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Die Preisfrage

Manuel Berkel

Die Zahl gilt als Meilenstein: Selbst erzeugter Ökostrom ist mittlerweile billiger als Strom aus der Steckdose. Brauchen die erneuerbaren Energien bald keine Unterstützung mehr?

Die Zahl gilt als Meilenstein: Selbst erzeugter Ökostrom ist mittlerweile billiger als Strom aus der Steckdose. Brauchen die erneuerbaren Energien bald keine Unterstützung mehr?

In Schornsheim gibt es ihn schon: Öko-Strom ohne Subventionen. Einige Hundert Einwohner aus dem rheinland-pfälzischen Dorf und fünf anderen Orten rund um Alzey beziehen ihre Energie komplett aus erneuerbaren Quellen, unter anderem von den Windrädern direkt vor ihrer Haustür. Und das auch noch zu einem moderaten Preis von 21 Cent pro Kilowattstunde (kWh) – günstiger als der Atom- und Kohlemix des örtlichen Grundversorgers. Würde das Schornsheimer Modell überall funktionieren, könnte sich rechnerisch jeder Bürger jährlich rund 170 Euro für das Hochpäppeln von Windrädern und Solaranlagen sparen. Diese Summe ergibt sich, wenn man die 2012 voraussichtlich anfallenden 14 Milliarden Euro Umlage für die Erneuerbaren auf alle 82 Millionen Deutsche umrechnet.

Auch die Photovoltaik kann den Preis für Haushaltsstrom mittlerweile locker unterbieten. Die Erzeugung von Solarstrom kostet laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg derzeit etwa 18 Cent pro kWh – erheblich weniger als die 25 Cent, die Energieversorger im Schnitt für ihren Strom in Rechnung stellen. Damit erreicht Sonnenenergie die vielbeschworene "Grid Parity" (Netzparität).

Haben die Erneuerbaren nun also endlich den Durchbruch geschafft? Bei Weitem nicht. Wer genau hinschaut, entdeckt: In Wahrheit werden sie noch auf Jahrzehnte hinaus teurer sein als derzeitige konventionelle Kraftwerke.

Das zeigt ausgerechnet das Schornsheimer Vorzeigemodell, aufgebaut vom Projektentwickler Juwi. Es funktioniert nur mit einem Trick: Lediglich 30 Prozent des Stroms stammen tatsächlich aus regionalen Windparks, der Rest kommt aus deutschen Wasserkraftwerken. Technisch möglich seien zwar 65 Prozent Windkraft, sagt Juwi-Mitarbeiter Jan Knievel, aber das wäre zu teuer. Weil Wasserkraftwerke schon vor 100 Jahren gebaut wurden und längst abgeschrieben sind, ist ihr Strom unschlagbar günstig. Erst die Mischung aus Wind und Wasser macht das Juwi-Angebot bezahlbar. Auf ganz Deutschland lässt sich das Modell aber nicht übertragen, weil es hierzulande zu wenig Wasserkraft gibt und diese sich auch kaum noch ausbauen lässt.

"Für uns ist das ein strategisches Investment", erklärt Knievel die Motive seines Unternehmens. "Die Zukunft der Stromerzeugung ist dezentral, und wir wollen die nötigen Kompetenzen entwickeln." Daneben spielt auch die Psychologie eine Rolle: "Die Leute wollen sagen können: 'Da steht das Windrad, von dem mein Strom kommt.'" Das Kalkül dahinter: Je stärker die Anwohner das Gefühl haben, die 100-Meter-Türme vor ihrer Haustür seien "ihre" Windräder, desto weniger werden sie gegen den Bau neuer Stahlkolosse protestieren.

Auch die von der Solarbranche bejubelte Netzparität ist vor allem von psychologischer Bedeutung. In Wahrheit unterbietet die Photovoltaik nämlich nur scheinbar den Preis des konventionellen Stroms. Dieser besteht zu zwei Dritteln aus Steuern und Netzentgelten, die sich Solaranlagenbetreiber sparen, wenn sie ihren Strom vom Dach selbst verbrauchen. Den Draht zur öffentlichen Versorgung kappen sie aber trotzdem nicht, weil sie auch nachts auf Strom angewiesen sind. Obwohl die Solarprofiteure also so etwas wie eine Stromausfallversicherung in Anspruch nehmen, zahlen sie immer weniger für die allgemeine Infrastruktur. Alle anderen Verbraucher müssen dafür entsprechend höhere Abgaben schultern.

Ohnehin kann kein Dachanlagenbesitzer seinen kompletten Sonnenstrom selbst verbrauchen – und erst recht nicht die Betreiber großer Windparks. Viel entscheidender ist deshalb der Preis, zu dem die Produzenten ihre Kilowattstunden verkaufen können. An der Leipziger Strombörse EEX sind das etwa fünf bis sechs Cent.

Um den Druck auf die Erneuerbaren zu erhöhen, haben sich Bund und Länder auf eine Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) geeinigt. Neben der dabei üblichen Senkung der Einspeisevergütung tauchten noch zwei bemerkenswerte Neuerungen auf. Erstens: Die Betreiber von Photovoltaik-Anlagen sollen mit Zuckerbrot und Peitsche dazu gebracht werden, ihren Strom selbst zu vermarkten. Zweitens: Schwarz-Gelb hat der Photovoltaik-Förderung erstmals ein konkretes Verfallsdatum verpasst: Sie soll auslaufen, sobald 52 Gigawatt installiert sind. Derzeit sind es rund 27 Gigawatt. Nach Expertenmeinung wird das Ausbauziel deutlich vor 2020 erreicht. Spätestens dann muss sich der Sonnenstrom also selbst tragen.

