Kernfusion: Wie Start-ups die Kraft der Sonne zähmen

US-Physikern gelang jüngst eine sich selbst erhaltende Fusionsreaktion. Ein immenser Fortschritt, den auch Start-ups wie Marvel Fusion im Blick haben.

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In dieser Fusionskammer der National Ignition Facility feuern Laser auf ein Kügelchen mit schwerem Wasserstoff, um es zu einer Fusion anzuregen. Bisher erfolglos. Ein deutsches Start-up will dieses Ziel nun bedeutend schneller erreichen als die Amerikaner.

(Bild: Lawrence Livermore National Laboratory)

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Lesezeit: 16 Min.
Inhaltsverzeichnis

In Livermore, Kalifornien, versuchen Forscher seit 2009 ein winziges Stückchen Sonne auf Erden zu erschaffen. Sicher und kontrolliert, nutzbar als saubere, nahezu unerschöpfliche Energiequelle. Sie verwenden dazu den größten Laser der Welt: 192 Strahlen transportieren innerhalb von 15 Nanosekunden eine Energie von 4,2 Megajoule von allen Seiten auf ein nur wenige Millimeter großes Ziel. Die geballte Energie soll ein Kügelchen aus Beryllium oder Kunststoff zur Implosion bringen, das mit gefrorenem schwerem Wasserstoff gefüllt ist.


Aufgrund des jüngsten Fortschritts zweier US-Physiker in Livermore veröffentlichen wir diesen Artikel aus der MIT Technology Review aus der Ausgabe 3/2021.


Die geballte Power des riesigen Lasers soll dafür sorgen, dass der Wasserstoff 50 bis 100 Millionen Kelvin heiß und dabei so stark komprimiert wird, dass er hundert Mal dichter wird als Blei. Unter diesen Bedingungen, so hatten die Berechnungen der Physiker ergeben, müssten die Wasserstoffkerne zu Helium verschmelzen und dabei ein vielfaches der Energie wieder freigeben, die sie vorher in die Zündung investiert hatten.

Auf dem Weg zur laserinduzierten Fusion sind die Forscher aus Livermore vom Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) kürzlich ein ganzes Stück weiter gekommen. Es gelang ihnen, erstmals eine sich selbst erhaltende Trägheitsfusion zu zünden. Allerdings müssen sie noch immer viel mehr Energie in die Erzeugung der Fusion stecken, als sie herausbekommen. Bis zur Nutzung der Laserfusion zur Energieerzeugung ist es noch ein langer Weg. Ein bayerisches Start-up will schneller zum Ziel kommen.

Zugegeben, nicht nur die Laserfusion ist bis heute ein Traum. Das gilt auch für jede andere Form der Fusionsenergie. Dafür geradezu sinnbildlich steht ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor), der große, internationale Forschungsreaktor, der seit den 1980er-Jahren geplant, sich nun endlich in Südfrankreich der Fertigstellung nähert. Eine Fusionsreaktion wird dort selbst im besten Falle frühestens 2035 zu sehen sein. Doch die Fusionsforschung hat in den vergangenen Jahren einen enormen Aufschwung genommen. Die Ingenieure von heute verfügen über technische Möglichkeiten, von denen vor 20 Jahren noch niemand zu träumen gewagt hätte. Aus diesem Grund gibt es mittlerweile rund 30 private Unternehmen, die an kleinen Fusionsreaktoren arbeiten und ihre Chancen, bereits früher als ITER zum Zug zu kommen, stehen nicht schlecht.

TR 3/2021

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Das Ziel ist lohnend, keine Frage. Bei einer Kernfusion wird soviel Energie frei, dass sich alle anderen Energiequellen dagegen mickerig ausnehmen: Verschmilzt ein Kilo Wasserstoff zu Helium liefert das so viel Energie wie 11.000 Tonnen Steinkohle.

