zurück zum Artikel

Elektromotorrad Novus One: Sensationell leicht, äußerst teuer

Ingo Gach
Novus One

Den Bildern zufolge ist an so etwas Nebensächliches wie Knieschluss offenbar nicht gedacht.

(Bild: Novus)

Unglaublich niedrig halten viele Teile aus Kohlefaserlaminat das Gewicht des bis zu 30 kW kräftigen E-Krads. Unbegreiflich hoch ist allerdings auch der Preis.

Es dürfte äußerst selten vorkommen, dass Elon Musk dir ein Kaufangebot für dein Motorrad macht – und noch viel seltener, dass du es ablehnst. Doch genau das soll auf der CES Messe in Las Vegas passiert sein, wie die beiden Gründer der Marke Novus, Marcus Wedig und René Renger, gerne kolportieren.

Doch die beiden wollten sich nicht von ihrem Prototyp trennen, den sie gemeinsam seit 2010 entwickelt hatten. 2019 wagten sie den Sprung und gründeten ihr Start-up Novus in Braunschweig, nachdem sie vorher bei Volkswagen als Industrie-Designer gearbeitet hatten. Ihr Traum war es, ein außergewöhnliches Elektromotorrad zu schaffen. Das ist ihnen gelungen.

Um das Ziel zu erreichen, setzten sie auf einen minimalistischen Rahmen aus Kohlefaserlaminat, der nur 6,9 Kilogramm wiegen soll und alle elektrischen Komponenten integriert, um sie vor den Augen des Betrachters zu verbergen. Dort, wo bei Motorrädern normalerweise der Verbrennungsmotor sitzt, klafft bei der Novus One ein großes Loch und macht alleine dadurch schon unmissverständlich klar, dass sie ein Elektrobike ist. An Knieschluss als ein Mittel der Fahrzeugbeherrschung ist beim Novus One offenbar nicht gedacht.

Novus One I (0 Bilder) [1]

[2]

Die Sitzbank scheint frei zu schweben und trägt am Ende ein winziges Rücklicht. Der Kennzeichenträger mit den Mini-Blinkern ist dem aktuellen Trend folgend an der Schwinge befestigt. Doch das ist noch nicht alles an Leichtbau: Gabel, Schwinge und Felgen bestehen ebenfalls aus Kohlefaserlaminat – alles in Handarbeit gefertigt. Angeblich bringt die Novus One nur 80 Kilogramm auf die Waage inklusive der Batterie, was für ein Elektromotorrad bemerkenswert wenig wäre.

Wedig und Renger sagen, sie seien zum Rahmen vom Fahrrad- und nicht vom Motorradbau inspiriert worden. Davon zeugt auch die selbst entwickelte Gabel am Vorderrad, die gut zu einem Mountainbike passen würde. Sie federt das 18-Zoll-Vorderrad mit schmalem 2.75-Reifen auf 100 Millimeter Federweg ab, hinten arbeitet ein Zentralfederbein über eine Umlenkung auf 120 Millimeter Federweg, als Reifendimension wählten Novus die Dimension 90/90-18, die man sonst nur an Vorderrädern findet.

Novus schreibt im Pressetext von 17-Zoll-Rädern, während die Werksfotos noch eindeutig Michelin-Reifen im 18-Zoll-Format zeigen. Die schmale Bereifung dürfte zwar dem Handling zugutekommen, nicht aber der Traktion in Schräglage. Das Vorderrad verzögert eine Vierkolbenbremszange über eine kleine Bremsscheibe, nähere Angaben zum Bremsenhersteller macht Novus nicht.

Die 20 Kilogramm schwere 4,3- bzw. 4,8-kWh-Batterie ist fest eingebaut. Novus sagt, dass sie sich bewusst gegen einen austauschbaren Akku entschieden hätten, damit sie ihr Design nicht durch eine große Ladeöffnung verschandeln müssten.

Nachdem vor einigen Wochen die großen Motorradhersteller Honda, Yamaha, Piaggio und KTM das "Swappable Batteries Motorcycle Consortium" eingegangen sind, um ein standardisiertes, austauschbares Batteriesystem einzuführen, das auch zu einem nachhaltigen Lifecycle-Management von Batterien beiträgt, erscheint die Lösung von Novus allerdings nicht mehr zeitgemäß.

In der One fließt der Strom von der Batterie durch Kabel in der Schwinge zum Radnabenmotor, der die Hinterradfelge antreibt. Gerade weil das E-Motorrad sehr leicht ist, dürfte sich die ungefederte Masse des Radnabenmotors spürbar auf Komfort und Handling auswirken.

