Die Genkiller-Pflanze

Der Schädlingsbekämpfungsmittel- und Saatguthersteller Monsanto entwickelt genetisch veränderten Mais, der mit Hilfe von RNA-Interferenz Insekten töten kann, die ihn befallen.

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Von
  • Katherine Bourzac

US-Pharmaforscher haben Pflanzen geschaffen, die Schädlinge töten, indem sie deren Genexpression stören. Der Experimentalmais leitet die so genannte RNA-Interferenz ein, die Erbgutbestandteile ausschalten kann – und geht damit deutlich weiter als bisherige genetisch veränderte Nutzpflanzen, die beispielsweise giftige Proteine abgeben.

Weil die verwendete RNA-Interferenz nur bestimmte Gene bei bestimmten Insekten attackiert, soll die Technik angeblich sicherer und mit geringeren Risiken verbunden sein als andere genetisch veränderte Pflanzen, meint die eine Forscherfraktion. Die andere warnt hingegen, dass es noch zu früh sei, solche Vorhersagen zu treffen – und die Pflanzen zunächst durch und durch getestet werden müssen, um sicherzustellen, dass sie kein schwerwiegendes Umweltrisiko darstellen – auch für den Menschen als Endverbraucher.

Die RNA-Interferenz findet bereits in der Natur statt – bei Lebewesen vom Wurm bis zum Menschen. Es ist ein Prozess, bei dem doppelstrangige RNA-Kopien bestimmter Gene Zellen davon abhalten, diese Gene in Proteine umzusetzen. Die neuen genetisch veränderten Pflanzen enthalten Gene für RNA, die sich auf bestimmte Insektengene richten. Zwei Studien, die Anfang November gleichzeitig in "Nature Biotechnology" veröffentlicht wurden, sollen nun zeigen, dass es bei einigen Insektenarten ausreicht, wenn sie diese RNA fressen, um bestimmte Gene auszuschalten. Das ist eher überraschend: Zuvor konnte RNA nur dann Veränderungen auslösen, wenn sie injiziert worden war.

"Die Leute haben das zwar schon probiert, aber Berichte über Erfolge gab es vorher nicht", sagt Karl Gordon, Insektenkundler bei der "Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation" im australischen Canberra. Die jüngsten Arbeiten seien die ersten, die darstellten, dass RNA-Interferenz auch für die Schädlingsbekämpfung interessant sein könnte.

Forscher der chinesischen Akademie der Wissenschaften in Shanghai schufen bereits Baumwollpflanzen, die ein Gen stören können, dass es dem Baumwollkapselbohrer ermöglicht, das in der Baumwolle natürlich vorkommende Gift Gossypol unbeschadet zu verdauen. Die Tiere, die die genetisch veränderte Baumwolle fraßen, konnten die giftstoffverarbeitenden Proteine nicht mehr bilden und starben. Forscher bei Monsanto und Devgen, einer belgischen Firma, haben darüber hinaus Maispflanzen geschaffen, die ein Gen ausschalten, das in der Energieproduktion des Maiswurzelbohrers eine wichtige Rolle spielt – wird sie von den Würmen verdaut, sterben sie angeblich innerhalb von 12 Tagen.

Der effizienteste gentechnische Ansatz bei der Schädlingskontrolle war bislang eine Pflanze, die ein Protein namens Bt-Toxin produziert, das die Insekten langsamer werden lässt, ihnen den Appetit nimmt und sie dann letztlich tötet. Mehr als 310.000 Quadratkilometer Nutzpflanzen wurden im vergangenen Jahr mit solchem veränderten Saatgut angebaut. Bt funktioniert allerdings nicht bei vielen Schädlingen. Der bereits genannte Wurzelschädling bei Mais stirbt davon nicht – und er kann solche Schäden anrichten, dass die Pflanze vom Wind weggeblasen wird. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass sich bald Resistenzen gegen Bt aufbauen.

"Wir brauchen eine Methode, um an diese Resistenzen herumzukommen", erklärt Abhaya Dandekar, Professor für Obstbaukunde an der University of California in Davis. RNA-Interferenz sei deshalb attraktiv, weil Insekten dagegen kaum Resistenzen aufbauen könnten. "Die einzige Möglichkeit, die RNA-Interferenz zu unterlaufen, wäre, das gesamte System des Organismus herunterzufahren." Das bedeutet, dass die neuen Pflanzen einen Gen-Ausschaltmechanismus verwenden, den der Körper der Insekten bereits einsetzt: RNA-Interferenz wird inzwischen als ein kritischer Teil des Immunsystems bei vielen Tieren angesehen. Insekten, die die RNA-Interferenz "abschalten" würden, um gentechnisch veränderte Pflanzen verdauen zu können, würden also vermutlich schnell krank werden, meint Dandekar.

