Neuroprothese macht Arm wieder nutzbar

Bei Rückenmarksverletzungen ist die Verbindung zwischen Gehirn und Muskeln unterbrochen. Mit einem neuartigen System konnte bei einem Betroffenen die Bewegungsfähigkeit trotzdem teils wiederhergestellt werden.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Emily Mullin
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William Kochevar aus Cleveland im US-Bundesstaat Ohio kann langsam seinen rechten Arm und die rechte Hand bewegen. Das klingt wenig spektakulär – doch der 56-Jährige war zuvor nach einem Fahrradunfall vor zehn Jahren von der Schulter an abwärts gelähmt gewesen.

Was Kochevar seine Bewegungsfähigkeit zurückgibt, ist eine "Neuroprothese" mit zwei Aufnahme-Chips, die in den motorischen Cortex seines Gehirns implantiert wurden, sowie 36 Elektroden in seinem rechten Arm.
Derzeit besucht er wöchentlich ein Labor in seinem Bundesstaat, wo Signale aus seinem Gehirn erfasst und an seinen Arm geschickt werden, so dass er damit willkürlich einfache Bewegungen ausführen kann. "Ich war total begeistert", sagt Kochevar.

Während Wissenschaftler zusahen und reihenweise Elektronik aufpasste, schaffte er es irgendwann, aus einer Kaffeetasse zu trinken und Kartoffelbrei zu essen. Sein Arm muss dazu auf einer mechanischen Stütze liegen. "Das Wichtigste, was ich nicht kann, ist meinen Arm selbst auf und ab bewegen", erklärt er.

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Schon in der Vergangenheit haben Forscher Labortiere und ungefähr ein Dutzend Menschen mit Hirnimplantaten versehen, mit denen sie allein mit Gedanken Computer-Cursor oder Roboter-Arme steuern konnten. Die neue Arbeit zeigt den nächsten Schritt: die Verbindung von Hirn-Computer-Schnittstellen mit funktionaler elektronischer Stimulation. Es werden also elektrische Impulse an die Muskeln in Gelenken geschickt, so dass sie sich zusammenziehen und Bewegungen auslösen.

"Was wir tun ist, die Rückenmarksverletzung zu umgehen", sagt Bolu Ajiboye, Biomedizin-Ingenieur an der Case Western Reserve University und Leiter des Experiments, über das er Ende März in der Fachzeitschrift The Lancet berichtete. Im vergangenen Jahr war es einem anderem Team gelungen, bei einem anderen Probanden mit Hilfe eines Hirnimplantats die Bewegungsfähigkeit der Hand teilweise wiederherzustellen.

Wenn sich eine gesunde Person bewegt, generiert ihr Gehirn einen Gedanken oder einen Befehl in Form von elektrischen Impulsen, die normalerweise über das Rückenmark zu den Gliedern gelangen. Bei schweren Rückenmarksverletzungen wie Kochevar sie hat ist dieser Signalweg blockiert.

Um die Verletzung zu umgehen, nutzt Ajiboye die beiden im Hirn von Kochevar implantierten Chips, die messen, wie seine Neuronen feuern, wenn er an Bewegungen denkt. Die Signale werden von einem mathematischen Algorithmus verarbeitet und dann an die Elektroden in Kochevars Ober- und Unterarm übertragen. Das Experiment ist Teil einer Pilotstudie von Wissenschaftlern an Case Western University und dem Cleveland Functional Electrical Stimulation Center.

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"Zuerst musste ich wirklich intensiv denken, um das System dazu zu bringen, etwas zu tun", sagt Kochevar. "Inzwischen muss ich immer noch denken, aber ich bemerke es gar nicht mehr." Seine Armbewegungen sind weiterhin eingeschränkt und langsam. Laut Andrew Schwartz, Professor für Neurobiologie an der University of Pittsburgh, werden Forscher besser darin werden, Gedanken in die komplexe Ansammlung von Muskelaktivierungen zu übersetzen, die für kompliziertere oder flüssige Armbewegungen nötig sind.

"Die Mechanik, um Muskeln sich passend zu einer gewünschten Bewegung kontrahieren zu lassen, ist ein wirklich schwieriges Problem. Ich bin nicht sicher, ob es große Fortschritte in dieser Richtung gegeben hat", sagt Schwartz.

Das ist nur einer der Gründe dafür, warum Hirn-Schnittstellen noch mindestens einige Jahre lang in der Praxis nicht zu finden sein dürften. Die Implantate von Kochevar sind obendrein mit zwei großen Gestellen oberhalb seines Kopfes verbunden, die an einen Computer angeschlossen sind. Bei den Hirnelektroden selbst ist zudem nur eine Funktionsdauer von einem bis vier Jahren zu erwarten, sagt Maryam Shanechi, die an der University of Southern California an Hirn-Computer-Schnittstellen forscht. Bei einem so kurzen Zeitraum würden Patienten das Risiko einer Implantation möglicherweise nicht auf sich nehmen.

(sma)