Gemächlich und klimafreundlich: Forscher berechnen Reisen mit solarem Luftschiff

Luftschiffe könnten in Zukunft klimafreundlich Passagiere transportieren. Das Reisen wäre sogar bequemer, allerdings auch das Tempo deutlich gemütlicher.

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Das französische Unternehmen Flying Whales ist eine der wenigen Firmen, die an klimafreundlichen Luftschiffen arbeiten. Bisher ohne den Einsatz von auf der Hülle angebrachten Solarzellen.

(Bild: Flying Whales)

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Wer oft im Flugzeug sitzt, ist Leid gewohnt: Die Beine akkurat vor die Lehne des Vordersitz gezirkelt, wird es auf Dauer doch recht unbequem. Dazu noch das durchaus berechtigte schlechte Gewissen, denn Fliegen befeuert den Klimawandel. Beide Nachteile könnten künftig schrumpfen, wenn eine Idee von Forschenden der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und der TU München Wirklichkeit wird.

"Wenn wir auf solarbetriebene Luftschiffe setzen, können wir die Luftfahrt ziemlich schnell klimafreundlicher machen", sagt Christoph Pflaum, Professur für Informatik an der FAU. Auch für Platz wäre gesorgt. Die Hindenburg beispielsweise, das wohl berühmteste Luftschiff aller Zeiten, war eine Art schwebendes Hotel. Die Reisenden konnten in einem Speisesaal essen und in Doppelzimmern nächtigen.

Die Hindenburg, oder "LZ 129", an deren Maßen sich die Forschenden aus Süddeutschland in ihrer Studie orientieren, war rund 245 Meter lang und 41,2 Meter hoch und breit: eines der größten, jemals gebauten, Luftfahrzeuge, mit einem Dieselmotor betrieben, und laut Pflaum "eine echte Sensation bei der Jungfernfahrt im März 1936". Doch ein Jahr später fing das Luftschiff, das in Frankfurt gestartet war, bei einer Landung in den USA Feuer und brannte vollständig ab. 36 Menschen starben.

Schuld war das Wasserstoffgas, das in einer großen Textilhülle für den Auftrieb des Luftschiffs sorgte, sich aber in Kombination mit Luftsauerstoff entzündete. Der Wasserstoff war in diesem Fall eine Notlösung. Eigentlich gilt Helium als Traggas der Wahl, doch die USA hatten wegen des Krieges Exporte des nicht brennbaren Gases nach Deutschland untersagt.

Wie die Hindenburg werden auch aktuelle Luftschiffe in der Regel noch mit fossiler Energie betrieben. Sie dienen bisher vor allem Forschungszwecken, etwa für Messungen in der Atmosphäre. Das Luftschiff, an dem Pflaum forscht, ist größer als sie und wird solarangetrieben. Es habe das Zeug zum "echten Game Changer", als klimafreundliches Transportmittel in der Luftfahrt, betont er. Simulationen, die das Team aus Nürnberg und München kürzlich im Fachblatt International Journal of Sustainable Energy veröffentlichten, sollen das belegen.

Das virtuelle Luftschiff ist danach etwa so groß wie die Hindenburg und mit flexiblen Dünnschichtsolarzellen belegt. Mit 108 Tonnen ist es etwa 10 Tonnen leichter als das historische Vorbild, was sich laut Studie vor allem mit modernen Leichtbauwerkstoffen erreichen lässt. Das Gewicht der 13.000 Quadratmeter Solarzellen aus Kupfer-Indium-Gallium-Selenid (CIGS), Wirkungsgrad 17,6 Prozent, sowie der Lithium-Ionen-Batterie ist da schon gegengerechnet. Für den Auftrieb sorgt Heliumgas und ein Set von vier Propellermotoren mit Durchmessern von gut sechseinhalb Metern für den Vortrieb. Die Nutzlast beträgt 60 Tonnen.

Forschende der Uni Erlangen-Nürnberg und der TU München berechneten, wie neu entwickelte solarbetriebene Luftschiffe ausgestattet sein müssen, um klimafreundlich zu sein. Auch optimale Flugrouten bezogen sie in ihre Kalkulation mit ein.

(Bild: Christoph Pflaum / Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) / TU München)

Beim Flug erfolgt der Antrieb allein durch Sonnenkraft und eine Batterie. "Die Batterie wird vor allem für den Nachtflug benötigt und muss beim Start aufgeladen sein", sagt Pflaum. Beim aktuellen Strommix ergäben sich daraus CO2-Emissionen, die je nach Beladung und Flugdistanz zwischen knapp anderthalb und fünf Prozent jener Menge betragen, die gängige Flugzeuge zurzeit ausstoßen.

