Familiäre Bande

Der vermutlich älteste IT-Konzern feiert ein Centennial. War der Erfolg des Unternehmens über die ersten Jahrzehnte geschickten Vertriebsmaßnahmen seiner Chefs geschuldet, ist in den letzten Jahren die Hinwendung zu Software und Services der Grund für den lang anhaltenden Erfolg von Big Blue.

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Von
  • Alexander Neumann
Inhaltsverzeichnis

IBM feiert am 16. Juni den hundertsten Geburtstag. Das Datum geht auf den Zusammenschluss der von Herman Hollerith gegründeten "Tabulating Machine Company" mit der "International Time Recording Company" und der "Computing Scale Corporation" zurück. Die von den Firmen hergestellten Produkte waren nicht gleichartig, aber auch nicht so sehr verschieden, denn alle maßen oder zählten etwas. Zwar verdiente die neue "Computing Tabulating and Recording Company" (C-T-R) ihr Geld vor allem mit Holleriths Lochkarten-Systemen, aber auch Waagen, Tabuliermaschinen, Stechuhren und Schreibmaschinen gehörten zum Portfolio. IBM heißt das Unternehmen seit 1924. Der neue Name International Business Machines sollte die zunehmende Internationalität widerspiegeln.

Thomas Watson (r.) - hier mit seinem Vorgänger George W. Fairchild - prägte bis in die 50er-Jahre das Bild von IBM.

(Bild: IBM)

Nachhaltiger als die Gründung der C-T-R sollte sich drei Jahre später die Ernennung von Thomas J. Watson zum Präsidenten erweisen. Mit ihm stand bis 1952 ein Mann an der Spitze des Unternehmens, der auf paternalistische Weise die Geschicke des Unternehmens prägen sollte. Neben der Fokussierung auf eine starke Vertriebskultur legte Watson Wert auf eine unbedingte Loyalität zum Unternehmen. Einerseits führte Watson frühzeitig Sozialversicherung und Fortbildungsangebote für die Belegschaft ein, andererseits gehörten ein strikter Dresscode aus dunklem Einheitsanzug, Hüten und Strumpfhaltern zum Alltag der Beschäftigten. Nicht zu vergessen, dass elitärer Hundert-Punkte-Club, strenges Alkoholverbot, Firmenhymnen zu flotter Marschmusik ("Ever Onward, IBM!") und eine inflationäre Verwendung des Leitspruchs THINK! die IBM-Familie mit Watson als oberstem Hohepriester Außenstehenden sektenartig erscheinen ließ.

Allgegenwärtig: Der IBM-Leitspruch Think! - hier beim Eingang des IBM Schoolhouse in Endicott.

(Bild: IBM)

In den 30er-Jahren hatte IBM ein Monopol für Lochkartensysteme erreicht. Andere Anbieter verzeichneten zusammengerechnet weniger als 10 Prozent des Gesamtmarkts. Die Folge war eine Antitrust-Klage gegen IBM, die insofern nur wenig Auswirkungen auf die Einnahmen des Unternehmens hatte, da zu der Zeit die Bürokratie in Firmen an Bedeutung gewann (Stichwort: Einführung von Sozialversicherungen) und zu einem größeren Bedarf an Lochkarten führte. Auch erkannten viele Staaten die Bedeutung statistischer Erhebungen unter ihren Bürgern. Wiederum kamen vermehrt IBMs Lochkarten zum Einsatz. Auch beim NS-Regime in Deutschland, mit dem Watson anfänglich gar sympathisierte.

Über die Dehomag (Deutsche Hollerith-Maschinen-Gesellschaft) nahm IBM hierbei eine ambivalente Position ein. Einerseits belieferte die Tochtergesellschaft das NS-Regime mit Milliarden von Lochkarten, mit denen dieses die jüdischen Bürger effizient erfassen konnte, was den Nazis dann bei der logistischen Realisierung des Holocausts half. Auch wusste IBM einen Weg, noch nach dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten über seine europäische Zentrale in der Schweiz die Geschäfte der Dehomag weiterzuführen. Andererseits wurden in IBMs Fabriken Kriegsmaterialien für die Alliierten hergestellt, und IBMs Forscher leisteten zudem einen Beitrag dazu, die hohen Schiffsverluste durch deutsche U-Boote zu reduzieren.

