Herz schlägt nicht – Doch mehr Patienten als gedacht bekommen Wiederbelebung mit

Bisher meinten Ärzte, dass nur Wenige nach einem Herzstillstand ein Bewusstsein haben und Beruhigungs- sowie Schmerzmittel brauchen. Das könnte sich ändern.

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(Bild: Marko Aliaksandr/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler
Inhaltsverzeichnis

Patienten bekommen mehr davon mit, wenn sie bei einem Herzstillstand wiederbelebt werden, als Ärzte bisher angenommen haben. Vier von zehn Betroffenen hatten laut der neuen US-britischen Studie AWARE II während der Reanimation bewusste Wahrnehmungen, auch wenn das äußerlich nicht erkennbar war (frei verfügbar ist nur der Vorabdruck). Sie fühlten Druck und Schmerzen, hörten Stimmen, berichteten von traumähnlichen, manchmal auch mystischen Erfahrungen und von Nahtoderlebnissen. Ihr Gehirn zeigte fast normale Aktivitäten.

Bisher gingen Ärzte davon aus, dass Patienten nichts von den teilweise schmerzhaften Rettungsmaßnahmen wie Herzdruckmassage, künstliche Beatmung und Elektroschocks zum Neustart des Herzens merken. Schließlich sind die Betroffenen bewusstlos, ihr Herz schlägt nicht und sie atmen nicht. Dadurch wird auch kein Blut durch ihren Körper gepumpt und kein Sauerstoff mehr in den Geweben verteilt. Das Gehirn sollte also kaum aktiv und das Schmerzempfinden ausgeschaltet sein, so die gängige Lehrmeinung.

Deshalb erhalten Patienten für die Reanimation auch keine Beruhigungs- oder Schmerzmittel. Nur in etwa einem Prozent der Fälle, wenn sie sich während der Wiederbelebung bewegen, sich wehren und stöhnen, gelten sie als bewusst und werden mit den Medikamenten sediert. Die Ergebnisse der neuen Studie, die im Fachjournal "Resuscitation" (Wiederbelebung) veröffentlicht wurden, legen nun nahe, dass weit mehr Patienten Formen von Bewusstsein haben, als gedacht.

Die Forscher um Erstautor Sam Parnia von der Grossman School of Medicine der New York University untersuchten insgesamt 567 Patienten, die im Krankenhaus einen Herzstillstand erlitten und wiederbelebt werden mussten. Um herauszufinden, ob sie während der Prozedur etwas mitbekommen hatten, verließen sich die Wissenschaftler nicht nur auf eine mündliche Befragung der Überlebenden. Sie prüften auch, ob diese sich an sich drei wiederholt über einen Kopfhörer abgespielte Worte erinnern können: Apfel, Birne, Banane.

Für den Fall von Nahtoderlebnissen mit der Empfindung, über dem eigenen Körper zu schweben, wollten die Forscher auch herausfinden, ob die Patienten in diesem schwebenden Zustand nach unten sehen können. Dafür montierten sie jeweils ein Tablet über dem Kopf der Patienten, dessen Bildschirm nach oben und wechselnde Bilder zeigte. Aus dieser Perspektive könnte nur der "schwebende" Patient die Bilder sehen.

Allerdings konnten die Forscher nur wenige Patienten zu ihren Erlebnissen befragen, da die Wiederbelebung lediglich bei 53 Patienten (9,3 Prozent) erfolgreich war. Davon fühlten sich lediglich 28 gut genug, um interviewt zu werden. 11 der 28 Überlebenden (39 Prozent) berichteten von verschiedenen Sinneseindrücken oder Erinnerungen, die auf ein Bewusstsein hinweisen.

