Die Geschichte von Linux

Als Linus Torvalds vor 20 Jahren sein Linux 0.01 ins Internet stellte, traf er mit der Idee eines freien Unix-Klons, an dem jedermann mitentwickeln kann, einen Nerv. Heutzutage ist Linux aus der IT-Welt nicht mehr wegzudenken.

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Von
  • Dr. Oliver Diedrich
Inhaltsverzeichnis

Zwanzig Jahre ist es jetzt her, dass Linus Torvalds die ersten Zeilen dessen programmierte, woraus der Linux-Kernel werden sollte. Damals dachte der Informatikstudent noch nicht an ein eigenes Betriebssystem, sondern wollte lediglich die Fähigkeiten des 386er-Prozessors in seinem PC erforschen. Die Experimente mit Speicherverwaltung, Prozess-Switching und I/O entwickelten sich schließlich zu so etwas wie einem rudimentären Betriebssystemkern.

Für Torvalds, der zu Hause das Unix-ähnliche Lehrbetriebssystem Minix von Andrew Tanenbaum einsetzte und Unix von der Uni kannte, war klar, dass sein eigenes Betriebssystem Unix-artig sein musste. Daher fragte er im Juli 1991 in der Minix-Newsgroup nach dem POSIX-Standard, der Definition der Unix-Systemschnittstellen. Am 25. August 1991 schickte Linus Torvalds ein Posting hinterher, in der er erstmals erwähnte, dass er an einem Betriebssystem für den 386er arbeitet ("nur so als Hobby, wird nicht groß und professionell wie GNU"), und die Minix-Community um Anregungen bat, welche Features sie gerne sehen würden.

Am 17. September 1991 schließlich stellte Torvalds sein "Linux 0.01" auf einem ftp-Server zum Download bereit (Torvalds wollte es "FreaX" nennen, aber der ftp-Admin fand den Namen "Linux" besser). Linux 0.01 konnte so gut wie nichts: Der Kernel lief nur auf 386er-Prozessoren, unterstützte ausschließlich das finnische Tastatur-Layout und bootete nur von Diskette. Noch finsterer sah es bei den Anwendungen aus: Die beschränkten sich auf die Unix-Shell bash und den GNU-C-Compiler.

Aber Linux traf einen Nerv: Eine Reihe von Unix-Fans, denen die Fähigkeiten von Minix zu begrenzt und Unix-Workstations zu teuer waren, stürzten sich auf das neue Betriebssystem, schickten Torvalds ihre Wünsche, bastelten an Treibern und portierten erste Programme. Den Grundstock dazu lieferte lieferte das 1984 von Richard Stallman gegründete GNU-Projekt, das eine Vielzahl klassischer Unix-Tools so programmiert hatte, dass sie sich auf unterschiedlichen Unix-Systemen übersetzen ließen. Zu einem kompletten Betriebssystem fehlte lediglich der Kernel, und den lieferte nun Linus Torvalds: GNU/Linux war geboren – in einer Form, in der es sich (auf der Kommandozeile) bis heute gehalten hat.

Im November 1991 löschte Torvalds versehentlich die Minix-Partition auf seinem PC und stand jetzt vor der Wahl, Minix neu zu installieren oder Linux zu einem benutzbaren System weiterzuentwickeln. Er entschied sich für Linux. Im Januar 1992 veröffentlichte er die Linux-Version 0.12 erstmals unter der GPL; eine Entscheidung, die er – trotz einiger Meinungsverschiedenheiten mit dem GPL-Autor und FSF-Gründer Richard Stallman – bis heute für richtig hält.

Damals trafen sich die Linuxer in der Minix-Newsgroup, doch dem Informatik-Professor und Minix-Erfinder Andrew Tanenbaum gingen die zunehmenden Linux-Diskussionen im Minix-Forum auf die Nerven. Auf sein berühmtes Posting "LINUX is obsolete" im Januar 1992 folgte ein Schlagabtausch mit Torvalds; schließlich zog die wachsende Linux-Community in eine eigene Newsgroup um.