Technisch ist die Fusion allerdings eine riesige Herausforderung, denn um Wasserstoff-Atome zu Helium zu verschmelzen, muss man sie extrem dicht zusammen bringen. Die Kerne sind allerdings positiv geladen und stoßen sich gegenseitig ab.

Konzept für das Kraftwerk von Marvel Fusion: Die Laser (re.) zünden im Pellet in der Fusionskammer (mi.) eine Fusion. Die dabei frei werdenden Alpha-Teilchen laufen gegen das Magnetfeld einer Spule (li.) und geben dabei ihre Energie ab. Der so gewonnene Strom wird ins Netz gespeist.

(Bild: Marvel Fusion)

Um diese Abstoßung zu überwinden, muss man das Gas extrem erhitzen und dabei verdichten. Es entsteht eine diffuse Wolke aus durcheinander fliegenden Elektronen und Atomkernen, das sogenannte Plasma. Wenn viele Teilchen oft und heftig miteinander zusammenstoßen, fängt das Plasma an zu "brennen", sagen die Wissenschaftler. Das geschieht zum Beispiel bei etwa 100 Millionen Kelvin und einer Plasmadichte von ungefähr 100 Billionen Teilchen pro Kubikzentimeter.

Ein derartig erhitztes Plasma fliegt unter normalen Bedingungen allerdings einfach auseinander, ohne, dass Kerne miteinander fusionieren. Um das zu verhindern, kann man versuchen, die Teilchen mit starken Magnetfeldern einzusperren. Der größte Teil der Fusionsforschung ist daher auf den "magnetischen Einschluss" des Plasmas in donutförmigen Reaktoren ausgerichtet – den so genannten Tokamaks – auch wenn diese Reaktoren ebenfalls hohe technische Anforderungen stellen.

Das soll beispielsweise beim geplanten internationalen Forschungsreaktor ITER passieren. Oder, man setzt wie in Livermore auf die Trägheit einer Schockwelle im Plasma. Das funktioniert allerdings immer nur für eine sehr kurze Zeit. In einem Laserfusionsreaktor würde daher in schneller Folge eine Brennstoffkapsel nach der anderen abgeschossen und gezündet werden.

Leisten können solche Forschungsaufgaben bisher nur Großforschungsanlagen. Umso erstaunlicher, dass Marvel Fusion, ein kleines, deutsches Start-up, ankündigt, in zehn Jahren einen Demonstrator bauen zu wollen, der verwirklicht, was diesen Einrichtungen bisher nicht gelungen ist. Zweifellos ist das eine steile Ansage. Und mehr noch: Marvel Fusion will nicht nur ein kommerziell nutzbares Fusionskraftwerk entwickeln. Das Unternehmen will auch noch einen besonders schwierigen Pfad zur Fusion nutzen: Statt schweren Wasserstoff in Form von Deuterium und Tritium, wollen die Münchner Protonen und Bor verschmelzen. Um solch eine Fusion zu zünden, braucht es jedoch noch zehnmal höhere Temperaturen als für die Deuterium-Tritium-Fusion. Wie soll das gehen?

Karl-Georg Schlesinger, Mitbegründer und wissenschaftlicher Leiter von Marvel Fusion.

(Bild: Marvel Fusion)

Mit einem "hoch innovativen Ansatz" sagt Karl-Georg Schlesinger, Mitbegründer und führender Wissenschaftler von Marvel Fusion. "Normalerweise bräuchten Sie für eine Protonen-Bor-Fusion sehr hohe Temperaturen. Die Kerne sind ja alle positiv geladen, und der Potenzialberg dazwischen, der Coulombwall muss überwunden werden." "Das ist ein bisschen wie das Hindernis beim Golf“, sagt Schlesinger. "Aber wir machen das anders. Wir bringen das Plasma in Bedingungen, bei denen starkes Quantentunneling auftaucht." Mit anderen Worten: Die Bälle werden nicht über das Hindernis gespielt, sondern sie fliegen geradewegs hindurch.

