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Nach dem Vulkanausbruch: Wie Tonga wieder ins Netz kommen soll

Chris Stokel-Walker

Der Vulkanausbruch in Tonga ist rechts unten zu sehen.

(Bild: RAMMB/CIRA)

Die Welt will wissen, wie es dem Südpazifik-Inselstaat nach der Katastrophe geht. Doch neben der physischen Zerstörung ist auch die Kommunikation abgeschnitten.

Die Explosion des Vulkans Hunga Tonga-Hunga Ha'apai vor der Insel Tonga im Südpazifik ist inzwischen fünf Tage her – und nach und nach zeigen sich die globalen Auswirkungen: Mehr als 9.500 Kilometer entfernt ertranken noch zwei Menschen in Peru in den durch den Ausbruch verursachten hohen Wellen, in Japan fürchtete man sich vor dem nächsten Tsunami.

In Bezug auf die Auswirkungen bei der Bevölkerung vor Ort wird befürchtet, dass die ausgelöste Flut viele Menschen getötet und viele weitere obdachlos gemacht haben könnte. Doch eine Menge ist noch unklar. Das hat einen schlichten Grund: Tonga wurde plötzlich vom Internet abgeschnitten. [1] Das erschwert schon die Koordinierung von Hilfs- und Rettungseinsätzen erheblich. In einer hochgradig vernetzten Welt ist das Eiland nun völlig abgeschnitten. Es ist fast unmöglich, Nachrichten zu übermitteln. Deshalb ist es überlebenswichtig, das Land wieder ans Netz zu bringen. Das wird mindestens vier Wochen dauern, heißt es inzwischen vor Ort [2].

Der Netzverkehr brach am 15. Januar gegen 17.30 Uhr Ortszeit fast vollständig zusammen, wie aus den Daten der Webperformance-Firma Cloudflare hervorgeht. [3] Die Internet-Anbindung sei noch nicht vollständig wiederhergestellt, so Doug Madory von Kentik, einem Netzwerkbeobachtungsunternehmen. Der Grund für den Ausfall ist noch nicht genau bekannt, aber erste Untersuchungen deuten darauf hin, dass das Unterseekabel, das das Land mit dem Rest der Welt verbindet, durch die Vulkanexplosion zerstört wurde.

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"Tonga nutzt vor allem ein einziges Unterseekabel, um sich mit dem Internet zu verbinden", sagt Madory. Das "Tonga Cable System" verläuft 830 Kilometer zwischen Tonga und Fidschi und versorgt die beiden Inselstaaten mit Netzzugang. Bisher wurde diese Verbindung durch eine Satelliteninternetverbindung gestützt. "Ich vermute, dass sie diesmal nicht dazu in der Lage waren, diese zu nutzen. Technische Probleme erlauben das Umschalten nicht", sagt Madory. Er vermutet, dass der durch den Ausbruch entstandene Tsunami die Satellitenschüsseln zerstört haben könnte.

Der in Jamaika ansässige Mobilfunkbetreiber Digicel, der neben der Regierung von Tonga eine Minderheitsbeteiligung an der Verbindung besitzt, erklärte in einer Stellungnahme: "Die gesamte Kommunikation mit der Außenwelt in Tonga ist aufgrund der Schäden beeinträchtigt." Southern Cross Cable, ein in Neuseeland ansässiges Unternehmen, das Systeme betreibt, die an der Anbindung von Tonga hängen, geht davon aus, dass die Leitung etwa 40 Kilometer vor der Küste unterbrochen sein könnte. Weiterhin könnte es auch zu Zerstörungen zwischen den Inseln Tongas selbst gekommen sein, etwa vor der Hauptstadt Nukuʻalofa. Solche Unterbrechungen werden in der Regel festgestellt, indem man Licht durch den Glasfaserkern der Verkabelung schickt und berechnet, wie lange es dauert, bis das Signal zurückkehrt – was es tut, wenn das Kabel unterbrochen wird, sagt Christian Kaufmann, Vizepräsident für Netzwerktechnologie beim Netzwerkdienstleister Akamai.

