Krankmachende Schichtarbeit: Können Medikamente für die innere Uhr helfen?

Forschung zum Einfluss auf unseren zirkadianen Rhythmus ist lohnenswert. Sie könnte etwa helfen, den gesundheitlichen Schaden von Schichtarbeit zu verringern.

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(Bild: SViktoria/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Jessica Hamzelou
Inhaltsverzeichnis

Uhren spielen in unserem Körper eine ganz entscheidende Rolle. Dabei haben wir mehr als nur eine biologische Uhr. Neben jener, die mit uns altert, hält die sogenannte zirkadiane Uhr in unserem Gehirn unseren Körper im Rhythmus. Sie steuert, wann wir aufwachen, essen und schlafen.

Aber das ist noch nicht alles. Sie wirkt sich auch auf die feineren Aspekte unseres Körpers aus, indem sie Hunderte von molekularen Uhren in unseren Zellen und Organen beeinflusst. Es gibt Uhren, die beispielsweise den Stoffwechsel regulieren, und andere, die steuern, wie Gene Proteine bilden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Störungen unseres zirkadianen Rhythmus – zum Beispiel durch Jetlag oder Schichtarbeit – verheerende Auswirkungen auf unsere Gesundheit haben können.

Jetzt arbeiten Wissenschaftler daran, Behandlungen auf unsere zirkadianen Rhythmen zuzuschneiden. Im Labor werden Medikamente erforscht, die speziell auf diese Steuerungsmechanismen selbst abzielen. Blickt man weiter in die Zukunft, stellt sich die Frage: Werden wir eines Tages in der Lage sein, unsere zirkadianen Uhren zu hacken, um unsere Gesundheit zu verbessern?

Die zirkadianen Uhren ticken nicht so sehr wie "klassische" Uhren vorwärts, sondern durchlaufen vielmehr Zyklen über einen Zeitraum von 24 Stunden. Es handelt sich im Wesentlichen um Cluster von Genen und Proteinen, die zusammenarbeiten. Einige Gene können zum Beispiel tagsüber Proteine herstellen. Wenn genügend dieser Proteine gebildet wurden, verhindern sie, dass die Gene in der Nacht weitere produzieren. Wenn der Spiegel dieser Proteine zu niedrig ist, schalten sich die Gene am Morgen wieder ein. Und so geht der Zyklus weiter.

Diese Zyklen werden intern von einer sogenannten "Hauptuhr" im Hypothalamus des Gehirns gesteuert. Es wird angenommen, dass diese Uhr alle anderen Uhren synchronisiert. Sie gibt zwar ihren eigenen Rhythmus vor, wird aber auch davon beeinflusst, wie viel Licht in unsere Augen fällt, wann wir essen und schlafen, und von anderen Aspekten unseres Verhaltens. Die drei US-Wissenschaftler Jeffrey C. Hall, Michael Rosbash und Michael W. Young erhielten 2017 den Nobelpreis für Physiologie und Medizin für ihre Erforschung genau dieser molekularen und genetischen Mechanismen, die dem zirkadianen Rhythmus zugrunde liegen.

Im Laufe der Forschungszeit wurde festgestellt, dass die molekularen Uhren viele biologische Funktionen beeinflussen. Eine Studie an Mäusen ergab, dass 43 Prozent der Gene der Tiere einer Art zirkadianem Rhythmus folgen. Die meisten Gene scheinen während der "Stoßzeiten" kurz vor der Morgendämmerung und der Abenddämmerung mehr Proteine zu produzieren.

Es ist schwierig, die gleiche Forschung bei Menschen durchzuführen. Aber wir wissen, dass viele menschliche Gene auf ähnliche Weise funktionieren. Unsere Hormone und Immunzellen scheinen zirkadiane Muster aufzuweisen, die im Laufe des Tages schwanken.

