Interview: Warum das E-Rezept jetzt noch nicht durchstartet

Das E-Rezept wurde schon mehrmals angekündigt und wieder auf Eis gelegt, doch langsam geht es voran, erklärt Reza Mazhari von der KV Niedersachsen.

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Attraktive Apothekerin sucht in Apotheke Medikamente zusammen

(Bild: Gorodenkoff/Shutterstock.com)

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Reza Mazhari

(Bild: KVN)

Erst kürzlich hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach versprochen, dass das E-Rezept bald durchstartet. Warum das noch eine Weile dauern wird, erklärt Reza Mazhari, der den Fachbereich eHealth und Digitalisierung in der Versorgung bei der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen leitet, im Gespräch mit heise online.

heise online: Kann ich jetzt zum Arzt und ein komplett digitales Rezept erhalten?

Mazhari: Aktuell erhalten Patienten nicht ohne weiteres ein E-Rezept. Die technischen Voraussetzungen sind in einigen Fällen noch nicht gegeben. In der gesamten Lieferkette eines E-Rezepts bestehen noch Defizite. Beispielsweise sind noch nicht alle Praxisverwaltungssysteme für das E-Rezept gewappnet, einigen Apotheken fehlen noch Kartenlesegeräte für die elektronische Gesundheitskarte und viele Praxen sind ebenfalls noch nicht genug informiert. Aber mit der Möglichkeit, E-Rezepte ab dem 1. Juli über die elektronische Gesundheitskarte einzulösen, geht es allmählich voran.
Auf dem Markt gibt es verschiedene Praxisverwaltungssysteme (PVS) in unterschiedlicher Qualität. Mit diesen können Ärzte ihren Patienten beispielsweise E-Rezepte ausstellen. Aktuell sind die Systeme unterschiedlich ausgereift. Wir sprechen da von einer heterogenen PVS-Landschaft: Es gibt Praxisverwaltungssysteme mit hohen Installationszahlen, aber auch ganz kleine Anbieter mit wenigen Installationszahlen. Zwar ist der größte Teil der PVSen mit dem E-Rezept-Modul ausgestattet, aber noch nicht alle. Hinzu kommen noch andere Faktoren, etwa ob Ärzte einen aktivierten elektronischen Heilberufeausweis (eHBA) haben und somit die qualifizierte elektronische Signatur verwenden können. Zwar hat die Mehrheit der Ärzte einen eHBA, aber das bedeutet nicht zwangsläufig, dass dieser auch aktiviert ist.

Es gibt bekanntlich viele Wege, das E-Rezept einzulösen. Welche dieser Wege sind denn offiziell?

Möglich waren bis jetzt tatsächlich drei Wege. Die neue eGK Lösung, die E-Rezept-App und der Ausdruck. Zukünftig kommen dann die Apps der Krankenkassen hinzu. Einige PVS Hersteller haben zudem ihre eigene Patientenapps. Da herrschte bislang Unsicherheit bezüglich der Zulässigkeit. Das Digitalgesetz (DigiG) soll da Klarheit schaffen.

Bieten die Krankenkassen denn inzwischen auch die Möglichkeit an, das E-Rezept über die elektronische Gesundheitskarte einzulösen? Dass das mit dem E-Rezept über die eGK klappt, war ja eine der Bedingungen dafür, dass die Ärzte sich wieder aktiv am Rollout des E-Rezepts beteiligen.

Mit den meisten Krankenkassen funktioniert das bereits, am dritten Juli werden noch einige wenige nachziehen. Allerdings ist auch wichtig, dass die Krankenkassen ihre Versicherten über das E-Rezept informieren. Ärzte, aber auch Apotheker haben nicht die Zeit, den Versicherten noch die Funktionsweise zu erklären, gerade wenn viel Betrieb in den Praxen oder Apotheken ist.

Wird die eGK-Lösung Ende Juli funktionieren?

