertiges Mittelmaß, doch die dicken Margen sind mit Luxusautos zu machen. So eines müsse her.

Quality today - success tomorrow: Wer heute Qualität liefert, wird morgen Erfolg haben. Toyota behielt recht: Der in Kentucky gebaute Camry wurde in nur zwei Jahren ein Riesenerfolg.

(Bild: Toyota)

Eiji Toyoda, die graue Eminenz des japanischen Großkonzerns, bekommt in Zeiten, in denen das Geld mit Schubkarren in die Konzernzentrale gebracht wird, von einem Management-Emporkömmling die Schwachstellen seines Milliarden-Konzerns aufgezeigt. Seine Reaktion? Er beruft Yukiyasu Togo in den "Circle F". Klingt futuristisch, ist aber nur eine geheime Management-Clique. Eine exklusive Gruppe, die ab dem Jahr 1983 am F1 arbeitet – dem „Flagship one“.

Doch Togo reicht das nicht. Seiner Überzeugung nach dürfte dieses Flaggschiff kein Toyota sein, sondern müsse einen anderen Namen tragen. In den USA sei das so üblich. General Motors hätte Cadillac und Ford die Marke Lincoln. Alles Fahrzeuge, die nicht einmal in den selben Verkaufsräumen wie die Mittelklassemodelle stehen würden. Eiji Toyoda zeigt sich beeindruckt und mutig – er gibt Togo freie Hand.

In den Toyota-Zentralen in Japan und Amerika bricht daraufhin hektisches Treiben aus. Im Jahr 1985 hat die Marke umgerechnet bereits 1,5 Milliarden Mark in die Entwicklung einer Luxuslimousine investiert. Das Geld ging für 24 Entwicklerteams mit 2300 Technikern, 1400 Ingenieuren und 60 Designern drauf. Parallel kriegt die Agentur "Lippincott & Margulies" aus New York den Auftrag, einen Namen für Toyotas neue Marke zu finden. Das Ergebnis ist wenig hilfreich: eine Liste mit 219 Namensvorschlägen. Auf eine Shortlist schaffen es unter anderem Vectre, Verone, Chaparel, Calibre und Alexis.

Die Legende will es, dass die Wahl auf "Alexis" hätte fallen sollen, bis jemandem auffällt, dass dies der Name eines bösen Charakters aus dem "Denver Clan" ist. Deswegen soll sich John Francis, der amerikanische Projektleiter, Block und Stift geschnappt und mit den Namen gespielt haben. Bei „Alexis“ strich er das „A“ weg und wenig später stand "Lexus" als Name fest. Es gilt die Faustregel: Lieber einen guten Freund verlieren als eine gute Geschichte, weswegen wir diese mal so glauben wollen.

Lexus LS400

Die für Toyota typische Zuverlässigkeit und eine für die damalige Zeit beeindruckende Dämmung kennzeichneten den konservativ gezeichneten Lexus LS400.

(Bild: Toyota)

Auch die 24 Entwicklerteams hatten ganze Arbeit geleistet. Der entstandene Lexus LS 400 hatte einen Vierliter-V8 unter der Haube, schaffte aber trotzdem mehr als 22,5 Meilen pro Gallone (was rund zehn Liter auf hundert Kilometer entspricht). Damit umging der Wagen die „Gas Guzzler“ Strafsteuer, was Kunden etwa 1000 Dollar sparte. Genau das bekamen die Konkurrenten auf der North American International Auto Show (NAIAS) in Detroit 1989 zu sehen. Eine neue Luxusmarke, die deutlich sparsamer war als ihre eigenen Schlitten. 1500 Händler hatten sich um das Recht beworben, Lexus verkaufen zu dürfen. Ganze 73 davon – vornehmlich in Ballungszentren – bekamen den Zuschlag.

Lexus reüssierte und etablierte sich als Nischenhersteller. Der ganz große Durchbruch war noch nicht abzusehen. Dann trafen zwei Entwicklungen aufeinander. Die langfristig betrachtet wichtigste ist die "Earth Charta". Als erstes Land überhaupt verbannt Japan Autos ohne Katalysator von der Straße. Die Politik würde den Umweltschutz in Zukunft immer ernster nehmen. Angesichts endlicher fossiler Energieträger und wachsender Umweltprobleme ein notwendiger Schritt.

Das Projekt G21 als Studie im Jahr 1995: Zwei Jahre später kam es als Toyota Prius auf den Markt.

(Bild: Toyota)

Weil Toyota aber nicht von der Politik, sondern der eigenen Entwicklung getrieben sein wollte, legte sich der Konzern im Jahr 1992 selbst die „Earth Charta“ auf. Deren Kernaussage ist, dass dem Umweltschutz bei der Fahrzeugentwicklung "höchstmögliche Priorität" einzuräumen sei. Die Verringerung des Ausstoßes von Kohlendioxid hätte „herausragende Bedeutung“. Erster Schritt in diese Richtung ist das "Projekt G21". Das kennt mittlerweile jeder. Es kommt 1997 als Prius auf die Straße.

