JBoss: Der Spezialist für Open-Source-Middleware

Auf über 200.000 Mal Downloads pro Monat bringen es die in der JBoss Enterprise Middleware Suite (JEMS) zusammengefassten Open-Source-Produkte rund um den JBoss Application Server. Jetzt ist das Unternehmen unter das Dach von Red Hat geschlüpft.

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Von
  • Ulrike Ostler
Inhaltsverzeichnis

Zwei Jahre, nachdem Marc Fleury 1999 seinen JBoss Application Server als Open Source veröffentlichte, gründete er die JBoss Group LLC, aus der schließlich 2004 JBoss Inc. wurde. Zunächst verkaufte die Firma Dokumentation zur Software – rund 500.000 Mal, für 10 US-Dollar das Stück. Dann erweiterte das Unternehmen sein Angebot um technischen Support; die Software blieb weiterhin Open Source.

Heute macht man 80 Prozent des Umsatzes mit Support, Beratungs-Services sowie Schulungen und Zertifizierungen. Das Unternehmen hat 180 Mitarbeiter und 700 Support-Kunden. Die zwei Hauptsitze liegen in Atlanta, Georgia, und Neuchâtel in der Schweiz. Zweigstellen gibt es in London, Berlin, Austin, Texas, und Bangalore, Indien. Deutschland, verrät Sacha Labourey, Chief Technology Officer und Geschäftsführer JBoss Europe, sei einer der wichtigsten Absatz- beziehungsweise Download-Märkte.

Inzwischen hat JBoss seine Produktpalette weit über den Ausgangspunkt – den JBoss Application Server – hinaus erweitert. Ziel der Produktentwicklung ist ein kompletter Middleware-Stack zur Entwicklung komplexer Web-Anwendungen; die JBoss Enterprise Middleware Suite (JEMS) soll die Open-Source-Plattform für Service-orientierte Architekturen (SOA) werden und Hersteller wie IBM und Oracle, vor allem aber BEA das Fürchten lehren.

Im Frühjahr 2006 präsentierte man ein ganzes Feuerwerk neuer Produkte, die die JEMS erweitern sollen: Erst eine neue Messaging-Plattform, kompatibel zum Java Message Service und zu JBossMQ, die Teil des kommenden JBoss Application Server 5.0 werden soll, sowie ein neuer Webserver auf Basis von Apache Tomcat, der Java Server Pages, Java-Servlets, Microsofts ASP.Net, PHP- und CGI-Skripte servieren soll; wenige Tage später einen Transaktionsmonitor und JBoss Rules zur Implementierung regelbasierter Entscheidungsmechanismen in serviceorientierter Architekturen (SOA).

Richard Monson-Haefel, Senior Analyst bei der technisch versierten Burton Group, ist dennoch skeptisch. JBoss steche hervor, wenn es um Middleware out of the box gehe: der Webserver Apache, der JBoss Application Server, das Persistenzframework Hibernate. Nun aber versuche das Unternehmen auf dem Gebiet mitzuhalten, auf dem Oracle und IBM viel Erfahrung und Vorsprung haben: "All die zusätzlichen Werkzeuge – ich weiß nicht, ob das funktioniert", fragt er sich. Zudem sei SOA ein Hype und zum Teil viel zu hoch aufgehängt. Aber schließlich sei Open Source immer schon eine gute Testgrundlage für neue Ideen und die Entwicklung schreite oftmals schneller voran als im kommerziellen Umfeld. "Wer weiß?" überlegt der Burton-Group-Spezialist laut, "Immerhin kam JBoss aus dem Nichts und übernahm schon einmal einen Markt."

Und hierfür hat JBoss einen starken Partner gefunden. Kaum hatte man die Komplettierung der Enterprise Middleware Suite verkündet, schlug Open-Source-Spezialist Red Hat zu und übernahm Anfang April 2006 das Unternehmen für mindestens 350 Millionen US-Dollar. Kommt dort zusammen, was zusammengehört? Beide Firmen setzen auf Open Source als Modell für die Softwareentwicklung und verfolgen ein ähnliches Business-Modell: Die Software selbst ist kostenlos, Geld bringen Support- und Service-Abonnements. Das JBoss Operation Network und das Red Hat Network beispielsweise sind sich recht ähnlich, was die angebotenen Services und Support-Maßnahmen – Updates, Security-Patches, Management – angeht. Und in Red Hats eigenen Software-Stacks für Webanwendungen fehlte bislang die Middleware, auf die sich die JEMS konzentiert. Vor Red Hat hatten bereits IBM und Oracle Interesse an JBoss gezeigt.