Ich sehe viele Akteure in der Pflicht, mit der Aufklärung weiterzumachen. Wir sollten jetzt weg von dem typischen Fingerpointing, hin zu einer konstruktiven gemeinsamen Digitalisierung. Dabei müssen die Krankenkassen ihre Versicherten informieren und die Kassenärztlichen Vereinigungen die Ärzte. Dann kann die eGK-Lösung für das E-Rezept funktionieren, allerdings nicht – wie von vielen suggeriert – von heute auf morgen.

Was erwarten Sie von der Politik?

Von der Politik erwarte ich auch Flexibilität, wenn manche Dinge nicht funktionieren. Es sollte keine Sanktionen gegenüber Ärzten geben, deren IT noch nicht funktioniert. Menschen mit Sanktionen zu motivieren, klappt nicht. Ärzte sind gegenüber der Digitalisierung eigentlich positiv eingestellt. Leistungserbringer – Ärzte, Apotheker und weitere – sollten vor allem nicht unter schlecht konzipierten Lösungen leiden. Ärzte sollten nicht denken "bevor ich zehnmal klicke und ein E-Rezept ausstelle, stelle ich lieber ein herkömmliches Muster-16-Rezept aus".

Sieht der Referentenentwurf für das Digitalgesetz nicht eine Verbesserung der Nutzerfreundlichkeit vor?

Genau, das möchte man dort auch verbessern. In meinen Augen kommt das allerdings etwas spät. Die Industrie hat ja auch nicht von heute auf morgen alles fertig. Die Hersteller müssen viele Anforderungen erfüllen und gleichzeitig ist die Gesundheits-IT auch vom Fachkräftemangel betroffen. Viele Ärzte sagen auch, "wenn die Digitalisierung in der Form ist, in der wir sie gerne hätten, nutzen wir sie auch". Was gut durchdacht ist und sich bewährt hat, das bleibt auch. Anreize sind effektiver als Sanktionen, die müssten nicht einmal finanzieller Natur sein. Ein überlegter Mix aus guter Umsetzung und Machbarkeit in der Praxis würde reichen. Das fehlt noch. Das ist auch, was mir aktuell Sorgen bereitet.

Was wäre Ihrer Ansicht ein erster Schritt?

Ich würde mir wünschen, dass die Politik auch öfter mal daran festhält, was sie von vornherein kommuniziert. Die Kommunikation verläuft oft sehr unglücklich. Ein gutes Beispiel ist die Ankündigung von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach, das E-Rezept würde ab dem 1. Juli durchstarten. Damit meinte er allerdings nur, dass die Lösung, das E-Rezept über die elektronische Gesundheitskarte einzulösen, funktionieren wird und auch das ist eher Ende Juli wahrscheinlich.

Sehen Sie eine Gefahr darin, wenn es Störungen oder Ausfälle der Telematikinfrastruktur, dem Gesundheitsnetz, gibt?

Beim E-Rezept ist das besser gelöst als bei der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU), nämlich dass man das jahrelang bekannte Muster 16 beibehält. Bei der eAU ist das Muster 1, also der gelbe Schein, komplett weggefallen. Wer bei einem TI-Ausfall ein Rezept benötigt, erhält das über das Muster-16-Formular, das dann auch händisch ausgefüllt werden kann. Für noch nicht flächendeckend angeschlossene Bereiche, etwa Heimbesuche bei der Pflege, macht das E-Rezept beispielsweise noch keinen Sinn.

Wann denken Sie, wird das E-Rezept so richtig durchstarten?

Also meine Prognose ist, dass wir bis Ende 2024 so weit sind, dass wir von einer geregelten E-Rezept-Ausstellung sprechen können. Das E-Rezept wird damit die erste Anwendung der Telematikinfrastruktur sein, die viele Änderungen im Praxisablauf mit sich bringt, aber gleichzeitig das größte Potenzial hat, Zeit zu ersparen und bei einer guten Umsetzung tatsächlich auch die Versorgung verbessern kann. Mehr Potenzial sehe ich, wenn das E-Rezept in die elektronische Patientenakte integriert wird und Versicherte eine App für alles haben.

(mack)