Hannover Messe 2023: Begegnungslust, tanzende Roboter und etwas Greenwashing

Die Deutsche Messe kann auf eine erfolgreiche Veranstaltung zurückblicken. Frühere Meilensteine wurden nicht erreicht, aber es war viel Lust am Machen spürbar.

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Industrie-Roboter bei Hiwin tanzen den Lichtschwerter-Tanz.

(Bild: heise online/kbe)

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Inhaltsverzeichnis

Die Hannover Messe hatte sich für das Jahr 2023 große und dennoch abgespeckte Ziele gesetzt. Die Messe sollte endlich wieder so stattfinden, wie noch vor der Pandemie. Zugleich wurde nicht erwartet, dass die Messe schon dieses Jahr an die Erfolgszahlen von 2019 wieder anknüpfen kann. Denn die Pandemie mag in West-Europa und Nordamerika weitestgehend als beendet erklärt gelten, in anderen Teilen der Erde ist das Virus aber weiterhin an der Tagesordnung.

Erholen muss sich die Welt von der Pandemie also immer noch – und mit ihr viele Hersteller und Aussteller. Was die Industrie nun aber speziell in Deutschland antreibt, ist die proklamierte Zeiten- und damit einhergehende Energie- und Wärmewende. Auch das spiegelte sich auf der Messe wider.

2019 konnte die Messe rund 225.000 Besucher und circa 6500 Aussteller begrüßen. Mit Beginn der Corona-Pandemie kam der Absturz auf wesentlich geringere Zahlen. Nach einer reinen Online-Veranstaltung 2021 trauten sich im Jahr 2022 zumindest 75.000 Menschen und 2500 Aussteller wieder auf das Messegelände in Hannover. In diesem Jahr rechnete die Messe mit circa 100.000 Besucherinnen und Besuchern, letztendlich kamen 130.000 Menschen, 43 Prozent von ihnen aus dem Ausland. Außerdem stellten gut 4000 Aussteller und mehr als 300 Start-ups ihre Arbeit vom 17. bis zum 21. April vor. Die Messe zieht dementsprechend eine positive Bilanz.

Aufgewertet wird die Messe seit Jahren durch den Besuch der Regierungsspitze. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ließ sich – wie zuvor schon Angela Merkel (CDU)beim Aufsetzen von smarten Brillen fotografieren und führte die Delegation des diesjährigen Partnerlandes Indonesien über die Messe. Am ersten Messetag machte Scholz mit Indonesiens Präsident Joko Widodo, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) einen kleinen Rundgang, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) folgte am Dienstag.

Bundeskanzler Olaf Scholz im Gespräch mit Indonesiens Präsident Joko Widodo während des offiziellen Rundgangs über die Messe.

(Bild: heise online/kbe)

Da wo Scholz wandelt, sollte seit seiner Zeitwende-Rede auch immer das spürbar werden, was der Kanzler in ihr forderte: Fortschritt, Veränderung – anpacken. Während Scholz gegenüber Widodo aber noch die Wichtigkeit des Klimaschutzes betonte, schenkte er seinem Verkehrsminister in der gleichen Woche einen CO₂-Freibrief für den deutschen Verkehrsbereich. Er erlaubte ihm – entgegen der Vorgaben des aktuellen Klimaschutzgesetzes – für dieses Jahr kein Klimaschutzsofortprogramm für den Verkehrsbereich vorlegen zu müssen. Ob dies ein Rechtsbruch ist, wird gerade geprüft. Scholz machte sich deshalb auf der Messe einer Sache verdächtig, die man auch einigen Ausstellern unterstellen mag: Greenwashing – von Klimaschutz reden, es dann aber doch nicht so meinen.

Für Deutschland könnte damit ein Glaubwürdigkeitsproblem einhergehen, was auch den Unternehmen schaden kann, die auf der Messe ausstellten und das Thema Klimaschutz tatsächlich ernst nehmen. Von diesen gab es einige. Es wurden viele interessante Ideen für klimaschonende Verfahren vorgestellt. Überdeckt wurden diese konkreten Bemühungen aber auch durch die schiere Größe der Messe und die vielen nicht so nachhaltigen Ideen, die aber als nachhaltig beworben wurden.