Auch unser Mikrobiom scheint sich im Laufe eines Tages zu verändern. Als Wissenschaftler Stuhlproben von Freiwilligen analysierten, stellten sie fest, dass einige Arten von Darmbakterien tagsüber häufiger vorkommen, während es bei anderen nachts der Fall ist. Die relative Häufigkeit von Bacteroidetes-Bakterien – die Stärke und Fasern im Darm abbauen können – war beispielsweise nachts um 6 Prozent höher. Was das für unsere Gesundheit bedeutet, ist noch nicht geklärt. Aber interessanterweise scheinen diese Muster bei Menschen mit Fettleibigkeit und Typ-2-Diabetes gestört zu sein.

Diese beiden Krankheiten treten häufiger bei Menschen auf, die in Nachtschichten arbeiten und ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs haben. Auch hier ist es schwierig, genau herauszufinden, inwieweit dieses Risiko auf einen gestörten zirkadianen Rhythmus zurückzuführen ist. Aber die Forschung deutet darauf hin, dass die Arbeit in der Nacht den Zeitpunkt verschieben kann, zu dem einige Gene Proteine bilden. Einige davon sind Proteine, die für das Immunsystem wichtig sind – insbesondere solche, die bei der Abtötung von Krebszellen helfen.

Aufgrund dieser ersten Erkenntnisse ist es nicht verwunderlich, dass nach Mitteln gesucht wird, die unseren zirkadianen Rhythmus wiederherstellen. Manche Menschen schwören auf Melatonin oder eine Lichttherapie. Andere setzen eher darauf, den Zeitpunkt der Mahlzeiten und des Schlafs zu ändern, um den eigenen Rhythmus zu beeinflussen. Doch die Forschung sucht nach Medikamenten, die direkt auf unsere molekularen Uhren einwirken können.

Da ist zum Beispiel KL001. Dieser Wirkstoff wirkt auf ein Protein namens CRY. "Uhrengene" können die Produktion von CRY einschalten, und hohe Konzentrationen des Proteins können sie wiederum ausschalten.

KL001 sorgt dafür, dass der Spiegel des CRY-Proteins hoch bleibt, was sich auf die Länge der zirkadianen Periode auswirken kann. Dies kann Gene in der Leber beeinflussen, die ebenfalls nach einem zirkadianen Rhythmus laufen. Sogar die Glukoseproduktion in den Leberzellen kann davon abhängig sein, das haben jedenfalls Untersuchungen an Zellen im Labor ergeben. Theoretisch könnte also ein Medikament mit einem solchen Wirkstoff dazu beitragen, die negativen Auswirkungen von Schichtarbeit auf die Gesundheit des Stoffwechsels zu begrenzen und möglicherweise das Diabetesrisiko zu senken.

Der Einsatz solcher Medikamente beim Menschen ist allerdings noch weit entfernt. Dennoch ist es eine verlockende Idee, für die sich weitere Untersuchungen lohnen. Bereits jetzt meinen einige Forscher, dass wir vielleicht den besten Zeitpunkt für die Gabe von Medikamenten oder für Operationen ermitteln könnten, wenn es uns im Vorfeld gelingt, den Tagesrhythmus eines Menschen auf molekularer Ebene genauer zu bestimmen.

Zwar haben Menschen grob einen 24-Stunden-Zyklus, doch es gibt Abweichungen. So lassen sich Menschen bestimmten Chronotypen zuordnen: Ist man eher ein Morgen- oder ein Abendmensch, eher eine Lerche oder eine Eule? Und solange wir auf den Einsatz von Medikamenten warten, die sich gezielt auf unsere innere Uhr richten, können wir bestehende Behandlungen auf der Grundlage der individuellen zirkadianen Rhythmen der Menschen anpassen.

Oft helfen aber bereits einfache Regeln und Gewohnheiten einen gestörten zirkadianen Rhythmus wieder in Takt zu bringen: regelmäßige Bettzeiten einhalten, ausreichend schlafen, auf künstliches Licht in der Nacht verzichten.

(jle)