Forschung: Warum die Daten gesetzlich Versicherter nicht repräsentativ sind

Für den geplanten Gesundheitsdatenpool werden 88 Prozent der​ Versicherten erfasst. Nicht in allen Fällen stehen dann​ repräsentative Daten zur Verfügung.​

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(Bild: metamorworks/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti

Die Bundesregierung plant, die auf der elektronischen Patientenakte (ePA) gespeicherten Gesundheitsdaten über Opt-Out-Verfahren der Forschung zur Verfügung zu stellen. Es soll sicherstellen, dass möglichst viele Daten zur Weiterverarbeitung zur Verfügung stehen. Die Datenvermittlung soll über das Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ) erfolgen. So könnten künftig mithilfe der ePA Patienten mit bestimmten Krankheitsbildern für eine Studie rekrutiert werden.

Aktuell gibt es die elektronische Patientenakte nur für gesetzlich Krankenversicherte. Der Hauptgrund, weshalb in Deutschland die Gesundheitsdatenverarbeitung nur für gesetzliche Krankenkassen geregelt ist, liegt darin, dass der Bund nur über das Sozialrecht, das heißt die Regelungen im Sozialgesetzbuch V, über klare Gesetzgebungsbefugnisse verfügt. Pläne zur Einbeziehung der privaten Krankenversicherten gibt es nicht. Bei Regulierungsvorhaben gegenüber der Wirtschaft beziehungsweise der privaten Krankenversicherung hat der Bund eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz. Außerdem üben die privaten Krankenversicherungen eigenen Lobbydruck aus: Sie wollen nicht, dass jemand in ihre Datenverarbeitung schaut. Sie fahren auch eine etwas andere Digitalstrategie. Hinzu kommt, dass Privatversicherte im Schnitt zu den Wohlhabenderen in der Bevölkerung gehören, die schneller Mittel mobilisieren können, um sich gegen Regulierungsvorhaben zu wehren, die ihre eigenen Interessen tangieren.

Entsprechend werden im FDZ die Daten von 73,3 Millionen gesetzlich Versicherten bereitstehen. Die Daten der rund 8,7 Millionen Privatversicherten werden nicht erfasst. 1,2 Millionen Menschen sind in Deutschland anderweitig oder gar nicht versichert. Insgesamt stehen damit dem FDZ die Daten von 88 Prozent der Versicherten zur Verfügung. Die Forschungscommunity will deshalb auch Zugriff auf die 10,5 Prozent der Privatversicherten, um repräsentative Forschungsergebnisse zu erhalten.

Ein Sprecher des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) sagte gegenüber heise online: "Ob eine Auswertung innerhalb der GKV-Patienten zu anderen Ergebnissen führt als eine innerhalb der GKV- und PKV-Patienten, hängt von der jeweiligen Fragestellung ab." Systematische Untersuchungen dazu seien dem Institut nicht bekannt.

Grundsätzlich würden sich laut IQWiG privat Krankenversicherte in ihrer Gesamtheit potenziell demografisch, soziografisch, medizinisch und im Verhalten von gesetzlich Krankenversicherten unterscheiden. Nicht für jede Fragestellung würde das aber die Ergebnisse von Studien mit den Gesundheitsdaten relevant beeinflussen. Außerdem habe die Frage, in welchem Krankenkassensystem man versichert ist, auch möglicherweise Einfluss auf die Therapie und Diagnostik. Dazu gehören nämlich die Erstattung von Medikamenten- und Behandlungskosten, unterschiedliche Wartezeiten, aber auch die aktive Wahrnehmung von Gesundheitsleistungen durch unterschiedlichen Personengruppen.

Datenschutzexperte Thilo Weichert hält die aktuelle Regelung, dass nur die Gesundheitsdaten der gesetzlich Versicherten beim Forschungsdatenzentrum FDZ Gesundheit zusammengeführt werden, für verfassungswidrig. Denn dies verstoße gegen das Gleichheitsgebot im Grundgesetz. Ein Gleichheitsverstoß liegt vor, wenn wesentlich Gleiches ungleich behandelt wird: Viele Nutzungszwecke im FDZ beziehen sich nämlich nicht ausdrücklich auf gesetzlich Krankenversicherte, sondern auf das Gesundheitswesen generell. Hinzu kommt: Jede pseudonyme Nutzung der im FDZ gespeicherten Patientendaten ist ein informationeller Eingriff. Erfolgt also ein solcher Eingriff nur bei gesetzlich Versicherten, nicht aber bei privat Versicherten auf der gesetzlichen Grundlage des SGB V, so sei das eine Ungleichbehandlung nach Artikel 3 des Grundgesetzes.

Gleichwohl ist die aktuelle Ausnahme der privat Krankenversicherten von der Digitalstrategie der Bundesregierung in Sachen Gesundheitsdaten nach Einschätzung von Weichert nur "ein Spiel auf Zeit": Mit etwas Zeitverzögerung würden auch die privaten Krankenversicherungen ähnliche Digitalinstrumente nutzen, wie sie in der gesetzlichen Krankenversicherung jetzt ausgetestet werden. Außerdem sehe der Europäische Gesundheitsdatenraum (EHDS) gleiche Regeln für alle vor. Im EHDS ist das FDZ nur eine Datenquelle unter vielen, wobei auch die privaten Krankenkassen als Dateninhaber im Rahmen der EHDS-Regulierung in Anspruch genommen werden können.

(mack)