Wenn man allerdings eines auf der Messe Hannover 2023 bemerken konnte, dann war es die spürbar große Freude an Begegnung. Das Begehren von möglichst viel Interaktion war nahezu überall zu erkennen – sowohl bei den Ausstellerinnen und Ausstellern als auch den Besuchenden. Es fanden auf diesem Gelände schon Messen statt, die stimmungsmäßig weniger offen und freundlich waren. Leider muss das etwa für eine der letzten Cebits gelten, was wohl klarmacht, weshalb es die Cebit nicht mehr gibt. Sie wirkte zum Ende hin bemühter, verzweifelter, konnte sich thematisch auch weniger klar finden. Sie war im Vergleich zur #hm23 eine trostlose Veranstaltung.

Auch am Freitag zeigten sich die ausstellenden Unternehmen noch bemüht, Besucherinnen und Besuchern Rede und Antwort zu stehen. Der ganz große Ansturm blieb wohl aus, da der Bahnstreik Anreisende vor einige Schwierigkeiten stellte. Trotzdem war auch noch am Freitag viel Neugierde und Offenheit zu erkennen. Befragte Aussteller sahen das überwiegend ähnlich. Die Größe der Messe führte aber auch manchmal zu Frust. Das Angebot ist so umfangreich, dass manche Menschen den Elan verlieren, auch die entlegeneren Hallen zu besuchen. Das konnten auch sehr offen gestaltete Ausstellungsräume wie etwa in Halle 2 kaum ausgleichen. Dort fand unter anderem auch das Partnerland Indonesien seinen Platz.

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In diesem Jahr hatte sich die Messe diese Hauptthemen gesetzt: CO₂-neutrale Produktion, Energiemanagement, Industrie 4.0, KI & Maschinelles Lernen, Wasserstoff & Brennstoffzellen. So abstrakt weiterhin der Begriff Industrie 4.0 wirkt (intelligente Vernetzung von Maschinen und Abläufen in der Industrie mithilfe von Informations- und Kommunikationstechnologie), so konkret konnte es doch bei der Vorführung der Themen Energiemanagement und Wasserstoff und Brennstoffzellen zugehen.

Aussteller geizten weder mit dem Vorführen von ganzen Schaltkästen etwa für Windkraftanlagen oder Energienetze-Miniatur-Aufbauten mittels Klemmbausteinen, noch scheuten sie sich, sehr experimentelle Prototypen für den Bereich Wasserstoff und Brennstoffzellen zu zeigen. Dass Wasserstoff und Brennstoffzellen eine eigene Halle erhalten haben, passte gut zum Messethema und gab den Ideen in diesem Bereich ausreichend Raum.

Diese Logistik-Roboter werden durch Brennstoffzellen angetrieben. Es handelt sich um Prototypen der Firma SEW-Eurodrive.

(Bild: heise online/kbe)

Schwieriger ließ sich die Ernsthaftigkeit der Themensetzung "CO₂-neutrale Produktion" in den Ausstellungshallen ablesen, denn Greenwashing bleibt weiterhin eine der Disziplinen, welche für die Image-Aufwertung gerne genutzt wird. Viele PR-Abteilungen hatten sich die Mühe gemacht, Messeständen einen grünen Touch zu geben und auch die Worte "Nachhaltigkeit" und "Klima" in ihren Botschaften unterzubringen, zugleich gaben Beschäftigte an manchen Ständen hinter vorgehaltener Hand zu, dass etwa die gezeigte Wasserstoff-Technik (noch) große Effizienz-Probleme hat.

Messe und Industrie haben sich hier allerdings auch geschickt gezeigt: CO₂-neutrale Produktion bedeutet eben nicht, dass diese besonders nachhaltig oder effizient sein muss – sie muss nur den Ausstoß von CO₂ vermeiden. Will man nicht nur CO₂ vermeiden, sondern über die ganze Produktionskette hinweg "Nachhaltigkeit" im Wirtschaften unterbringen, sind etwa auch Ressourcenschonung, Vermeidung von Raubbau (Lieferkette), Effizienz und eine Kreislaufwirtschaft mit Aspekten wie Urban Mining interessant. So grün das Thema "CO₂-neutrale Produktion" also wirken mag und so sehr Firmen begriffen haben, dass Klimaschutz und Nachhaltigkeit zum guten Ton gehören: Wie nachhaltig das Vorgestellte jeweils ist, muss teilweise bezweifelt werden. Lösungen für mehr Effizienz ließen sich aber finden – zwar oft noch im Start-up-Stadium, aber sie waren da. Es gab sie also tatsächlich: die grünen Innovationen.

