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In der Facebook-Falle

Michael Wolff

Der Social-Media-Riese wird enorm hoch bewertet, obwohl er faktisch doch nur eine weitere werbefinanzierte Website darstellt, meint der Medienkritiker MIchael Wolff. "Ein Zusammenbruch von Facebook könnte das halbe Web mitreißen", schreibt er in einer Analyse für Technology Review.

Der Social-Media-Riese wird enorm hoch bewertet, obwohl er faktisch doch nur eine weitere werbefinanzierte Website darstellt, meint der Medienkritiker MIchael Wolff. "Ein Zusammenbruch von Facebook könnte das halbe Web mitreißen", schreibt er in einer Analyse für Technology Review.

Michael Wolff [1] schreibt eine Medienkolumne für den "Guardian", ist fester Autor bei "Vanity Fair", gründete das Portal Newser [2] und war bis Oktober letzten Jahres Chefredakteur des Werbebrachentitels "AdWeek." Der Wirtschaftsjournalist beschäftigte sich schon zu Dot-Com-Zeiten [3] mit problematischen Internet-Geschäftsmodellen.

Facebook ist nicht nur auf dem Weg, sich selbst zu zerlegen, sondern der Social-Media-Riese könnte auch gleich große Teile des restlichen werbefinanzierten Netzes mit in den Abgrund reißen. So viel Geld die Firma bei ihrem kürzlich erfolgten Börsengang [4] auch eingesammelt hat und so sehr solche großen Crashs üblicherweise in Zeitlupe ablaufen – ich behaupte, dass diese Aussage keineswegs ins Reich der Übertreibungen gehört.

Und das kommt so: Große Teile des Internet-Geschäftes basieren nach wie vor auf einem enormen wirtschaftlichen Trugschluss. Der lautet: Das Web ist mit all seinen Möglichkeiten, genaue Zielgruppen zu erreichen, ein effizienteres und damit gleichzeitig auch profitableres Werbemedium, als es traditionelle Mediengattungen jemals waren. Damit ist Facebook mit seinen 900 Millionen Nutzern und einer Bewertung von rund 100 Milliarden US-Dollar zum Zeitpunkt des Börsengangs quasi der größte Online-Trugschluss aller Zeiten: Schließlich basiert das Geschäft der Firma zu großen Teilen auf traditioneller Reklame, die in Form von simplen Text- und Bildanzeigen neben dem Newsfeed auftaucht.

Aber Werbung im Web ist eben nicht von gigantischer Profitabilität geprägt. Im Gegenteil. Die tägliche Realität für fast jeden Player in diesem Markt ist eine ganz andere: Quartal für Quartal sinkt der Wert digitaler Anzeigen. Da kann man sich auf den Kopf stellen und mit den Füßen wackeln: Web-Werbung ist ein Opfer ihres eigenen Erfolges geworden. Die Nutzer gehen mit dem Web im Allgemeinen und mit Web-Reklame im Besonderen anders um als mit anderen Mediengattungen. Die Aufmerksamkeit der Nutzer ist vergleichsweise gering. Und das wiederum führt dazu, dass diese Werbeform weniger Wirkung hat.

Gleichzeitig erlauben neue Technologien den Werbetreibenden, passende Zielgruppen präzise zu lokalisieren und anzusprechen – und zwar außerhalb von Markenkanälen, die früher doch so wichtig waren. Statt zu CNN zu gehen, um ein CNN-Publikum zu erreichen, baut man sich mit kostengünstigen Marketingwerkzeugen eben eine generische CNN-artige Zielgruppe auf. Und das Beste: Man muss nun auch keine CNN-Preise mehr zahlen. Dies resultiert in einer unter Marktbeobachtern mittlerweile berühmten wie brutal genauen Formel: Zehn Dollar, die man früher mit Offline-Werbung eingenommen hatte, schmelzen im Internet zu einem Dollar zusammen.

Ich kenne niemanden im werbefinanzierten Web-Geschäft, der nicht ständig damit beschäftigt wäre, seine realen Kosten mit den fallenden Pro-Nutzer-Einnahmen in Deckungsgleichheit zu bringen. Das ist auf Dauer enorm demoralisierend, weswegen manche dieser Leute auch manisch dabei sind, ihre Nutzerzahlen aufzublähen, um schrumpfende Einnahmen über eine scheinbar größere Zielgruppe zu kompensieren.

Angesichts dieser Marktverfassung ist es erstaunlich, wie es Facebook gelungen ist, eine große Menge durchaus intelligenter Menschen davon zu überzeugen, dass die Magie sozialer Medien das Web-Werbegeschäft neu erfinden wird – und zwar gewinnträchtiger denn je. Und sollte das nicht klappen, erfindet die Firma eben irgendetwas Neues und generiert damit noch mehr wundervolle Profite, hoffen die Aktienkäufer.

