Internet-Nachhilfe für den Bundestag

Die Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" soll den Bundestag für das Internet-Zeitalter tauglich machen. Heute ist ihre konstituierende Sitzung.

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  • Lennart Oheim

Die Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" soll den Bundestag für das Internet-Zeitalter tauglich machen. Heute ist ihre konstituierende Sitzung.

Fehlendes technisches Verständnis, mangelndes Interesse oder Entscheidungen, die mit der Realität im Netz nichts zu tun haben – nur einige von vielen Vorwürfen, mit denen Politiker konfrontiert werden, wenn es um ihr Verhältnis zu den Herausforderungen des digitalen Zeitalters geht. Jetzt soll die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Deutschen Bundestages Abhilfe schaffen. Am 5. Mai trifft sie sich zu ihrer konstituierenden Sitzung.

„Ein Twitter-Account macht noch keinen guten Netzpolitiker.“ – Dieser Satz des SPD-Abgeordneten und Mitglieds der Internet-Enquete-Kommission Lars Klingbeil veranschaulicht das Dilemma, in dem viele Politiker aus Sicht der Internet-Community stecken: Die Veränderungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft durch Internet und Digitalisierung würden zwar wahrgenommen, aber Chancen und Risiken nicht verstanden. Es werde nicht agiert, sondern - mehr schlecht als recht – mit den überkommenen Methoden der analogen Welt reagiert. Konsequenzen seien Regelungen und Gesetze, die nicht immer den Anforderungen des Netzes und den Bedürfnissen der Netzgemeinde gerecht würden.

Um nun auch den Deutschen Bundestag Web 2.0-tauglich zu machen, wurde Anfang März 2010 die Internet-Enquete-Kommission eingesetzt. Das Internet sei nicht mehr nur eine technische Plattform, sondern entwickele sich zu einem integralen Bestandteil des Lebens vieler Menschen, heißt es dazu in dem gemeinsamen Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Aufgabe der aus 17 Bundestagsabgeordneten und 17 Sachverständigen bestehenden Kommission ist die Erarbeitung politischer Handlungsempfehlungen bis zur parlamentarischen Sommerpause 2012. Mindestens einmal pro Monat sollen Abgeordnete und Sachverständige in Arbeitsgruppen zusammen kommen. Das Themenspektrum umfasst unter anderem den Datenschutz, das Urheberrecht, den Verbraucherschutz bis hin zur Medienkompetenz und das E-Government.

Angesichts der umfangreichen Agenda ist die Spannung groß, was die Kommission tatsächlich zu leisten vermag. Wo wird sie Schwerpunkte setzen? Ist sie überhaupt in der Lage, jedes Themenfeld für sich angemessen und erschöpfend zu bearbeiten? Und welchen Einfluss kann sie auf den politischen Gestaltungsprozess nehmen? Die Abgeordneten, die in der Kommission vertreten sind, blicken dem Start der Kommission naturgemäß optimistisch entgegen. So sieht der FDP-Abgeordnete Manuel Höferlin mit der Kommission bereits ein neues Kapitel in der Netzpolitik aufgeschlagen, und Konstantin von Notz von den Grünen spricht gar von einem Neustart in der parlamentarischen Diskussion über die Anforderungen der digitalen Gesellschaft.

Die Piratenpartei, die sich im Zusammenhang mit der Diskussion um das Netzsperregesetz eines regen Zulaufs erfreut hat, sieht die Kommission dagegen als reine „Alibi-Veranstaltung“ und „Schwatzrunde“. Heiße „Interneteisen“ wie das „Abmahnungswesen“ oder der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag der Länder stünden gar nicht erst zur Diskussion. Wie überflüssig diese Kommission sei, zeige sich am Schicksal ihres Vorgängers aus den Jahren 1995 bis 1998. Wesentliche Papiere und Empfehlungen dieser Kommission, zum Beispiel zu Datenschutz und IT-Sicherheit, seien im federführenden Innenausschuss auch 12 Jahre danach noch nicht behandelt worden, so die Piratenpartei in einer Pressemitteilung. Letztlich handele es sich bei der Internet-Enquete nur um eine Symbolkommission, die geschaffen wurde, um der Bevölkerung ernsthaftes Interesse vorzugaukeln.

Alvar C.H. Freude, Mitbegründer des Arbeitskreises Internet und Zensur (AK Zensur), und von der SPD in die Kommission bestellter Sachverständiger, geht ebenfalls wenig euphorisch in die Beratungen, möchte aber auch die allgemeine Skepsis über die Durchschlagskraft von Enquete-Kommissionen nicht vorbehaltlos teilen. Von der Einrichtung der Kommission gehe zunächst einmal das wichtige Signal aus, dass Netzpolitik kein Nischendasein mehr fristen dürfe. Als langfristige Wirkung der Internet-Kommission erhofft er sich, dass netzaffine Abgeordnete quer durch die Fraktionen gemeinsam eine realitätsnähere Netzpolitik vorantreiben könnten. Vorher sei allerdings mit langwierigen Auseinandersetzungen zu rechnen. Allein die personelle Zusammensetzung der Kommission, in der mit Dieter Gorny der Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Musikindustrie e. V. und mit Bernhard Rohleder der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (BITKOM) vertreten seien, böte genügend Zündstoff für kontroverse Debatten. Was dabei letztlich neben einer Menge Papier an Verwertbarem herauskomme, bleibe abzuwarten: „Ich bin zwar guter Dinge, man sollte aber auch keine Wunder erwarten“, so Freude.

Ob die Kommission ihren hochgesteckten Zielen gerecht werden kann und über den Status eines reinen Debattierklubs hinaus kommt, wird sich frühestens nach dem ersten Zwischenbericht 2011 sagen lassen. Welche Fortschritte in den verschiedenen Arbeitskreisen gemacht werden, darüber kann sich jeder sein eigenes Bild machen: Um „Transparenz und Partizipation“ herzustellen, kann man die Arbeit der Kommission in Foren und Blogs auf einer eigens eingerichteten Website kritisch begleiten. (bsc)