Lieferketten in China: "Jede Vorstellung einer Autarkie ist ein Hirngespinst"

China baut die heimische Produktion aus, um nicht auf die USA angewiesen zu sein. Experte Seaver Wang gibt einen Einblick in das Vorgehen.

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Quarz-Mine

Eine Quarz-Mine.

(Bild: Alexander_Z / Shutterstock)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Zeyi Yang

Als China im Juli ankündigte, die Ausfuhr der Elektronikrohstoffe Germanium und Gallium einzuschränken, führte es abermals vor Augen, welchen Einfluss China in der globalen Lieferkette für derart kritische Mineralien hat. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von insgesamt 50 Stoffen, der die US-Regierung eine hohe strategische Bedeutung beimisst. Die Mineralien werden in Computerchips und Präzisionswaffen verwendet, sind aber auch wichtig für grüne Technologien, die der Welt beim Kampf gegen den Klimawandel den Übergang zu erneuerbaren Energien erleichtern sollen.

Seaver Wang, Co-Direktor des Klima- und Energieteams am Breakthrough Institute, gibt Mittel für Forschungsarbeiten zur Energiepolitik heraus. Er ist Experte für kritische Rohstoffe. Im Gespräch mit MIT Technology Review erläutert er die aktuelle Situation.

Ist China selbst von der globalen Lieferkette für kritische Mineralien abhängig?

Wenn wir über Chinas Vorherrschaft bei solchen Rohstoffen sprechen, geht es oft um die Verarbeitungsstufe. Aber China importiert auch Roherze, um sie zu verarbeiten.

Die wichtigsten und interessantesten Mineralien aus der Perspektive der grünen Technologien sind die Metalle der Platingruppe [die in Geräten verwendet werden, die Wasserstoff in Energie umwandeln, Anm. d. Red.]. So werden Metalle wie Iridium, Platin, Palladium [und] Zirkonium in verschiedenen Brennstoffzellsystemen und in den Elektrolyseuren selbst verwendet. Ein großer Teil dieser Produktion stammt jedoch aus Südafrika.

Und Kobalt kommt zu 75 Prozent aus der Demokratischen Republik Kongo (DRC). Hochreiner Quarz [der in der gesamten Solarindustrie und auch für Computerchips verwendet wird, Anm. d. Red.] kommt größtenteils aus den USA. Interessant ist auch das Thorium für Kernkraftwerke, denn China experimentiert im Rahmen von Demonstrationsprojekten mit Thorium-Reaktoren. Beim Nickel kommt wiederum eine große Menge aus Indonesien.

Sieht die chinesische Regierung die Tatsache, dass sie viele Mineralien importieren muss, als eigene Schwachstelle?

Chinas Vorsprung bei der Entwicklung neuartiger Akkutechnologien wie Natrium-Ionen-Batterien ist auf Bemühungen zurückzuführen, die Stabilität der Lieferkette zu gewährleisten. Eine Natrium-Ionen-Batterie schützt das Land vor den Unsicherheiten in der Lithium-Lieferkette und vor denen bei Nickel und Kobalt. Viele der Forschungsbemühungen in diesem Bereich werden stark unterstützt, weil sie Vorteile in der Lieferkette haben.

Ein Beispiel für die vielen gemeinsamen öffentlich-privaten Anstrengungen in China ist der Versuch, mehr Kapazitäten für ultrareinen Quarz lokal zu entwickeln. Die Chinesen investieren hier in die heimische Produktion, weil dies ein Sektor ist, in dem Nordamerika die derzeitige Produktion dominiert. Zwei amerikanische Unternehmen in North Carolina produzieren etwa 180.000 Tonnen hochreinen Quarz pro Jahr. Das chinesische Unternehmen Jiangsu Pacific Quartz Products steigerte seine Kapazität in diesem Jahr von 5.000 auf 20.000 Tonnen – und das ist im Grunde die gesamte weltweite Produktion.

