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Ebola: Wettlauf um den Impfstoff

Franziska Badenschier

Als sich die Ebola-Epidemie in Westafrika dramatisch ausbreitet, beschließen Forscher, Impfstoffe im Eilverfahren zu entwickeln. Ein Protokoll über ihr Rennen gegen die Zeit.

Als sich die Ebola-Epidemie in Westafrika dramatisch ausbreitet, beschließen Forscher, Impfstoffe im Eilverfahren zu entwickeln. Ein Protokoll über ihr Rennen gegen die Zeit.

22. März 2014: Die Regierung von Guinea gibt einen Ebola-Ausbruch bekannt: 49 Fälle, darunter 29 Tote. Zwei Wochen später warnt die Organisation Ärzte ohne Grenzen: Die Infizierten sind so weit verstreut wie nie zuvor.

Noch ahnt die Welt nicht, welche Ausmaße die Ebola-Epidemie binnen weniger Monate erreichen wird. Doch das Pharma- Unternehmen GlaxoSmithKline (GSK) wird hellhörig. Ein Mitarbeiter fragt bei Marie-Paule Kieny an, die bei der Welt- gesundheitsorganisation (WHO) eine der stellvertretenden Generalsekretäre ist und zuständig für Gesundheitssysteme und Innovationen. GSK will wissen: "Wir haben diesen Impfstoff im Regal. Haben Sie Interesse?" Niemand wusste, wie gut er wirkt und wie verträglich er ist. Aber die Epidemie bot die große Chance, das herauszufinden: Erkranken Geimpfte seltener als Nicht-Geimpfte? Oder verläuft die Erkrankung bei Geimpften zumindest nicht so schlimm und seltener tödlich? Sollte eines von beiden zutreffen, könnte vielen großes Leid erspart bleiben. Denn Medikamente gegen Ebola gibt es nicht.

Doch Kieny und ihre Kollegen denken: "Es ist zu spät, jetzt einen Impfstoff voranzutreiben, der noch nie beim Menschen angewendet wurde." Normalerweise vergehen mehrere Jahre von ersten Sicherheitstests am Menschen bis zu groß angelegten Wirksamkeitsstudien. Zudem glaubte bis zu diesem Zeitpunkt niemand, dass ein Impfstoff wirklich nötig werden würde. Alle bisherigen Krankheitsausbrüche wurden schnell wieder eingedämmt.

30. Juni 2014: 413 Erkrankte in Guinea, 107 in Liberia, 239 in Sierra Leone. Der Ausbruch in Westafrika ist mittlerweile doppelt so schlimm wie die bislang größte Ebola-Epidemie der Geschichte Ende 2000 in Uganda.

Täglich schickt das Europäische Mobile Labor, das seit Ende März im Dreiländereck von Guinea, Liberia und Sierra Leone Blutproben auf Ebola testet, die Ergebnisse nach Deutschland. Auch an Stephan Becker, der seit 25 Jahren das 1976 in Zaire entdeckte Ebola-Virus erforscht. Er ist der Direktor des Instituts für Virologie an der Philipps-Universität Marburg und koordiniert am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) den Schwerpunkt neu auftretende Infektionskrankheiten. "Als die Zahlen regelrecht explodierten, hat mich das enorm betroffen gemacht", erzählt er. Damit habe niemand gerechnet.

Verfügbare Impfstoffkandidaten wurden bisher nur an Tieren und nicht an Menschen getestet. Die zwei am weitesten entwickelten hören auf die Abkürzungen rVSV-ZEBOV und cAd3-ZEBOV. Sie stehen für den Namen des Impfstoff-Grundgerüsts und den Ebola-Virusstamm, vor dem sie schützen sollen: Rekombinantes Vesikuläres Stomatitis-Virus (rVSV) und Schimpansen-Adenovirus (cAd3) sowie Ebola-Virus vom Zaire-Stamm. Das rVSV-Vakzin hat die kanadische Gesundheitsbehörde entwickelt; das cAd3-Vakzin stammt von GSK in Kooperation mit dem US-Institut für Allergien und Infektionskrankheiten. Die Tierversuche waren durchaus erfolgreich: So überlebten in einem Experiment nur jene vier Makaken eine hohe Dosis Ebola-Viren, die zuvor die cAd3-Impfung erhalten hatten. Eine andere Studie mit dem rVSV-Impfstoff lieferte sogar Hinweise darauf, dass eine Impfung auch kurz nach dem Kontakt mit dem Erreger schützen kann, ähnlich wie bei Tollwut: Von fünf infizierten Makaken überlebten nur jene vier, die kurz darauf geimpft wurden.

