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Missing Link: Insulting Machines – die Welt des Mike Cooley

Detlef Borchers
Missing Link: Insulting Machines – Die Welt des Mike Cooley

(Bild: PHOTOCREO Michal Bednarek/Shutterstock.com)

"Ein Computer ist kein Gehirn." Mike Cooley beklagte, dass technologische Errungenschaften ungleich eingesetzt werden und Menschen sich Erfindungen unterwerfen.

It is a graceful degradation, bristling with paths not taken
Supercharged by Taylor’s one best way
with all the zeal of the monotheist
Where Schumpeter shoves, Kondratiev waves and Gladwell points
All in hot pursuit of singularity.
Behold the strange phyla as they stalk their makers They too can walk, feed, talk
and -some say- think.
We create devices and then they create us.
Narcissus-like, we gaze into a pool of technology and see ourselves.
We acquiesce in our own demise, setting out as participants
and metamorphosing into victims.
The diagnosis is serious: a rapidly spreading species’ loss of nerve
Tacit knowledge is demeaned whilst propositional knowledge is revered.
Who needs imagination when there are facts ?

Dies sind die ersten Strophen des Gedichtes "Insulting Machines", verfasst vom Iren Mike Cooley. Das Gedicht über künstliche Intelligenz erschien zuerst im Jahre 2013 in der Fachzeitschrift AI & Society [1], aber auch im Spokesman Journal, der Zeitschrift des Bertrand Russell Peace Funds und in einigen irischen Zeitungen. Das Gedicht, in dem der Hype um die künstliche Intelligenz und die technologische Singularität skeptisch betrachtet wird, wird von einem zweiten Gedicht begleitet, in dem Cooley die Fähigkeiten der Handwerker in seinem Heimatdorf Tuam beschreibt. Fast alle Berufe und Fertigkeiten, die der 1934 geborene Dichter in seiner Jugend kennengelernt hatte, sind heute ausgestorben oder vergessen.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Cooley selbst, der in der Schule der christlichen Bruderschaft von Tuam unterrichtet wurde, hatte das Glück, in der lokalen Zuckerfabrik im Maschinenpark arbeiten zu können, wo er den österreichischen Ingenieur und Fabrikleiter Fritz Kaplan kennenlernte. Dessen Frau Antonie unterrichtete Cooley auf Deutsch, sodass er Maschinenbau und Luftfahrttechnik an der damals so genannten Ingenieursakademie Bremen studieren konnte. Seine erste Anstellung fand Cooley in der Maschinenfabrik Oerlikon in Zürich, ehe er 1957 als Konstrukteur zum Flugzeugbauer De Havilland nach London wechselte.

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1962 ging es zurück nach Irland, wo Cooley bei Luftfahrt- und Rüstungskonzern Lucas Aerospace arbeitete und in die Ingenieurs-Gewerkschaft TASS (Technical, Administrative and Supevisory Section) eintrat. In den 70er-Jahren geriet Lucas Aerospace in Schwierigkeiten. Entlassungen drohten, doch die Beschäftigten setzten auf eine Gegenstrategie, die Cooley in einem rororo-Buch gleich im Titel so beschrieb: "Produkte für das Leben statt Waffen für den Tod. Arbeitnehmerstrategien für eine andere Produktion".

Wie Mike Cooley im Buch schreibt, haben die Beschäftigten bei Lucas Aerospace die Konsequenzen aus dem Widerspruch zwischen der Hochtechnologie im Flugzeugbau und der Armut in Irland gezogen. "Wir haben damals bei Lucas Aerospace die raffiniertesten Maschinen produziert, Hochpräzisionsgeräte angefertigt, Nachbrenner für Düsentriebwerke gebaut und Bordcomputer für Militärjets entworfen. Wir arbeiteten mit hoch belastbarem, aber leichtem Material, wir hatten Versuchseinrichtungen und Klimakammern, in denen die Bedingungen des Weltraums simuliert werden konnten – und draussen, vor den Werkstoren, starben in Britannien jeden Winter Tausende von alten Leuten an Unterkühlung, weil sie sich keine Heizung leisten konnten."