Novus bietet drei verschiedene Versionen der One an: Die schwächste Version nennt sich Base, begrenzt die Leistung auf 7 kW (9,5 PS) und soll die One auf 45 km/h beschleunigen. Als Reichweite gibt Novus 120 Kilometer an. Die nächsthöhere Stufe "Super" leistet maximal 11 kW (15 PS) für den A1-Stufenführerschein bzw. die B196-Führerscheinerweiterung [3]. Damit sollen 90 km/h, eine Beschleunigung von 0 auf 50 km/h in 3,5 Sekunden und 130 Kilometer Reichweite im Stadtverkehr möglich sein. Die Top-Version hört etwas protzig auf die Bezeichnung "God", bringt es in der Leistungsspitze auf 30 kW (42 PS) und erreicht angeblich Tempo 50 in 2,9 Sekunden sowie eine Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h. Für die stärkste Version veranschlagt Novus 100 Kilometer Reichweite. Laut Hersteller lädt der leere Akku innerhalb von 30 Minuten auf 80 Prozent auf.

Auch das Design des Lenkers siedelte Novus irgendwo zwischen Motorrad und Mountainbike an. Ein kleiner Scheinwerfer wurde in den Lenker integriert. Warum das Start-up den Rückspiegel unter die Lenkstange montiert, erschließt sich nicht. Die Positionierung ist zwar nicht verboten, aber der Gesetzgeber schreibt vor, dass der Blickwinkel vom Fahrerauge zum Rückspiegel 55 Grad nicht übersteigen darf – das könnte bei der One knapp werden für Sitzriesen oder Großgewachsene.

Novus One II (8 Bilder) [4]

[5]
Die Felge besteht aus leichtem Kohlefaserlaminat, doch der Radnabenmotor treibt die ungefederte Masse nach oben, was sich wiederum auf das Handling auswirkt.

Eine LED-Anzeige liefert die relevanten Fahrinformationen, die Blinker stecken in den Lenkerenden und die Bedienung von Licht, Blinkern und das Menü im Display erfolgt über Steuerkreuze am Lenker. Das für urbane Menschen allgegenwärtige Smartphone lässt sich in einer Halterung über dem LED-Display einklinken, bekommt über die Novus-App eine Menge Zusatzinformationen und kann außerdem damit Navigieren sowie Einstellungen am Motorrad vornehmen. Die One lässt sich sogar über die App starten und sollte die Batterie des Mobiltelefons mal leer sein, kann das Motorrad auch über einen NFC-Sender entsperrt werden.

Novus veranschlagt für die One stattliche 35.581 Euro. Wer eine der fünf Metallic-Lackierungen und die Felgen in Sicht-Carbon haben will, muss dafür extra zahlen. Die One ist zwar bereits bestellbar, aber die Auslieferung gibt Novus mit "voraussichtlich ab Oktober 2022" an.

Die Frage, wer überhaupt die Zielgruppe für ein sehr teures Elektromotorrad mit überschaubarer Leistung und futuristischem Design sein soll, beantwortet der Hersteller: "Novus ist ein sehr spezielles Nischenprodukt für Menschen, die sich abheben wollen. Menschen mit einer Affinität für Design und Hightech, die dennoch nachhaltig mobil sein und das auch selbstbewusst kommunizieren wollen." Die Novus One ist auf 500 Stück limitiert. Wir wagen die Prognose, dass sich Interessenten dennoch mit der Bestellung Zeit lassen können, ein allzu rascher Ausverkauf ist wohl nicht zu befürchten.

Hersteller Novus
Modell One
Motor und Antrieb
Leistung in kW 7 / 11 / 30
Drehmoment in Nm k.A.
Endantrieb Direktantrieb durch Radnabenmotor im Hinterrad
Fahrwerk
Radaufhängung vorn Gabel mit zentraler Federung
Radaufhängung hinten Schwinge mit Feder-Dämpfer-Bein
Reifengröße vorn 2.75-18
Reifengröße hinten 90/90-18
Bremsen vorn Einzelscheibe
Bremsen hinten Einzelscheibe, 220 mm
Federweg in mm v/h 100 / 120
Maße und Gewichte
Radstand in mm k.A.
Leergewicht in kg 80
Sitzhöhe in mm k.A.
Fahrleistungen
Höchstgeschwindigkeit in km/h 45 / 90 / 130
Reichweite 120 / 130 / 100

(fpi [6])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-6199427

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_6199423.html?back=6199427;back=6199427
[2] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_6199423.html?back=6199427;back=6199427
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Das-aendert-sich-2020-fuer-Motorradfahrer-4629420.html
[4] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_6199365.html?back=6199427
[5] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_6199365.html?back=6199427
[6] mailto:fpi@heise.de