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Linux für Afrika

| Robert Seetzen, Dr. Oliver Diedrich

Digitale Spaltung überwinden, neue Perspektiven eröffnen: Das Hilfsprojekt Linux4Afrika nutzt klassische Stärken freier Software, um die IT-Ausstattung afrikanischer Schulen voranzubringen. Ende März startet ein weiterer Transport mit 200 gespendeten Computern.

Aktive Entwicklungshilfe verlangt Toleranz für klimatische Extreme – vor Ort in Südafrika ebenso wie im ungewohnt winterlichen Deutschland. Anfang März herrscht südlich des Äquators Hochsommer, bei Temperaturen über 40 Grad und gleichzeitiger Rationierung des Trinkwassers [1] gerät die Arbeit deutscher Helfer zur physischen Belastungsprobe. Zeitgleich, einige tausend Kilometer weiter nördlich, frieren Mitglieder von Linux4Afrika in einer ungenutzten Messehalle, wo sie gebrauchte Computer für den Containerversand vorbereiten.

Zuständig für die Überprüfung und teilweise Umrüstung der Computer sind erfahrene IT-Profis. Die meisten Mitglieder von Linux4Afrika arbeiten beruflich mit dem PC und bringen entsprechend umfangreiche Systemkenntnisse mit. Hans Peter Merkel, Initiator des Projekts, steht Ermittlungsbehörden unter anderem als Sachverständiger für Datenforensik zur Seite – eine Dienstleistung, die ihn dieses Jahr auch nach Südafrika führt, wo er Schulungen für Polizisten und Steuerfahnder abhalten soll. Dass er sich nach Abschluss der mehrwöchigen Schulungen sofort um die Inbetriebnahme der per Schiff gelieferten Spenden-PCs kümmern kann, zählt zu den Synergien, die sein umfangreiches Engagement für Linux4Afrika [2] oft erst möglich machen.

Linux für Afrika (0 Bilder) [3]

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Das 2006 gegründete Projekt hat bereits rund 700 Computer für verschiedene Schulen in Afrika gesammelt, aufbereitet und verschickt. Hauptziel der Lieferungen war bislang Tansania, kleinere Transporte gingen auch nach Kenia und Malawi. In Zukunft sollen weitere Ziele hinzukommen.

linux4afrika - schüler an Linux-PCs

Schüler in Dar es Salaam machen im Februar 2008 erste Erfahrungen an den von Linux4Afrika installierten PCs.

Die erste der für 2010 geplanten Lieferungen umfasst etwa 200 Computer, sie unterstützt Ausbildungsinitiativen eines neu gewonnenen Projektpartners Hilltop Centre [5] in Südafrika. Von Leipzig aus soll dann im Mai erstmals ein Container nach Mosambik starten, ebenfalls mit voraussichtlich rund 200 Computern. Einer Fraueninitiative in Kenia sind 12 Desktop-Systeme und ein Server versprochen. 50 weitere Rechner aus einer unerwartet eingegangenen Spende werden, wie die Leipziger Lieferung, voraussichtlich nach Mozambik gelangen.

Die Unterstützung tut Not, wie ein Blick auf wichtige Kennziffern der Internationalen Fernmeldeunion (ITU [6]) offenbart. Nach den für 2008 veröffentlichten Zahlen [7] der ITU kommen in Deutschland auf 100 Einwohner 65 Computer, in Tansania nicht mal einer. Schlechte Voraussetzungen, um im einer von moderner Informationstechnik abhängigen Welt bestehen zu können.

Vor diesem Hintergrund und in absoluten Zahlen betrachtet, können die bisherigen Erfolge und aktuellen Fortschritte von Linux4Afrika nur geringe Linderung bringen. "Mikro-Arbeit zu leisten", wie er seine Bemühungen nennt, hält Hans-Peter Merkel dennoch für wertvoll. Zumal sein Projekt unmittelbar aus der Praxis entstanden ist.