Im solarbetriebenen Luftschiff würden Reisende zwar klimafreundlicher und komfortabler fliegen als in einem Flugzeug von heute, aber auch länger. "Ein Flug über den Atlantik von New York nach London dauert laut unseren Berechnungen etwa zwei Tage und eine Nacht. In der umgekehrten Richtung von London nach New York drei Tage und zwei Nächte", erklärt der FAU-Professor. Die Reisegeschwindigkeit liege je nach Windrichtung zwischen 100 und 200 Stundenkilometern. Den Simulationen lagen Wetterdaten aus dem Jahr 2019 zugrunde.

Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) forscht zurzeit nicht an Luftschiffen. Deren Größe und eher geringe Geschwindigkeit seien Gründe dafür, heißt es aus der Pressestelle. Zudem sei der Betrieb "nicht unbedingt günstig, zum Beispiel wegen der Helium-Füllung, und der im Gegensatz dazu geringen Transportleistung. Dennoch könne ein Luftschiff für Spezialanwendungen eine interessante Technologie sein, die das DLR auch unterstützt."

Christoph Pflaum kann die Argumentation des DLR nicht nachvollziehen. Im Betrieb sei die Verbrennung von Kerosin deutlich teurer als kostenfrei Strom aus der Sonne zu ernten. "Unseren Abschätzungen zufolge betragen die Energiekosten im Vergleich zu einem Flugzeug nicht einmal ein Prozent. Es ist daher sehr unwahrscheinlich, dass Luftschiffe teurer wären als Flugzeuge", glaubt er.

Selbst wenn Flugzeuge künftig mit Wasserstoff flögen, wäre die direkte Stromerzeugung aus Sonnenkraft noch effizienter, so Pflaum. Teures Helium könne, falls nötig, durch andere Gase oder Gasgemische mit entprechender Sicherheitstechnik ersetzt werden. Und in Sachen Reichweite hätten die klimafreundlichen Luftschiffe die Nase ohnehin vorn.

Bis Flugzeuge mit regenerativen Antriebstechniken den Atlantik überqueren, kann es in der Tat noch eine Weile dauern. Auf der Internetseite der DLR-Konzeptstudie für ökoeffizientes Fliegen heißt es: "Übergeordnetes Ziel ist es, bis zum Jahr 2040 die erforderlichen Technologien für ein solches Luftfahrzeug mit mindestens 70 Sitzen und einer Reichweite von 2.000 Kilometern zur Einsatzreife zu bringen." Die Strecke London – New York beträgt rund 5.500 Kiilometer.

Allerdings ist auch das reichweitenstarke, solarbetriebene Luftschiff bisher nur graue Theorie. Mit Spannung verfolgt der Informatiker Pflaum deshalb die Entwicklung der "Pathfinder"-Luftschiffe des kalifornischen Unternehmens LTA Research, das unter anderem vom Google-Mitbegründer Sergey Brin unterstützt wird. Geplant ist ein Antrieb mit Strom aus Wasserstoff-Brennstoffzellen.

Eine erste Version namens "Pathfinder I" ist etwa halb so lang wie die Hindenburg und hat zwölf Propeller. Es soll eine Spitzengeschwindigkeit von 120 km/h bringen und bis zu 40 Tonnen Ladung transportieren. Auch ein Nachfolgemodell soll es bereits geben. Ob, und wenn ja, wie lange Pathfinder I und II schon in der Luft waren, ist selbst dem Luftschiff-Enthusiasten Pflaum nicht bekannt. Das Unternehmen halte sich bedeckt, sagt er. Weitere Unternehmen, die an klimafreundlichen Luftschiffen arbeiten, sind das Unternehmen Hybrid Air Vehicles (HAV) in Großbritannien und in Frankreich Flying Whales.

Wie es mit den klimafreundlichen Luftschiffen weitergeht, wird Thema einer internationalen Konferenz zum Thema sein, zu der Christoph Pflaum Ende September einlädt. Bis dahin will sein Team die Simulationen noch verfeinern. Noch unklar ist etwa, wie genau es sich auf die solare Stromernte auswirkt, wenn Wolken das Sonnenlicht streuen.

Was ebenfalls noch in den Sternen steht, ist die Finanzierung weiterführender Projekte in Deutschland. "Anders als andere Forschung wird die Entwicklung klimafreundlicher Solar-Luftschiffe hierzulande bisher praktisch nicht gefördert. Das ist ein echtes Problem", so der Wissenschaftler. Er hofft darauf, dass die Chancen noch gesehen und genutzt werden. Damit das Luftschiff mit Sonnenkraft nicht nur eine Studie bleibt.

(anh)