Tests mit Menschen waren den Pharmafirmen jedoch zu teuer. Erstens war die Bekämpfung anderer Krankheiten wie Malaria, Aids und Grippe drängender, weil sie häufiger und verbreiteter vorkommen. Zweitens hatte sich in den letzten Jahren die Angst gelegt, Ebola-Viren könnten für einen Bioterrorangriff in den USA verwendet werden. Und drittens befürchteten die Pharmafirmen, dass die Impfstoffe nie eingesetzt werden, weil frühere Ebola-Ausbrüche in Afrika allein mit Quarantäne beendet werden konnten. Nur ist diesmal nicht ein einzelnes entlegenes Dorf betroffen. Das tödliche Virus wütet in Hauptstädten mit Millionen Menschen.

Ende Juli 2014: Ärzte ohne Grenzen warnt seit Wochen, dass die Epidemie außer Kontrolle ist und sich in weitere Länder ausbreiten kann. Die WHO solle endlich handeln.

Stephan Becker befürchtet zu dieser Zeit: Die Impfstoffkandidaten werden nicht getestet. Dabei könnte gerade der rVSV-Impfstoff vielversprechend sein, weil er gegenüber dem anderen zwei Vorteile habe: Statt zwei Spritzen reiche eine. Zudem entwickelt sich der Impfschutz in Tierversuchen so schnell, dass eine Impfung sich auch direkt nach einer möglichen Infektion lohnen könnte. "Da dachte ich: Das müssen wir testen", sagt Becker. Seine Idee: In einer klinischen Studie der Phase 1, einer sogenannten Sicherheitsstudie mit gesunden Freiwilligen, prüft das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung, wie gut sie den Impfstoff vertragen und ob er das Immunsystem ankurbelt.

Becker kontaktiert das Paul-Ehrlich-Institut, das in Deutschland für die Genehmigung der klinischen Impfstoffstudien zuständig ist. Er hat Glück: Dort ist seit Kurzem die deutsche Forscherin Veronika von Messling Abteilungsleiterin, die in Kanada an Tierversuchen mit dem rVSV-Impfstoff beteiligt war. "Ohne sie wäre die Studie nicht zustande gekommen", sagt Becker. Die Forscherin stellt wichtige Kontakte zu Forschern in Kanada her und kennt nützliche Insider-Informationen.

8. August 2014: 1711 Ebola-Fälle, darunter 932 Tote. Die WHO erklärt die Epidemie zum internationalen Gesundheitsnotfall. Ein Ruck geht durch die Welt. In Westafrika werden Behandlungszentren gebaut. Auch andere Wissenschaftler lassen nun ihre Arbeit liegen und widmen sich der Ebola-Forschung. Darunter die deutsche Medizinerin und Infektionsforscherin Marylyn Addo. Sie war Ende 2013 die erste Professorin des DZIF am Universitätklinikum Hamburg geworden und wollte sich eigentlich mit dem Mers-Coronavirus beschäftigen. Dieses war damals auch auf der Arabischen Halbinsel aufgetaucht und führte zu einer schweren Atemwegserkrankung oder sogar zum Tod. Doch dann behandelt sie in Hamburg einen eingeflogenen Ebola-Patienten mit. Anschließend wird sie Leiterin der Ebola-Impfstoffstudie, die Stephan Becker initiiert hat.

September 2014: Ohne Intervention sind laut der US-Seuchenschutzbehörde CDC bis zu 1,5 Millionen Fälle denkbar. Die Ebola-Forscher und Pharmafirmen, die WHO und Regulationsbehörden treffen sich Ende September in Genf. Sie wissen, es ist keine Zeit für den üblichen Weg – mehrere Studien zur Verträglichkeit (Phase 1) sowie anschließende Wirksamkeitsstudien mit einigen 100 Probanden (Phase 2) und schließlich mit mehreren 1000 Versuchsteilnehmern (Phase 3) nacheinander durchzuführen.

Sie setzen sich daher ein Ziel: Die Impfstudien sollen im Zeitraffer auf den Weg gebracht werden, im sogenannten "Fast Track"-Verfahren, also in wenigen Monaten und parallel. GlaxoSmithKline berechnet, bis wann wie viele Dosen des cAd3-Vakzins hergestellt und abgefüllt sein können, damit möglichst schnell auch eine groß angelegte Phase-3-Studie in Westafrika anlaufen kann.