Grün, Grün, Grün sind alle meine Kleider, Grün, Grün, Grün ist alles, was ich hab. Aber was ist wirklich nachhaltig?

(Bild: heise online/kbe)

Hinzugelernt haben die Aussteller auch in Sachen Give-Aways. Hatten diese vor Jahren oft noch eine grausliche Umweltbilanz, wird nun sichtbar mehr darauf geachtet, was und wie viel zu PR-Zwecken an Besuchende herausgegeben wird. Auch wurden größere Aussteller-Kataloge eher zurückgedrängt. Die Grunddaten zu Produkten sind auch online zu finden, Broschüren werden auf Anfrage digital zugeschickt. Möchte man mehr Informationen zu einem Thema, ist oft ein QR-Code mit weiterführenden Informationen in der Nähe.

Unter dem abstrakten Thema Industrie 4.0 konnten insbesondere Automation und Robotik bewundert werden – diese eignen sich für die Visualisierung von Produktion und Fertigung aus Sicht von Herstellern offenbar besonders gut. In einem Großteil der Hallen schwenkten und drehten Industrieroboterarme ihre Gliedmaßen, packten Teilchen und Teile auf mehr oder weniger komplexe Weise von A nach B und waren mal mehr und mal weniger interessant umrahmt. Führt man sich all diese vor Ort arbeitenden Roboterarme auch innerlich vor Augen, könnte man an ein Roboterarm-Ballett denken.

Diese Art Industrieroboter können viel und sind sehr wichtig für Produktionsstätten. Sie werden gerne gezeigt, das führt aber auch zu gleichbleibenden Kulissen in der Messe – vor allem, wenn nur diese Roboter die Hingucker an einem Stand bleiben.

(Bild: heise online/kbe)

Was zunächst interessant erscheint, kann aber auf Dauer ermüdend wirken. So viele Aussteller setzen auf die Anziehungskraft und Bildstärke dieser Roboter, dass die große Menge den Überraschungseffekt kaputtmachen kann. Und selbst die hier und da anzutreffenden humanoiden Roboter, die sich bisweilen auch umarmen ließen, haben mittlerweile ihren Reiz verloren – zumindest für Menschen, die häufiger Messen begehen. Der Unterhaltungsfaktor erhöhte sich lediglich noch da, wo etwa – wie bei Hiwin – die Roboter nicht nur rhythmisch synchron ihre Wendigkeit zeigten, sondern gleichzeitig Lichtschwerter hielten und eine Form von Lichtschwert-Capoeira vor einer abgestimmten Film-Installation vorführten.

Eine Analyse von Kristina Beer

Kristina Beer schreibt und moderiert für heise online. Sie beschäftigt sich gerne mit der Frage, wie sich technischer Fortschritt auf Gesellschaft, Wirtschaft und politische Entscheidungen auswirkt.

Ein weiterer beliebter Hingucker auf der Messe blieben Autos. Soll die eigene Software als schnell und potent gelten, muss ein Rennfahrzeug an den Stand. In deutschen Landen verfängt diese Bildsprache vielleicht besonders gut. Allerdings fehlte auch hier der Wow-Faktor, wenn interessante Fahrzeuge zwar aufgefahren wurden, aber keine weiteren Interaktionen damit möglich waren. Zur Visualisierung von neuer Sensor-Technik – etwa für das autonome Fahren – waren sie hingegen ein passender Teil der Ausstellung.

Es erschließt sich nicht immer, warum ein Auto an einem Stand steht – aber als Fotomotiv kann es stets herhalten. Das ist ein e.Go am Microsoft-Stand.

(Bild: heise online/kbe)

Wesentlich zugänglicher zeigten sich da etwa außerhalb der Messehallen Mitarbeiter von VW, die Interessierte auch mal in einem ID-Buzz Platz nehmen ließen. Die bunten VW-Busse machten zumindest den Zukunftswillen der Messe hinsichtlich der Elektrifizierung deutlich – ebenso wie die anderen batterieelektrischen Fahrzeuge auf dem Gelände, wie etwa die vom Ride-Sharing-Dienst Moia. Wahr scheint zu bleiben: Ein Auto ist eben doch besser be-greifbar als eine Software.