In ihrer Freizeit, aber mit den Möglichkeiten von Lucas Aerospace im Hintergrund, wurden 150 Projekte ausbaldowert, die der Gesamtbetriebsrat im Januar 1976 vorstellte. Man konzentrierte sich auf medizinische Apparate, alternative Energiequellen, Transportsysteme, Bremssysteme, maritime Anlagen und auf telechirurgische Geräte. Im Medizinischen Bereich stellte man eine Weiterentwicklung der stationären Nierenmaschinen hin zu tragbaren Dialysegeräten vor, tragbare Defibrillatoren, Wärmeaustauscher zur Verhinderung von Blutverdickung, radargestützte Orientierungshilfen für Blinde, entwickelt aus den Blindflug- und Landesysteme von Lucas Aerospace. Ferner schlugen die Arbeiter die Entwicklung von Solarzellen, einen Hybridantrieb für Autos und den Bau von schwimmenden Kraftwerken vor, die gleichzeitig Wind-, Wellen- und Gezeitenenergie nutzen sollten, um Strom zu erzeugen. Eine ausführliche Darstellung der Initiativen bei Lucas Aerospace findet sich beim Journalisten Pit Wuhrer [3].

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Im Jahr 1980 veröffentlichte Mike Cooley sein Hauptwerk "Architect or Bee. The Human Price of Technology." Der Titel ist ein Zitat aus dem "Kapital" von Karl Marx, in dem im deutschen Original von dem Baumeister und der Biene die Rede ist, wenn Marx die menschliche Vorstellungskraft betont: "Eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen Baumeister. Was aber den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, dass er die Zelle zuvor in seinem Kopf gebaut hat."

Im Buch, das die Erfindungen bei Lucas Aerospace beschreibt, beklagte Cooley, dass technologische Errungenschaften ungleich eingesetzt werden und Menschen sich Erfindungen unterwerfen. "Ein Mikrofon ist kein Ohr, eine Kamera ist kein Auge und ein Computer ist kein Gehirn. Wir sollten es uns nicht erlauben, so konfus zu denken oder uns so von den Technologien einwickeln zu lassen, dass wir die Rolle des Menschen vergessen. Wir müssen uns entscheiden, ob wir für unser Recht kämpfen, die Architekten unser eigenen Zukunft zu sein oder ob wir einer kleinen Minderheit gestatten uns auf bienengleiche Automaten zu reduzieren."

Missing Link: Insulting Machines -- Die Welt des Mike Cooley

Das Management von Lucas Aerospace lehnte in der Folge alle Ideen und Vorschläge der Arbeiterschaft ab und kündigte stattdessen im Jahre 1981 Mike Cooley, dem Sammler all der Ideen mit der Begründung, er habe zu intensiv als Gewerkschafter gearbeitet und seine Rolle als Ingenieur vergessen. Darauf gab es internationale Proteste, auch in Deutschland, vom Angestelltenausschuss der IG Metall: "Hier soll ein engagierter kollege abgeschoben werden, dessen bahnbrechende und einer humanen arbeitswelt zukunftsweisende entwicklungen neue politische und soziale ideen eröffneten. Mike Cooley war einer der ersten, der auf die gefahren bei der anwendung von CAD/CAM aufmerksam gemacht hat. Es ist deshalb ein gebot internationaler solidarität, diesen aktiven gewerkschaftler tatkräftig zu unterstützen und gegen seine entlassung zu protestieren." (Die IG Metall war in den 70er Jahren ein engagierter Verfechter der kleinschreibung, d.A.) Die Gefahren von CAD hatte Cooley zuvor in einem Arbeitsheft "Computer Aided Design - sein Wesen und seine Zusammenhänge" für die Gewerkschaft aufgeschrieben.