Interview: „Den ersten guten Schuss aufs Tor“

Christofer Mowry ist seit 2017 CEO von General Fusion. Zuvor hatte Mowry, der ursprünglich Maschinenbau studiert hat, für eine Reihe anderer Erzeuger in der Energiebranche gearbeitet.

(Bild: General Fusion)

Chris Mowry, CEO von General Fusion, über das neue Interesse privater Unternehmen an der Fusionsenergie, die Kunst, Kolben aus flüssigem Metall zu formen und die Suche nach der sauberen Energie-Alternative.

Die Fusionsenergie bekommt mehr Aufmerksamkeit denn je. Warum ist das so – schließlich ist die Idee immer noch hoch spekulativ? Niemand hat bis jetzt bewiesen, dass er so etwas wie einen Fusionsreaktor wirklich bauen kann.

Chris Mowry: Heute gibt es etwa 30 private Fusionsunternehmen auf der Welt. Die Zahl erhöht sich fast jeden Monat. All das wird durch privates Investorenkapital finanziert. Ich denke, das ist ein ziemlich wichtiges Signal, denn diese Leute wollen Gewinn machen. Es geht nicht um Regierungsprogramme zur Unterstützung von Null-Kohlenstoff oder Dekarbonisierung, oder so etwas in der Art.

Zweitens denke ich, dass es extrem wichtig ist, zwei Dinge zu unterscheiden: den Nachweis, dass Forscher Fusion herstellen können, und das Wissen, wie man Fusion zu einer praktischen, sauberen Energietechnologie machen kann. Das eigentliche Rennen, wenn Sie so wollen, und die Bemühungen und der Fokus der privaten Fusionsfirmen, ist nicht, irgendwie zu zeigen, dass Fusion möglich ist. Fusion ist möglich. Die wirkliche Anstrengung ist zu zeigen, wie man Fusionsenergie in kohlenstofffreien Strom verwandeln kann.

General Fusion ist sicherlich ein Unternehmen, das in diesem Rennen ganz vorne mit dabei ist. Wir werden in den kommenden Monaten einige Ankündigungen machen, um zu zeigen, dass wir auf einem guten Weg dorthin sind.

Der Ansatz von General Fusion ist recht ungewöhnlich. Sie wollen Kolben verwenden, um eine Schockwelle zu erzeugen, die Plasma verdichtet, um so eine Fusion zu zünden. Aber soweit ich weiß, ist die Idee, dass man so eine Fusion erzeugen kann, noch unbewiesen. Stimmt das?

Nein.

Nein? Das müssen Sie mir erklären...

Eine gute Analogie für unseren Ansatz zur Fusion ist der Dieselmotor. Wir beginnen im Grunde mit der gleichen Art von Plasma, wie in Maschinen mit magnetischem Einschluss, aber dann komprimieren wir es so, wie man Dieselkraftstoff und Luft in der Kammer eines Dieselmotors komprimiert. Und wir haben dabei thermonukleare Fusionsneutronen erzeugt.

Aber das haben Sie nicht veröffentlicht?

Nein. Wir haben Fusionsneutronen in technischen Tests erzeugt, die nicht genau denselben Prozess verwenden, den wir in einem Kraftwerk einsetzen werden. Der nächste Schritt für uns ist also, eine Maschine im Kraftwerksmaßstab zu bauen, die alles integriert, einschließlich des Plasma-Injektors und des Kompressionsmechanismus im Kraftwerksmaßstab.

Wie lange wird das dauern?

Das ist ein Fünf-Jahres-Programm, das wir jetzt begonnen haben.

Sie haben eine Menge Konkurrenz. Jetzt kommt mit Marvel Fusion ein Unternehmen dazu, das Laserfusion nutzen will. Macht Ihnen manchmal Sorgen, dass einige Leute vielleicht schneller sein könnten als Sie?

