ESA-Weltraumlabor Columbus: "Erkenntnisse für die Grundlagenforschung sind generell ein wichtiger Aspekt"

Seit fünf Jahren befindet sich das europäische Weltraumlabor Columbus als Modul der Internationalen Raumstation ISS im Orbit - für die europäische Raumfahrtagentur ESA eine Erfolgsgeschichte. heise online sprach mit Thomas Reiter, ESA-Direktor für bemannte Raumfahrt, über Ergebnisse und Zukunft der europäischen Weltraumforschung.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske

Das ESA-Weltraumlabor Columbus, angedockt an die ISS

(Bild: NASA)

Seit fünf Jahren befindet sich das europäische Weltraumlabor Columbus als Modul der Internationalen Raumstation ISS im Orbit. Anlässlich des Jubiläums fand am heutigen Mittwoch im Bremer Astrium-Werk, wo das Labor zusammengefügt und für den Start vorbereitet worden war, eine kleine Feier mit prominenten Gästen statt. Unter ihnen auch Thomas Reiter, der als Astronaut die ISS und zuvor die russische Raumstation Mir besucht hat und heute bei der Europäischen Weltraumorganisation ESA  Direktor für bemannte Raumfahrt ist. Im Umfeld der Veranstaltung konnten wir ihm ein paar Fragen stellen.

heise online: Herr Reiter, bei Ihren Raumflügen hatten Sie auch Ihre Gitarre dabei. Hat sich die Schwerelosigkeit auf Ihre Spielweise ausgewirkt? Gibt es Riffs, die Sie nur oder besonders gut im All spielen können?

Thomas Reiter, ESA-Direktor für bemannte Raumfahrt und ehemaliger Astronaut

(Bild: ESA / P. Sebirot)

Thomas Reiter: Nein, ich habe da oben genauso meine Lieblingsstücke gespielt wie auf der Erde. Nun habe ich ohnehin kein Riesenrepertoire und musiziere nur zur Entspannung. Aber es ist natürlich etwas ganz Besonderes, mit diesem tollen Ausblick und in der Schwerelosigkeit Gitarre zu spielen. Das passt alles wunderschön zusammen.

heise online: Musik ist eine Möglichkeit, die Schwerelosigkeit zu erforschen. Eine andere wird sehr viel systematischer im europäischen Weltraumlabor Columbus betrieben. Seit fünf Jahren werden dort Experimente in der Mikrogravitation durchgeführt. In welchen Bereichen haben Sie diese Forschung als besonders spannend oder vielleicht auch überraschend erlebt?

Reiter: Bisher hat es von europäischer Seite über 200 Experimente auf der Internationalen Raumstation ISS gegeben, etwa 110, seit Columbus oben ist. Das Spektrum reicht von der Grundlagenforschung bis zu angewandten Experimenten und behandelt etwa Grundlagenphysik, Materialforschung, Humanmedizin, Biologie. Da ist es schwer, ein Lieblingsthema zu identifizieren. Klar, als Ingenieur liegen mir Themen aus der Physik oder den Materialwissenschaften etwas näher als vielleicht die Medizin. Aber häufig fand ich gerade die Themen, die mir von meiner Ausbildung her nicht so vertraut waren, besonders spannend, weil es mir die Möglichkeit gab, mal in andere Gebiete hinein zu schauen. Die Erkenntnisse für die Grundlagenforschung sind generell ein wichtiger Aspekt. Man sollte nicht nur danach fragen, was man sich aufgrund der Mikrogravitationsforschung demnächst im Laden kaufen kann -- obwohl es natürlich Experimente gibt, die in diese Richtung zielen.

heise online: Fünf Jahre sind nicht besonders viel für ein so neues Forschungsfeld wie die Mikrogravitation. Gab es trotz dieser kurzen Zeit schon Enttäuschungen, haben sich Wege als nicht gangbar erwiesen?