1992 bescherte das bis heute verwendete X Window System dem Linux-Kernel 0.95, der dank einer virtuellen Speicherverwaltung jetzt Daten aus dem RAM auf die Platte swappen konnte, eine grafische Oberfläche. Nun gingen die Kernel-Hacker den Netzwerk-Stack an. Erste SCSI- und Soundtreiber, das Ext2-Dateisystem und das ELF-Format für Binaries wurden implementiert, das BSD-Drucksystem portiert, zur Laufzeit nachladbare Kernelmodule und das /proc-Pseudodateisystem implementiert. Linux wurde zunehmend benutzbar; 1992 erschienen mit SLS und Yggdrasil die ersten Linux-Distributionen. Slackware und Debian, gestartet im Frühjahr und Sommer 1993, existieren heute noch.

Im März 1994 erschien Linux 1.0 nach einer langen Folge von 0.99.x-Versionen und führte einen Entwicklungsmodus ein, der sich zehn Jahre lang halten sollte: Parallel zur behutsamen Weiterentwicklung des stabilen Anwenderkernels mit gerader Versionsnummer (1.0) wurden neue Features in einem Entwicklerkernel (1.1) implementiert, der mit der Codebasis des Anwenderkernels startet und letztlich in einer neuen Major Version mündet.

Dass Linux heutzutage auf fast allem läuft, was Nullen und Einsen unterscheiden kann, auf Embedded Devices vom Router bis zum Smartphone ebenso wie auf Großrechnern, hat seine Wurzeln im Linux-Kernel 1.2. Der brachte im März 1995 nämlich neben zahlreichen neuen Treibern und Verbesserungen im Netzwerkbereich (IP-Forwarding, Firewall, zusätzliche Netzwerkprotokolle wie NFS) als große Neuerung die ersten Portierungen auf andere Prozessorarchitekturen: Alpha, Mips und SPARC. Linux 1.2 legte so den Grundstock für die mehreren Dutzend Plattformen, auf die der Linux-Kernel mittlerweile portiert wurde.

Dank der verbesserten Netzwerkfähigkeiten und Anwendungen wie Apache, Samba und Sendmail entstand allmäglich ein Markt für Linux, den kommerzielle Linux-Distributoren wie Caldera, Red Hat und Suse bedienten. Caldera ist inzwischen von der Bildfläche verschwunden (dazu gleich mehr), Suse wurde Ende 2003 von Novell gekauft und ist seit deren Übernahme durch Attachmate im letzten Jahr wieder selbständig, Red Hat dürfte dieses Jahr erstmals die Umsatzmarke von einer Millarde US-Dollar knacken.

Doch zurück zum Linux-Kernel. Im Juni 1996 brachte Linux 2.0 erste Unterstützung für Multiprozessor-Systeme – und den von Larry Ewing entworfenen Tux als Maskottchen. Im März 1997 startete kernel.org, bis heute Heimat der offiziellen Kernelquellen und der Linux Kernel Mailing List (LKML), in der die Kernel-Hacker diskutieren. Im September 1998, während der Arbeit an Linux 2.1, gab es einen handfesten Krach unter den Entwicklern: Torvalds kam mit dem Einbau der ihm zugeschickten Patches in die Kernelquellen nicht mehr nach, viele Programmierer waren frustriert, eine Spaltung der Entwicklung drohte.

Die Situation ließ sich jedoch entschärfen, indem altgediente Entwickler wie Alan Cox und Ted Y. Ts´o als "Vorfilter" Torvalds von der Arbeit entlasteten, jeden Patch selbst zu prüfen; eine Organisation, die sich bis heute gehalten hat. 2002 wiederholte sich die "Linus does not scale"-Geschichte. Dieses Mal fand man eine technische Lösung in dem leistungsfähigeren Quellcodeverwaltungssystem Bitkeeper, das drei Jahre später durch das von Torvalds selbst geschriebene Versionskontrollsystem Git abgelöst wurde – mittlerweile selbst ein Standard in der Open-Source-Welt.