Bereits die ersten Wurzeln des Projekts wachsen in beiden Kontinenten. Der 2004 in Freiburg gegründete Verein FreiOSS [8] eint international tätige IT-Profis in der Absicht, freie Software international voranzubringen. Mitglieder von FreiOSS zählen auch zu den Referenten eines 2005 in Deutschland abgehaltenen, zwölfmonatigen IT-Trainingsprogramms für asiatische und afrikanische Teilnehmer. Im Anschluss an die Schulungen betreuen einige afrikanische Projektteilnehmer ein kleines, Terminalserver-basiertes Netzwerk an einem Freiburger Gymnasium. Die Kombination aus flinkem Server und leistungsschwächeren Arbeitsstationen weckt schnell besonderes Interesse der afrikanischen Projektteilnehmer: Der Wunsch, ähnliche Netzwerke in afrikanischen Schulen zu installieren, ist geboren.

Erstes Ziel des Projekts ist Tansania. Hier hat FreiOSS besonders aktive Unterstützer, auch die mit über 70 Prozent relativ hohe Alphabetisierungsrate und vergleichsweise stabile politische Verhältnisse liefern gute Argumente für den ostafrikanischen Staat. Konkrete Planungen beginnen Anfang 2006, im Sommer 2007 startet ein erster Container. Anfang 2008 folgt die feierliche Einweihung des ersten von Linux4Afrika ausgestatteten PC-Klassenzimmers.

Pro Container gehen rund 200 PCs auf den Weg nach Afrika.

Pro Container gehen rund 200 PCs auf den Weg nach Afrika.

Der lange Zeitraum von der Initialzündung des Projekts bis zur Inbetriebnahme des ersten Netzwerks vor Ort geben bereits einen Hinweis auf die zahlreichen Hürden, die unterwegs auftauchen. Zusagen der tansanischen Botschaft zur Finanzierung des Containertransports erweisen sich als brüchig; bundesdeutsche Stellen finden das Projekt zwar lobenswert, Mittel dafür sind dennoch nicht verfügbar. Eine Einladung zum Bundestagsausschuss für Technikfolgenabschätzung findet zwar einiges Medienecho, bleibt letztlich aber ohne messbare Folgen.

Wertvoller ist die zweimalige Auszeichnung durch die UN-Dekade Bildung für nachhaltige Entwicklung [9], ein auf zehn Jahre angelegtes, 2005 gestartetes Projekt für Bildungsmaßnahmen rund um Themen nachhaltiger Entwicklung. Ganz konkrete Resultate für die ersten Schritte von Linux4Afrika folgen aus der Teilnahme am LinuxTag 2007, einem Bericht in 3Sat und Artikeln in der Linux-Fachpresse. Zumindest an Spendencomputern herrscht anschließend kein Mangel mehr.

Linux4Afrika sucht nach Computern, die in deutschen Büros und Arbeitszimmern aussortiert werden. Schlüssel zum effizienten Einsatz alter Hardware ist die kluge Lastenteilung zwischen einem leistungsstarken Server und schlichter ausgestatteten Clients. Alle an den Arbeitsplätzen genutzten Anwendungen laufen auf dem Server, die Clients übernehmen lediglich die Darstellung der Bildschirminhalte und die Weitergabe der Maus- und Tastaturereignisse. Theoretisch könnten schon alte Pentium-Rechner mit 90 MHz eingesetzt werden, in der Praxis nutzt Linux4Afrika Maschinen ab etwa 500 MHz.

In den Servern kommt brandneue Hardware zum Einsatz. Jeder Server versorgt in der Standardkonfiguration bis zu 23 Clients, die nötige Rechenleistung liefert ein Athlon DualCore mit 2,5 GHz Taktfrequenz und 4 GByte RAM. Wo es die örtlichen Gegebenheiten erlauben und zwei benachbarte Räume für PC-Klassen bereitstehen, bedient ein auf 8 GB aufgerüsteter Server bis zu 46 Arbeitsstationen.