Ein weiteres Problem von Bt ist seine Ungenauigkeit. Der Giftstoff kann auch sein Ziel verfehlen – er tötet Insekten, die keine Bedrohung der Pflanzen darstellen. RNA-Interferenz, sagt Ty Vaughn, Forscher bei Monsanto, könne dagegen genau auf Spezies abgestimmt werden. "Dadurch haben wir mehr Kontrolle." Erste Forscher sehen das ähnlich und meinen, dass Monsanto bislang ein hohes Maß an Genauigkeit demonstrieren konnte: "So genannte Off-Target-Effekte, die unspezifisch wirken, sollten sie eigentlich vermeiden können", meint Insektenkundler Gordon.

Doch es gibt auch laute Kritiker, die davor warnen, vorschnelle Schlüsse zu ziehen. Bernard Mathey-Prevot, Direktor des "RNA Interference Screening Center" an der Harvard Medical School, der die Technologie bei Fruchtfliegen erprobt, hält die Idee zwar für interessant, doch sei wichtig, erst einmal die Ökologie dahinter zu verstehen: "Es ist sehr schwer, im Voraus zu wissen, ob davon letztlich auch andere Insekten ins Visier genommen werden."

Neben der Gefahr, auch Nützlinge zu töten, sieht Mathey-Prevot noch ein weiteres Risiko: Die Gen-Abschalt-Mechanismen könnte sich auf andere Spezies von Pflanzen übertragen oder von Pflanzen auf andere Organismen, etwa Bakterien im Boden. Eine solche Verbreitung könnte harmlos sein – oder eben auch nicht: "Wir müssen das erst ein bisschen mehr verstehen lernen", gibt der Experte zu Bedenken.

Monsanto-Mann Vaughn zufolge befindet sich die Forschung noch in einer frühen Phase, und der Konzern habe noch keinen Terminplan aufgestellt, wann solches Saatgut auf den Markt komme. Der neue transgene Mais soll zunächst durch eine "ganze Batterie von Tests" gehen, um sicherzustellen, dass die Auswirkungen wirklich nur bei dem adressierten Schädling zu spüren sind. Tabak-Schädlinge, die den behandelten Mais aufnahmen, hätten sich bereits als unempfindlich gezeigt.

Um dies aber endgültig abzuklären, müssten solche Tests enorm breit durchgeführt werden, meinen andere Forscher. "Man müsste alle Spezies vorhersehen, die nicht betroffen sein sollen und sie dann testen", sagt David Root, Projektleiter beim "RNA Interference Consortium", einer Gemeinschaftseinrichtung von Broad Institute, Harvard University und dem gemeinschaftlichen Zentrum für Genommedizin am MIT. Der Australier Gordon erwartet ähnlich strenge Vorgaben von den Kontrollbehörden.

Obwohl Menschen ähnliche Gene wie Insekten haben, denken die Forscher aber zunächst nicht, dass eine Genausschaltung beim Menschen vorkäme. "Wenn man enorm viel davon Mäusen zu fressen gäbe, würde das schon keine Auswirkungen haben", meint Root. Die RNA werde "einfach verdaut" bei Mäusen und Menschen.

Die US-Regierung schreibt derzeit nicht vor, dass Nahrungsmittel, die genetisch veränderte Organismen enthalten, entsprechend gekennzeichnet werden müssen. Sicherheitstests sind aber vorgeschrieben. Fred Gould, Professor für Landwirtschaft an der Carolina State University, glaubt, dass die neuen Pflanzen etwas produzierten, das einem Pestizid entspricht – damit müssten sie von der US-Umweltbehörde EPA reguliert werden. Solche Nahrungsmittel müssten dann im Tierversuch und an menschlicher Magensäure getestet werden.

Es ist unklar, wie breit die RNA-Interferenz als Pflanzenschutzmittel angewendet werden könnte. Bei vielen Insekten führt die Verdauung von RNA nicht zu Genausschaltungen. Doch Maiswurzelbohrer und Baumwollkapselbohrer sind durchaus schwerwiegende landwirtschaftliche Schädlinge und ernähren sich von zwei der am stärksten angebauten Nutzpflanzen der Welt. Selbst wenn die RNA-Interferenz nicht gegen andere Insekten wirkt, könnte sie viele Bauern sehr interessieren.

Mathey-Prevot fordert allerdings Geduld. Aktuell sei es noch deutlich zu früh, Aussagen über die Sicherheit der Technik zu treffen. Aber auch der Gefahrenvergleich mit bereits angebauten, genetisch veränderten Feldfrüchten sei noch nicht leistbar. (bsc)