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Interview mit Debians Projektleiter Steve McIntyre

| Alexandra Kleijn

Heise open spricht mit Debian-Projektleiter Steve McIntyre über den Release-Zyklus, die Zielgruppe von Debian und über die Zusammenarbeit innerhalb der Distribution und mit anderen Projekten.

Steve McIntyre

Steve McIntyre

(Bild: http://www.einval.com)

heise open: Steve, stell dich doch bitte in ein paar Sätzen vor. Was machst du und wie bist du zu Debian [1] gekommen?

Steve McIntyre Ich bin 34 Jahre alt und lebe in Cambridge in England. Nach meinem Studium der Ingenieurwissenschaften an der Uni hier habe ich mir hier einen Job gesucht, weil es mir in Cambridge einfach gut gefällt. Ich arbeite als Software-Entwickler für Amino Communications und meine Freizeit widme ich Debian. Ich habe noch keine Familie, dafür ein Haus voller Computer ;-)

Mit freier Software kam ich 1993, in der Anfangszeit meines Studiums, in Berührung und ich fand es toll. Meine erste GNU/Linux-Distribution war Slackware [2]. Ein paar Jahre später machten Studienfreunde mich auf Debian aufmerksam. Ich installierte das System und fing eigentlich sofort an, mitzuarbeiten. Seitdem bin ich dabei.

heise open: Lenny, Debian GNU/Linux 5.0, wurde Mitte Februar freigegeben [3]. Debian hat eine Tradition von sehr langen Release-Zyklen, wenn man das mit anderen Distributionen vergleicht. "Release when ready" ist das Motto. Wird sich das in nächster Zukunft ändern?

Steve McIntyre Gewissermaßen hat sich dieses Prinzip bereits geändert. Früher nannten wir gar keine potentiellen Release-Datums. Wir gaben neue Versionen einfach frei, wenn wir bestimmte Ziele erreicht hatten, egal wie lange das dauerte. Für die beiden letzten Release-Zyklen haben wir versucht, ein Zeitfenster zu setzen (18 bis 24 Monate nach dem letzten Release) mit einigen Zielen, die wir bis dahin erreichen wollten. In beiden Fällen, sowohl bei Etch als auch bei Lenny, hat das geklappt. Sie erschienen jeweils nach 22 Monaten. Natürlich wäre es schön, etwas mehr in die Nähe der 18 Monate zu kommen, aber zu garantieren, dass das gelingt, ist schwierig. Wir arbeiten ja alle ehrenamtlich an dem Projekt.

Die Zeit zwischen den Releases, also die anderthalb bis zwei Jahre, ist einfach ein Kompromiss. Sie ist kurz genug, dass die Leute Debian auf ihrer Hardware installieren und benutzen können. Dabei helfen die die "halben" Updates mit einem neuen Kernel und mit aktuellen Grafiktreibern. Andererseits sind 18 bis 24 Monate für Anwender, die Debian auf ihrem Server installieren wollen und ihr System nicht ständig auf eine neue Version aktualisieren möchten, auch lang genug, denke ich. Häufigere Releases über den gleichen Zeitraum zu unterstützen wäre für uns wegen der vielen Arbeit nicht wirklich machbar.

Eines wird sich allerdings nicht ändern: Wenn sich größere Probleme ergeben, die bedeuten, dass wir Bedenken bei einem angepeilten Release-Termin haben, dann werden wir die neue Version nicht veröffentlichen, bevor wir die Probleme in den Griff bekommen haben.

heise open: Für wen ist Debian? Gibt es eine bestimmte Zielgruppe?

Steve McIntyre Das ist einfach: für alle! :-) Leute haben Debian auf allen möglichen Systemen am Laufen: Auf Smartphones und anderen Embedded-Geräten, auf Desktops und Laptops, auf Webservern und Fileservern und auf Rechen-Clustern für wissenschaftliche Berechnungen. Der aktuelle Debian-Installer ist einfach zu benutzen und dabei flexibel und leistungsfähig. Die enorme Menge an Paketen bedeutet zudem, dass fast jedes Stück Software, das ein Benutzer einsetzen möchte, als Debian-Paket vorliegt und sich also ganz leicht installieren lässt.

heise open: Ist es für Debian als Distribution ohne eine Firma im Rücken schwieriger, den Weg in Unternehmen zu finden, als zum Beispiel für Red Hat oder Suse?