Derweil gibt es am Paul-Ehrlich-Institut eine Premiere: Normalerweise prüft es einen Antrag auf Studiengenehmigung erst, wenn alle Unterlagen vollständig vorliegen. Doch um auch bei diesem Schritt Zeit zu sparen, gibt es diesmal eine Art "Rolling Review", wie es PEI-Präsident Klaus Cichutek nennt: Das DZIF schickt die Unterlagen, sobald sie vorliegen; die Behörde prüft sie, während sich Marylyn Addo schon um die nächsten Unterlagen kümmert. So kontrollieren PEI-Mitarbeiter etwa, ob der Impfstoff nach Vorgaben zu guter Herstellungspraxis produziert worden ist – während das DZIF einen Gutachter sucht, der prüfen und bestätigen kann, dass der Impfstoff seit seiner Herstellung nicht verändert oder verunreinigt wurde.

17. Oktober 2014: 9191 Ebola-Fälle sind bekannt, darunter 4546 Tote. An diesem Tag stellt das DZIF offiziell den Antrag zur Genehmigung der Hamburger Ebola-Impfstoffprüfung. Am 6. November genehmigt das Paul-Ehrlich-Institut die Hamburger Sicherheitsstudie. Exakt einen Monat nach dem Antrag wird der erste Versuchsteilnehmer in Hamburg geimpft. Allein in diesen vier Wochen kamen offiziell 5192 Ebola-Fälle hinzu, 619 starben.

Mitte Dezember 2014: 18000 Ebola-Fälle. Auch das Universitätskrankenhaus von Genf testet seit Kurzem den rVSV-Impfstoff-Kandidaten. Doch die Mediziner unterbrechen ihre Studie, weil bei einigen Versuchsteilnehmern unerwartet Nebenwirkungen aufgetreten sind: Gelenkschmerzen wie bei Rheuma. Zum Schutz der Probanden müssen die Forscher nun abwarten, ob die Gelenkschmerzen abklingen. Als Marylyn Addo, Leiterin der Impfstoffstudie in Hamburg, bei ihren regelmäßigen Telefonaten mit den Schweizer Kollegen von den Problemen erfährt, ist ihr erster Gedanke: ihre eigenen Versuchsteilnehmer zu informieren. "Ich wollte, dass sie diese Information von uns bekommen, nicht von den Medien." Zudem wird der Sicherheitsrat spontan einberufen, er prüft die Daten und den Bericht aus Genf.

31. Dezember 2014: Die 20.000er-Marke ist überschritten. Während sich die weltweite Ebola-Panik zum Jahreswechsel legt, läuft die Forschung auf Hochtouren. In Frankreich, Großbritannien, Mali und in den USA sind Sicherheitstests mit dem cAd3-Impfstoff von GlaxoSmithKline im Gange. Der kanadische rVSV-Impfstoff durchläuft weitere Phase-1-Studien in Gabun, Kenia und in den USA.

8. Januar 2015: Fast 21000 Ebola-Fälle. Forscher, Hersteller und Mitarbeiter der Regulationsbehörden jener Länder, in denen die nächsten Tests stattfinden sollen, treffen sich bei der WHO. Das Ziel: endlich mit groß angelegten Studien zu starten. Zwar sind noch nicht alle Phase-1-Studien abgeschlossen, trotzdem gibt es gute Nachrichten: Die Gelenkschmerzen bei den Probanden in Genf haben sich wieder gelegt. Beide Impfstoffkandidaten regen das Immunsystem an und haben keine schweren Nebenwirkungen verursacht. Bei dem Treffen beschließen die Teilnehmer daher, in den geplanten Großversuchen in Westafrika Phase 2 und 3 zu kombinieren.

In Liberia soll eine Studie mit 27000 Menschen starten: Ein Drittel bekäme den rVSV-Impfstoff, ein Drittel den cAd3-Impfstoff, ein Drittel ein Placebo. In Sierra Leone soll das sogenannte Step-Wedge-Verfahren zum Einsatz kommen: 6000 Probanden würden in Gruppen nacheinander geimpft; die noch nicht Geimpften bilden die Kontrollgruppe. In Guinea sollen zum einen besonders gefährdete Menschen wie medizinisches Personal und Leichenbestatter geimpft werden. Zum anderen wollen die Ärzte das Ring-Verfahren testen: Wird jemand mit Ebola diagnostiziert, werden alle Menschen im Dorf geimpft – mal sofort, mal nach ein paar Tagen, um zu sehen, wie schnell das Vakzin schützt.

21. Januar 2015: Im WHO-Situationsbericht taucht erstmals das Wort Halbierungszeit auf. Die Zahl der Neuinfektionen pro Woche sinkt nun überall.