Reiter: Es fällt mir kein Beispiel ein, das ich als enttäuschend bezeichnen würde. Natürlich lassen sich nicht alle Hypothesen, die Wissenschaftler formulieren, dann auch experimentell bestätigen. Aber das ist ja trotzdem immer ein Erkenntnisgewinn, der hilft, die Hypothesen neu zu formulieren. Auf jeden Fall haben wir zusätzliche Erkenntnisse gewonnen, etwa zur Steuerung des Herz-Kreislauf-Systems, zum Immunsystem, zur Humanmedizin ganz allgemein. Wir haben zum Beispiel gelernt, dass sich biochemische Effekte, die in den Zellen ablaufen, nicht kontinuierlich mit dem Grad der Gravitation ändern, sondern erst wenn ein bestimmter Schwellenwert unterschritten wird. Das sind hochinteressante Erkenntnisse, die vorher so nicht erwartet worden waren.

heise online: Zeichnen sich Schwerpunkte ab, auf die sich die Forschung zukünftig konzentrieren wird?

Reiter: Bei der letzten ESA-Ministerratskonferenz im vergangenen Herbst haben wir den vierten Teil des ELIPS-Programms (European Life and Physical Sciences) verabschiedet. Der Titel verrät schon ein wenig über die Schwerpunkte. Wir werden natürlich auch für Kontinuität sorgen, das heißt, wir werden an Themen, die wir in der Vergangenheit betrachtet haben, weiter arbeiten. Für materialwissenschaftliche Forschungen werden wir einen electro-magnetic levitator einsetzen, mit dem wir Materialproben einschmelzen und in der Schwebe halten und thermophysikalische Eigenschaften von bestimmten Legierungen untersuchen können. Die können wiederum für die Modellierung von Fertigungsprozessen auf der Erde ganz entscheidend sind. Im Bereich der Humanmedizin werden wir natürlich die Themen Herz-Kreislauf-System, Gleichgewichtssystem und Funktion des Immunsystems weiter verfolgen. Ein ganz großes Thema ist außerdem die Knochenphysiologie, also die Frage nach den Ursachen für die Osteoporose, eine sehr weit verbreitete Krankheit. Auch zur Rolle von Kochsalz im Organismus gab es sehr interessante Erkenntnisse, seit wir dort oben forschen. Die Astronauten befinden sich ja in einer sehr abgeschlossenen Umgebung, bei der sich die Aufnahme und Verarbeitung von Kochsalz und anderen Nahrungsmitteln sehr genau über viele Wochen und Monate beobachten lässt.

heise online: Es gab bei der ESA mal Überlegungen zur kulturellen Nutzung der Raumstation. Was ist daraus geworden? Wird das weiter verfolgt?

Reiter: Ja, absolut. Wir haben eigentlich bei jeder Mission einen beachtlichen Anteil an Themen, die in den Bereich Ausbildung und Erziehung fallen. Mein Kollege André Kuipers, der im letzten Jahr an Bord der ISS war, hat beispielsweise eine Reihe kleiner Programme durchgeführt, bei denen Schulklassen und Universitäten eingebunden waren. Auch nach der Mission wird so etwas weitergeführt. Im Januar hatten wir gerade im ESA-Forschungszentrum ESTEC in den Niederlanden eine große Veranstaltung, an der viele Grundschulen mit eigenen, im Wettbewerb ausgewählten Experimenten teilgenommen haben. Dann gibt es das Thema "Train like an Astronaut", bei dem es um sportliche Fitness und Ernährung geht. Bei der diesjährigen Mission mit dem europäischen Astronauten Luca Parmitano, der Ende Mai für ein halbes Jahr zur ISS fliegen soll, gibt es auch wieder solche Komponenten, genauso wie bei der Mission von Alexander Gerst aus Deutschland im nächsten Jahr. Wir achten immer darauf, Schulen, Universitäten und die Öffentlichkeit generell einzubinden, denn wir machen die Forschung ja nicht für einen elitären Kreis von Wissenschaftlern, sondern für alle Menschen. Daher ist es wichtig, dass wir es verständlich erklären und uns nicht nur mit den Fachleuten darüber unterhalten.

