Missing Link: Fit für die Digitalität – journalistisches Wissen muss in Schulen

In Schulen sollte mehr journalistisch gearbeitet werden, um Kinder für die digitale Welt fit zu machen, vertritt Lehrkraft Hans-Jakob Erchinger.

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(Bild: ADragan/ Shutterstock.com)

Lesezeit: 9 Min.
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  • Hans-Jakob Erchinger
Inhaltsverzeichnis



Künstliche Intelligenz, Deep Fakes und strategische Informationen sind allgegenwärtig – auch auf den Geräten meiner Schülerinnen und Schüler. Den Folgen dieser Entwicklung begegne ich in meinem Unterricht fast täglich. Auch in Diskussionen mit Lehrkräften in Fortbildungsveranstaltungen, die ich für das niedersächsische Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ) leite, wird deutlich, dass der Umgang mit Medien und Technik die Gretchenfrage in der Schule ist.

Ich habe es mir deshalb zur Aufgabe gemacht, das Handwerk von Journalisten zu vermitteln. Es verbindet aus meiner Sicht beides: die Auseinandersetzung mit der Technik und die Auseinandersetzung mit den vermittelten Inhalten.

Hans-Jakob Erchinger

(Bild: 

NLQ, Medienberatung Niedersachsen

)

Hans-Jakob, kurz Jako, Erchinger ist beim Niedersächsischen Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ) im Fachbereich Medienbildung tätig. Dort ist er für den Bereich Journalismus und Schule zuständig. Als Lehrer für die Fächer Geschichte, Politik, Erdkunde und Religion lässt er journalistische Projekte in den Unterricht einfließen. In mittlerweile 53 Folgen werden im Podcast "Schule Macht Medien" Akteure aus Schule, Medien und Hochschulen zur Medienbildung befragt. Gemeinsam mit Sylke Wilde von Heise Medien ist er in der Jury zum JuniorenPressePreis tätig.

Am deutlichsten wird mir dieses Zusammenspiel in meinem Politik-Unterricht. Dort greife ich immer wieder Aktuelles auf und helfe Schülern, die Themen einzuordnen und ihre Meinung zu begründen.

In meiner 10. Klasse, die ich in Politik und Geschichte unterrichte, habe ich etwa den Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober thematisiert. Ich spürte das Bedürfnis der Klasse, mir von den Videos und Social-Media-Posts auf TikTok und Co. zu berichten.

Ich mache die Erfahrung, dass Gespräche und Diskussionen zu aktuellen Themen außerhalb der Schule wenig bis kaum mit den Jugendlichen geführt werden. Auch meine Klasse war stark emotionalisiert, denn sehr viele Schülerinnen und Schüler haben eine internationale Familiengeschichte, die sich in der Mediennutzung abbildet. Zu beobachten ist, dass mediale Propaganda auf Kinder und Jugendliche trifft und diese Schwierigkeiten bei der Einordnung haben. Der sogenannte "TikTok-Krieg" ist ein Beispiel, wie die globale Politik im Klassenzimmer ankommt – eingebettet in private Fotos, Videos und Unterhaltung.

Mir ist es deshalb ein Bedürfnis, zu vermitteln, welche Fragen an diese Inhalte gestellt werden müssen: Was ist richtig? Was ist falsch? Wie prüfe ich Quellen? Meine Erfahrung zeigt, dass Schüler sich mehr mit diesen Fragen beschäftigen, wenn sie selbst Handelnde werden. Und sie tun dies mit großem Engagement! Sie drehen beispielsweise kleine Videoreportagen oder konzipieren kleine Fotoreportagen, kurze Podcasts und Videos. Ich beginne mit diesen Aufgabenstellungen schon ab Klasse 5.

Bei richtiger Anleitung lernen die Kinder, dass die Fakten stimmen müssen und Überprüfung wichtig ist. Informationstechnisches Wissen ist so immer mit Inhalt verbunden. Dadurch wird auch die Lehrkraft zum Lernenden, denn IT-Wissen muss permanent aktualisiert werden. Um die Lehrkräfte dabei zu unterstützen, kooperiere ich seit vielen Jahren mit Profis – auch mit Redakteuren aus dem Heise Verlag – sowohl von der c’t als auch heise online.