Vulkanausbruch in Tonga: Luftaufnahmen der Schäden (0 Bilder) [5]

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Falls sich das bestätigt, ist das die denkbar schlechteste Nachricht für die Konnektivität in Tonga. "Es wird mindestens Tage, vielleicht sogar Wochen dauern, bis das Kabel repariert ist", sagt Madory. Der Ausfall ist nicht das erste Mal, dass Tongas Internetinfrastruktur von solchen Problemen geplagt wird. Im Januar 2019 hatte das Land einen "fast vollständigen" Internet-Blackout [7], als ein Unterseekabel zerstört wurde. Erste Berichte deuteten darauf hin, dass ein Magnetsturm und ein Blitzschlag die Verbindung beschädigt haben könnten. Doch eine spätere Untersuchung ergab [8], dass ein unter türkischer Flagge fahrendes Schiff, das vor Anker ging, die Leitung durchtrennt hatte. Die Behebung des Problems kostete schätzungsweise 200.000 US-Dollar [9] – und während der Reparatur war die Insel auf Satelliten-Internetverbindungen angewiesen.

Die Satelliten sind wahrscheinlich in nächster Zeit die einzige Rettung für Tongas Internet, aber da die Schäden nicht bekannt sind, könnte dem Land eine schwierige Zeit bevorstehen. "Wahrscheinlich dachten sie: 'Wenn das Kabel ausfällt, haben wir die Satelliten als Ausfallsicherheit'", sagt Madory. "Wenn ein Vulkan direkt neben dir explodiert und sowohl dein Kabel als auch deinen Satelliten ausschaltet, kannst du aber wenig tun." Die riesigen Aschemengen [10], die durch den Vulkanausbruch in der Luft sind, könnten selbst eigentlich funktionierende Satellitenverbindungen beeinträchtigen, meint Kaufmann.

Mehr von MIT Technology Review Mehr von MIT Technology Review [11]

Das kaputte Kabel zu reparieren, wird zudem nicht einfach sein. Spezialschiffe, die sich mit der Behebung von Kabelbrüchen auskennen (die jede Woche irgendwo auf der Welt auftreten, wenn auch zumeist in geringerem Ausmaß), müssen an den Ort des Problems geschickt werden. Ein Schiff, das helfen könnte, wäre die "CS Resilience", die derzeit vor Papua-Neuguinea liegt [12], fast 5.000 Kilometer entfernt. Jedes geeignete Schiff dürfte Tage oder Wochen brauchen, um das Problem zu beheben.

"Es geht auch darum, wessen Kabel zuerst repariert wird", sagt Madory. "Länder zahlen einen Aufschlag, um zuerst dran zu sein." Sobald eines der Schiffe am Einsatzort eintrifft, muss es das Kabel zunächst einfangen. Das erfolgt mittels Hakensystemen. Das eingehakte Kabel, das in der Tiefsee so dünn wie ein gewöhnlicher Gartenschlauch sein kann, wird dann auf das Deck des Schiffes hochgezogen, wo Techniker den Bruch beheben. "Das Kabel selbst ist nicht besonders stabil", sagt Kaufmann. Dann wird es vorsichtig wieder ins Wasser gelassen. "Dieser Prozess hat sich in den rund 150 Jahren, in denen es Unterseekabel gibt, nicht wesentlich verändert", so sein Kollege Madory.

Natürlich gibt es noch weitere Faktoren, die den Prozess erschweren. Tonga benötigt Lieferungen von Hilfsgütern, die schon bald per Schiff eintreffen dürften – von Nahrung bis Wasser. Die Rettung von Menschenleben ist wichtiger als Internet. Und womöglich gibt es auch große Stromausfälle. Auch die genaue Lage des Bruchs kann die Dinge verkomplizieren: Je weiter die Stelle vom Ufer entfernt ist, desto tiefer liegt das Kabel – und desto schwieriger wird es, es zu erreichen und es an Deck zu ziehen. Hinzu kommt die notwendige Netzwerktechnik an Land. Fehlt dieser Strom, funktioniert sie nicht. Und die Schäden könnten auch dort groß sein. "Tonga liegt am äußersten Rand des Internets", sagt Madory. "Je weiter man sich vom Kernnetz entfernt, desto weniger Möglichkeiten gibt es."