Was immer der Grund für JBoss gewesen ist, sich auf das Angebot von Red Hat einzulassen: Geldnöte dürften es nicht gewesen sein. Laut Labourey hat sich der Umsatz 2005 gegenüber dem Vorjahr verdoppelt, ein Wachstum, das sich in diesem Jahr fortsetzen soll. Unterm Strich bedeute das eine schwarze Null und reichlich Cash. Im Jahr 2004 erhielt JBoss zudem Venture Capital in Höhe von 10 Millionen Dollar von drei verschiedenen Kapitalgebern: Intel Capital, Matrix Partners und Accel Partners.

Einer der Vorzeigekunden von JBoss ist die Norisbank AG, Nürnberg. Die Geschichte der JBoss-Einführung ist ein schönes Beispiel dafür, wie Open Source ein Unternehmen erobern kann – letztlich zum Vorteil der Firma.

Wenn Willy Düster, Leiter Informationstechnologie bei der Norisbank und sein Software-Enwicklungs-Leiter J2EE, Francis Pouatcha, über den Einsatz von JBoss-Tools in ihrem Unternehmen erzählen, geraten sie geradezu ins Schwärmen. Sie nutzen Ausdrücke wie "Null BEA!" oder "Strom-Modell", wenn sie die Verbreitung der Open-Source-Software beschreiben. Denn JBoss-Technik bildet nicht nur einen wesentlichen Bestandteil kleiner Anwendungen, sondern ist auch wesentliche Grundlage des bekanntesten Produkts der Nünerberger Bank: "easyCredit".

Doch das war nicht von Anfang an so. Als die Ratenkreditanwendung Anfang 2000 eingeführt wurde, erledigten externe Partner die Software-Entwicklung nach den Vorgaben der Bank. Die eigene IT-Mannschaft bestand aus drei Mitarbeitern, erinnert sich Pouatcha, als das Finanzhaus im September 2003 von der HypoVereinsbank an die DZ Bank AG ging, die Zentralbank der Volksbanken und Raiffeisenbanken (V+R-Banken). Da das Geldhaus die Aufgabe bekam, die V+R-Banken mit spezialisierten Diensten und Produkten zu unterstützen, entschied sich das Management für ein Insourcing des IT-Know-how.

Das war offensichtlich keine Fehlentscheidung. Heute wird die Kreditanwendung easyCredit von rund 900 Partnerbanken mit rund 11.000 Vertriebsstellen und 32.000 Filialmitarbeitern genutzt. Ein solcher Umfang wäre fachlich und technisch mit dem im Jahr 2000 entworfenen Produkt unmöglich gewesen, fand die Bank durch eine Simulation der Geschäftsprozesse heraus.

Als die Nürnberger von der DZ Bank adoptiert wurden, mussten recht schnell neue Anwendungen her. J2EE galt bereits als strategische Plattform und erste Projekte mit dem Open-Source-HTTP-Server Tomcat liefen. Auch Application Server gab es schon: Weblogic von BEA Systems. Doch Investitionsentscheidungen in der neu gegründeten Familie waren vergleichsweise umständlich und dauerten. JBoss war kostenlos und vor allem sofort durch Download verfügbar, sodass keine neuen Lizenzen irgendeines Applikations-Server beschafft werden mussten. "Investieren bevor Investitionsentscheidungen fallen – das geht eben einfach nicht", schmunzelt Pouatcha.

So wurde der JBoss Applikations-Server wie in vielen Fällen zunächst in der Entwicklungsumgebung genutzt und hier erwies sich das System als leistungsfähig. Der Entwicklungsleiter hebt insbesondere die instanzenbasierte Zugriffskontrolle und Mandantenfähigkeit hervor, die sich mit dem Server umsetzen ließ.

Doch für das Management waren darüber hinaus Support und Wartung der Plattform entscheidend. Da kam es zupass, dass JBoss den gesamten Applikations-Lebenszyklus unterstützten will. Zum Beispiel offeriert das Unternehmen mit dem JBoss Operation Network (ON) eine Management- und Monitoring-Plattform, die IT-Abteilungen nutzen können, um Updates und Patches einzuspielen, die Performance zu kontrollieren und Hilfe etwa beim Starten und Stoppen von Applikationen zu erhalten.

"Bedeutsam war und ist aber auch", so IT-Leiter Düster, "dass wir dank JBoss 'Beauty-Contests' durchführen können." Darunter versteht er den Wettbewerb zumeist junger Unternehmen, die sich darum bemühen, einzelne Funktionsblöcke der von der Norisbank-IT definierten Geschäftsprozesse zu entwickeln. "Wir nutzen ein modulartiges Design und schreiben einzelne Funktionsblöcke aus", sagt der IT-Chef, "und schauen dann, was die Firmen daraus machen."

