Hollywood will das Fernsehen kontrollieren

Die jüngste TV-Kopierschutztechnik in den USA soll die Konsumenten davon abhalten, Fernsehen in hoher Qualität aufzunehmen – ein Besorgnis erregender Trend.

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Von
  • Simson Garfinkel

In Zukunft wird die Motion Picture Association of America (MPAA), der Verband der Hollywood-Studios, in den USA jeden Fernseher kontrollieren. Jedes verkaufte Gerät soll einen Chip enthalten, der das TV-Programm nach einem kleinen elektronischen Signal, der so genannten "Broadcast Flag", absucht. Die wird wiederum von der MPAA kontrolliert, die entscheidet, ob Fernsehshows oder Filme damit markiert werden.

Ist die Broadcast Flag einmal gesetzt, wird das TV-Gerät in einen speziellen Sicherheitsmodus geschaltet, der die hochwertigen Digitalausgänge ausschaltet. Wer ein markiertes Programm aufzeichnen will, kann das dann nur noch auf Analog-Band oder in einem DVD-Format mit niedriger Auflösung tun. Und auch der Ton darf nur in analoger Qualität aufgezeichnet werden. Diese Sicherheitsmaßnahme hat nicht etwa mit dem Schutz des Fernsehers vor Computerviren oder Hackern zu tun. Die Broadcast Flag schützt den Ferseher in Zukunft vor dem Zuschauer.

Und diese Zukunft beginnt am 1. Juli 2005. Vollständig als "Advanced Television Systems Commitee Flag" bezeichnet, aber in den USA besser unter dem Namen "Broadcast Flag" bekannt, ist dieses herrische Stück Technik bereits im letzten November in das Regelwerk der zuständigen Regulierungsbehörde Federal Communciations Commission (FCC) aufgenommen worden. Die Reaktionen waren bislang gemischt. Die meisten Journalisten, die über die Broadcast Flag schrieben, meinten, sie werde wenige Konsumenten betreffen. Kaum jemand wolle High-Quality-Videos im Wohnzimmer aufzeichnen und anschließend im Schlafzimmer wiedergeben.

Das Center for Democracy and Technology (CDT) nannte die FCC-Entscheidung einen "historischen Kompromiss", der Kundenrechte noch schütze und Piraterie, die im digitalen Zeitalter drohe, dennoch einen Riegel vorschiebe. Das CDT warnte allerdings davor, dass der Vorgang, mit dem die FCC die Broadcast Flag abgesegnet hat, einen gefährlichen Präzedenzfall setzt, der sich leicht gegen die Bürger richten könnte. Viele Experten, mit denen ich sprach, nannten die Technik gefährlich, weil sie eine Art Trojanisches Pferd darstelle - die Broadcast Flag lässt sich problemlos in Zukunft mit stärkeren Restriktionen nachrüsten. "Jede TV-Station, die die Technik einsetzt, sollte eigentlich ihre Sendelizenz verlieren. Die Broadcast Flag missbraucht das Vertrauen der Öffentlichkeit", meint beispielsweise Andrew Lippman, ein Senior-Forscher am MIT Media Lab.

All diese Dinge sind richtig. Um zu verstehen, warum der MPAA ihre neue Broadcast Flag so wichtig ist, muss man sich erst einmal in die Welt der Plattenindustrie begeben. Vor 20 Jahren begann die Branche, ihre Musik auf optische Compact Discs zu pressen. Die Musik war völlig ungeschützt. Damals kümmerte das noch niemand. Jede CD enthielt mehr Daten, als Großrechner zu dieser Zeit aufnehmen konnten. Die Daten waren zwar da und ohne Kopierschutz, aber es gab keinen Platz, wo man sie ablegen konnte.

Im Frühjahr 1984 habe ich mir einen Apple-Rechner und einen tragbaren CD-Player gekauft. Die digitale Musik auf dem Album "The Dark Side of the Moon" nahm fast 600 Megabyte an Daten in Anspruch. Mein Mac hatte ein Floppy-Laufwerk, das 400 Kilobyte fasste. Unmöglich, die Musik damals zu "rippen".

Drei Dinge haben dieses Gleichgewicht durcheinander gebracht. Erstens der technische Fortschritt. 1988 hatte mein Desktop-Rechner bereits eine Festplatte mit 20 Megabytes, 1992 gab es Festplatten, die ein volles Gigabyte fassten, mehr als den Inhalt einer CD. Der zweite Faktor sind wissenschaftliche Errungenschaften: Dank der MP3-Kompressionstechnik kann man das ganze Pink-Floyd-Album auf 50 Megabyte Daten schrumpfen. Der dritte Faktor ist die inzwischen weite Verbreitung von Breitband-Internet-Anschlüssen, die es mir ermöglicht, diese 50 Megabytes mit 10.000 meiner engsten Freunde zu teilen (nicht, dass ich das jemals tun würde).