Nein. Natürlich ist alles möglich, aber ich bin zuversichtlich, dass wir einen guten Ansatz haben. Ich verwende hier gerne eine Fußball-Analogie: Wichtig für uns ist, dass wir den ersten guten Schuss aufs Tor haben. Für die Gesellschaft ist etwas anderes wichtig: Einer von diesen Schüssen wird reingehen. Und das ist gut, weil der Zweck der Kernfusion letztlich darin besteht, eine gute Ergänzung zu den erneuerbaren Energien zu liefern. Es ist wichtig, dass jemand dieses Problem löst.

Der "Tunneleffekt" ist ein alter Bekannter, wenn man mit den Energiepotenzialen von Atomen jongliert. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit für solch ein Durchtunneln in der Regel sehr klein. Warum das bei Marvel Fusion trotzdem funktionieren soll, will Schlesinger nicht verraten. Nur so viel: Ein extrem starker Laser feuert einen sehr, sehr kurzen Puls ab – fokussiert auf einen Fleck, der nur wenige Mikrometer Durchmesser hat. Das Target, das den Brennstoff enthält, ist "nicht einfach eine homogen gepresste Kugel, sondern es besitzt eine sehr feine Nanostruktur auf atomarer Skala", sagt Schlesinger. Die sorgt dafür, dass das durch den Laserbeschuss entstehende Plasma in einen "stark korrelierten" Zustand versetzt wird, in dem die Fusion zwischen den Atomkernen durch den quantenmechanischen Tunneleffekt vereinfacht wird. "Das ist ein Prozess, der in der Natur tatsächlich vorkommt", sagt Schlesinger. "In Supernovaexplosionen vom Typ 1A. Daran können Sie sehen, dass dies hier etablierte Physik ist."

Das Verfahren hat mehrere Vorteile: Zum einen werden bei einer Fusion von Bor-11-Atomen und -Protonen keine Neutronen frei – bei der Fusion von Wasserstoffatomen schon: Die schnellen Neutronen knallen dann gegen die Wand des Tokamak-Reaktors in speziell mit Wolfram oder Beryllium beschichtete Wandsegmente – sogenannte "Blankets" – und geben dort ihre Energie als Wärme ab, die dann in Strom umgewandelt wird. Wie man die Reaktorwände dazu bringt, dem dauerhaften Ansturm hochenergetischer Neutronen möglichst lange stand zu halten, ist allerdings noch Gegenstand aktueller Forschung. Und selbst wenn das gut gelingt, wird der Stahl durch den Neutronenbeschuss radioaktiv.

Bei der Kernfusion von Protonen und Bor entstehen drei Alpha-Teilchen, in denen nahezu die gesamte Energie des Fusionsprozesses steckt.

(Bild: Marvel Fusion)

Die Bor-Proton-Fusionsreaktion produziert stattdessen drei hochenergetische Alpha-Teilchen, die aus zwei Protonen und zwei Neutronen bestehen. Weil diese Teilchen elektrisch geladen sind, lässt sich ihre Energie direkt in elektrischen Strom umwandeln: Man muss die Teilchen nur gegen ein Magnetfeld "anlaufen" lassen. In der Spule, die dieses Magnetfeld erzeugt, wird dann ein Strom induziert. "Sie brauchen keinen Wärmetauscher, und keine Turbine", sagt Schlesinger. "Wir wollen 60 bis 80 Prozent der entstehenden Energie nutzen". Und haben die Alphateilchen genügend ihrer Energie abgegeben, können sie Elektronen einfangen und werden zu unbedenklichem Helium.

Zum anderen kranken die erfolglosen Versuche der Laserfusion wahrscheinlich daran, dass im Brennstoff-Target durch Turbulenzen der Energietransfer unterbrochen und damit das Brennen unmöglich wird. Die Forscher in Livermore, an der National Ignition Facility (NIF), müssen ihre Targets daher extrem symmetrisch bauen, weil jede kleine Asymmetrie zu großen Instabilitäten führt. "Das ist sehr teuer", sagt Schlesinger. "Im Prinzip werfen die da mit jedem Schuss den Gegenwert einer guten Schweizer Uhr rein – in der Größenordnung von 100.000 Dollar." Dieser Aufwand, sagt Schlesinger, sei bei Marvel Fusion nicht notwendig. "Dafür ist bei uns vorne die Physik anspruchsvoller."

