Flexible Zeiten

Der Silvester-Countdown dauert in England in diesem Jahr eine Sekunde länger -- möglicherweise ist mit solchen Zeitkapriolen aber bald schon Schluss.

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Der Silvester-Countdown dauert in England in diesem Jahr eine Sekunde länger: Am 31.12. folgt auf 23:59:59 Uhr Greenwich Time erst eine Schaltsekunde, bevor die Ziffern auf 00:00:00 umspringen. Möglicherweise passiert dies nun zum letzten Mal, denn die zusätzliche Sekunde soll abgeschafft werden.

Nötig ist die Korrektur, weil sich die Erde tendenziell zu langsam dreht -- verglichen mit der Zeit, die von einer Atomuhr gemessen wird, schwankt die Tagesdauer um rund eine Millisekunde. In Zukunft wird der Korrekturbedarf sogar noch wachsen. Denn zumindest tendenziell dreht sich die Erde immer langsamer - nach zuletzt fünf recht flotten Jahren.

Die UTC (Coordinated Universal Time), laut Physikalisch Technischer Bundesanstalt PTB, "die internationale Grundlage für die Zeitbestimmung im täglichen Leben", wird seit 1972 mit der astronomischen Zeit UT1 zwangsweise synchronisiert. Die astronomische Zeit ergibt sich allein aus der Drehung der Erde - und damit aus ihrer relativen Position zu den Sternen. Da die Erde jedoch nicht einfach eine massive Kugel mit homogener Massenverteilung ist, schwanken sowohl die Rotationsdauer als auch die Rotationsachse. Weil 1972 jedoch beschlossen wurde, dass die Differenz zwischen UTC und UT1 nicht größer als 0,9 Sekunden werden dürfe, sind bislang 32 Schaltsekunden eingeführt worden.

Inzwischen mehren sich jedoch die Stimmen derer, die in der ständigen Korrektur eine Gefahr sehen, die es zu minimieren gilt. Ein Vorschlag, der seit mehreren Jahren bei der ITU in Genf diskutiert wird: Schon ab 2008 solle man nicht mehr so häufig eingreifen, sondern erst, wenn die Abweichung auf mehr als eine halbe Stunde angewachsen sei, solle man die Uhren um eine ganze Stunde nach hinten stellen. "Vor allem die Amerikaner wollen die Schaltsekunde abschaffen, mit der wir die Diskrepanz zwischen Atomzeit und astronomischer Zeit korrigieren", erklärt der Bonner Privatdozent Dr. Axel Nothnagel. "Bei manchen EDV-Anwendungen ist die Synchronität voneinander unabhängiger Computersysteme enorm wichtig, und da kann die regelmäßige Korrektur der Atomzeit um eine Sekunde natürlich ein gefährliches Sandkorn im Getriebe darstellen."

Geodäten an der Universität Bonn koordinieren die weltweiten Radioteleskop-Messungen zur Bestimmung der Drehgeschwindigkeit der Erde, die zur Bestimmung der astronomischen Zeit notwendig sind. Dazu werten sie unter anderem die Laufzeitunterschiede aus, die Signale definierter Quasare aufweisen, die von weit auseinander liegenden Radioteleskopen aufgezeichnet werden.

Axel Nothnagel schätzt, dass eine Zeitumstellung, wie sie von den Amerikanern vorgeschlagen wird, "etwa im Jahr 2600" notwendig wäre. Den Expertenstreit um das Für und Wider einer UTC-Änderung sieht er jedoch gelassen: "Wenn ich in 600 Jahren noch leben würde, würde ich mich darüber freuen, weil es dann abends länger hell wäre."

Die Diskussion um die Abschaffung der Schaltsekunde läuft seit mehreren Jahren. Andreas Bauch, deutscher Vertreter in der Arbeitsgruppe 7A der ITU in Genf, hält aber auch in diesem Jahr eine klare Entscheidung der ITU für unwahrscheinlich: "Da es keinen klaren Konsens für oder gegen die Beibehaltung der Schaltsekunden gibt, wird man alle Betroffenen und Beteiligten ermuntern, ihre Erfahrungen mit der nun kommenden Schaltsekunde zu berichten. Da wird es sich zeigen, welche Services tatsächlich bei der Einführung einer Schaltsekunde Probleme haben." (wst)