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Microsofts Professional Developer Conference 2009 in Los Angeles

Dr. Holger Schwichtenberg, Alexander Neumann

Mit im Vergleich zum Vorjahr reduzierter Teilnehmerzahl fand vom 17. bis 19. November die Professional Developer Conference in Los Angeles statt.

Letzte Woche tagte in Los Angeles wieder die Professional Developer Conference. Eine PDC veranstaltet Microsoft immer, wenn es viele neue Produkte zu verkünden gibt. heise Developer fasst die Neuigkeiten der PDC 2009 zusammen.

Im letzten Jahr stellte Microsoft mit "Windows Azure" und "SQL Azure" Cloud-Computing-Produkte unter dem Dach der Azure-Plattform vor. Dieses Mal verkündete Chefarchitekt Ray Ozzie [1], dass Azure am 1. Januar 2010 mit sechs Rechenzentren auf zwei Kontinenten (USA und Europa) in Produktion gehe. Das nutzungsabhängige Abrechnungssystem aktivieren die Redmonder nach einigen Tests einen Monat später.

Am Himmel hängt Microsofts Cloud

Ozzie betonte, dass Azure nicht nur .NET-Anwendungen hosten kann, sondern sich auch für andere Programmiersprachen wie Java, PHP, C++ und Produkte wie Apache und Tomcat öffne. Neben dem Hosten einzelner Webanwendungen und Webservices will Microsoft zukünftig das Hosten kompletter virtueller Systeme anbieten. Es fand sich aber leider noch kein Microsoft-Mitarbeiter, der die Frage beantworten konnte, ob Unternehmen damit auch Terminal-Services anbieten und somit Desktop-Clients in Azure betreiben können.

"Sydney" bezeichnet ein neues Entwicklungsprojekt der Redmonder zur Kopplung von SQL Azure mit SQL-Server-Instanzen in anderen Datenzentren auf Basis von IPv6 und IPsec, sodass ferne SQL-Server-Instanzen in der Azure-Verwaltungskonsole genauso erscheinen wie SQL-Azure-Datenbanken.

Ozzies Keynote stand unter dem Motto "Three Screens and a Cloud". Microsoft zielt auf Symmetrie in der Softwareentwicklung, also gleiche Techniken sowohl für unterschiedliche Clients (PCs, Telefone, Fernseher) als auch für die Entwicklung im Backend anbieten, unabhängig davon, ob die Anwendung auf eigenen Servern oder als Dienst in der Cloud läuft.

Neben "Sydney" stellt Microsoft als weitere wichtige Komponente dieser Symmetrie den Anwendungsserver "AppFabric" vor. Es ist der seit Langem vermisste Anwendungsserver für Betrieb, Verwaltung und Überwachung von .NET-Diensten, die mit der Windows Communication Foundation (WCF) oder der Windows Workflow Foundation (WF) realisiert wurden. Für das Hosting eines WCF- oder WF-Prozesses gab es zwar bisher schon den Internet Information Server (IIS) beziehungsweise die Windows Activation Services (WAS), aber es fehlten Management-Werkzeuge sowie Komponenten zur Skalierung.

Wer die PDC im Jahr 2008 verfolgt hat, weiß dass AppFabric so ganz neu nicht ist. Microsoft hatte im letzten Jahr eine Vorabversion unter dem Codenamen "Dublin" präsentiert [2]. Neu ist, dass der Anwendungsserver einen verteilten Cache (bisheriger Codename "Velocity [3]") sowie die zuvor unter dem Begriff ".NET Services [4]" bekannten Windows-Azure-Dienste "Access Control" für Zugriffskontrolle und "Service Bus" zur Anwendungskopplung umfasst. Letztere gibt es allerdings wohl nur in der AppFabric-Variante für Windows Azure. AppFabric soll im Frühjahr 2010 als kostenfreie Ergänzung für Windows Server 2008 erscheinen und in Zukunft fester Bestandteil der Rolle "Anwendungsserver" im Windows Server sein. Die Cloud-Variante für Windows Azure wird es erst später im nächsten Jahr geben.