Linux 2.2 erschien im Januar 1999. Der Kernel lief jetzt vernünftig auf SMP-Maschinen mit bis zu vier Prozessoren, brachte eine effizientere Speicherverwaltung, unterstützte IPv6 und enthielt leistungsfähigen Firewall-Code – der Abstand zur kommerziellen Unix-Konkurrenz war geschrumpft. Auch Sound- und Video-Hardware wurde jetzt deutlich besser unterstützt.

2001 schaltete Microsoft Anzeigen gegen Linux.

In den zweieinhalb Jahren, die die Entwicklung von Linux 2.2 benötigte, hatte sich auch im Userland eine Menge getan: KDE und Gnome bescherten Linux grafische Desktops, deren Fähigkeiten über die traditionellen X11-Fenstermanager hinausgingen. Mit StarOffice 3 und dem Netscape Navigator erschienen die Vorläufer von OpenOffice und den Mozilla-Programmen in Linux-Versionen. Oracle und Informix portierten 1998 ihre Datenbanken nach Linux. Der erste Beowulf-Cluster aus 68 Alpha-Rechnern schaffte es 1998 in die Top-500-Liste der schnellsten Rechner der Welt – heutzutage läuft Linux auf über 80 Prozent der Superrechner.

Im August 1998 prangte Linus Torvalds auf dem Titel des amerikanischen Wirtschaftsblattes Forbes: Linux und Open Source waren geschäftsfähig geworden. Hardwarehersteller wie Dell und Hewlett-Packard kündigten Linux-Server an. Diese Entwicklungen brachten Microsoft auf den Plan: In den Halloween-Papieren setzte sich das Unternehmen mit der neuen Konkurrenz und deren Qualitäten auseinander und versuchte, eine Strategie als Antwort auf Linux zu finden; im April 1999 sollte die berüchtigte Mindcraft-Studie die technische Unterlegenheit von Linux belegen. 2001 versuchte sich Microsoft dann in Fundamentalopposition: Linux sei ein Krebsgeschwür und Open Source zerstöre das geistige Eigentum, hieß es aus Redmond.

Die bösen Sprüche aus Redmond konnten das PC-Unix, das seinen Wurzeln in der x86-Architektur längst entwachsen war, freilich nicht aufhalten.IBM kündigte eine große Linux-Initiative an, und auf der CeBIT 1999 erteilte SAP dem freien Betriebssystem mit einer Linux-Version seiner ERP-Suite R/3 gewissermaßen den Ritterschlag. Die Linux-Portierung auf den IBM-Großrechner S/390 (heute z-Series) Ende 1999 bewies einmal mehr die ungeheure Flexibilität des freien Betriebssystems – nicht wenige Analysten glauben, dass Linux IBMs Mainframe gerettet hat. Im Jahr darauf erschien mit dem Suse Linux Enterprise Server die erste explizite Unternehmensdistribution – für IBM-Mainframes. Die x86-Version von SLES folgte 2001.

Aber auch am anderen Ende der Hardware-Skala gewann Linux an Popularität: Schon 1998 hatte Compaq einen Handheld-Computer namens Itsy vorgestellt, der mit Linux lief – gewissermaßen der Vorläufer der heutigen Android-Smartphones und -Tablets. Im März 2000 gründete sich das Embedded Linux Consortium (ELC) mit dem Ziel, eine Spezifikation für Embedded Linux zu entwerfen.

Überhaupt war die Jahrtausendwende die Zeit des großen Linux-Hypes: Red Hat legte 1999 als erste Linux-Firma einen fulminanten Börsenstart hin; die Aktie vervierfachte ihren Wert am ersten Handelstag (musste aber später, nach dem Platzen der .com-Blase, ordentlich Federn lassen). Das Linux Professional Institute LPI veröffentlichte 2000 sein erstes distributionsunabhängiges Linux-Examen. Um zu verhindern, dass Linux die Unix-Geschichte wiederholt und in zahlreiche inkompatible Linux-Versionen zersplittert, wurde im gleichen Jahr die Free Standards Group gegründet mit dem Ziel, einen Linux-Standard zu schaffen (mittlerweile ist die Free Standards Group – wie auch das ELC – in der Linux Foundation aufgegangen). Im Dezember 2000 verkündete IBM, 2001 eine Milliarde US-Dollar in Linux investieren zu wollen.