Nach der Freistellung bei Lucas bekam Cooley eine Auszeichnung der besonderen Art. Er wurde einer der ersten Preisträger des Right Livelihood Awards [4], der in Deutschland gern als alternativer Nobelpreis bezeichnet wird. Den Preis erhielt Cooley für "das Design und die Unterstützung der Theorie und Praxis einer menschenzentrierte, sozial nützlichen Produktionsweise." Das Preisgeld von 50.000 US-Dollar des vom Briefmarkenhändler Jacob von Uexküll gestifteten Preises überließ er dem Betriebsrat von Lucas Aerospace.

Seine nächste Beschäftigung war die eines technischen Direktors der "Gesellschaft zur Förderung der Beschäftigung von Groß-London", als dort eine linke Stadtregierung im Greater London Council (GLC) das Sagen hatte. Cooley betrieb ausgiebige Studien zur Arbeitslosigkeit und zu den Arbeitsmöglichkeiten in London, um dann eine dezentrale Strukturpolitik zu fordern, mit der die Arbeitslosigkeit bekämpft werden kann. "London hat einen Versuch gestartet, der nur mit dem ´roten Wien´ der Vorkriegszeit verglichen werden kann," kommentierte die Presse.

Sein Bericht "Politik für mehr Beschäftigung und Lebensqualität" kann hier ab Seite 47 [5] nachgelesen werden (PDF-Datei). In ihm ist zu lesen, wie Cooley versuchte, die Produktideen der Arbeiter von Lucas Aerospace auf der Ebene von Stadtteilinitiativen oder lokalen Produktionsgemeinschaften umzusetzen. Das gänzlich andere Arbeiten, dass von der Labour Party unter Tony Benn mit einer Genossenschaftsagentur gefördert werden sollte, konnte zwar aufzeigen, was alles geändert werden kann, erfolgreich war es aber nicht. Der Cooley-Bericht endet abrupt mit dem trockenen Satz "Weil der GLC diese Politik gegen Arbeitslosigkeit und für Industriereform betrieben hat, beschloss die Tatcher-Regierung seine Abschaffung und die Auflösung aller anderen städtischen Selbstverwaltungen in Großbritannien."

Mike Cooley

Mike Cooley

In der Folgezeit hatte Mike Cooley Lehraufträge an der Universität Bremen und eine Gastprofessur am Institut für Wissenschaft und Technik der Universität Manchester. Er war Mitgründer der Zeitschrift Artificial Intelligence and Society, heute AI & Society. Sein letztes größeres Buch erschien 2018 "Delinquent Genius – The Strange Affair of Man and His Technology." In ihm widersprach er der Idee der fortlaufenden unvermeidlichen Enteignung menschlicher Fähigkeiten mit der Ablösung durch immer stumpfsinnigere Arbeiten. "Das Skript für dieses Finale kann immer noch und immer wieder vom Menschen neu geschrieben werden. Und ich meine damit Mensch und nicht eine abstrakte Menschheit, weil dies eine Beziehung (zur Technologie) ist, von der Frauen größtenteils ausgeschlossen wurden, mit desaströsen Konsequenzen für alle." Am 4. September 2020 ist Mike Cooley gestorben.

Meantime, the deskiller is deskilled, as a tsunami of technology rocks our foundations.
The multinational apologist solemnly declares
“We should have the courage to accept our true place in the evolutionary hierarchy
-namely animals, humans and post singularity systems”.
Now the sky darkens with pigeons coming home to roost
and the mine canaries topple from their perches unnoticed.

That distant sound grows louder.
Is it the life affirming energy of Riverdance
or the clacking hooves of the Four Horsemen?
That music, is it ‘Ode to Joy’ or is it ‘Twilight of the Gods?’
As the embrace tightens into genteel strangulation
-will the seducer in final deception whisper “Shall I compare thee to a Summer’s day?”

(bme [6])


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https://www.heise.de/-4906238

Links in diesem Artikel:
[1] https://link.springer.com/article/10.1007/s00146-013-0518-3
[2] https://www.heise.de/thema/Missing-Link
[3] https://www.pit-wuhrer.de/kapital/ka_07_02_15_lucas.html
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Right_Livelihood_Award
[5] https://einemann.de/Dokumente/1986_Beschaeftigungsinitiativen.pdf
[6] mailto:bme@heise.de