Das Sammeln, Lagern, Prüfen, Konfigurieren, Transportieren und anschließende Installieren der Hardware verbraucht den mit Abstand größten Teil der Zeit- und Finanzressourcen von Linux4Afrika: Ohne verlässliche Hardware wären die Ziele des Projekts unerreichbar. Die Bedeutung der auf den Maschinen eingesetzten Software tritt dabei leicht in den Hintergrund – zu Unrecht, denn gerade hier zeigen sich die besonderen Stärken des Projekts.

Afrikanische PCs arbeiten, wie in Europa, fast immer mit Windows. Gültige Lizenzen aktueller Windows-Versionen sind allerdings die Ausnahme; veraltete, virenverseuchte, instabile Rechner hingegen die Regel. Wenn Hans-Peter Merkel E-Mails von Nutzern afrikanischer Windows-Computer erhält, sind im Anhang fast immer ungebetene Gäste zu finden. Als Linux-Anwender sieht er solchen Bedrohungen gelassen ins Auge, die zugrunde liegenden Probleme beschäftigen ihn stärker.

"Bei meiner Arbeit als IT-Trainer in Entwicklungshilfe-Projekten habe ich viele hoch motivierte, junge Afrikaner kennen gelernt, die mit Begeisterung an Linux herangegangen sind. In ihrer Heimat stoßen sie aber auf erheblichen Widerstand und Aussagen wie 'Was sollen wir mit Linux? Windows ist für uns auch kostenlos!'. Wenn wir Linux in afrikanische Schulen bringen, bieten wir jungen Menschen schon früh eine Alternative zur Abhängigkeit von Microsoft." Merkel sucht nach Wegen, die digitale Kluft zu überwinden. Freie Software kann dazu wesentliche Beiträge leisten.

Linux4Afrika - Debian 5 Desktop

In ihrer aktuellen Version setzt die Linux4Afrika-Installation auf Debian 5

Im Fall der von Linux4Afrika konzipierten Schulnetzwerke spielt Edubuntu [10] die zentrale Rolle, ein mit dem Linux Terminal Server Project [11] (LTSP, siehe Artikel Das Linux Terminal Server Project [12]) und zahlreichen Lernprogrammen ausgestattetes Ubuntu-Derivat. In Zukunft soll, auch dank immer leistungsstärkerer Gebraucht-Hardware, statt des LTSP die Terminalserver-Software x2go [13] zum Einsatz kommen. Damit verbunden ist ein Wechsel zu Debian 5 [14], schulspezifische Bausteine steuert Skolelinux [15] bei. Unverändert bleibt der für den Start der Clients verwendete Netzwerk-Bootloader. Hier arbeitet ebenfalls freie Software, die von Linux4Afrika selbst gebrannten Boot-ROMs enthalten das aus dem Etherboot-Projekt hervorgegangene gPXE [16].

Der konsequente Einsatz freier Software setzt sich aus Anwendersicht fort. Den Schülern steht ein reichhaltiges, wenn auch stark naturwissenschaftlich ausgerichtetes Angebot verschiedener Lernprogramme zur Verfügung. Pädagogisch orientierte Spiele sind ebenfalls vertreten, darüber hinaus können die Schüler den Umgang mit wichtigen Standardprogrammen wie OpenOffice erlernen.

Als Ausgleich für die in den Schulen meist fehlende Internetanbindung hält der Server einen LAMP-Stack mit CMS-Werkzeugen wie WordPress und Typo3 bereit, ebenso eine Installation des Lernmanagement-Systems Moodle [17] (siehe Artikel Die freie Lernplattform Moodle [18]). Ein lokaler Mailserver bietet eine Plattform zum Erlernen grundlegender Kommunikationstechniken, auch Programme für das Chat-Protokoll Jabber/XMPP sind mit an Bord. Ein Snapshot der Wikipedia [19] dient als universelles Nachschlagewerk.