Mit dem Kernel 2.4 stieß Linux Anfang 2001 schon in die Sphären der kommerziellen Unix-Varianten vor: leistungsfähiger SMP-Betrieb bis acht Prozessoren, 64 GByte RAM auf x86-Prozessoren, Raw Devices, ein 64-Bit-Dateisystem. Firewire- und USB-Support, ACPI und Plug & Play für die damals noch gängigen ISA-Karten machten den neuen Kernel auch für den Desktop- und Notebook-Einsatz attraktiv. Zunehmend engagierten sich Hardware-Hersteller wie Intel und AMD bei der Linux-Entwicklung: Eine gute Linux-Unterstützung wurde im Server-Gerschäft immer wichtiger. 2002 brachte Red Hat sein erstes Enterprise Linux auf den Markt.

Mit dem zunehmenden Erfolg von Linux begannen immer mehr Unternehmen und öffentliche Verwaltungen, über die Vorteile von Open-Source-Software nachzudenken. 2003 beschloss beispielsweise die Deutsche Bahn, Linux als strategische Serverplattform einzusetzen – eine Entscheidung, die heute noch gilt. Im gleichen Jahr entschied der Münchner Stadtrat, die 15.000 Rechner der Stadtverwaltung auf Linux-Desktops umzustellen – im April dieses Jahres feierte man Bergfest: Die Hälfte der Rechner sind auf den Münchner LiMux-Client umgestellt. Im Auswärtigen Amt begann man schon 2001 mit der Einführung von Open-Source-Software, ab 2005 wurden Desktops auf Linux umgestellt – das Projekt scheiterte aber letztlich. Die ab 2003 ausgerollten Linux-Desktops in der Stuttgarter Versicherungsgruppe sind allerdings heute noch im Einsatz.

Doch trotz einiger prominenter Beispiele: Auf breiter Front konnte sich der Linux-Desktop nie durchsetzen (Gründe dafür nennt Chris Schläger, Chef der Betriebssystem-Labors von AMD, in diesem Artikel). Das bis 2006 oder 2007 immer wieder ausgerufene "Jahr des Linux-Desktops", das jetzt anbrechen sollte, fand nicht statt. Daran konnte auch die dedizierte Desktop-Distribution Ubuntu nichts ändern, die ab 2004 zwar die Linux-Welt ordentlich aufmischte, aber gegenüber Windows nicht wirklich punkten konnte. Erfolgreich ist Linux auf dem Server – und auf Embedded Devices. Als Android, Googles Smartphone- und Tablet-System mit Linux-Kernel, 2008 auf den Markt kam, war Linux schon längst in der Maschinensteuerung, in WLAN-Routern, DVD-Playern und Navis etabliert.

Im Dezember 2003 machte der Linux-Kernel den Sprung auf Version 2.6. Die brachte nicht nur die Sicherheitserweiterung SELinux, ein neues, über Sysfs zugängliches Gerätemodell und eine für moderne Hochleistungsrechner taugliche Speicherverwaltung, sondern auch eine grundlegende Überarbeitung des Kernel-Codes, die viele Limitierungen beseitigte und für eine übersichtlichere Strukturierung sorgte. Von den Aufräumarbeiten im Kernel-Code zehren die Entwickler bis heute: Selbst komplett neue Funktionen wie Virtualisierung und eine in jeder Hinsicht verbesserte Skalierung, dank der Linux auch auf den leistungsfähigsten Supercomputern läuft, ließen sich ohne große Verwerfungen einbauen.

Der Umfang des Linux-Kernels wächst kontinuierlich.