Ein guter Teil dieser "anspruchsvollen Physik" steckt in den Laserpulsen, die das Target mit der nötigen Energie versorgen sollen. In einem Laser durchläuft das Licht immer und immer wieder ein Verstärkermedium – ein Kristall oder ein Gas – und wird dabei immer intensiver. "Das geht aber nur bis zu einer gewissen Grenze. Dann würde das Licht das Verstärkermedium zerstören", erklärt Georg Korn, Chief Science and Technology Officer bei Marvel Fusion.

Um extrem kurze Pulse mit sehr hohen Spitzenleistungen im Petawatt-Bereich – das sind eine Million Milliarden Watt – zu erreichen, kommt daher eine Technik zum Einsatz, für deren Entwicklung der französische Physiker Gérard Mourou und die kanadische Physikerin Donna Strickland 2018 mit dem Nobelpreis in Physik ausgezeichnet wurden: die Chirped Pulse Amplification (CPA).

Damit die Laserleistung eines CPA-Lasers das Verstärkermedium eben nicht zerstört, wird der Laserpuls zeitlich gedehnt und dann wieder gestaucht, indem man die verschiedenen Frequenzbestandteile des Pulses mit Hilfe optischer Gitter verschieden lange Wege zurücklegen lässt. Das hat zur Folge, dass Licht mit kurzer Wellenlänge vom Licht der jeweils anderen Frequenzen getrennt verstärkt wird. Die Intensität dieses Lichtes bleibt jeweils unter dem Schwellwert, der das Verstärkermedium zerstören würde und am Schluss – für den Schuss – werden alle Frequenzen wieder zusammengesetzt.

Ein Laserspuls (1) wird durch Beugungsgitter (2) zeitlich gedehnt. Die unterschiedlichen Frequenzen des Pulses werden nacheinander verstärkt (3) und durch ein zweites Paar optischer Gitter (4) wieder komprimiert.

(Bild: ©Johan Jarnestad/The Royal Swedish Academy of Sciences)

Was auf dem Papier simpel aussieht, ist es in der Praxis leider nicht. Korn weiß das, denn er hat mitgeholfen, einen der leistungsstärksten Pulslaser der Welt zu bauen. 15 Kilometer südlich von Prag, im ELI Beamlines-Forschungszentrum – ELI kürzt das europäische Forschungsprojekt "Extreme Light Infrastructure" ab – steht ein Laser, der einen Puls mit zehn Petawatt Leistung von etwa 100 Femtosekunden Länge hervorbringt. Peta steht für 1015 – eine Million Milliarden, Femto steht für 10-15, das Millionste Teil eines Milliardstels – also ungeheuer viel Energie in unvorstellbar kurzer Zeit.

Petawatt-Laser: Am ELI-Forschungszentrum im rumänischen Mgurele hat Thales den stärksten Laser der Welt aufgebaut. Diese dritte Verstärkerstufe hier im Bild verstärkt das Licht auf 340 Joule. Der Laserpuls hat danach eine Leistung von zehn Petawatt.

(Bild: Lawrence Livermore National Laboratory)

"Wenn Sie eine Taschenlampe anknipsen, läuft das Licht dieser Lampe in einer Sekunde von der Erde zum Mond", sagt Korn. "Wenn sie die Lampe zehn Femtosekunden lang anmachen, bewegt sich der Puls nur um Haaresbreite. Das ist eine Scheibe aus Licht, ein paar zehn Mikrometer dick." Es sind diese extremen Eigenschaften, die solche Laserpulse zu spannenden physikalischen Instrumenten in der Materialforschung, Medizin, Plasmaphysik aber auch der physikalischen Grundlagenforschung machen. Im Verbundprojekt ELI entstehen insgesamt vier Forschungszentren, die sowohl extrem schnelle Vorgänge im Bereich von Attosekunden beleuchten, als auch physikalische Phänomene unter bisher nicht gekannten Energiedichten. "Durch so einen fokussierten Laserpuls entstehen Feldstärken, mit denen können Sie jedes beliebige Material ionisieren", sagt Korn. "Damit können wir irgendwann vielleicht sogar das Vakuum selbst aufbrechen" – und so vielleicht neue Erkenntnisse über die Struktur unseres Raumzeitgefüges gewinnen.