Belegt wird die Dringlichkeit, der ich begegne, in Studien zur Mediennutzung. Es gibt immer längere Online-Zeiten bei 14- bis 19-Jährigen: 6,5 Stunden Internetnutzung täglich (Onlinestudien ARD und ZDF) und fast 10 Stunden Mediennutzungszeit (VAUNET-Mediennutzungsanalyse).

Die digitalen Geräte in den Händen der Jugendlichen werden auch immer mächtiger – ab Klasse 5 das Smartphone, ab Klasse 7 starten die Tabletklassen, nun die integrierten KI-Chatbots und viele andere KI-Tools, die für die Heranwachsenden leicht erreichbar sind. In der Schule muss all das didaktisch, methodisch und informationstechnisch berücksichtigt werden – eine riesige Herausforderung, der sich die Schulen gemeinsam mit der Elternschaft stellen müssen.

Meist ändert sich durch diese Art des Arbeitens auch die Rolle der Lehrkraft im Unterricht. In technischen Fragen werden Lehrende auch zu Lernenden; in fachlichen Fragen werden dagegen der Faktencheck und die inhaltliche Korrektur notwendiger und wichtiger. So kann es gelingen, dass die Schülerinnen und Schüler immer wieder den Kopf einschalten, denn der rein algorithmische Konsum von Medien auf dem Smartphone funktioniert über Affekte. Quellen zu hinterfragen, eigene Fragen zu stellen und Wissen sprachlich in neue Kontexte zu stellen, wird wichtiger denn je. Diese Erkenntnis muss allen vermittelt werden, um einer wachsenden sozialen Ungleichverteilung von Wissen im Umgang mit Massenmedien entgegenzuwirken.

Schülerinnen und Schüler sollten mehr Freiheiten bekommen und dazu angeregt werden, aktiv mit Medien zu arbeiten. In den Unterrichtsstunden müssen die Inhalte sprachlich und visuell präsentiert und von der Lehrkraft mit der Gruppe besprochen werden.

Hier seien dafür ein paar Beispiele genannt:

  • Das Projekt "FREI DAY" aus der Initiative "Schule im Aufbruch" von Margret Rasfeld ermöglicht Schulen in Niedersachsen, Medienprojekte frei umzusetzen. Die Heranwachsenden werden ermutigt, selbstbestimmt und kreativ zu arbeiten. Die Global Goals zur Nachhaltigkeit setzen den sehr freien Rahmen. Die Inhalte sprachlich und visuell zu präsentieren, muss im Unterricht vermittelt werden.
  • Ein gelungenes Beispiel ist der Beitrag "Echt oder Fake – die Gefahren der künstlichen Intelligenz". Die Schüler vom Gymnasium Athenaeum in Stade haben ganz spielerisch eine Umfrage gestartet, ob der Unterschied zwischen einer KI-gefakten Realität und der faktischen Realität noch erkennbar ist. In ihrem Video werden die Testpersonen auf der Straße mit den Fakes konfrontiert. Das Fazit der Schüler: "Gesundes Misstrauen reicht nicht immer, um den Einfluss künstlicher Intelligenz zu erkennen."

Ebenso vielfältig wie die Medien in unserer Gesellschaft sind auch die Möglichkeiten der Medienarbeit in der Schule. In der NLQ-Lehrkräftefortbildung haben wir gemeinsam mit Heise-Redakteuren vermittelt, wie die Arbeit mit Medien aussehen kann. Lernen am eigenen Tun gilt für Lehrkräfte wie für die Schülerinnen und Schüler.

Ein Beispiel ist der Input zum Thema Podcasting, den die 14 Schulen aus Niedersachsen auch durch die Unterstützung im Heise Verlag bekamen. Vorbereitet im Workshop mit Holger Bleich, konnten die Lehrkräfte selbst in die Rolle des Journalisten schlüpfen. Befragt wurden die Heise-Redakteure zu IT-Themen. Die Ergebnisse sind zu hören im Podcast "Schule Macht Medien" in den Folgen 39 bis 43.