Mit Linux 2.6 änderte Torvalds das Entwicklungsmodell: Einen Entwicklerkernel gibt es nicht mehr, neue Features und Verbesserungen fließen nach und nach in Updates des aktuellen Kernels ein, die regelmäßig alle zwei bis drei Monate erscheinen. An die Stelle von Versionssprüngen, die immer wieder zu Durcheinander in der Umstellungsphase führten, ist ein stetiger Fortschritt getreten.

2005 erregte Xen, die erste Virtualisierungslösung für Linux, einiges Aufsehen in der Linux-Welt; aber es sollte noch geschlagene sechs Jahre dauern, bis der Xen-Code komplett in den Kernel integriert war. In der Zwischenzeit fand die alternative Lösung KVM (Kernel-based virtual machines), die den Linux-Kernel selbst zum Hypervisor macht, so viel Anklang unter den Kernel-Entwicklern, dass sie bereits Anfang 2007 in den Kernel 2.6.20 einzog.

Der zunehmende Erfolg von Linux im Serverbereich bescherte dem freien System eine jahrelange, geradezu unendlich erscheinende Geschichte: Die juristische Auseinandersetzung zwischen SCO und der Linux-Welt. Die Geschichte von SCO ist einigermaßen skurril: Der Anbieter einer kommerziellen Unix-Version für x86-PCs war im Jahre 2000 von dem Linux-Distributor Caldera übernommen worden – schon vor der Jahrtausendwende hatte Linux begonnen, am Marktanteil der teuren kommerziellen Unixe zu knabbern, und die Unix-Geschäfte von SCO gingen zunehmend schlechter.

Die Kombination aus einem etablierten Unix-Anbieter mit gut ausgebauter Vertriebsstruktur und einem erfahrenen Linux-Distributor schien alle Voraussetzungen zu bieten, den Markt für Linux in Unternehmen aufzurollen. Doch Caldera geriet immer mehr ins Hintertreffen gegenüber Konkurrenten wie Red Hat, die konsequent auf Linux und Open Source setzten. Zwei Jahre nach der Übernahme benannte sich Caldera in SCO Group um, ein halbes Jahr später wechselte das Unternehmen aus dem Linux- ins Klagegeschäft.

Im Frühjahr 2003 verklagte die SCO Group IBM auf eine Milliarde US-Dollar Schadenersatz. IBM habe Linux vorangetrieben und dabei nicht nur geistiges Eigentum von SCO gestohlen, sondern das freie Betriebssystem überhaupt erst zu einer ernsthaften Unix-Konkurrenz aufgepäppelt, so die Kernpunkte der Klage. Es folgten Drohungen, angebliche Beweise, Verzögerungen durch immer neue Anträge vor Gericht sowie Prozesse gegen Linux-Anwender und die Distributoren Red Hat und Novell – letzterer um das Copyright an Unix, das sowohl Novell als auch SCO für sich in Anspruch nehmen und das die Grundlage aller anderen SCO-Klagen ist. Im vergangenen Jahr sprach das Gericht Novell das Unix-Copyright zu, und es scheint, als sei die längst bankrotte SCO Group nun am Ende. Aber es wäre nicht das erste Mal in der langen Geschichte, dass der Schein trügt ...

Für Microsoft erwies sich der juristische Feldzug von SCO gegen Linux als Steilvorlage. Zunächst hatten Argumente wie die angeblich leichtere Administration und niedrigere Total Cost of Ownership (TCO) von Windows die pauschale Diffamierung von Linux und Open Source als Teufelszeug abgelöst. Ab 2004 nutzte Microsoft die rechtliche Unsicherheit, die die SCO-Klagen verbreiteten, und setzte auf die Karte "höhere Rechtssicherheit". Die Andeutung, Linux verletzte Microsoft-Patente, brachte so viel Unsicherheit in den Markt, dass IBM, NEC, Novell, Philipps, Sony und Red Hat 2005 das Open Invention Network zur Abwehr von Patentangriffen auf Linux gründeten. Obwohl bis heute kein Gericht darüber entschieden hat, ob Linux tatsächlich Microsoft-Patente verletzt, überweisen heute beispielsweise Anbieter von Android-Smartphones Lizenzgebühren nach Redmond. Aber im Smartphonemarkt wird derzeit sowieso mehr über Patente, Copyrights, Klagen und Wettberwerbsbschwerden konkurriert als über Technik.

