Erste CRISPR-Gentherapie: Medikament wirkt offenbar langfristig

Die erste CRISPR-Gentherapie, die direkt ins Blut gespritzt wird, wirkt auch noch ein Jahr nach der einmaligen Anwendung bei der seltenen Gen-Krankheit TTR.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 22 Kommentare lesen
Gene, DNA

(Bild: gopixa/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.

Die erste CRISPR-Therapie, bei denen die Genschere direkt im Körper arbeitet und schlicht ins Blut der Patientinnen und Patienten gespritzt werden kann, scheint erfolgreich zu sein. Ein Forschungsteam der University of London hat gemeinsam mit den Pharma-Unternehmen Intellia Therapeutics und Regeneron Pharmaceuticals eine Therapie gegen Transthyretin-Amyloidose (TTR) entwickelt. Das ist eine seltene und lebensbedrohliche Krankheit. Sie wird durch einen Gendefekt am Transthyretin-Gen ausgelöst.

Mit der Genschere CRISPR/Cas9 im Labor Gene zu manipulieren ist eine Sache, Menschen zu reparieren, eine ganz andere. Den ersten Erfolg für CRISPR in der Medizin konnten Forschende vor gut zwei Jahren vermelden: CRISPR Therapeutics, das von Nobelpreisträgerin Emanuelle Charpentier gegründete Biotech-Unternehmen für CRISPR-basierte Therapien, hat die Blutkrankheiten Sichelzellanämie und Beta-Thalassämie damit behandelt. Allerdings mussten den Betroffenen für die Behandlung Blutstammzellen entnommen werden. Diese wurden dann außerhalb ihres Körpers im Labor genetisch verändert und den Erkrankten wieder eingesetzt.

Transthyretin ist ein Protein, das vor allem die Leber bildet. Seine Aufgabe ist der Transport von Vitamin A und von Schilddrüsenhormonen. Ist das Gen, das dieses Eiweiß kodiert, defekt, bilden sich statt des Vitamin A-Transporters lange Eiweißfäden, sogenannte Amyloide. Je nachdem, wo sich diese Amyloide ansammeln, bilden sich unterschiedliche Symptome aus. Meist sind das Herz oder Nervengewebe betroffen. Bisher sind 130 verschiedenen Mutationen bekannt, die die Krankheit auslösen können.

MINT-Jobtag am 5. April 2022 in München

Die bewährte Jobmesse speziell für den MINT-Bereich geht im Jahr 2022 in eine neue Runde. Das Event bringt Fachrkäfte, Berufseinsteiger und Firmen in München zusammen. Das Tagesprogramm bietet die Unternehmensausstellung, kostenlose Bewerbungsmappen-Checks sowie professionelle Bewerbungsfotos und ein Vorträge von Experten rund um Karriere im MINT-Bereich.

Die Therapie, die jetzt seit einem Jahr in der klinischen Erprobung ist, behandelt die Nerven-Variante der TTR. Die Idee hinter der Behandlung ist simpel: Julian Gillmore und sein Team wollen das Gen so stark zerstören, dass sich gar kein Protein mehr bildet – also auch keine langen Fasern aus den Bruchstücken entstehen können. Da zudem keine lebensnotwendigen Funktionen für das Gen bekannt sind und die Produktion vor allem auf die Leber beschränkt ist, hofften sie, dass eine einmalige Gentherapie den Betroffenen ein Leben lang helfen könnte.

Das Medikament selbst funktioniert nach einem ähnlichen Prinzip wie die mRNA-Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 – nur etwas komplizierter. In Lipid-Nanopartikel sind zwei Sorten RNA eingeschlossen: Eine "single guide RNA" (sgRNA) erkennt DNA-Sequenzen des TTR-Gens und eine zweite RNA – eine mRNA – enthält den Code für das Enzym Cas9, das die DNA zerschneidet. Leberzellen nehmen die Nanopartikel auf und mit der Cas9-mRNA wird in der Zelle das Cas-Protein gebaut. Das verbindet sich mit der TTR-sgRNA und gemeinsam wandern die beiden Teile in den Kern der Leberzellen. Die TTR-sgRNA heftet sich an ihr Gegenstück auf der DNA der Zelle und löst damit den Schneideprozess des Cas9-Enzyms aus. Ist das TTR-Gen der Zelle ausgeschnitten, kann kein TTR mehr vom Zellkern beauftragt werden – der Krankheitsauslöser ist ausgeschaltet.

Gen-Editiermethoden - eine kleiner Einblick (6 Bilder)

Das System aus CRISPR (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats) und der Cas9-Nuklease haben die Molekularbiologinnen Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier 2012 entdeckt. Dank seiner einfachen Handhabe und geringer Kosten erlebt die Gentherapie derzeit ein Revival.
(Bild: Text: Inge Wünnenberg; Grafik: Brian Sipple)

Nun – ein Jahr nach den ersten klinischen Behandlungen – scheint die Rechnung aufzugehen. Das Genscheren-Medikament mit dem Arbeitsnamen NTLA-2001 hat das Gen bei den Probanden, die mit der höchsten Dosis behandelt wurden, fast vollständig ausgeschaltet. Die Bildung der toxischen Amyloide ist bei ihnen um 93 Prozent zurück gegangen. Und dieser Effekt ist bei insgesamt 15 Studienteilnehmenden seit Behandlungsbeginn stabil.

Die Forschenden waren zunächst nicht sicher, ob die Leber mit Regeneration auf die Genschere reagieren würde – was innerhalb eines Jahres zu erwarten gewesen wäre. Dann hätte das sehr regenerationsfähige Organ die Zellen mit dem ausgeknockten Transthyretin-Gen durch junge und unveränderte Leberzellen ersetzt. Aber nun – ein Jahr nach der Therapie stehen die Chancen gut, dass die Behandelten langfristig von der Behandlung profitieren. Auch die Nebenwirkungen der Gentherapie seien bislang überschaubar: Kopfschmerzen, Rückenschmerzen und Hautausschlag gehörten zu den häufigsten Reaktionen.

Jetzt bleibt noch abzuwarten, ob sich nicht nur der Amyloid-Pegel gesenkt hat, sondern ob auch die Symptome zurückgehen. Bei Menschen, die Medikamente einnehmen, die den TTR-Spiegel um 80 Prozent senken können, entwickeln sich die Symptome der Krankheit zurück. Ob das auch nach der Gentherapie geschieht, werden die kommenden Monate zeigen.

Einziger Wermutstropfen bei der Entwicklung ist die kürzlich gefällte Entscheidung des US-Patentamtes dem Broad Institute of MIT and Harvard die Rechte an der CRISPR-Technologie zuzusprechen. Denn bislang galten die Entdeckerinen von CRISPR/Cas9 Jennifer Doudna, Emmanuelle Charpentier und die University of California in Berkeley (UC Berkeley) als Patenthalterinnen. Sie haben auch die Lizenzen an die Biotech-Unternehmen vergeben, die derzeit CRISPR-Therapien für die Klinik entwickeln. Und ohne eine geklärte Patentsituation wird kein Unternehmen eine Medikamentenzulassung bei der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde beantragen.

(jsc)