So viel also zur Geschichte. In den letzten fünf Jahren versuchte die Recording Industry Association of America, kurz RIAA, nichts anderes, als all diesen technologischen Fortschritt zurück in seine Wunderlampe zu stecken. Die RIAA sorgte dafür, dass die erste Version von Napster dicht machen musste und hetzte dem Filesharing-Dienst Kazaa im australischen Sydney die Polizei auf den Hals. Und sie begann damit, kleinen Nutzern von Musiktauschbörsen Klagen anzuhängen. Das ist ein dreckiges und teures Geschäft, aber die RIAA meint, sie habe keine andere Wahl.

Die MPAA versucht, die schlechten Erfahrungen der RIAA mit digitalen Medien nicht zu wiederholen. Der erste Versuch war allerdings nicht sehr erfolgreich. Als man sich klar wurde, wie erfolgreich die DVD werden würden, kam man zusammen, um sich eine Verschlüsselungstechnik zu überlegen. Die sollte dafür sorgen, dass DVDs nicht auf Festplatten oder DVD-Rohlinge kopiert werden könnten. Kurz nachdem die Technologie auf den Markt kam, war sie schon geknackt. Freie Software aus dem Internet lässt einen heute eine DVD nehmen, sie entschlüsseln und anschließend so komprimieren, dass sie auf eine einzige 700-Megabyte-CD passt. Dann kann man Kopien für Freunde ziehen oder sie ins Internet hochladen, damit sich die halbe Welt über die letzte schlechte Produktion aus Hollywood aufregen kann.

Und das ist noch lange nicht alles. In wenigen Jahren werden alle terrestrischen Fernsehsignale digital sein. Unverschlüsselte digitale Inhalte in der Luft ist der ultimative Alptraum der MPAA. Die Angst: Qualitativ hochwertige Digitalsendungen könnten von Internet-Freaks mit digitalen TV-Karten in ihren PCs aufgezeichnet werden, damit sie dann in den internationalen Breitband-Netzen von Kalifornien bis Hongkong landen.

Und das, sagt Fritz Attaway, MPAA-Executive Vice President für Regierungsangelegenheit und Hausjurist der Organisation in Washington, ist der wahre Grund für die Broadcast Flag. Attaway sagte dem IT-Nachrichtendienst Wired News, man wolle mit der Broadcast Flag den lukrativen Markt für US-Fernsehshows in anderen Ländern sichern. Warum sollten Leute in Malaysia, Singapur oder Hongkong amerikanische TV-Sendungen noch Monate oder Jahre nach ihrer US-Erstausstrahlung ansehen, wenn sie bereits einen Tag später im Netz zu bekommen sind?

Natürlich wird die Broadcast Flag mehr tun, als solche internationalen "Ausstrahlungen" zu verhindern -- man wird qualitativ hochwertige Digitalkopien mit niemandem mehr tauschen können, also auch nicht mehr mit dem nervigen Arbeitskollegen, der immer per E-Mail fragt, wer die letzte Folge von "Buffy The Vampire Slayer" aufgenommen hat. Wenn die Broadcast Flag erst Realität ist, wird er aufhören zu quengeln.

Obwohl ich selbst nicht viel Fernsehen schaue, bin ich gegen die Broadcast Flag. Mein erster Grund ist der "Trojanisches Pferd"-Aspekt: Wenn es der Medienindustrie bereits gelungen ist, eine Regulierungsbehörde dazu zu bewegen, gegen Endkunden gerichtete Kopierschutzmaßnahmen in Fernsehern zur Pflicht zu machen, könnte sie auch noch mehr fordern. Die Broadcast Flag könnte detaillierter werden. Kleine Digitalsignale könnten dann beispielsweise bestimmen, dass man bei dieser Show die Werbung nicht vorspulen darf. Oder dass bei einer anderen Sendung kein Timeshifting, also Rückspulen während der Wiedergabe, erlaubt ist. Wieder eine andere "Mini-Flag" könnte dafür sorgen, dass man während einer Sendung den Kanal nicht wechseln kann. Oder aber, ganz wild, eine "Mission: Impossible"-Broadcast-Flag, die dem Videorecorder mitteilt, dass er sich selbst zerstören soll -- oder auch nur die letzte Kopie jedes Films von den Universal Studios, die man aufgenommen hat. Wer weiß, was sich Hollywood da als Nächstes ausdenkt.

