Der Futurist: Absurde Umwege

Was wäre, wenn wir eine Pkw-Maut hätten?

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Was wäre, wenn wir eine Pkw-Maut hätten?

Diesmal wollten die Verkehrspolitiker alles richtig machen: Das System vom Kopf auf die Füße stellen. Externe Kosten internalisieren. Gerechtigkeit schaffen. So versprach es die schwarz-grüne Bundesregierung im Herbst 2017: Autofahrer sollten Kosten für Straßenunterhalt, Unfallfolgen, Umweltschäden oder Flächenverbrauch komplett selber tragen – erhoben von Toll Collect in Form einer kilometerabhängigen Maut für sämtliche Straßen.

Als Basispreis für Pkws legten die Politiker 15 Cent pro Kilometer fest, auf Autobahnen und Bundesstraßen drei Cent mehr. Dazu kam noch ein Aufschlag von 20 Prozent für besonders staugefährdete Trassen. Im Gegenzug entfielen Kfz- und Mineralölsteuer. Außerdem sollten die Abgaben nicht mehr zum Stopfen von Haushalts-löchern herangezogen werden. Die gesamte Berechnungsformel passte auf einen Bierdeckel.

Doch dann kamen die Lobbyisten. Bürgerinitiativen forderten, den Lärm stärker zu berücksichtigen. Also ergänzte der Gesetzgeber einen Malus-Faktor, der sich aus Fahrgeräusch, Uhrzeit und Besiedlungsdichte zusammensetzte. Allein dieses Regelwerk umfasste 23 Seiten und war nur von den Verfassern selbst zu verstehen.

Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände erwirkten zudem Ausnahmen für Ärzte, Hebammen, Pannenhelfer, Handwerker, Installateure, Außendienstler, Kuriere, Pendler und alle anderen, die ihr Auto in irgendeiner Form beruflich nutzten. Am Ende war fast ein Drittel der Autofahrer – die gemeinsam zwei Drittel der Fahrleistung verursachten – von der Maut befreit. Um trotzdem die nötigen Einnahmen zu sichern, mussten die restlichen Gelegenheitsfahrer vier Cent mehr zahlen.

Doch es war nicht so, dass die Politik vor jeder Interessengruppe eingeknickt wäre. Als etwa der Chaos Computer Club den Prototyp einer Onboard Unit gehackt hatte und deren Bewegung nun lückenlos verfolgen konnte, blieb Bundeskanzlerin Ursula von der Leyen ungerührt: Es sei eine State-of-the-Art-Verschlüsselung vorgeschrieben, mehr könne die Politik nicht tun.

2021 nahte das Ende der Legislaturperiode, und das Prestigeprojekt war von den eigenen Ansprüchen fast erdrückt worden. Um es zu retten, wurde Hartmut Mehdorn zum neuen Verkehrsminister berufen. Kurz zuvor hatte er versichert, dass der Flughafen Berlin Brandenburg noch im selben Jahr garantiert eröffnet werden könne.

Nun suchte Mehdorn nach neuen Herausforderungen. Schnell konstatierte er, das ganze Mautkonzept habe einen Geburtsfehler: Vorab festgelegte Stauzuschläge würden dazu führen, dass Autofahrer die entsprechenden Abschnitte meiden und den Stau auf andere Strecken verlagern. Also schickte Mehdorn die Entwickler zurück an ihre Schreibtische. Ihr Auftrag: Die Maut dynamisch anhand der Verkehrsbelastung vorausberechnen.

Das forderte unzählige Mannjahre und versechzehnfachte die Kosten. Als die Pkw-Maut dann drei Jahre später endlich scharf geschaltet wurde, waren die Algorithmen angesichts der komplexen Aufgabe so überfordert, dass es Glückssache war, ob die prognostizierten Gebühren nach einer Fahrt tatsächlich auf der Rechnung erschienen. Die Gerichte versanken unter Klagen.

Dafür fanden sogenannte Least Cost Router, die den günstigsten Weg von A nach B ermittelten, reißenden Absatz. Sie empfahlen mitunter absurde Umwege, aber das störte viele Leute nicht sonderlich, weil der Weg frei und der steuerbefreite Sprit so schön billig war. Sie bestellten sich benzingurgelnde V8-Musclecars und genossen das mautoptimierte Herumkurven auf immer neuen Strecken. Hinter vorgehaltener Hand gaben Automanager zu: Die Maut, gegen die sie stets opponiert hatten, sei das Beste, was ihrer Branche passieren konnte. (grh)