Ernie Bot: Chinesische ChatGPT-Alternative offiziell freigegeben

Der Internetkonzern Baidu hatte bereits im März seinen eigenen Chatbot präsentiert – mit gemischten Ergebnissen. Nun dürfen die Menschen in China ihn testen.

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Flaggen von Baidu und Chinas wehen vor dem Firmengebäude des Unternehmens.

Flaggen von Baidu und Chinas wehen vor dem Firmengebäude des Unternehmens.

(Bild: testing/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Zeyi Yang

Nach einer längeren internen Testphase hat der chinesische Tech-Gigant Baidu, der als das führende chinesische Unternehmen im KI-Bereich gilt, seinen ChatGPT-Wettbewerber Ernie Bot für die Öffentlichkeit freigegeben. Der Start am gestrigen Mittwoch war schon länger abzusehen. Ernie Bot wurde Mitte März erstmals gezeigt und war der erste direkte Konkurrent für die US-Produkte ChatGPT und Bing Chat.

Seitdem haben allerdings diverse weitere chinesische Tech-Unternehmen, darunter Alibaba und die TikTok-Mutterfirma ByteDance, nachgezogen und ihre eigenen Sprachmodelle veröffentlicht. Um sie zu nutzen, musste man jedoch einen längeren Wartelistenprozess samt Genehmigungsverfahren durchlaufen. Damit waren die Produkte bislang für reguläre Nutzer in China quasi unzugänglich – was auch mit dem sehr vorsichtigen Vorgehen der chinesischen Regierung zu tun haben dürfte.

Am Mittwoch teilte Baidu nun in den sozialen Medien mit, dass das Unternehmen im Laufe der Woche eine Reihe neuer KI-Anwendungen auf Basis von Ernie Bot freigeben wird – und zwar im Rahmen einer offenen Registrierung. Laut einer anonymen Quelle der Finanznachrichtenagentur Bloomberg wurde zuvor einer Handvoll Unternehmen, darunter Start-ups und Tech-Riesen, eine entsprechende behördliche Genehmigung erteilt. Das chinesische Nachrichtenportal Sina News berichtete, dass insgesamt acht chinesische Chatbots, die generative KI nutzen, Teil einer ersten Gruppe von Diensten sind, die für die öffentliche Freigabe zugelassen wurden. Neben Ernie Bot sollen dies auch der Doubao von ByteDance sowie Zidong Taichu 2.0 vom Institut für Automatisierung der Chinesischen Akademie der Wissenschaften sein. Andere bereits bekannte Modelle von Alibaba, iFLYTEK, JD und 360 sind offenbar nicht dabei.

Als Ernie Bot am 16. März auf den Markt kam, war die Reaktion eher durchwachsen. Viele Beobachter hielten seine Leistung im Vergleich zum zuvor von OpenAI veröffentlichten ChatGPT für mittelmäßig. Doch die wenigsten Nutzer konnten sich bislang von den Fähigkeiten überzeugen. Bei der Einführungsveranstaltung gab es keine Live-Demonstration. Und um den Chatbot tatsächlich auszuprobieren, mussten chinesische Nutzer ein Baidu-Konto haben und eine Nutzungslizenz beantragen, was bis zu drei Monate dauern konnte. Deswegen verkauften einige Personen, die frühzeitig Zugang erhielten, ihre alten Baidu-Konten auf E-Commerce-Seiten und verlangten dafür bis zu 100 US-Dollar.

Mehr als ein Dutzend chinesischer Chatbots auf Basis von generativer KI wurden nach der Vorstellung von Ernie Bot bislang bekannt. Sie alle ähneln ihren westlichen Gegenstücken insofern, als sie in der Lage sind, sich in Textform mit Nutzern zu unterhalten, Fragen zu beantworten, mathematische Probleme (wenn auch nicht immer) zu lösen, Programmcode auszugeben oder Gedichte zu verfassen. Einige der Systeme ermöglichen auch Inputs und Outputs in anderen Formen, darunter Töne, Bilder, Datenvisualisierungen oder gar Funksignale. Wie Ernie Bot waren auch diese Dienste mit Zugangsbeschränkungen für die Benutzer verbunden, so dass sie für die breite Öffentlichkeit in China nur schwer zugänglich waren. Einige der Systeme waren zudem nur für geschäftliche Zwecke zugelassen.

Einer der Hauptgründe, warum chinesische Technologieunternehmen den Zugang für die Öffentlichkeit einschränkten, war die Sorge, dass die Modelle zur Generierung "politisch sensibler" Informationen verwendet werden könnten. Die chinesische Regierung schafft es zwar seit längerem, Inhalte in sozialen Medien unter Kontrolle zu halten, doch neue Technologien wie generative KI könnten die Zensurmaschine umgehen.

Das wiederum führt zu Gegenreaktionen der Zensoren. Die meisten aktuellen Chatbots wie die von Baidu oder ByteDance verfügen bereits über eingebaute Moderationssysteme, die die Beantwortung sensibler Fragen verweigern – etwa zum Thema Taiwan oder dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping. Doch die Freigabe für die 1,4 Milliarden Einwohner des Landes dürfte dazu führen, dass es einzelne Nutzer gibt, die Umgehungsmöglichkeiten finden. Tatsächlich ist das sogenannte Prompt-Hacking auch im Westen bereits ein Volkssport.

Peking reagiert mit neuen Gesetzen und Verordnungen. So wurde im Juli eine neue Regelung publiziert, die speziell auf generative KI-Dienste abzielt. Darin heißt es, dass Unternehmen "relevante Lizenzen" bei der Verwaltung einholen müssen. Zu diesem Zeitpunkt gab es jedoch noch keine Angaben dazu, welche Lizenzen das sein sollen. Laut Bloomberg wurde die Genehmigung, die Baidu diese Woche erhalten hat, von der chinesischen "Cyberspace Administration", der wichtigsten Internet-Regulierungsbehörde des Landes, ausgestellt. Sie soll der Firma ermöglichen, Ernie Bot im ganzen Land anzubieten. Die Behörde hat jedoch bislang nicht offiziell mitgeteilt, welche Unternehmen eine Lizenz für die öffentliche Zugänglichmachung erhalten oder welche sich auch nur um eine beworben haben.

Selbst mit dem neuen Zugang ist es unklar, wie viele Menschen die Produkte nutzen werden. Der anfängliche Mangel bei der Verfügbarkeit chinesischer Chatbot-Alternativen hat das öffentliche Interesse an ihnen bereits verringert. Während ChatGPT in China nicht offiziell freigegeben wurde, können viele Chinesen mithilfe von VPN-Software auf den OpenAI-Chatbot zugreifen – und tun das offenbar auch scharenweise. Ernie Bot kommt für sie reichlich spät.

Dennoch gibt man sich bei Baidu hoffnungsvoll. "Dadurch, dass Ernie Bot Hunderten von Millionen von Internetnutzern zur Verfügung steht, wird Baidu viel wertvolles menschliches Feedback aus der realen Welt sammeln können", sagte Baidu-Chef Robin Li in einem Statement. Dies werde nicht nur dazu beitragen, Baidus Basismodell zu verbessern, sondern das Produkt schnell zu iterieren, "was letztendlich zu einer besseren Nutzererfahrung führt". Weder Baidu noch sein Konkurrent ByteDance wollen sich auf Anfrage von MIT Technology Review weiter zu ihren Plänen äußern.

(jle)