Und die Broadcast Flag ist kein Geist, der wieder verschwindet, wenn alle Missetaten von Napster & Co. vergessen sind. Nein, Hollywood versucht, sowohl Unterhaltungselektronik als auch Desktop-PCs so umzukrempeln, dass die Technik ihm besser passt. Schließlich wird die Broadcast Flag aktuelle Piraterie nicht stoppen. Die Technik betrifft nur Geräte, die nach Juli 2005 verkauft werden. Die Hacker-Weblogs empfehlen bereits, alte, kopierschutzlose Digital-TV-Geräte und Digital-TV-Karten anzuschaffen, um eine Art Notfallequipment zu haben.

Ein anderes Problem: Die Broadcast Flag betrifft nur Material, das tatsächlich terrestrisch gesendet wird, nicht Kabel-TV und Satellitenfernsehen. Diese Systeme haben ihren eigenen Kopierschutz. Und je mehr Standards es gibt, um so leichter kann auch etwas daneben gehen. Das heißt nicht nur, dass es Kompatibilitätsprobleme gibt, sondern auch, dass irgendeines der Geräte dann den Kopierschutz möglicherweise nicht beachtet. Ein Teil von Hollywoods heiligem Content könnte also entkommen.

Und was passiert, wenn die Broadcast Flag dann gescheitert ist? Die MPAA wird noch stärkere Schutzmaßnahmen fordern, die die Kunden noch weiter in ihrer Freiheit einschränken, bei Consumer-Elektronik-Geräten und am PC. Letztlich wird es darauf hinauslaufen, dass alle Geräte, die qualitativ hochwertige Aufnahmen möglich machen, eliminiert werden.

Diesen Weg haben wir im Übrigen bereits genommen -- das war nicht einmal vor 25 Jahren. 1978 führten die Universal Studios Klage gegen Sony, weil dessen Betamax-Videorecorder "illegale Piratenkopien" von terrestrischen TV-Sendungen aufnehmen könne. Universal wollte den Videorecorder zur Strecke bringen. 1984 beschloss das oberste US-Gericht dann aber, dass der Hauptzweck des Betamax-Gerätes nicht die Piraterie, sondern das Aufzeichnen von Sendungen war, um sie später anzusehen -- und das fällt unter die so genannte "erlaubte Benutzung" (Fair Use), die im US-Urheberrecht steht. Hätte Universal Erfolg gehabt, hätten die Kunden keine Videorecorder gekauft und die ganze Videothekenbranche wäre gar nicht erst entstanden. Und genau diese Branche brachte Hollywood in den letzten Jahren viel Geld -- man wollte also eine Technologie abwürgen, die einem später nutzte.

Obige Betamax-Argumentation wird gerne von Verbraucherorganisationen genannt. Ich teile sie nicht ganz. Wäre der Videorecorder illegal gewesen, hätte sich das Verleihgeschäft wahrscheinlich auf die Videodisc konzentriert, die es in den frühen Achtzigern gab. Die Schallplatten-große Scheibe hatte sogar eine deutlich bessere Bildqualität als Video. Es hätte vielleicht etwas länger gedauert, aber sie wäre wohl das Medium der Videotheken geworden.

Tatsächlich wollte Hollywood nur zum Sieger im Kampf um die Heimelektronik werden. Hätte Sony den Videorecorder gerichtlich verboten bekommen, hätte es wohl auch keine Camcorder, keine Amateur-Video-Produktionen und keine unabhängigen Filmemacher gegeben. Steven Soderbergh hätte niemals "Sex, Lügen und Video" gedreht, um anschließend ein erfolgreicher Filmemacher zu werden. Der Fall Rodney King, bei dem die Polizei in den USA einen schwarzen Bürger misshandelte, wäre niemals aufgezeichnet und aufgearbeitet worden. Eine ganze Generation voller Kreativität und politischer Veränderungen wäre verloren gegangen -- zum Wohle Hollywoods.

Aus genau diesem Grund bin ich so leidenschaftlich dagegen, dass die Filmindustrie Design-Spezifikationen für Unterhaltungselektronik oder Heim-PCs diktiert. Die Hollywood-Mogule hätten gerne Einweg-Geräte, die sich in ihre aktuellen Geschäftsmodelle einklinken lassen. Sie haben Angst vor Kreativität, die sie nicht sofort nutzen und zu Geld machen können. Anstatt die goldenen Eier mit der Welt zu teilen, wollen sie lieber die magische Gans töten.

Die Broadcast Flag ist vermutlich der bislang größte Schritt in diese Richtung, seitdem der Kongress 1988 den umstrittenen Digital Millenium Copyright Act (DMCA) verabschiedet hat. Ein Gesetz, dass einen erstaunlich negativen Einfluss auf die gesamte High-Tech-Welt hatte. Fazit: Bürger einer technologisch orientierten Demokratie dürfen Hollywood keinen Platz an dem Tisch einräumen, an dem ihre Zukunft entworfen wird. (sma)