Dass das Lernen am Modell Wirkung zeigte, ließ sich an den eingereichten Schülerprojekten erkennen. Podcasting stand hoch im Kurs. Im anschließenden Schülerwettbewerb wurde die Podcast-Folge "Wir waren nicht mehr Schülerinnen, wir waren Fronthelferinnen" vom Gymnasium in der Wüste prämiert. Audioaufnahmen und veröffentlichte Schülerpodcasts sind an vielen Schulen der erste Zugang zu aktiver digitaler Medienarbeit. Das Tablet oder das Smartphone wird zum Werkzeug, um digital zu recherchieren und zu produzieren.

ChatGPT und weitere KI-Tools können der notwendige Beschleuniger werden. Ähnlich wie bei den Lehrer-iPads (im DigitalPakt "Leihgeräte für Lehrkräfte") müssen zunächst die Lehrerinnen und Lehrer die Chancen erkennen, die sich in der Unterrichtsvorbereitung, Aufgabenstellung und Korrektur ergeben.

Mein Lieblingsprompt für ChatGPT bei der Planung jeder neuen Unterrichtseinheit ist folgender: "Schlage mir Langzeitaufgaben für digitale Produkte und kleine journalistische Projekte mithilfe des iPads vor (Interviews, Podcasts, Videos, E-Books, Keynotes oder digitale Plakate). Themen sind (aus dem analogen Schulbuch der Schüler entnommen). Die Arbeitsaufträge sprachlich für Schüler in Jahrgang (…) gut verständlich schreiben."

Die wöchentlichen Hausaufgaben, die auch vor ChatGPT schon abgeschrieben worden sind, entfallen dafür. Überraschende Ergebnisse sind Interviews mit Experten, detaillierte und schön designte Plakate oder Videos, die vor der Klasse präsentiert werden. Das motiviert dann auch andere Schüler, die solche Chancen der digitalen Geräte noch nicht erkannt haben.

Für meine Unterrichtsgestaltung nutze ich aktuell die Bezahlversion von ChatGPT. Die Vorteile sind die Bildgenerierung, die Scanfunktion und ausführlichere Ergebnisse. Allerdings sind die über 20 Euro pro Monat nicht gerechtfertigt, da die Ergebnisse mit dem Copilot von Bing teilweise sogar brauchbarer sind.

Als hilfreiche KI-Tools für Medienarbeit im Unterricht für Lehrkräfte oder auch Schülerinnen und Schüler haben sich für mich bisher Folgende erwiesen:

  • KI-Tool 1: Transkription von MP3-Aufnahmen in Text. Tonaufnahmen von Interviews, die Schüler erstellt haben, lassen sich viel einfacher in Text umwandeln. Dies geht sehr gut mit Word aus dem Office-Paket (Achtung: nur auf Windows-Rechnern). Weitere freie Tools findet man unter thetoolbus.ai. Der dortige Audio-to.Text Converter transkribiert bis zu 25 MB, was für kleine Interviews völlig reicht.
  • KI-Tool 2: SchulKI und das Fobizz-Angebot als datenschutzkonforme Zugänge von ChatGPT für den Unterricht. Hiermit lassen sich zum Beispiel gemeinsam mit den Schülern hervorragende Interviewfragen entwickeln. Die Fobizz-Tools müssen von der Schule oder der Lehrkraft bezahlt werden. Die Schulki ist nach Anmeldung bis zu 100.000 Token kostenfrei.
  • KI-Tool 3: fiete.ai "Überarbeitung und Rückmeldung in der Textarbeit". Mit diesem KI-Tool kann man als Lehrkraft Aufgaben bereitstellen. Anschließend erhalten die Schüler KI-basierte Rückmeldungen für ihre Lösungen, bevor sie ihre an die Lehrkraft abgeben.

(kbe)