Was man den Ausstellerinnen und Ausstellern aber lassen muss: Auch bei der Darstellung von ansonsten eher unsichtbaren Prozessen gaben sie sich meistens außerordentlich viel Mühe. In Produktionsstraßen konnte hineingeguckt werden, Software wurde über Bildschirme, Schaubilder und Aufbauten verdeutlicht. Wie charmant Sensortechnik und Software zusammenarbeiten, konnte durch Logistik-Lösungen gezeigt werden.

#HM23 – Hannover Messe 2023 (45 Bilder)

Vom 17. bis zum 21. April 2023 fand die Hannover Messe statt. Auf Twitter findet man sie unter #hm23.
(Bild: heise online/kbe)

Das Thema Künstliche Intelligenz wurde zwar schon länger auf Messen gepusht, die Veröffentlichung von ChatGPT gleicht aber immer noch dem Stich in ein Wespennest. Jetzt muss jedes Unternehmen schnell die Schubladen öffnen und zeigen, dass auch bei ihm Künstliche Intelligenz längst im Einsatz ist, schon lange erforscht wird und wirklich ganz tolle Sachen kann. Allerdings ist nicht überall KI drin wo KI draufsteht. Bei diesem Label musste man deshalb auch auf der Hannover Messe wieder aufpassen. KI-Projekte ließen sich eigentlich nie gesammelt an einem Ort finden, man musste sie eher wie ein Trüffelschwein in den verschiedenen Hallen suchen. In dieser Hinsicht hatte die Messe mehr versprochen, als sie dann einlösen konnte. Fortschritte beim vorgeführten Maschinellen Lernen konnte Kollegin Pina Merkert aber auf jeden Fall erkennen.

Die Botschaften für mehr Nachhaltigkeit und auch wirtschaftlicher Verantwortung sind da, sie könnten sich aber noch stringenter in der Themensetzung zeigen.

(Bild: heise online/kbe)

Für Frauen stand am Ende der Messe noch ein eigener Themen-Höhepunkt an. Der WomenPower-Kongress wurde im Convention Center gegen Ende der Messe veranstaltet – und auch gefeiert: "20 Years of Empowerment" hieß die Losung. Für Frauen stellte dieser Ort der Messe einen wohligen Safe-Space dar. Netzwerkbildung und Unterstützung, Repräsentation und auch der Blick über Frauen hinaus wurde geübt. So heißt es nicht mehr nur, dass Frauen, sondern Diversity (Vielfalt) gefördert werden sollte. Damit bekamen auch stärker marginalisierte Gruppen mehr Sichtbarkeit.

So sehr die Messe auch die Pandemie und ihre Folgen hinter sich lassen wollte: Zukünftig wird sie sich auch mehr mit den Themen beschäftigen müssen, welche die Pandemie stärker in den Fokus gerückt hat. Das sind unter anderem die miteinander verquickten Themen New Work und der Fachkräftemangel.

Es wurde sehr anschaulich gezeigt, was digitale Vernetzung und Automation möglich macht, wie mittels KI menschliche Arbeitslast reduziert, wie durch optimierte Prozesse auch Ressourcen gespart werden können – das ist eine angenehme Seite der Technisierung und konnte gut vorgeführt werden. Weitestgehend offen bleibt aber die Frage, wo in dieser Gemengelage nun der Mensch und seine Arbeitskraft stehen. Wie ist seine Arbeit zukünftig (sinnstiftend) möglich? Wie bleiben die begehrten Fachkräfte gesund? Wie lässt sich die Mensch-Maschinen-Interaktion noch verbessern? Wer was wann und wie arbeitet, wird neu ausgehandelt werden müssen. Welchen Teil übernehmen die Maschinen, welchen wir?

Legt die Messe auch höhere Standards für das Thema Nachhaltigkeit an, könnte sie die Themen Effizienz und Kreislaufwirtschaft weiter stärken. Die Industrie mag das nicht immer hören, aber der Planet bleibt in seinen Ressourcen endlich. Digitalisierung, Automatisierung, Optimierung bieten für mehr Nachhaltigkeit und eine echte Kreislaufwirtschaft gute Ausgangspunkte. Das Greenwashing, auch seitens der Regierung, sollte wirklich aufhören.

(kbe)