Steve McIntyre Im Prinzip schon. Es hängt ein bißchen von der Sorte Unternehmen ab. Manche möchten ihre Server gerne mit vorinstalliertem Linux als Komplettsystem bei ihrem Hardware-Lieferanten kaufen. Und tatsächlich haben die meisten großen Hersteller Abkommen mit den großen kommerziellen Linux-Distributoren. Da rein zu kommen, ist für uns schwierig.

Es gibt aber auch genügend Firmen, die selbst Hand anlegen wollen und auch das Know-how dazu besitzen. Viele größere Unternehmen und Behörden haben Debian so installiert, darunter einige Schwergewichte wie die Stadtverwaltung München [4]. Weil unsere Entwicklung offen ist, können sie sehen, was unsere Pläne sind und diese ein Stück weit beinflussen, indem sie sich beteiligen. Support dürfte übrigens kein Problem sein: Eine beträchtliche Anzahl Beratungsfirmen und IT-Consultants sind in der Lage, Unternehmen bei jeglichen Einsatzfragen oder -problemen zu unterstützen.

heise open: Was wäre ein guter Grund, Debian gegenüber zum Beispiel Fedora oder Opensuse auf dem Desktop den Vorzug zu geben?

Steve McIntyre Von allen Distributionen hat Debian das größte Entwicklerteam, was uns einige wichtige Vorteile bringt. Wir haben mehr Programmpakete in unseren Repositories, bieten also mehr Software an, und können (im Prinzip) besseren Support dafür leisten als die anderen. Wenn es jedoch um Standardanwendungen geht, also um die Sachen, die fast alle Anwender einsetzen, nehmen sich die verschiedenen Distributionen nicht viel.

Manche Desktop-Anwender mögen es, mit den allerneuesten Versionen von allen möglichen Anwendungen herumzuspielen. Mit unseren stabilen Releases geht es uns aber in erster Linie darum, den Leuten zuverlässige und aufeinander abgestimmte Pakete anzubieten, die auch nach längerer Zeit noch funktionieren. Das heißt aber nicht, dass wir keine aktuelle Software anbieten. In den Testing- und Unstable-Repositories findet man alles, was das Herz begehrt. Dadurch haben Debian-Anwender also noch mehr Auswahl.

heise open: Kannst du Debians Beziehung zu Ubuntu beschreiben?

Steve McIntyre Ubuntu ist eine aus einer ganzen Reihe von Distributionen, die von Debian abgeleitet sind. Das ist die einfache Antwort ;-) Natürlich gibt es viel mehr zu dem Thema zu sagen. Die Ubuntu-Leute haben sich in relativ kurzer Zeit einen Namen gemacht und eine große Anwender-Basis um sich versammelt. Sie haben das geschafft, indem sie auf Debians riesige Software-Basis aufgesetzt und die Themen angepackt haben, für die Debian nicht alle Antworten hat. Sie bezahlen zum Beispiel Leute dafür, dass sie die neuesten Laptops mit Ubuntu testen und unterstützen. Für viele Anwender ist das toll, denn das nimmt ihnen viel Mühe und Arbeit ab.

Die Beziehung zwischen den beiden Distributionen variiert enorm von Person zu Person und von Team zu Team. In machen Fällen arbeiten die Entwickler eng zusammen, in anderen passiert das weniger. Ich selbst betrachte viele Ubuntu-Entwickler als gute Freunde, ich kenne sie schon seit Jahren. Mark Shuttleworth und ich reden regelmäßig über Themen, die beide Distributionen betreffen, und wir überlegen, wie wir enger zusammenarbeiten können. Unter den Debian-Entwicklern gibt es aber durchaus auch andere Meinungen zu Ubuntu: Manche finden – das ist kein Geheimnis –, dass Ubuntu von Debian profitiert und nicht genug zurückgibt. Andere sind vielleicht etwas eifersüchtig auf den Erfolg von Ubuntu, und das ist verständlich.