Der Ausfall von Tonga zeigt, wie verletzlich die weltweite Netzanbindung sein kann, wenn sie nur an bestimmten Punkten hängt. "Dies ist eine der Geschichten, die die Vorstellung widerlegt, dass das Internet so konzipiert wurde, dass es einem Atomkrieg standhalten kann", sagt Alan Woodward, Professor für Cybersicherheit an der University of Surrey in Großbritannien. Das Netz sei wie mit Kaugummi zusammengehalten an bestimmten Stellen. Dinge wie Vulkanausbrüche seien schwer einzuberechnen. Länder sollten dennoch versuchen, Redundanz durch mehrere unterseeische Verbindungen aufrechtzuerhalten – und zwar idealerweise solche, die verschiedenen Routen folgen, damit ein einzelner Vorfall nicht mehrere Leitungen in Mitleidenschaft zieht.

Doch solche Redundanz ist nicht billig – vor allem nicht für ein kleines Land mit knapp über 100.000 Einwohnern wie Tonga. Außerdem ist es wahrscheinlich, dass bei einem massiven Vulkanausbruch wie diesem die Bewegung des Meeresbodens einen Riss in einem zweiten Kabel verursacht hätte, selbst wenn es auf der anderen Seite von Tonga verlegt worden wäre. Andrew Bennett, der am Tony Blair Institute for Global Change Internetthemen untersucht, meint: "Auch wenn es im Vereinigten Königreich oder in den USA nicht so sein wird wie in Tonga, so gibt es doch zunehmend geopolitische Spannungen und Debatten über Infrastruktur." Dazu gehören Unterseekabel. Er plädiert für ein gemeinschaftliches Vorgehen der Länder.

Bennett schlägt zwei Optionen vor, um die Konnektivitätslücke zu schließen. Die eine ist die rasche Verbreitung von Satelliteninternet [13] – und hier gibt es gerade einen Boom. Die andere Option besteht darin, mehr Geld für das Problem bereitzustellen. "Wenn man eine belastbare Internetinfrastruktur als öffentliches Gut betrachtet, sollten die Länder, die es sich leisten können, dafür bezahlen und sie auch anderen zur Verfügung stellen", sagt er. Die Schließung des "Digital Divide" bis 2030 würde nach Angaben des Instituts nur 0,2 Prozent des Bruttosozialprodukts der OECD-Länder pro Jahr kosten. [14]

Angesichts der Tatsache, dass das Internet neben Heizung, Strom und Wasser zunehmend als vierte lebenswichtige Infrastruktur angesehen wird, ist ein langer Ausfall für 100.000 Menschen eine echte Katastrophe, die die unmittelbaren physischen Auswirkungen des Vulkanausbruchs noch verstärkt. Und der Vorfall macht deutlich, wie anfällig bestimmte Teile des Netzes sind, insbesondere außerhalb des globalen Nordens. "Das Internet bricht nicht unbedingt in seinem Kern zusammen", sagt Woodward. "Aber es wird zu den Rändern hin ausgefranst."

(jle [15])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-6331432

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/news/Heftiger-Vulkanausbruch-in-Tonga-Mehrere-Unterseekabel-beschaedigt-6328509.html
[2] https://abcnews.go.com/International/tongas-undersea-cable-weeks-repair-volcanic-eruption/story?id=82343899
[3] https://radar.cloudflare.com/to?date_filter=last_7_days
[4] https://www.heise.de/Datenschutzerklaerung-der-Heise-Medien-GmbH-Co-KG-4860.html
[5] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_6330674.html?back=6331432;back=6331432
[6] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_6330674.html?back=6331432;back=6331432
[7] https://www.bbc.co.uk/news/world-asia-46968752
[8] https://www.fijitimes.com/no-foul-play-police-report-clears-company-at-centre-of-tonga-cable-cut/
[9] https://www.oceannews.com/news/subsea-cable/subcom-reliance-completes-successful-repair-of-tonga-cable-system
[10] https://www.heise.de/news/Vulkanausbruch-in-Tonga-Satelliten-und-Luftbilder-zeigen-aschebedeckte-Inseln-6330590.html
[11] https://www.heise.de/tr/
[12] https://www.marinetraffic.com/en/ais/details/ships/shipid:711444/mmsi:538001583/imo:9236494/vessel:RELIANCE
[13] https://www.heise.de/hintergrund/Konkurrenz-zu-Starlink-Stratosphaerenflieger-sollen-Internet-Zugang-bringen-6269387.html
[14] https://institute.global/policy/open-internet-brink-geopolitical-cooperation-falling-short
[15] mailto:jle@heise.de