Um bis dahin konkurrenzfähige Kosten zu haben, müssen sich die Ökokraftwerke gewaltig zur Decke strecken. An idealen Standorten rechnen sich Wind- und Sonnenkraftwerke mitunter zwar schon heute – doch diese Spitzenlagen sind selten. Die Firma Gehrlicher Solar will im kommenden Jahr beispielsweise mit dem Bau eines Solarparks in der spanischen Region Extremadura beginnen, der ganz ohne Einspeisevergütung auskommen soll. In Deutschland können hingegen allenfalls einzelne Windräder heute schon zum Börsenpreis Strom produzieren.

"Bei einem genialen Küstenstandort direkt hinter dem Deich können wir über fünf Cent pro Kilowattstunde reden", sagt Andreas Reuter, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik in Bremerhaven. Allerdings könnten bloß effektive Neuanlagen zu solch niedrigen Kosten arbeiten. Die guten Küstenstandorte sind jedoch größtenteils schon mit älteren, ineffizienteren Windrädern belegt. Im Durchschnitt kostet eine Kilowattstunde Windstrom nach Angaben des Bundesverbands Windenergie daher eben nicht fünf, sondern neun Cent.

Wie sich die Kosten in Zukunft entwickeln werden, versuchen Beobachter aus dem bisherigen Preisverfall für Windräder und Solaranlagen abzuleiten. Die Kosten für Windstrom fielen in der Vergangenheit um acht Prozent, wenn sich die Leistung der weltweit aufgestellten Windräder verdoppelte, hat der Maschinenbauverband VDMA Power Systems beobachtet. Gilt dieser Zusammenhang auch in Zukunft, müsste weltweit die vierfache Menge der bereits aufgestellten Windräder neu installiert werden, um den aktuellen Börsenpreis für Strom zu erreichen.

Bei der Photovoltaik sanken die Kosten in den vergangenen Jahren weitaus schneller. Wenn sich die installierte Leistung verdoppelte, purzelten die Kosten für Solarstrom um 20 Prozent, sagt Volker Quaschning von der HTW Berlin. Weil Solarstrom aber aktuell doppelt so teuer ist wie Windenergie, müsste der Markt noch stärker wachsen, damit die Kosten auf Börsenniveau sinken, nämlich um den Faktor 32. Wenn die Förderung in Deutschland tatsächlich bei 52 Gigawatt hierzulande installierter Leistung gestoppt wird, dürfte es also eng werden für die Photovoltaik.

Ob solche Fortschreibungen vergangener Entwicklungen aber wirklich verlässliche Aussagen über die Zukunft ermöglichen, ist zweifelhaft. "Ich kenne keine Studie, die über fünf Jahre hinaus die Kostenentwicklung korrekt vorhergesagt hat", sagt Quaschning. Windräder etwa sind weitgehend ausgereift. Die technischen Anforderungen für die Einbindung ins Stromnetz sind zudem in den vergangenen Jahren gestiegen, was die Anlagen teurer machte und den Verfall der Preise zusätzlich bremste. In jüngster Zeit seien die Kosten deshalb bei einer Verdopplung der Leistung nicht mehr um acht, sondern nur noch um drei Prozent gesunken, heißt es in der ISE-Studie.

Im Gegenzug allerdings erwarten die meisten Experten, dass auch die Preise für fossile Brennstoffe sowie für CO2-Verschmutzungsrechte steigen werden. Für die nächsten zwanzig Jahre rechnet das ISE deshalb mit doppelt so hohen Kosten für Strom aus konventionellen Kraftwerken. Bereits in fünf Jahren, glauben die Freiburger ISE-Forscher, können Windräder unter diesen Voraussetzungen an einem durchschnittlichen Landstandort konkurrenzfähig sein. Ab 2022 werden ihrer Prognose nach große Photovoltaik-Freiflächenanlagen in Süddeutschland günstigeren Strom erzeugen als der konventionelle Kraftwerksmix. Das wäre genau zu dem Zeitpunkt, an dem in Deutschland die letzten Atommeiler abgeschaltet werden. Etwa zur gleichen Zeit, sekundiert der Energie-Experte Joachim Nitsch vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), werde auch Biomasse so weit sein. Kleine Solaranlagen auf Wohnhäusern werden allerdings noch bis in die 2030er-Jahre brauchen, um mit fossilen Kraftwerken gleichzuziehen.

Noch günstiger sieht es für Öko-Strom aus, wenn alle Folgekosten von Kern- oder Kohlekraftwerken in den Preis mit einbezogen würden, etwa für die Endlagerung von Atommüll, Gesundheitsschäden durch Feinstaub oder Dürren infolge steigender Temperaturen. Würde man allein die Kosten des Klimawandels in den Preis für konventionellen Strom mit einberechnen, müsste eine Kilowattstunde an der Börse schon heute doppelt so viel kosten wie bisher, heißt es in einer von Nitsch mitverfassten Studie für das Bundesumweltministerium.

Damit das Schornsheimer Modell Schule machen kann, müssen Politik und Wirtschaft also vor allem die passenden Marktbedingungen schaffen, damit sich die Herstellung von Ökostrom auch tatsächlich rechnet. Psychologie und Wasserkraft wie in Schornsheim werden dazu nicht ausreichen.


Die Preisfrage

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