Das Problem: Das Kurs-Gewinn-Verhältnis von Facebook ist bereits jetzt so hoch, so dass all diese Innovationen schon an Alchemie grenzen müssten, damit die Anteilsscheine ausreichend stark an Wert gewinnen. (Google ist dagegen übrigens vergleichsweise moderat bewertet.)

Facebook erzielt aktuell 82 Prozent seines Umsatzes mit Werbung. Das meiste davon kommt aus jenen Anzeigenplätzen, die man auf der rechten Seite des Facebook-Profils zu sehen bekommt. Ein weiterer Teil der Einnahmen kommt aus dem Segment "sozialer Anzeigen" – hier verspricht Facebook, dass Firmen eine Art persönliches Verhältnis zu Nutzern aufbauen können. (General Motors hat sich kürzlich entschieden, hier nicht mehr zuzugreifen und 10 Millionen Dollar [5] gespart.)

Facebooks Reaktion auf die Kritik: vergesst die Kritiker! Die Argumentation: Natürlich stellen diese Billiganzeigen einen Großteil unserer Umsätze dar und ja, umgerechnet auf die Einnahmen pro Nutzer gehen sie ziemlich konstant zurück. Aber dieses Zeug haben wir ja eigentlich gar nicht im Sinn. Wartet nur ab!

Die Realität sieht anders aus. Auf der einen Seite steckt Facebook in der gleichen Abwärtsspirale, die andere werbefinanzierte Internet-Medien kennen. Die Firma nimmt peinlich geringe 5 Dollar pro Kunde und Jahr ein, was sie kurz vor der "Huffington Post" und noch hinter der "New York Times" im Web platziert. (Hier ist ein kurzer Einschub interessant: Im traditionellen Printgeschäft der Zeitung ist ein Abonnent derzeit noch sage und schreibe 1000 Dollar im Jahr wert.)

Facebooks Geschäft wächst nur unter der auf Dauer unhaltbaren Voraussetzung, dass die Firma schneller neue Kunden gewinnen kann, als der Wert der einzelnen Kunden abnimmt. Dabei kommt das Unternehmen ganz schön ins Strampeln. Noch schlimmer: Das Szenario wird noch viel problematischer, wenn man sich klarmacht, dass immer mehr Nutzer mittels Smartphone auf Facebook zugreifen. Dort ist es noch schwerer, gutes Geld mit Online-Werbung zu verdienen. (Facebook hat bis vor kurzem hier noch gar nicht schalten lassen.)

Andererseits tut Facebook so, als sei man ganz anders als der Rest der Web-Firmen. Erstens habe man enorm viele Nutzer, die auch noch sehr häufig vorbeischauen - 900 Millionen sind es bereits, in wenigen Jahren vielleicht zwei Milliarden. Außerdem ist Facebook durch und durch sozial angelegt.

Die Firma hat also durchaus etwas neu definiert. Nur was? Beziehungen? Die Medien? Kommunikation? Gemeinschaften? Irgendetwas Großes jedenfalls. Eigentlich gemeint damit ist die Tatsache, dass Facebook über soziale Aktivitäten im Netz mehr weiß als die meisten andere Unternehmen. Für Werbetreibende und Werbeagenturen sollen sich so "ganz neue Möglichkeiten" auftun.

Wenn man sie so ausdrückt, ist diese Definition allerdings kaum besser als das, was man früher im Dot-Com-Boom um die Jahrtausendwende herum von den vielen Börsenaspiranten behauptet hat. Allerdings gibt es zumindest eine Firma, die die Veränderungen im Werbemarkt für sich nutzen konnte: Google. Facebook könnte und sollte etwas Ähnliches gelingen, hoffen die Aktionäre. Das Problem: Ein solches Geschäftsmodell ist noch nicht abzusehen.

Google hat sich in den vergangenen zehn Jahren dagegen zu einem enorm effizienten System zum Schalten von Werbung entwickelt. Die Firma hat den Reklamemarkt total umgekrempelt und wurde so zum ultimativen Mittelsmann. Im eigenen Web-Angebot kontrolliert das Unternehmen den Bereich, in dem die meisten Internet-Nutzer nach etwas suchen; die Werbung landet direkt darüber (AdWords-Programm). Gleichzeitig ist Google auch eine der billigsten Möglichkeiten, auf anderen Seiten im Web zu werben (AdSense-Programm). Der Konzern ist kein Medienunternehmen im traditionellen Sinn, er ist ein Vermittler. Google muss nicht mehr langwierig an irgendwen irgendwelche Werbeplätze verkaufen wie sauer Bier. Wenn jemand eine Anzeige platzieren will, fragt er (oder sie) einfach bei Mr. Google an.