Um aufwändige und fehlerträchtige Installationsarbeiten in Afrika zu vermeiden, gehen sämtliche Rechner vollständig vorkonfiguriert und einsatzbereit auf die Reise. Die Festplatten der Server enthalten zudem eine leicht aktivierbare Rettungspartition zur Wiederherstellung des Systems nach fatalen Fehlkonfigurationen und ähnlich gelagerten Problemen. Weitergehende Reparaturen, etwa den Austausch defekter Festplatten, übernehmen die jeweiligen Partner vor Ort, etwa Cenfoss [20] in Mozambik, Hilltop Centre [21] in Südafrika und Agumba Computers [22] in Tansania.

Einige Partner können auch die Inbetriebnahme neuer Klassenzimmer-Netzwerke schultern, zumindest für eine erste grundlegende Schulung rund um das Terminalserver-System wird aber doch das Fachwissen von Linxu4Afrika benötigt. In der Vermittlung von Wissen und Erfahrung sieht Hans Peter Merkel auch einen Schwerpunkt für die Zukunft von Linux4Afrika. Ein aktuelles Projekt sieht beispielsweise gar keine Hardware-Lieferungen, sondern die Einweisung eines IT-erfahrenen Schülers in die Funktionsweise der von Linxux4Afrika zusammengestellten Terminalserver-Installation vor. Als Trainer wird er diese Kenntnisse an die Projektpartner vom Hilfskorps Sankt Lazarus [23] weitergeben, die sich zudem eigenständig um das Sammeln der für den Kongo bestimmten Hardware kümmern.

Neue Perspektiven verspricht auch die von Linux4Afrika unlängst auf der Bildungsmesse Didacta vorgeführte Kopplung von OLPC-Laptops an einen Terminalserver. Hier hat ein ebenfalls von der UN-Dekade ausgezeichnetes Projekt in Ghana Interesse angemeldet. Eine derzeit angedachte Kooperation mit dem deutschen Verein Ingenieure ohne Grenzen [24] verspricht Lösungsansätze für ein allgegenwärtiges, grundsätzliches Problem: Anstelle der bestenfalls lückenhaften und unzuverlässigen, oft aber gar nicht vorhandenen Netzstromversorgung soll Solarstrom für den PC-Betrieb genutzt werden. Ein mobiles Klassenzimmer mit 20 Spenden-Laptops aus den USA und einer von Linux4Afrika installierten Linux-Basis soll den Anfang machen.

Offenbar kann auch Mikro-Arbeit einiges bewirken. (odi [25]) (odi [26])


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Links in diesem Artikel:
[1] http://marlonazinovic.wordpress.com/2010/03/08/kein-wasser/
[2] http://www.linux4afrika.de/
[3] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_962959.html?back=962849;back=962849
[4] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_962959.html?back=962849;back=962849
[5] http://www.hilltop-centre.org/
[6] http://www.itu.int
[7] http://www.itu.int/ITU-D/icteye/Default.aspx
[8] http://freioss.net/
[9] http://www.bne-portal.de/
[10] http://edubuntu.org
[11] http://ltsp.org/
[12] https://www.heise.de/ratgeber/Das-Linux-Terminal-Server-Project-221509.html
[13] http://www.x2go.org/
[14] http://www.debian.org
[15] http://www.skolelinux.de/
[16] http://etherboot.org/wiki/index.php
[17] http://moodle.org
[18] https://www.heise.de/tests/Die-freie-Lernplattform-Moodle-938222.html
[19] http://schools-wikipedia.org/
[20] http://www.cenfoss.co.mz/
[21] http://www.hilltop-centre.org/
[22] http://agumba.biz/
[23] http://moodle.org/
[24] http://www.ingenieure-ohne-grenzen.org
[25] mailto:odi@heiseopen.de?subject=Linux%20fuer%20Afrika
[26] mailto:odi@ix.de