Georg Korn, der Laserspezialist von Marvel Fusion, hat am ELI in Tschechien einen Petawatt-Laser mit aufgebaut.

(Bild: Marvel Fusion)

Korn und seine Kollegen haben aber ein mehr praktisches Interesse. Sie wollen nun einen ganz ähnlichen Laser wie den bei Prag bauen – nur noch ein bisschen besser, denn der ELI-Laser kann nur einmal pro Minute feuern. Ihr neuer Laser soll am besten zehn Schuss pro Sekunde abfeuern können. In "drei bis fünf Jahren" soll die Test Facility stehen, sagt Korn. Erst dann wird Marvel Fusion in Experimenten final zeigen können, ob die Idee hinter ihrem Reaktor wirklich funktioniert. Denn bislang wurden die dafür benötigten Quanteneffekte nur in Computersimulationen nachgewiesen. Allerdings, betont Schlesinger, in zwei voneinander komplett unabhängigen Simulationen, die auf unterschiedlichen physikalischen Annahmen und Gleichungen beruhen.

Ist das Kraftwerk von Marvel Fusion also nur eine kühne Vision? Nein, denn tatsächlich ist es russischen Physikern bereits 2005 zum ersten Mal gelungen, eine Proton-Bor-Fusion mit Hilfe von Lasern im Labor zu zünden. Ein Team von Forschern um Vadim Belyaev vom Zentralen Forschungsinstitut für Maschinenbau in Korolev beschoss dafür Bor-haltige Polyethylen-Pellets mit Laserpulsen, die etwas mehr als eine Billionstel Sekunde dauerten. Seitdem haben auch andere Forscher in gut einer Handvoll Fälle Protonen und Bor verschmolzen und die Ausbeute an Alphateilchen jedes Mal gesteigert. Zuletzt berichtete ein internationales Team Mitte 2020 darüber.

Was genau sich im Inneren des Pellets abspielt, ist jedoch noch immer nicht komplett verstanden. Nach aktuellen Computersimulationen sieht das Drehbuch etwa wie folgt aus: Ist der Laserpuls schnell und intensiv genug, beschleunigt sein elektrisches Feld Elektronen im Pellet. Diese Ladungsverschiebung wiederum erzeugt selbst ein starkes elektrisches Feld, das Protonen von der Pelletoberfläche nach innen schubst, während die Bor-Kerne sich wegen ihrer hohen Masse kaum bewegen. Ist die Intensität des Laserpulses hoch genug, bekommen die Protonen genug Energie, um die Abstoßung der Bor-Kerne zu überwinden und mit ihnen zu fusionieren.

Heiße Zeiten: Fusionsenergie

Das kanadische Unternehmen General Fusion will Plasma mit einem Kompressor aus flüssigem Metall verdichten, um eine Fusion zu zünden. Nach eigenen Angaben ist ihnen dies in ersten Versuchen bereits gelungen.

(Bild: General Fusion)

Jahrzehntelang galt die Nutzung von Fusionsenergie als kühne aber ferne Zukunftsvision. Doch viele Unternehmen setzen darauf, dass diese Zukunft schneller kommen könnte als bisher gedacht.