Zum 20. gabs auch ein Glückwunsch-Video von Microsoft.

2006 akzeptierte Microsoft aber auch die Bedeutung von Linux im IT-Markt: Eine Kooperation mit Novell machte das Unternehmen selbst zum Linux-Distributor, das seinen Kunden sehr erfolgreich den Suse Linux Enterprise Server anbietet. Seit 2009 gehört Microsoft zu den Unternehmen, die gemeinsam den Linux-Kernel entwickeln – und gratulierte unlängst sogar mit einem Video zum zwanzigsten Geburtstag.

Seit 2007 kümmert sich die Linux Foundation, entstanden aus dem Zusammenschluss der Open Source Development Labs (OSDL) und der Free Standards Groups, um die Stärkung der Position von Linux im Wettbewerb. Die Stiftung, zu deren Mitgliedern nahezu alle Unternehmen gehören, die irgendwie mit Linux zu tun haben, hütet die Linux Standard Base, bezahlt zentrale Entwickler wie Linus Torvalds und kümmert sich um den Schutz der Marke Linux. Die Linux Foundation bietet letztlich eine neutrale Plattform, auf der auch Unternehmen, die im Markt konkurrieren, zusammenarbeiten können – ähnlich, wie sie das bei der Kernelentwicklung tun.

Der vor wenigen Wochen erschienene aktuelle Kernel 3.0 steht ganz in der mit Linux 2.6 eingeführten Tradition des stetigen Fortschritts: Er unterscheidet sich von seinem Vorgänger – Linux 2.6.39 – nicht stärker als zwei beliebige aufeinanderfolgende 2.6.x-Versionen. Linux 3.0 ist lediglich ein anderer Name für den eigentlich anstehenden Kernel 2.6.40. Die größte Änderung in Linux 3.0 ist das neue, zweistellige Nummerierungsschema: Auf den Kernel 3.0 wird Version 3.1 folgen.

Und wie sieht es mit der World Domination aus, von der Linus Torvalds vor vielen Jahren sprach, als Linux noch ein exotisches Hackerprojekt war? Dort, wo Torvalds den Erfolg vermutlich am ehesten erwartete – auf (Desktop-) PCs –, ist Linux nach wie vor eine Nischenlösung. In den Rechenzentren sieht es anders aus: Hier steht das freie Betriebssystem längst gleichberechtigt neben Windows und den kommerziellen Unix-Varianten. Das High-Performance-Computing dominiert Linux ganz klar, und auch im Internet – von Google über eBay bis Facebook – und in der Cloud kommt man an dem einstmaligen PC-Unix nicht vorbei. Mit Android ist Linux im brummenden Smartphone- und Tablet-Geschäft gut aufgestellt.

Linux hat die Idee, dass alle Interessierten in einem offenen Prozess gemeinsam eine Software entwickeln, populär gemacht – und bewiesen, dass das auch in einem so riesigen Projekt wie dem Linux-Kernel nicht nur funktionieren kann, sondern handfeste Vorteile bietet. Auch der Boom, den Open-Source-Software seit der Jahrtausendwende erlebt hat, dürfte zu einem erheblichen Teil in dem Erfolg von des freien Betriebssystems begründet sein.

Dank seiner Flexibilität wird sich Linux auch an neue Entwicklungen anpassen können, die die IT-Welt in den nächsten Jahren weiter verändern dürften. Oder, wie es Red-Hat-Chef Jim Whitehurst auf der LinuxCon anlässlich des zwanzigsten Geburtstags ausdrückte: "Die Leistungsfähigkeit [von Linux] liegt in dem, was die Leute damit anstellen können". In diesem Sinne: Auf die nächsten zwanzig Jahre. (odi) (odi)