Windows Azure besteht als solchen Server-Containern

Ein eigenes Cloud-Projekt auf Basis von Azure kündigte Microsoft mit dem Projekt "Dallas [5]" an. Darunter versteht man eine Sammlung unterschiedlicher Datenbanken, die kostenfrei oder gegen Gebühr über Azure abgerufen werden können. Der Nutzer kann sich einer Webmaske bedienen oder einen REST-Webservice benutzen, der Microsofts Object Data Protocol (Odata [6]) verwendet. Es ist entstanden aus den WCF Data Services [7] (vormals "ADO.NET Data Services"). Eine Datenquelle in Dallas nennt sich "Dataset", was aber nichts mit dem aus .NET bekannten gleichnamigen Programmierkonstrukt zu tun hat. Derzeit enthält "Dallas" beispielsweise Daten der NASA (Mars Explorer), der Vereinten Nationen (WHO-Gesundheitsstatistiken und UNESCO-Indikatoren), von InfoUSA (Firmeninformationen), der US-Regierungsbehörden (Kriminalstatistiken) sowie Nachrichten von Associated Press. "Dallas" versteht sich einerseits als Vermarktungsplattform, anderseits als Aggregator, der die Kombination von Daten aus unterschiedlichen Quellen ermöglicht.

Neben den Themen rund um Azure betraf die zweite große Neuankündigung das RIA-Browser-Plug-in Silverlight, denn bei "Three Screens and a cloud" setzt Microsoft auf Silverlight als zentrale Frontend-Technik. Die Firma will bei den Versionen die bisher hohe Schlagzahl aufrechterhalten und hat bereits vier Monate nach dem Erscheinen von Silverlight 3.0 die erste Beta-Version der vierten Version präsentiert, die im Frühjahr 2010 fertig sein soll. Silverlight 4.0 zeichnet ein großer Schub in Richtung Integration mit dem lokalen Desktop aus. Sofern ihre Entwickler, der Administrator der Domäne und der lokale Benutzer es erlauben, kann eine Silverlight-4-Anwendung alle lokalen COM-Objekte aufrufen. Das bedeutet, dass eine derart vertraute Silverlight-Anwendung sowohl lokale Hardware als auch andere lokale Anwendungen wie Microsofts Office ansteuern kann. Aber auch nicht vertraute Silverlight-Anwendungen können ab Version 4 deutlich mehr auf dem Client, zum Beispiel Drucken, Drag & Drop, Datenaustausch mit der Zwischenablage, Rich-Text-Bearbeitung, Einbetten von HTML-Inhalten sowie Mikrofone und Webcams nutzen.

Steven Sinofski zeigte Bildschirme in allen Größen

Die starke Erweiterung der Integration zwischen Silverlight und dem lokalen Betriebssystem wirft die Frage auf, ob Microsoft nun Silverlight zu einem Ersatz für .NET ausbauen will. Brian Goldfarb [8], Produktmanager im Webteam, sagte dazu: "Bei Silverlight kommt es auf die Download-Größe und die breite Plattformunterstützung an. Es ist eine Ergänzung zu .NET, nicht ein Ersatz." Scott Guthrie, Chef der Webplattformen bei Microsoft, kündigte für Silverlight 4.0 auch ein Plug-in für Googles Chrome und Verbesserungen bei der Geschwindigkeit an.

In der Keynote des zweiten Tages trat Steven Sinofsky [9] auf, das für Windows und Live zuständige Microsoft-Vorstandsmitglied. Neben Lobgesängen auf Windows 7 gab es von ihm erste Einblicke in die Entwicklung des Internet Explorer 9. Für die kommende Version des Browsers versprach er hardwarebeschleunigte Grafik und Textdarstellung mit DirectX, eine bessere JavaScript-Leistung und Unterstützung für HTML 5 sowie CSS 3. Man peile die Kompatibilität zum ACID-3-Test [10] an. Laut Sinofsky läuft das IE-9-Projekt erst seit drei Wochen. Er zeigte daher nur einen Prototypen der neuen Version der Trident Engine [11] in einem Testrahmen, noch nicht die eigentliche Browseroberfläche. Zu sehen waren durchaus beeindruckende Verbesserungen bei der Gleichmäßigkeit von Animationen und der Stufenlosigkeit vergrößerter Texte. Die Gerüchte der letzten Monate, dass Microsoft den Umstieg auf die Webkit [12]-Engine plane, wurden damit erst mal aus dem Weg geräumt.