Fusionsenergie? War das nicht diese Fata Morgana der Energiezukunft? Eine nahezu unerschöpfliche, saubere Energiequelle – die aber frühestens in 50 Jahren zur Verfügung steht? Falsch, sagen immer mehr Forschende – und Unternehmen. So erarbeiteten hunderte von Wissenschaftlern in den USA einen technischen und organisatorischen Zeitplan, eine „Roadmap to Fusion Energy“, die im März 2020 veröffentlicht wurde.

Der Optimismus, der darin zum Ausdruck gebracht wird, hat einen soliden, technisch-wissenschaftlichen Hintergrund, denn in den vergangenen Jahren konnte die Fusion beachtliche Fortschritte verzeichnen. So gelang es beispielsweise im November 2020 Wissenschaftlern am koreanischen KSTAR-Reaktor (Korea Superconducting Tokamak Advanced Research) 20 Sekunden lang ein Plasma mit einer Temperatur von über 100 Millionen Grad aufrechtzuerhalten.

Hätten die koreanischen Forscher ihren Reaktor mit Deuterium und Tritium gefüllt, hätte das mit Sicherheit genügt, um eine spektakuläre Fusionsreaktion zu zünden. Der KSTAR ist darauf jedoch nicht ausgelegt. Im Europäischen Forschungsreaktor JET soll genau das noch in diesem Jahr allerdings tatsächlich passieren. Die Forscher dort wollen zum einen die sichere Handhabung von Tritium üben. Tritium, radioaktiver Wasserstoff mit einem Proton und zwei Neutronen im Kern, ist nicht nur extrem selten und teuer – das Gas kann auch in Atombomben als Verstärker verwendet werden und unterliegt deshalb einer strengen Kontrolle. Zum anderen wird die Wand eines Fusionsreaktors durch das Neutronen-Bombardement während der Fusion extrem belastet und radioaktiv. Das Experiment soll testen, ob die Reaktorwand den enormen Belastungen wirklich Stand hält.

Die Resultate sind nicht nur essenziell für das internationale Forschungsprojekt ITER, bei dem 2020 nach langer Verzögerung mit dem Bau des eigentlichen Reaktors begonnen wurde und der frühestens 2035 den Betrieb aufnehmen soll. Von den Erkenntnissen werden auch zahlreiche kleinere Unternehmen profitieren, die kleine Reaktoren entwickeln und sehr viel schneller zum Ziel kommen wollen.

Der Vorteil kleiner Anlagen ist, dass sie schneller neue technische Entwicklungen nutzen können – wie zum Beispiel Hochtemperatur-Supraleiter für kompakte, aber extrem starke Magnete, die das Plasma einschließen. Das britische Unternehmen Tokamak Energy, das bis 2025 einen funktionierenden Fusionsgenerator vorweisen will, hat in seinem kompakten Generator „ST40“ einen Hochtemperatur-Supraleiter-Magneten eingebaut, der mit 24 Tesla eine Weltrekord-Feldstärke erreicht.

Auf supraleitende Spulen mit extrem starken Feldern setzen auch die Entwickler bei Commonwealth Fusion System (CFS), einem Spin-off des Massachusetts Institute of Technology (MIT). Die Forscher wollen bereits in vier Jahren ein Forschungszentrum errichten und haben dafür 300 Millionen Dollar von Investoren wie Bill Gates und Jeff Bezos eingesammelt.

Dazu kommen diverse Unternehmen, die auf andere, exotischere technische Ansätze setzen. Das US-Unternehmen Trip Alpha beispielsweise – mittlerweile TAE – will Wasserstoff und Bor verschmelzen, weil dabei keine Neutronenstrahlung entsteht. Dazu will TAE Plasmaringe erzeugen, die sich mit ihren eigenen, selbst erzeugten Magnetfeldern stabilisieren. Und das kanadische Unternehmen General Fusion will Plasma mit Schockwellen so verdichten, dass dabei eine Fusion zündet. All diese Ansätze sind zwar noch einige Jahre von funktionierenden Prototypen entfernt. Dass private Investoren in diese Technologie so viel Geld pumpen, gibt jedoch Anlass zu Optimismus.