Facebook hofft nun, ebenso wie Google zu einem Vermittler zu werden, an dem die Weltwirtschaft nicht mehr vorbeikommt, wenn sie den Endkunden erreichen möchte. Facebook hat die Größe, die Plattform und die Marke, um das nächste Google zu werden, glauben Aktionäre.

Google hatte die große Idee bei seiner Gründung allerdings auch noch nicht. Die Suchmaschine entlehnte eines seiner Grundkonzepte vom Konkurrenten Overture, der mittlerweile zu Yahoo gehört. (Ein Patentverfahren samt außergerichtlicher Einigung folgte.) Nun hat Google aber alles Geld der Welt, um sich jede interessante Idee, die seine Größe, Plattform oder Marke optimieren könnte, einfach zu kaufen.

Facebook steht hier noch am Anfang. Natürlich: Daten sind im Überfluss vorhanden. Die Firma weiß so viel über so viele Menschen, wie kein Internet-Unternehmen zuvor. Das müsste sich doch zu Geld machen lassen, hoffen Facebook-Optimisten. Sie denken an ein ganz neues Vermarktungsmedium, an eine Marketing-Utopie. Firmen könnten dank Facebook schon vor der Kaufentscheidung wissen, was einen Kunden interessiert. Werber könnten diejenigen Freunde identifizieren und zu Reklamezwecken einsetzen, die für die Zielperson am einflussreichsten ist. "Wenn sie nur... Falls... Wenn sie...", heißt es in diesen Brainstorming-Sessions - und sie gehen oft datenschutztechnisch über das hinaus, was man heute für erträglich hält. Klar dabei ist nur: Facebook ist kein einfaches Werbemedium! Was da alles möglich wäre, wenn sie nur wollten!

Das Problem: Bislang ist Facebook diese alles verändernde Idee noch nicht gekommen. Entsprechend bleibt dem Netzwerk nichts anderes übrig, als in der gleichen Position zu verharren, in der andere werbefinanzierte Web-Firmen stecken. Statt eine Notwendigkeit für jeden Marketingmenschen zu sein, muss man die Schönheit der erreichbaren Zielgruppen wie ein dahergelaufener Internet-Unternehmer bei Mediaagenturen anbieten oder Anzeigen im Self-Service-Verfahren schalten lassen.

Und da wäre noch ein weiterer Punkt, der grübeln lässt. Facebook ist derzeit noch eine Firma voller Techniker, nicht voller Marketingleute. Würden Sie darauf wetten, dass von Nicht-Werbern die nächste große Werbeidee kommt?

Aus der Umsatzperspektive ist Facebook zwar schon längst ein Werbemedium und keine Technikfirma mehr. Um die hochgesteckten Erwartungen zu erfüllen, müsste dieser Verkauf schon sehr, sehr gut laufen. Die 100 Milliarden Dollar schwere Bewertung muss begründet sein, sonst stürzt die Aktie ab.

Das Wachstum der Nutzerschaft und die ständig zunehmenden Seitenabrufzahlen bedeuten, dass das Werbeinventar mittlerweile geradezu unendlich ist. Doch genau damit sinken wiederum die Preise. Die glasklare Mathematik dahinter sorgt für Bauschmerzen: Ohne revolutionäre Idee verlangsamt sich das Wachstum in einem ausgelaugten Markt. Das gilt für das Web und besonders für das Mobilgeschäft. Facebook ist, wenn es nicht aufpasst, bald kein zweites Google mehr, es ist ein Yahoo oder AOL.

Und das ist nicht alles: Bei der Herkulesaufgabe, das allgemeine Wachstum beizubehalten, werden die unvermeidlich sinkenden Facebook-Werbepreise auch den Rest des werbefinanzierten Web zur weiteren Verbilligung zwingen. Das geschieht heute schon: Die Kosten für 1000 Werbeeinblendungen gingen im letzten Quartal bei großen Websites um bis zu 25 Prozent zurück, während Facebook versuchte, selbst mehr Umsatz zu generieren, um sich für den Börsengang hübsch zu machen.

Sie sehen, wo das hinführt. Facebook verstopft einen schon verstopften Markt. Der Trugschluss, dass das Web in seiner aktuellen Verfassung ein profitables Werbemedium sein kann, wird evident. Der Crash wird kommen. Und Facebook, dieser Weltenveränderer, der eigentlich nur eine Werbe-Website ist, könnte das Auge des Sturms bilden. (bsc [6])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-1585126

Links in diesem Artikel:
[1] https://en.wikipedia.org/wiki/Michael_Wolff_%28journalist%29
[2] http://www.newser.com/
[3] https://en.wikipedia.org/wiki/Burn_Rate_%28book%29
[4] http://www.heise.de/ct/artikel/Die-Milliarden-Maschine-1574225.html
[5] http://www.heise.de/autos/artikel/Zeitung-GM-stoppt-Werbung-auf-Facebook-1576729.html
[6] mailto:bsc@heise.de