Zwei Patienten beschrieben etwa die Einwirkungen der Wiederbelebung. Sie hatten etwa die Elektroden, Schmerzen, Druck oder die Auf- und Abwärtsbewegung der Herzdruckmassage gespürt, gehört, wie die Ärzte um sie herum sprechen, oder jemanden in Operationskleidung gesehen. Zwei weitere Betroffene bekamen die spätere Versorgung auf der Intensivstation mit. Drei Patienten erinnerten sich an Träume, in denen etwa Regenbogen, Fischen oder humanoide Wesen vorkamen.

Nur ein Patient konnte die drei abgespielten Obstsorten korrekt nennen. Niemand hatte den Bildschirm und seine Inhalte gesehen.

Sechs der 28 Patienten hatten ein Nahtoderlebnis, das sich von Träumen durch einen gewissen Handlungsbogen unterschied. Manche fühlten sich zum Beispiel außerhalb ihres Körpers und dachten, dass sie gestorben seien. Dabei hörten sie manchmal Stimmen, etwa die der verstorbenen Großmutter, die sagte, "Du musst zurückgehen". Einige hatten das Gefühl, zu einem Ziel unterwegs zu sein oder erlebten eine bewusste Bewertung ihres Lebens. Auch fühlte es sich so an, als kehrten sie an einen vertrauten Ort zurück, bis sie schließlich beschlossen, zurückzukommen.

Dass es bei der Wiederbelebung zu bewussten Empfindungen kommt, könne daran liegen, dass das Gehirn wieder mit Blut versorgt wird, sagte Charles Deakin von der britischen University Hospital Southampton dem "New Scientist". Der Studienleiter vermutet, dass die Durchblutung bei Patienten, die nicht überleben, möglicherweise geringer war.

Die Autoren folgern aus den Ergebnissen, dass nicht das eine Prozent von Herzstillstandspatienten bewusste Wahrnehmungen hat, das auch äußere Anzeichen von Bewusstsein zeigt, sondern tatsächlich etwa sieben Prozent von ihnen. Das spreche dafür, dass man solche Patienten etwa mithilfe der elektrischen Gehirnaktivität (EEG) identifizieren lernt, um sie gezielt sedieren zu können. Dass das Gehirn nach lebensbedrohlichen Krisen wie einem Herzinfarkt, wo es auch zu einer Minderdurchblutung kommen kann, Anzeichen für bewusste Prozesse zeigt, hatten auch andere Forschergruppen festgestellt.

Einige Experten fragen sich angesichts der AWARE II-Ergebnisse, ob nicht in manchen Fällen trotz fehlender äußerer Anzeichen eine Sedierung wichtig wäre – auch um psychische Nachwirkungen der Wiederbelebung wie ein posttraumatisches Stresssyndrom zu minimieren. Dabei müsse jedoch geklärt werden, ob das einen negativen Einfluss auf die Überlebenschancen haben kann.

Stoppt das Herz, sinkt mit jeder vergehenden Minute die Chance aufs Überleben. Das Gehirn reagiert besonders empfindlich auf den Sauerstoffmangel, der durch den ausbleibenden Blutfluss in den Geweben entsteht. "Schon in der ersten Minute ohne Kreislauf sterben im Gehirn Nervenzellen ab und die Chance auf ein Überleben ohne neurologische Defizite nimmt exponentiell ab", sagte Sabina Hunziker, Ärztin für Innere und Intensivmedizin sowie stellvertretende Chefärztin für Psychosomatik und Medizinische Kommunikation an der Universität Basel und dem Universitätsspital Basel, kürzlich den Universitätsnachrichten.

Wichtig sei deshalb auch, Patienten über die geringen Überlebenschancen und das hohe Risiko von neurologischen Schäden besser aufzuklären, sagt Hunziker. Viele meinten, dass ihre Chancen, sich wieder vollständig zu erholen, bei 40 bis 60 Prozent lägen. Das hat sie mit ihrem Team im Rahmen einer Studie festgestellt. Tatsächlich liege sie aber bei lediglich zehn Prozent, wenn der Herzstillstand außerhalb eines Krankenhauses passiert und bei 20 Prozent, wenn er im Krankenhaus passiert.

(vsz)