Interessanterweise gibt es in den USA keine Ausfuhrbeschränkungen für ultrareinen Quarz nach China, während China selbst einen Einfuhrzoll von 16 Prozent erhoben hat, um die Abhängigkeit vom heimischen Markt zu erhöhen.

Möchte China eine autarke inländische Lieferkette für grüne Technologien aufbauen?

Egal ob für die USA oder China – jede Vorstellung einer vollständigen Autarkie ist eindeutig nur ein Hirngespinst. Trotz der Größe der Länder.

Ich denke, die klugen politischen Entscheidungsträger in beiden Ländern versuchen eher, sich auf eine Abkoppelung oder einen Handelskrieg vorzubereiten, aber sie versuchen nicht, ihre Industriepolitik auf einen vollständigen Bruch auszurichten. Sie versuchen, ein gewisses Maß an inländischem Know-how, Kapazitäten und weiteren Bezugsquellen sicherzustellen. So würde es im Falle einer Exportbeschränkung immer noch zu einem Preisanstieg kommen und die betreffende Industrie würde zwar harte Zeiten durchmachen. Doch ihr Überleben wäre gesichert.

Die USA und China sprechen immer noch regelmäßig darüber, wie sie in Sachen Klimaschutz zusammenarbeiten können. Ist das nicht unvereinbar mit dem Plan einer Entkoppelung?

Klimaschützer und Aktivisten haben vielleicht eine etwas unrealistische Erwartung, dass beide Seiten eine Art hollywoodreifes Finale anstreben, bei dem alle zusammenarbeiten, um die globale Herausforderung des Klimawandels zu meistern.

Das ist wahrscheinlich etwas unrealistisch, weil die USA und China wirklich so viele Politikbereiche haben, in denen es starke Meinungsverschiedenheiten gibt. Ich denke, wir müssen uns einfach darauf einigen, dass wir nicht einer Meinung sind – und der beste Weg nach vorne ist, gute Leitplanken für den Wettbewerb zu schaffen.

Viele US-Politiker scheinen zu zögern, bei grünen Technologien zu energisch vorzugehen, zumindest auf der Seite der US-Demokraten, weil sie die US-Klimaziele als sehr eng mit dem Import chinesischer Produkte verknüpft sehen. Das will man nicht gefährden. Und ich frage mich, ob die chinesische Seite nicht zu wettbewerbsorientiert ist, weil es sich hier um sehr lukrative Exportindustrien handelt. Neulich war ich sehr erstaunt, zu erfahren, dass Photovoltaik-Produkte mittlerweile einen Anteil von 7 Prozent am chinesischen Handelsüberschuss ausmachen.

Welche Rolle spielen neben den USA und China andere Länder in der globalen Lieferkette für grüne Technologien?

Eine Sache, die man im Auge behalten sollte, sind die ärmeren Länder und die Länder mit mittlerem Einkommen, die derzeit viel Erz exportieren, aber nicht von den nachgelagerten Industrien mit hohem Mehrwert profitieren.

Simbabwe hat deshalb einige Ausfuhrbeschränkungen für unraffiniertes Erz eingeführt. Das Land wollte internationale Investitionen in Raffinerien im Lande fördern, um veredelte Produkte zu exportieren, die der Bevölkerung zugutekommen. Und Indonesien hat dasselbe für Nickel versucht.

In den Emerging Markets gibt es einen enormen Hunger, in diese Industriesektoren einzusteigen und auf den Zug in Richtung grüne Energie aufzuspringen und wirtschaftlich davon zu profitieren. Das sieht man in Indien, Indonesien, Sambia, der Demokratischen Republik Kongo und Simbabwe. Ein Teil von mir fragt sich manchmal, ob wir in fünf oder zehn Jahren auf diese Debatte nicht als Albernheit zurückblicken. All diese Angst und Paranoia zwischen den USA und China – obwohl doch die Lieferketten dann vielleicht ganz anders aussehen.

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