Persönlich finde ich es toll, dass unsere Arbeit von mehr und mehr Leuten genutzt wird. Ob nun "Debian" oder "Ubuntu" auf der Verpackung steht, finde ich nicht so wichtig. Natürlich bedeuten die freien Lizenzen, unter die wir unser Werk stellen, dass Ubuntu und andere Distributionen so viel von unserem System "stehlen" können, wie sie wollen, aber genau darum geht es ja bei diesen Lizenzen! Wenn es Ubuntu schafft, mehr Anwender davon zu überzeugen, mal etwas anderes als Windows zu probieren, dann sehe ich das als ein Gewinn für die ganze Freie-Software-Welt. Es ist kein Alles-oder-Nichts-Spiel. Außerdem: wenn Leute einmal Linux benutzen, können wir sie dazu ermutigen, einen Blick weiter "upstream" zu werfen und Debian zu benutzen ;-)

heise open: Hältst du es für eine gute Idee, wenn die großen Distributionen enger zusammenarbeiten? Wo siehst du hier Möglichkeiten?

Steve McIntyre Auf jeden Fall. In der Praxis tun wir das bereits auf vielen Gebieten. Einige Beispiele: Die Security-Teams aller bekannten Distributionen tauschen nicht nur Informationen, sondern häufig auch Patches für das Schließen von Sicherheitslücken aus. Auch arbeiten Entwickler über Distributionsgrenzen hinweg an Ideen, wie man die immer größere Zahl an Spielen paketieren könnte. Einige von unseren Teams überlegen, wie sie besser mit Upstream-Entwicklerteams zusammenarbeiten können, um so das Erstellen von Paketen einfacher zu machen. Im Moment passiert hier ziemlich viel, so viel, dass ich nicht über alles den Überblick haben kann :-)

heise open: Das Debian-Projekt hat mehr als tausend Entwickler. Wie trefft ihr Entscheidungen?

Steve McIntyre Die allermeisten Entscheidungen treffen Entwicklern selbständig. Das ist ein wichtiges Prinzip. Es macht möglich, dass eine so große Zahl an Leuten effektiv und ohne Engpässe zusammenarbeiten: Den größten Teil der täglichen Arbeit machen die Leute, ohne dass sie andere zu Rate ziehen müssen.

Wenn größere Entscheidungen anstehen – und das kommt gar nicht so häufig vor –, machen wir eine offizielle Abstimmung, die vom Debian-Sekretär organisiert wird. Wir benutzen dafür ein System von PGP-verschlüsselten E-Mails, Condorcet [5]. Die augenfälligste Entscheidung ist die jährliche Wahl des Projektleiters. In letzter Zeit gab es jedoch auch ein paar andere wichtige und umstrittene Themen, über die wir entscheiden mussten. So waren da die Fragen, ob wir Lenny mit proprietären Firmware-Dateien [6] ausliefern wollen, und wie wir die Leistungen unsererer Community besser anerkennen können. Einen Einblick in solche Prozesse gibt auch unsere Voting-Seite [7].

heise open: Kannst Du etwas über die Bestandsaufnahme der Debian-Teams erzählen, die Du durchgeführt hast?

Steve McIntyre Vor einiger Zeit habe ich eine Fragenliste an einen großen Teil der Projektteams geschickt. Darin bat ich Leute um Feedback zu einer Reihe von Themen. Zum Beispiel wollte ich wissen, in wie vielen Teams sie sich engagierten, wie diese Teams arbeiteten und wo sie Probleme sahen. Viele der Entwickler gaben eine Rückmeldung und versorgten mich mit so viel Informationen, dass ich Wochen gebraucht habe, mich durchzuarbeiten :-)

Ziel der Umfrage war es, herauszufinden, wo ich als Projektleiter unterstützen konnte; entweder durch das Lösen von Konflikten, durch Lob oder durch das Dazuholen von neuen Leuten. Einige der Kernteams hatten dringend Bedarf an Leuten. Mit ihnen habe ich zusammengearbeitet, um die Teams zu erweitern und das Arbeitspensum besser zu verteilen. Wir haben viel frisches Blut bekommen, eine gute Sache.

Ich muss gestehen, dass ich mit dieser Arbeit noch nicht fertig bin. Es gibt immer noch einige Stellen, wo ich mich einbringen möchte. In letzter Zeit habe ich mich auch etwas zurückgehalten, weil ich so kurz vor der Freigabe von Lenny nicht für Unruhe sorgen wollte. Jetzt habe ich jedoch wieder etwas mehr Spielraum.