Zeigte sich Watson anfänglich skeptisch gegenüber der Entwicklung von Computern, begann IBM nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem in Zusammenarbeit mit universitären Einrichtung die Erschließung des neuen Rechnermarkts. Insbesondere unter der Ägide seines Sohnes, Thomas Watson Jr., der 1952 die Unternehmensführung übernahm, gelangen Big Blue zahlreiche bahnbrechende Erfindungen und Entwicklungen in dem Umfeld. Genannt seien nur die erste standardisierte Programmiersprache Fortran und natürlich die Großrechnerarchitektur System /360, durch die IBM zum beherrschenden Unternehmen im Segment wurde, und zwar so dominant, dass wiederholt die Kartellbehörden aktiv wurden.

In die Ägide von Thomas Watson Jr. fiel der Startschuss der System/360-Rechnerfamilie.

(Bild: IBM)

Über Jahre sich hinziehende kartellrechtliche Auseinandersetzungen, Fehlentscheidungen des Managements und der Bedeutungsverlust des Mainframe-Geschäfts zugunsten des PC-Markts ließen IBM eingangs der 90er-Jahre in eine tiefe Krise mit Verlusten in Milliardenhöhe schlittern. Die Zukunft des IT-Riesens stand auf dem Spiel. Mit Louis Gerstner Jr. wurde deswegen erstmals ein IBM-Chef bestimmt, der nicht aus den eigenen Reihen kam. Gerstner gestaltete die als behäbig geltende IBM um und verordnete ihr einen rigiden Sparkurs. Zudem setzte er fortan den Fokus weg vom Hardwaregeschäft hin zu Dienstleistungen und (Open-Source-)Software. An der Priorisierung des Global-Services-Bereiches, in dem auch heute noch mehr als die Hälfte der Mitarbeiter arbeiten, sollte auch Gerstners Nachfolger Samuel J. Palmisano nichts ändern, der seit 2002 dem Unternehmen vorsteht.

Samuel J. Palmisano steht IBM seit rund einem Jahrzehnt als CEO vor. In seine Zeit fallen der Verkauf von Lenovo und die Übernahmen von Rational und Cognos.

(Bild: IBM)

In Palmisanos Zeit fallen der Verkauf des PC-Geschäfts an Lenovo sowie die Übernahmen des Beratungshauses Price Waterhouse Coopers (PWC) und großer Softwarehäuser wie Rational und Cognos. An Sun war IBM ebenfalls interessiert, hatte aber das Nachsehen gegenüber Oracle. Dafür arbeiten die beiden Konzerne mittlerweile gemeinsam an der Java-Entwicklung weiter.

Waren es bei Zusammenschluss zur C-T-R etwa 1300 Mitarbeiter, zählt IBM heute rund 400.000. Big Blue ist damit vermutlich nicht nur der älteste "IT-Konzern", sondern auch der mit der größten Belegschaft der Branche.

Derzeit setzt IBM massiv auf die Datenanalyse, und als neustes Aushängeschild – zumindest medial – dürfte der Supercomputer Watson herhalten, der Anfang des Jahres in der US-amerikanischen Quiz-Sendung Jeopardy zwei frühere Gewinner deutlich besiegen konnte. Ihn, der natürlich nach nach dem ersten prägenden Präsidenten benannt ist, und die damit einhergehende Verarbeitung großer Datenmengen gilt es nun zu vermarkten. Doch das ist nur eine Aufgabe, um ein zweites Jahrhundert erfolgreich zu absolvieren.

100 Jahre IBM (9 Bilder)

Vor 100 Jahre wurde die "Computing Tabulating and Recording Company" (C-T-R) gegründet, aus der später IBM wurde. (Bild: IBM)
  • Kevin Maney, Steve Hamm, Jeffrey M. O'Brien; Making the World Work Better: The Ideas That Shaped a Century and a Company; IBM Press, 2011 (erscheint am 16. Juli)
  • Edwin Black; IBM und der Holocaust; Propyläen 2001
  • Götz Aly, Karl Heinz Roth; Die restlose Erfassung. Volkszählen, Identifizieren, Aussondern im Nationalsozialismus; Rotbuch-Verlag, 1984
  • William Rodgers; Die IBM Saga; Ein Unternehmen verändert die Welt; Hoffmann und Campe, 1971
  • Susanne Nolte; Kartenspieler; Zum 150. Geburtstag von Herman Hollerith; in iX 3/2010, S. 92
  • Peter Mühlbauer; Die Resozialisierung des Giganten; Artikel zum seltsamen Imagewandel von IBM
  • Konrad Lischka; Dämonisierung und Fakten; Rezension zu Edwin Blacks "IBM und der Holocaust"

iX-Link: www.ix.de/ix1107083 (ane)