Für .NET-Entwickler, die nicht mit Clouds und Silverlight arbeiten, war diese PDC wenig ergiebig. Microsoft redete im Wesentlichen über .NET Framework 4.0, Visual Studio 2010 und Team Foundation Server 2010. Alle drei Produkte befinden sich in der Beta-2-Phase und erscheinen am 22. März 2010 offiziell. Die Teilnehmer der PDC waren in der Vergangenheit gewohnt, dass in Vorträgen, die mit "Gegenwart und Zukunft" überschrieben sind, die Produktentwicklungsteams nicht nur die nächste, sondern auch die Prototypen der übernächsten Version eines Produkts präsentieren. Gemessen an diesem Maßstab war die PDC 2009 etwas enttäuschend, denn es gab auch in den als "Zukunft" titulierten Vorträgen nur spärliche Einblicke in die Nachfolger der .NET-4.0-Ära.

Von vielen Teilnehmern vermisst wurde insbesondere C#-Erfinder Anders Hejlsberg [13], der in den letzten PDC-Jahren mit einem Vortrag zur Zukunft von C# immer Maßstäbe gesetzt hatte. Dieses Mal trat Luca Bolognese [14], Group Program Manager für die .NET-Sprachen VB.NET, C# und F# auf die Bühne, um im Wesentlichen C# 4.0 und Visual Basic 10.0 nochmals "durchzukauen". Erst gegen Ende nannte er drei Arbeitsgebiete für die Folgeversionen. Das erste Gebiet ist die Anpass- und Erweiterbarkeit der Sprachcompiler. Zukünftig sollen Entwickler in der Lage sein, Refactoring-Funktionen und aspektorientierte Konzepte direkt im Compiler umzusetzen bis hin zur Möglichkeit, aus Bausteinen eigene Sprachcompiler zu erzeugen. Das zweite Gebiet ist der asynchrone Aufruf von Methoden. Durch das Schlüsselwort yield soll ein Entwickler anzeigen können, dass er einen Methodenaufruf in einem separaten Thread starten möchte. Das erinnert an die Future-Variablen, die Anders Hejlsberg 2005 auf der damaligen PDC präsentierte. Das dritte genannte Gebiet sind unveränderbare Klassen (Immutable Classes).

Ein paar Einblicke in die Zukunft gab es zu ASP.NET. Scott Hunter [15] aus dem Entwicklungsteam präsentierte für den Nachfolger von ASP.NET 4.0 einige Ideen. Dazu gehören die Unterstützung für HTML 5, CSS Sprites, Datenzugriff nach dem Active-Record-Prinzip sowie zahlreiche Hilfsklassen, die typische Aufgaben wie Hintergrundaufgaben und das Datei-Upload verbessern. Immer noch nicht gezeigt wurden die seit Langem erwarteten Client-Steuerelemente, die mit JavaScript genauso arbeiten wie die Server-Steuerelemente mit .NET-Code.

Einziges .NET-Zukunftsthema, das einen breiteren Rahmen bekam, waren die "SQL Server Modeling Services" (vormals Projekt "Oslo") mit der Sprache "M" und dem Werkzeug "Quadrant". Oslo hat eine kuriose Geschichte hinter sich, denn 2007 hatte Microsoft das Projekt als eine umfassende SOA-Plattform angekündigt, dann aber viele Teile ausgekoppelt, sodass auf der PDC 2008 nur noch die Modellierung verblieb. Jetzt hat sich Oslo noch weiter verengt auf die Datenmodellierung. Von der seit 2005 angekündigten Microsoft-Alternative zur UML ist also immer noch nichts zu sehen.