Ich gehe davon aus, dass wir solche Bestandsaufnahmen in Zukunft regelmäßig machen und Leute nach ihrer Meinung fragen werden. Sonst ist es schwierig herauszufinden, wo es Probleme gibt und wo Leute demotiviert werden. Ich möchte so viel wie möglich von diesen Problemen lösen. Die Leute sollen Spaß an ihrer Mitarbeit bei Debian haben.

heise open: Das Ende Deines Jahres als Projektleiter naht [8]. Zu Deinen Prioritäten gehörte das Verbessern der Kommunikation innerhalb des Projekts. Ist das gelungen?

Steve McIntyre Ja, gewissenmaßen schon. Viele der Kernteams haben jetzt genug Leute, sodass sie ihre Arbeit machen können und anderen darüber erzählen können. Das war eines der größeren Probleme, die wir hatten. Perfekt sind wir natürlich noch nicht und ich denke auch, dass das ein Thema ist, das nie ganz gelöst werden kann. Trotzdem freue ich mich über die Fortschritte, die wir hier gemacht haben. Nichts steigert die Moral und das Interesse an dem Projekt mehr als Leute, die ihre tollen Ideen mit anderen teilen und dem Rest der Welt erzählen, woran sie arbeiten. Gut sichtbare Arbeit sorgt für mehr Entwickler :-)

heise open: Im Dezember hat Manoj Srivastava seinen Posten als Projekt-Sekretär im Trubel [9] um die Wahlen zum Umgang mit proprietärer Firmware niedergelegt. Inzwischen ist Kurt Roeckx als sein Nachfolger [10] angetreten. Wird Binär-Firmware in Debian Einzug halten?

Steve McIntyre Kurt Roeckx war einer von denen, die sich für den Job angeboten hatten und ich habe ihm die Stelle gern gegeben. Neil McGovern wird ihm als Assistent weiterhin zur Seite stehen. Er kennt den Job und sollte bei kommenden Wahlen wertvolle Hilfe leisten können.

Als Ergebnis der letzten Abstimmung [11] haben wir bereits einige binäre Firmware in Debian. Es gibt einige Fälle, wo wir nicht ganz sicher sind, ob die Firmware mit Quellcode ausgeliefert werden soll. So lange das nicht geklärt ist, haben wir einige dieser Pakete erstmal einfach mit aufgenommen. Das Thema ist noch in der Diskussion. Ich erwarte also, dass hier in den kommenden Monaten noch was passiert. Selbst würde ich es bevorzugen, wenn wir für einige dieser Fälle in unserem Archiv eine extra Firmware-Sektion einrichten würden, aber ich entscheide ja nicht alleine... :-)

heise open: Wenn Du nach fast einem Jahr als Projekleiter zurückblickst: Auf welche Bereiche sollte Debian seinen Fokus in naher Zukunft besonders richten?

Steve McIntyre Die wichtigsten Themen für mich sind im Moment genau die zwei, über die wir in letzter Zeit abgestimmt haben: Firmware und der Status der Leute, die zum Debian-Projekt beitragen. Wir werden weiter an unserer Kommunikation arbeiten (*grins*), und ich würde gern die gesamte Debian-Familie dazu anspornen, intensiver zusammenzuarbeiten. Es gibt inzwischen einige Dutzende Distributionen, die auf Debian aufsetzen. Ich fände es schön, wenn mehr von diesen Entwicklern direkt bei Debian mitarbeiten würden, sodass wir alle von ihren Verbesserungen profitieren. (akl [12]) (akl [13])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-221731

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.debian.org
[2] http://www.slackware.org/
[3] https://www.heise.de/news/Debian-5-0-erschienen-195798.html
[4] https://www.heise.de/news/Muenchner-Linux-Migration-bleibt-auf-Kurs-188657.html
[5] http://en.wikipedia.org/wiki/Condorcet_method
[6] https://www.heise.de/news/Der-Weg-ist-frei-fuer-Debian-5-193216.html
[7] http://www.debian.org/vote/
[8] https://www.heise.de/news/Debian-sucht-neuen-Projektleiter-202528.html
[9] https://www.heise.de/news/aerger-um-die-Wahlen-bei-Debian-191292.html
[10] https://www.heise.de/news/Kurt-Roeckx-ist-neuer-Debian-Sekretaer-199662.html
[11] https://www.heise.de/news/Der-Weg-ist-frei-fuer-Debian-5-193216.html
[12] mailto:akl@heiseopen.de
[13] mailto:akl@ix.de