Die zweite Entwicklung sollte Lexus endlich den erhofften Durchbruch bescheren. Es ist der RX300. Das „weltweit erste Premium-SUV“, wie es Lexus nennt. Und tatsächlich: Der RX300 kommt im August 1997 auf den Markt. Die Mercedes M-Klasse erst im September. Der Range Rover, der 1994 erscheint, hat noch Starrachsen und fliegt wohl deswegen aus der Wertung. Der Lexus RX300 brachte der neu gegründeten Marke den Durchbruch. Er trat – mit einigen anderen Autos gemeinsam – eine Welle an Luxus-SUV los und wurde zum wichtigsten Modell der Marke.

Der Lexus RX 300 kam 1997 auf den Markt und begründete das Segment der luxuriösen SUV. Dass er im Gelände nicht brillieren konnte, interessierte die Kundschaft schon damals nicht.

(Bild: Toyota)

Er passte aber nicht zur eigenen "Earth Charta". So gar nicht. Genau genommen torpedierte Lexus dieses Vorhaben sogar. Erst die Studie "LF-S" (für Luxury Future Sedan) sollte das ändern. Im Jahr 2003 zeigte Toyota eine Luxuslimousine, in der ein V8- und ein Elektromotor zusammenarbeiteten. Eine Idee, die in der Szene nur wenige ernst nahmen. Der Hybridantrieb hatte ein Gesicht – das des Toyota Prius. Und der passt nicht in die Luxuswelt. Und hier kommt Lexus ins Spiel. Denn die Marke hat, bei allem Erfolg, ein Problem.

Lexus LF-S

Die 2003 gezeigte Studie LF-S hatte einen V8-Benziner und einen E-Motor. Damals mag manch einer der Konkurrenten über diese Idee in dieser Klasse gelächelt haben.

(Bild: Toyota)

Es fehlt Lexus an Kontur und Image. Cadillac und Lincoln, Mercedes und BMW haben allesamt eine lange Geschichte. Kunden identifizieren mit den Fahrzeugen eine bestimmte Eigenschaft, einen bestimmten Wert. Bei Lexus ist das nicht der Fall. Bis zum Lexus RX 400h. Ein Luxus-SUV mit Hybridantrieb, das im Jahr 2005 auf den Markt kam.

Lexus RS 400h

Der Lexus RX 400h - das erste Luxus-SUV mit Hybridantrieb.

(Bild: Toyota)

Kein Jahr später folgte der GS 450h – eine Luxus-Limousine mit Hybridantrieb. Plötzlich hatte der Nobelableger ein Image, Charakter, einen Markenkern. Lexus war fortan die sparsame Luxusmarke mit Hybridantrieb. Alles kriegen, ohne schlechtes Umweltgewissen. Fortschrittlich, weniger umweltschädlich und damit erkennbar anders als die Konkurrenz. Um im Marketingsprech zu bleiben.

Der Lexus RX 400h leistet insgesamt 272 PS. 211 PS stammen von einem V6-Benziner. Weitere 167 PS von einem Elektromotor an der Vorderachse. Der Elektromotor an der Hinterachse leistet zusätzlich 68 PS. Weil die Motoren ihre Leistung in unterschiedlichen Fahrsituationen und Drehzahlbereichen des Benziners abgeben, lassen sich die Werte für die Systemleistung nicht einfach addieren. Obwohl die Technik neu ist, gibt es kaum Kinderkrankheiten. Das ist kein Zufall. Dafür hat Toyota keine Kosten gescheut. Die sensiblen Teile sind allesamt eigene Entwicklungen. Sowohl die Halbleiter-Chips für das zentrale Steuergerät als auch die Wicklung der E-Motor-Spulen.

Teile, bei denen Toyota zusätzliches Knowhow braucht, wie die Batterie, werden nicht etwa ausgelagert, sondern entstehen in Joint-Ventures. Im Falle des Akkus mit Panasonic. So haben Toyota und Lexus die Kontrolle über alle notwendigen Teile und deren Produktion.

Entsprechend euphorisch fallen die Tests aus. Trotz hochkomplexer Technik ist der Toyota Prius im TÜV-Report 2011 das zuverlässigste Auto seiner Klasse. Seine Technik und seine Komponenten sind es, die hochskaliert werden. Aktuell können zehn Lexus-Modelle mit Hybridantrieb geordert werden. Die Taktik zahlt sich aus. Bevor die Coronavirus-Krise einen Pfropfen in die Automobilwirtschaft rammte, setzte Lexus im Jahr 2019 immerhin 765.330 Autos ab. So viel wie nie zuvor.

(chlo [1])


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