heise online: Die Raumfahrt soll allen Menschen dienen, aber der Name Columbus weckt nicht bei allen nur angenehme Erinnerungen und Gefühle. Die Europäer sind zu den Zeiten von Columbus und später nicht nur als Entdecker, sondern immer auch als Eroberer gekommen. Diese Erinnerungen, etwa an Kolonialismus und Sklavenhandel, sind auf der Raumstation bislang nicht repräsentiert. Könnten Sie sich einen europäischen Künstlerwettbewerb vorstellen, um die unangenehmen Aspekte, die mit dem Namen Columbus verbunden sind, angemessen zu berücksichtigen?

Reiter: Grundsätzlich sollte man bei solchen kulturellen Aspekten immer das gesamte Spektrum betrachten, nicht nur die positiven Seiten. Die Wahl des Namens Columbus ist natürlich mit dem Entdeckergeist verbunden. Wenn wir versuchen, uns in diese Zeit zurück zu versetzen, in der die Menschen noch nicht ahnen konnten, was sie jenseits des Horizontes erwartete, dann können wir uns heute im Vergleich dazu wesentlich sicherer fühlen. Bevor wir Menschen dort hoch schicken, werden Simulationen durchgeführt, um möglichst jedes Risiko auszuschließen. Ich denke, Columbus selbst hatte diesen Entdeckergeist, um zusammen mit seiner Crew unter Einsatz des eigenen Lebens einen neuen Weg zu finden. Dafür steht er. Dass es in der Folge davon dann auch negative Aspekte gab, ist unbestritten. Zu einer kulturellen Gesamtbetrachtung gehört das dazu. Nur sind wir von einer Kolonialisierung des Weltraums noch weit entfernt.

heise online: Auf dem Mars könnten wir aber durchaus Leben finden. Wenn wir das Erbe von Columbus ernst nehmen, müssten wir uns doch fragen: Ab wann müssten wir einen Planeten als einer anderen Lebensform gehörend betrachten? Müssten die Lebewesen dafür intelligent und uns womöglich ähnlich sein? Oder gelten auch Mikroorganismen schon als Planetenbewohner, deren Rechte geschützt werden müssen?

Reiter: Bei der Marsforschung liegt der Fokus natürlich erst mal darauf, überhaupt den Nachweis zu finden, dass es irgendwo außerhalb der Erde Leben gibt. Das wäre eine absolute Sensation. Bisher gibt es nur Indizien dafür, der Beweis steht noch aus. Ich könnte mir vorstellen, dass er in diesem Jahrzehnt gelingen wird. Vielleicht noch nicht mit dem Roboter Curiosity, der gegenwärtig auf dem Mars aktiv ist, aber mit zukünftigen Missionen. Die ESA bereitet ja mit dem ExoMars-Programm zwei Missionen vor, die 2016 und 2018 starten und sich nach der Suche nach Leben beteiligen sollen. Wichtiger Teil dieser Überlegungen ist der Schutz anderer Planeten: Wenn unsere Sonden dort landen, sollen sie keine Mikroben von der Erde mitbringen, die nicht nur die Messergebnisse verfälschen, sondern dort Fuß fassen und sich verbreiten könnten. Und natürlich müssen wir uns auch mit der ethischen Frage befassen, ob die Existenz außerirdischer Organismen die dauerhafte Präsenz von Menschen ausschließt oder nicht.

heise online: Haben Sie dazu eine persönliche Haltung?

Reiter: Ich bin eher der Entdeckertyp. Die Vorstellung, mit eigenen Füßen auf einem anderen Himmelskörper zu stehen, ist sehr faszinierend und bringt mich und sicher auch viele andere Menschen dazu zu sagen: Okay, wir machen das. Natürlich mit Vorbehalten und entsprechender Sorgfalt. Aber für mich steht das Entdeckertum im Vordergrund. (jk)