Nach Monaten zeigt sich endlich der Effekt der Aufklärungskampagnen und Quarantänestationen, vom neu geschaffenen Netz aus mobilen Laboren und Ebola-Behandlungszentren. Die Maßnahmen, Kontaktpersonen von Infizierten zu überwachen und fast alle Toten sicher zu beerdigen, entfaltet ihre Wirkung. Für die Menschen in Westafrika sind das gute Nachrichten. Die Forscher aber bringt das in eine ambivalente Situation.

Wenn der Ausbruch tatsächlich im Laufe der kommenden Wochen abebbt oder gar endet, können die Wissenschaftler ihre klinischen Tests kaum mehr durchführen. Es gäbe schlicht zu wenig Kranke, um einen Unterschied zwischen Geimpften und Nicht-Geimpften zu finden. Für künftige Ebola-Epidemien gäbe es damit wieder keinen wirksamen Impfstoff. Die Zeit drängt also. Marie-Paule Kieny von der WHO plädiert deshalb dafür, die Impfstoffstudien trotzdem durchzuführen. Sie sind genehmigt, die Finanzierung ist organisiert. Seit Wochen sind Aufklärer unterwegs, um die Bevölkerung über die kommenden Tests zu informieren und Freiwillige zu mobilisieren.

2. Februar 2015: 22334 Ebola-Fälle, darunter 8737 Tote. In Liberias Hauptstadt Monrovia läuft die erste und größte Ebola-Studie der kombinierten Phase 2/3 an.

Vor dem Krankenhaus der Impfstudie stehen die Freiwilligen Schlange. "Wir hatten ursprünglich mit zwölf Freiwilligen pro Tag geplant, aber schon am ersten Tag kamen viel mehr Menschen. Wir mussten einige nach Hause schicken", sagt Stephen B. Kennedy, der Co-Leiter der Studie. "Liberia schreibt gerade Geschichte", sagt der promovierte Mediziner aus Liberia. Am nächsten Tag lässt er sich sogar selbst eine Spritze geben. Er wolle ein Vorbild sein und Vertrauen wecken. "Ich weiß nicht, ob ich einen der Impfstoffe bekommen habe oder das Placebo mit Kochsalzlösung, aber ich weiß, dass ich mich gesund fühle und voller Energie."

5. März 2015: In Liberia wird die vorerst letzte bekannte Ebola-Patientin als geheilt aus einem Behandlungszentrum entlassen. Der Countdown läuft: Wenn in 42 Tagen kein neuer Fall auftritt, wird der Ausbruch in dem Land für beendet erklärt.

Doch noch ist die Epidemie in Westafrika nicht vorbei. In Guinea stecken sich weiterhin Menschen bei Beerdigungen an und attackieren Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen. In Sierra Leone gehen drei kranke Fischer an Land, der Hafenmeister wird nicht misstrauisch. Innerhalb weniger Tage verbreitet sich das Virus wieder durchs halbe Land. In beiden Ländern beginnen nun erst die Massenstudien der kombinierten Phase 2/3.

27. März 2015: In Liberia stirbt eine Frau an Ebola. In den Wochen danach gibt es keine neuen Fälle in dem Land. Marylyn Addo und die Kollegen, die den rVSV-Impfstoff in Deutschland, in der Schweiz, in Gabun und in Kenia getestet haben, publizieren erste Ergebnisse ihrer Phase-1-Studie: Der Impfstoff ist sicher und vielversprechend. Die Forscher hoffen nun, dass die seltenen Nebenwirkungen vertretbar sind, wenn dafür der Impfstoff einen Ebola-Ausbruch kontrollieren und viele Menschen vor dem Tod bewahren kann.

9. Mai 2015: 26648 Ebola-Fälle in Guinea, Liberia und Sierra Leone, davon 11007 Tote. Die WHO erklärt den Ausbruch in Liberia für beendet, nachdem dort 42 Tage lang kein neuer Ebola-Fall aufgetreten ist. In Guinea und Sierra Leone ist die Epidemie dagegen noch nicht vorbei.

Sowohl der rVSV-Impfstoff als auch das cAd3-Vakzin gegen Ebola wurden in Westafrika verabreicht. Jede Woche gibt es nur noch ein paar neue Patienten. Und so treten internationale Ärzteteams den Rückzug an. Doch die Impfstoffforscher haben noch viel zu tun. Nächstes Jahr sollen die Massenstudien abgeschlossen und ausgewertet sein. Dann stellt sich heraus, ob für die nächste Epidemie ein Impfstoff zur Verfügung steht. (bsc [1])


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