Ein solches Vorgehen sei nur möglich, wenn der Markt genügend Ressourcen und Kompetenz hergebe. In einem vergleichsweise geschlossenen Umfeld, wie es mit IBM, BEA und Oracle-Produkten einhergehe, seien solche Beauty-Contests geradezu ausgeschlossen, argumentiert auch Entwicklungsleiter Pouatcha. Doch der JBoss-Applikations-Server und die JBoss-Community orientiere sich strikt an Standards, sodass der Markt genügend Potenzial offeriere. um ein verteiltes, modulares Entwickeln zu erlauben.

Bei der Norisbank gipfelt diese Sichtweise in dem Strom-Modell, wie IT-Leiter Düster das Hosting der JBoss-basierten Anwendungen nennt. "Wir übergeben dem Rechenzentrum, einem Dienstleister quasi eine Black-Box", erläutert er. Der Provider müsse sich dank Standards um weniger Parameter kümmern. Dank Open-Source fielen auch Lizenzfragen flach. "Und wir zahlen nur Betriebswirtschaft". Schließlich habe für JBoss gesprochen, dass mit einer höheren Qualität zu rechnen war, erläutern Düster und Pouatcha. Bei BEA und anderen Anbietern kommerzieller Produkte landeten die Fehler auf einer Offenen-Posten-Liste und würden, wenn überhaupt, mit einem nächsten Release behoben. Hingegen arbeitet die Open-Source-Community fehlergetrieben. Fehler in der Software würden aufmerksamer verfolgt sowie schneller und gründlicher bereinigt.

Letztlich sprachen auch für die Geschäftsleitung der Norisbank so viele Gründe für JBoss, dass sie eine strategische Entscheidung zugunsten der Open-Source-Plattform fällten – zu Lasten der kommerziellen Konkurrenz von BEA. "Seither heißt es bei uns: Null Bea", sagt Düster.

Laut JBoss-CTO Labourey fallen in Migrationsprojekten meistens BEA-Applikations-Server der JBoss-Einführung zum Opfer. Analyst Monson-Haefel bestätigt diese Behauptung. Der Grund liegt seiner Ansicht nach darin, dass sich Applikations-Server in ihrem Funktionsumfang kaum noch unterscheiden. "Alles ein Abwasch", sagt er. Oracle und IBM aber können eine Menge Tools darauf satteln und diverse Pakete schnüren. BEA habe hier noch immer einen Nachholbedarf; der Anbieter werde eben als Hersteller eines Applikations-Servers wahrgenommen. Und im Vergleich dazu koste JBoss weniger, sei einfacher zu implementieren und biete mehr Service.

Darüber hinaus gibt es laut Labourey und Monson-Haefel keinen typischen JBoss-Kunden. "Wir adressieren mit dem Applikations-Server den Massenmarkt", sagt der CTO, "haben aber keine spezifischen Lösungen für Nischen. Das unterscheidet unsere Produkte von denen kommerzieller Mitbewerber." Darüber hinaus brauche ein Mittelständler häufig gezielte Lösungen für ein Problem. Passe JBoss dort hinein, sei die Entscheidung schnell gefällt, ohne großes "Management-Bla-Bla". In große Unternehmen gelange JBoss häufig durch die Entwickler, die zusätzliche Lösungen zu existierenden SAP-, IBM- oder Oracle-Lösungen bauen. Während dem Einsatz kommerzieller Software oft eine strategische Entscheidung vorausgeht, quasi Top-down, passiert eine JBoss-Implementierung häufig bottom-up. Bei vielen kleineren JBoss-Lösungen falle schließlich ins Gewicht, dass Open-Source kostengünstiger sei und das begründe dann eine strategische Richtlinie.

Dass am Anfang in der Regel nicht die Frage "quelloffen oder kommerziell" steht, fällt auch dem Analysten Monson-Haefel auf. "Open-Source ist heute immer Bestandteil eines IT-Cocktails und wird bei anstehenden Entscheidungen immer mit begutachtet. Das hat sich wirklich geändert. Denken Sie doch einmal daran, wie das noch vor zwei, drei Jahren war!"

Anwender, die auf Open Source setzen, müssten sich hingegen fragen, wie lebendig die hinter einem Projekt stehende Community ist, welche Lizenzpolitik verfolgt wird und in welcher Form eine Organisation wie JBoss Inc. Service und Support bieten kann. Die erste Frage beantwortet der Burton-Group-Analyst gleich selbst: "Apache und JBoss Application Server gehören zu den lebendigsten Projekten überhaupt – eine sehr sichere Sache für die Anwender."