Das klingt zunächst gut, ist jedoch nur die halbe Miete – gewissermaßen ein kleines Fusions-Flämmchen, das nach einigen Nanosekunden wieder erlischt, denn die bei der Fusion entstehenden Alpha-Teilchen fliegen auseinander und tragen ihre Energie mit sich aus dem System. Einige Forscher wie der mittlerweile emeritierte israelische Laserforscher Shalom Eliezer glauben, dass man unter günstigen Bedingungen dafür sorgen kann, dass diese frei werdenden Alpha-Teilchen weitere Fusionsreaktionen auslösen – eine Art Kettenreaktion.

Diese Theorie werde jedoch "von vielen Wissenschaftlern nicht akzeptiert", schreibt Eliezer. Das australische Unternehmen HB11 Energy, das vom deutsch-australischen Plasmapyhsiker Heinrich Hora gegründet wurde, setzt trotzdem darauf, will das gezündete Plasma mit einem Magnetfeld eindämmen, um die Energie im Plasma zu behalten. Andere Forscher setzen auf zwei schnelle Pulse, die sie dicht hintereinander abfeuern wollen. Marvel Fusion bringt an dieser Stelle sein "nanostrukturiertes Target" ein, will aber wegen Schutz des geistigen Eigentums nicht mehr verraten. Doch auch die "Prozesse aus dem Inneren einer Supernova" auf die Schlesinger sich dabei beruft, sind noch immer nicht vollständig verstanden.

Dennoch ist die kleine, aber gut vernetzte Forschergemeinde, die zu diesem Thema arbeitet, optimistisch. "Die Technologie hat einen Readyness Level 2" , sagt ein Forscher, der sich jedoch nicht namentlich zitieren lassen will. Der Technology Readyness Level ist in der EU-Formulierung eine Skala zur Bewertung der Reife von Technologien, die von eins bis neun reicht. Zwei bedeutet, dass das zugrunde liegende wissenschaftliche Prinzip beobachtet und beschrieben ist, und es für die darauf aufbauende Technologie bereits Pläne gibt.

"Ich sehe keine grundsätzlichen Hindernisse und wir könnten mit einem relativ kleinen Budget kritische Experimente durchführen, um die Machbarkeit zu testen. Wir sollten diese Gelegenheit nutzen". Die EU hat sich in der Forschungsförderung allerdings auf die Fusion mit magnetischem Einschluss festgelegt. Das ist nicht billig. Allein von 2021 bis 2027 kostet die Beteiligung an ITER - zusätzlich zum ohnehin bereits investierten Geld – weitere rund fünf Milliarden Euro. Ein neues, teures Experiment auf diesem Feld, mit ungewissem Ausgang, wäre politisch schwer zu vermitteln.

Heike Freund, Geschäftsführerin von Marvel Fusion, hält die Entwicklung der Fusionsenergie für dringend nötig, um den Klimawandel in den Griff zu bekommen.

(Bild: Marvel Fusion)

Andererseits wäre der politische und wirtschaftliche Impact einer sauberen, ständig verfügbaren Energiequelle extrem hoch. "Wir würden uns freuen, wenn das Thema Fusion technologieoffen betrachtet würde", sagt Heike Freund, Geschäftsführerin von Marvel Fusion. Obwohl das Unternehmen bislang von privaten Investoren getragen wird, würde man auch staatliche Gelder akzeptieren.

Denn die Erforschung der Fusionsenergie, meint Freund, sei eine gesellschaftliche Aufgabe. "Vor zehn Jahren hatten wir alle große Hoffnungen, dass sich das Problem Klimawandel schon lösen lasse. Jetzt haben wir mehr Überschwemmungen, mehr Dürren, mehr Stürme", sagt Freund. "Ich finde es toll, dass es viel Bewegung bei den erneuerbarer Energien gibt. Aber wenn man sich den Energiebedarf der Welt anschaut, dann ist klar, das da noch mehr passieren muss."

(lca)