MIT vergibt Leistungsnachweise für Online-Studien

Kostenlose oder billigere Online-Studiengänge könnten die US-Hochschulbildung demokratisieren. Das MIT geht mit einem freien Internet-Semester, das voll anerkannt wird, einen wichtigen Schritt in diese Richtung.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Brian Bergstein

Kostenlose oder billigere Online-Studiengänge könnten die US-Hochschulbildung demokratisieren. Das MIT geht mit einem freien Internet-Semester, das voll anerkannt wird, einen wichtigen Schritt in diese Richtung.

Das Massachusetts Institute of Technology (MIT) geht den bislang vielleicht größten Schritt zur Integration von kostenlosen Online-Kursen in seine traditionellen Vorlesungen. Anfang Oktober gab die US-Universität auf ihrer Konferenz Solve bekannt, dass sie Studenten erlauben wird, einen ihrer Master-Abschlüsse zur Hälfte online zu machen – egal von wo aus, kostenlos und ohne Zulassungstests. Die zweite Hälfte des Studiums spielt sich dann in einem weiteren Semester auf dem Campus ab.

Die Mischung aus Online- und Offline-Lernen ist ein Experiment. Zunächst ist sie nur in dem einjährigen Master-Studiengang des MIT in Lieferkettenmanagement möglich. Doch mit dem Versuch zeigt die Universität ihre Unterstützung für die Überlegung, dass so genannte Massive Open Online Courses (MOOCs) dazu beitragen könnten, die Ausbildung an Universitäten grundlegend zu verändern.

Normalerweise gibt es am MIT pro Jahr nur etwa drei Dutzend Studenten zum Lieferketten-Master. Jetzt aber kann jeder Interessierte das erste Semester dieses Studiengangs kostenlos bei edX absolvieren, einem Online-Dienst, der Inhalte von MIT, Harvard University, UC Berkeley und anderen Universitäten anbietet. Wer hinreichend gute Semesterarbeiten abliefert und am Ende des Semesters (unter Aufsicht in einem Zentrum in der Nähe des eigenen Wohnorts) eine Prüfung besteht, bekommt einen so genannten „MicroMaster“-Abschluss des MIT. Für das zweite Semester zum vollwertigen Master in Lieferkettenmanagement ist eine offizielle Bewerbung erforderlich. Ein MicroMaster erhöht laut dem MIT aber „beträchtlich“ die Chancen, aufgenommen zu werden. Aus diesem Grund werden Plätze für zusätzliche Studenten geschaffen.

Yossi Sheffi, Leiter des Center for Transportation and Logistics am MIT, hofft nach eigenem Bekunden darauf, mit dem neuen Programm mehr „von den besten der besten“ Studenten aus aller Welt zu bekommen. Die Online-Kurse würden der Verwaltung sehr genaue Informationen über die Eignung der einzelnen Studenten liefern.

„Mit diesem Ansatz wird der traditionelle Zulassungsprozess im Grunde auf den Kopf gestellt. Ich halte dieses Konzept für sehr mächtig“, sagt Rafael Reif, President des MIT. „Die Bewerber müssen jetzt nicht darauf hoffen, dass wir sie richtig einschätzen, sondern haben die Chance, ihre Fähigkeiten im Voraus selbst zu beweisen.“

Und was passiert, wenn ein Student nicht für die zweite Hälfte des Studiengangs nach Massachusetts kommen darf? Dass Arbeitgeber allein den MicroMaster würdigen werden, ist nicht garantiert. Jedoch denken laut dem MIT mit dem Zaragoza Logistics Center in Spanien und dem Malaysia Institute for Supply Chain Innovation mindestens zwei andere Universitäten darüber nach, das Online-Studium am MIT als Leistungsnachweis anzuerkennen. Weitere Business Schools dürften folgen.

Das MIT ist nicht die erste Spitzenuni, die Leistungsnachweise für die Teilnahme an Online-Vorlesungen vergibt. Das Georgia Institute of Technology zum Beispiel bietet ein Master-Studium in Informatik an, das komplett online absolviert werden kann. Dieses Programm ist jedoch nicht offen für alle: Teilnehmer müssen den normalen Bewerbungsprozess für die Universität durchlaufen und Studiengebühren bezahlen.

Einzelne Studieninhalte werden vom MIT schon seit vielen Jahren online verfügbar gemacht. Mit der Gründung von MITx im Jahr 2011 hat die Universität ihr Engagement in diesem Bereich deutlich verstärkt; dort sind nicht nur aufgezeichnete Vorlesungen zu finden, sondern auch interaktive Möglichkeiten, interaktiv Quiz-Fragen zu beantworten oder an Diskussionen teilzunehmen. Seit den Anfängen haben MIT, Harvard und private Anbieter wie Coursera oder Udacity die Zahl der angebotenen Vorlesungen drastisch erhöht, in Fächern von Geisteswissenschaften bis Informatik.

Ob MOOCs wirklich eine Demokratisierung des Zugangs zur universitären Ausbildung bedeuten, wird vielerorts intensiv diskutiert. Laut einer Studie ziehen sie nicht sehr viele Menschen an, die ansonsten nicht studiert hätten: Rund drei Viertel der Teilnehmer haben bereits einen Abschluss und wollen nur aus Interesse oder aus beruflichen Gründen weiterstudieren. Für viele Universitäten ist das Anbieten von MOOCs möglicherweise vor allem eine Methode, um die Erfahrung auf ihrem Campus zu verbessern. Sie nutzen die Online-Kurse für ein Modell des „umgekehrten Unterrichts“: Studenten sehen in freier Zeiteinteilung Video-Vorlesungen und ergänzendes Material dazu an, in der Universität gibt es vor allem Gruppendiskussionen, Laborarbeit und andere Elemente, die vor Ort am besten funktionieren.

Tatsächlich wird der persönliche Kontakt weiterhin so hoch geschätzt, dass sich das MIT kaum Sorgen machen muss, dass das Angebot eines kostenlosen Online-Semesters viele davon abhalten wird, Tausende Dollar für dasselbe Semester auf dem Campus zu bezahlen. Wie Jonathan Haber erklärt, Bildungsforscher und Autor des Buches MOOCs, haben Studenten an anderen Hochschulen bislang zumeist auf die Möglichkeit verzichtet, zu hohen Rabatten die Online-Versionen der Campus-Vorlesungen zu besuchen.

Das allerdings könnte sich ändern, fügt Haber hinzu, wenn die Universitäten besser darin werden, Online-Studenten zu bewerten und sich dadurch eher trauen, ihnen Leistungsnachweise für online besuchte Vorlesungen zu erteilen. Irgendwann könnten US-Studenten Leistungsnachweise aus MOOCs parallel zu einer Berufstätigkeit nutzen, um ihre anschließende Studienzeit bis zum Abschluss von vier auf drei Jahre zu verkürzen (und damit auch die Studiengebühren für ein Jahr zu sparen).

So gesehen könnte sich die jüngste Entscheidung des MIT als wichtiger Präzedenzfall erweisen.

(sma)