Dabei versteht Microsoft Datenmodellierung mit "M" eher als ein Instrument des Rapid Application Development für datengetriebene Anwendungen ("Forms over Data"). Entwickler sollen zukünftig die Datenmodelle so mit "M" spezifizieren, dass die Anwendung auf dieser Basis von Werkzeugen wie Quadrant oder Framework wie ASP.NET Data Dynamic Data automatisch erzeugbar ist. Zwar gibt es in der .NET-Welt viele Entwickler, die sich über modellgetriebene Entwicklung und RAD freuen, aber der Rest von Oslo ist nicht das, was man sich unter einer umfassenden SOA-Plattform vorstellt. Auch die MDA-/RAD-Geschichte ist nicht vollständig, denn bisher kann man nur Webanwendungen mit "M" automatisch erstellen. Douglas Purdy [16] ließ aber durchblicken, dass man bald eine Ausprägung für WPF und Silverlight sehen werde. Eine bessere RAD-Unterstützung hatte Jason Zander [17] aber eigentlich schon für Visual Studio 2010 angekündigt.

Werbung für das .NET Micro Framework, das jetzt Open Source ist

Außerdem gab es zahlreiche Vorträge rund um die Programmierung mit Office (Microsoft hatte auf der PDC 2009 die ersten öffentliche Beta-Versionen von Office 2010, SharePoint Server 2010, Visio 2010, Office Mobile 2010 und Office Web Apps verkündet), Windows 7, SQL Server 2008 R2, Biztalk Server sowie zu exotischeren Themen wie die Programmierung mit dem .NET Micro Framework, Windows Live und Bing Maps.

Es gab schon PDCs mit mehr Neuigkeiten. Die klassischen Zukunftsthemen wie die nächste Version von Windows und die übernächste Version von .NET fehlten dieses Mal. Man merkt, dass Microsoft sich derzeit stark auf Azure und Silverlight konzentriert. Wer nicht mit "Wolken" und RIA arbeitet, für den war die Konferenz weniger ergiebig, zumal AppFabric nur ein neuer Name für Produkte ist, die schon letztes Jahr auf der Ankündigungsliste [18] standen. Dennoch kamen wieder einige Tausend Entwickler aus aller Welt nach Los Angeles, was durchaus einen positiven Indikator für das Interesse an Azure und Silverlight darstellt, die bisher als Randgebiete gelten. Die genaue Teilnehmerzahl wollte Microsoft zwar nicht verraten – es waren aber augenscheinlich deutlich weniger als im letzten Jahr.

Dr. Holger Schwichtenberg
bietet mit seinem Unternehmen www.IT-Visions.de [19] Beratung und Schulungen im .NET-Umfeld. Er hält Vorträge auf Fachkonferenzen und ist Autor zahlreicher Fachbücher.
(ane [20])


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https://www.heise.de/-868240

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.microsoft.com/presspass/exec/ozzie/
[2] http://www.heise.de/ix/meldung/PDC-Microsoft-stellt-neuen-Anwendungsserver-Dublin-vor-214535.html
[3] http://it-visions.de/glossar/alle/5344/Velocity.aspx
[4] http://www.microsoft.com/windowsazure/dotnetservices/
[5] http://pinpoint.microsoft.com/en-US/Dallas
[6] http://www.odata.org/
[7] http://www.heise.de/developer/meldung/PDC-2009-ADO-NET-Data-Services-heissen-nun-WCF-Data-Services-863561.html
[8] http://blogs.msdn.com/bgold/
[9] http://www.microsoft.com/presspass/exec/ssinofsky/
[10] http://acid3.acidtests.org/
[11] http://www.it-visions.de/glossar/alle/5719/Trident.aspx
[12] http://webkit.org/
[13] http://de.wikipedia.org/wiki/Anders_Hejlsberg
[14] http://blogs.msdn.com/lucabol/
[15] http://blogs.msdn.com/scothu/
[16] http://www.douglaspurdy.com/
[17] http://blogs.msdn.com/jasonz/
[18] http://www.heise.de/developer/artikel/Top-Themen-der-PDC-2008-352705.html
[19] http://www.it-visions.de/start.aspx
[20] mailto:ane@heise.de