Darüber hinaus trage JBoss Inc. selbst wesentlich zur Weiterentwicklung der Produkte bei, führt der europäische Geschäftsführer Labourey aus. Zum Beispiel stammten rund 60 Prozent des von der Apache Foundation gepflegten Webservers Tomcat von JBoss, dessen frisch angekündigter JBoss Web Server 1.0 dann wiederum auf Tomcat und der Apache Portable Runtime (APR) basiert. Der aktuell führende Entwickler Remy Maucherat ist mittlerweile bei JBoss angestellt. Den Vorteil fasst JBoss-Deutschland-Chef Hartwig zusammen: "Die Apache-Community bleibt erhalten, aber Innovationsgeschwindigkeit und Qualität haben sich erhöht, und unseren Kunden sichert es den Support."

Auch das Persistenz-Framework Hibernate gehört seit mehr als zwei Jahren zum JBoss-Portfolio. Laut einer Analyse von Monson-Haefel aus dem Dezember 2005 gehört es zu den führenden "Rebellen-Frameworks", als Alternative und Ergänzung zur J2EE. Tatsächlich hat Hibernate einen wesentlichen Anteil an der Gestaltung von Enterprise Java Beans 3.0. Wie der Burton-Group-Analyst verdeutlicht, entspricht Hibernate dem kleinsten gemeinsamen Nenner für die Persistenz von relationalen Daten, eignet sich aber auch für objekt-orientierte Datenbanken, XML und Directories wie das Lightweight Directory Access Protocol (LDAP).

Damit sind zwei Arten erläutert, wie bei JBoss technische Entwicklungen laufen: "Erstens: Wir starten ein Inhouse-Projekt wie beim Application Server, dem Cache-Werkzeug und dem Portal", fasst CTO Labourey zusammen. "Zweitens: Wir schauen, welche Open-Source-Projekte es gibt, die unser Angebot sinnvoll ergänzen, und versuchen es einzugliedern, wie bei Apache, Hibernate, Rules und dem Business Process Management. Das ist jedoch weder Kapern noch Kidnapping: Wir kaufen unter Umständen einen Markennamen oder probieren, die Entwickler zu überzeugen, bei uns zu arbeiten." Letzteres bezeichnet Analyst Monton-Haefel übrigens als "Silver-Bullet-Strategie."

So stand offenbar zur Diskussion, nicht einen eigenen Enterprise Service Bus (ESB) auf den Weg zu bringen, sondern Bestandteile des Open-Source-ESB Celtix vom irischen Hersteller Iona zu nutzen. "Wir haben einen ganz ähnlichen Fokus", verrät Labourey. Und gänzlich ausgeschlossen sei es nach wie vor nicht.

Eine dritte Möglichkeit besteht in simplem Einkaufen von bislang proprietären produkten. Der unlängst vorgestellte Transaktionsmonitor JBoss Transactions beispielsweise stammt von Arjuna, einem Spin-off von Hewlett Packard.

Ungeachtet der Zertifizierung von Partnern ist die Entwicklung mit der JBoss Enterprise Middleware Suite (JEMS) frei. Die JBoss-Software unterliegt nicht wie der Linux-Kernel und viele Linux-Tools der GNU General Public License (GPL), sondern der Lesser GPL (LGPL), unter der zahlreiche Bibliotheken – darunter auch die zentrale C-Library auf Linux-Systemen – stehen und die das binäre Linken von nicht-GPL-, sogar proprietärem, Code mit LGPL-Code erlaubt.

Seit September des vergangenen Jahres läuft eine heftige Diskussion über die die LGPL-Lizenz für den Application Server. Dem früheren JBoss-Projekt-Mitarbeiter und JBoss-Inc.-Partner Rickard Oeberg fiel nun auf, dass er als Mitentwickler zentrale Quelltext-Fragmente im JBoss Application Server sein Eigen nennen kann. Denn im Gegensatz zur Apache Software Foundation (ASF), bei der der Contributor das Copyright an die ASF übergibt, behält bei der LGPL jeder einzelne Contributor sämtliche Rechte an seinen Code-Fragementen.

Rickard, der offenbar vor Jahren unfreundlich aus dem Projekt herausmanövriert worden war, will nun, dass all seine Sourcen von der LGPL in die GPL umgewandelt werden. Möglich wäre das für alle zukünftigen Versionen – bisherige Releases des Application Server wären nicht betroffen, da die Lizenz nicht rückwirkend geändert werden darf. Mittlerweile ist es allerdings ruhig geworden um diese Auseinandersetzung. (odi)