Rechenfehler bei der globalen Erwärmung?

Ein wichtiges Beweisstück dafür, dass der Mensch die Klimaveränderung zu verantworten hat, basiert offenbar auf fehlerhaften Berechnungen.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Richard A. Muller
Inhaltsverzeichnis

Der wissenschaftliche Fortschritt hat manchmal mit großen Entdeckungen zu tun. Manchmal kommt die Wissenschaft aber auch dann vorwärts, wenn wir lernen, dass etwas nicht der Wahrheit entspricht, was wir zuvor für richtig hielten. Wenn man ein Puzzle zusammensetzt, wird seine Fertigstellung manchmal dadurch verhindert, dass ein falsches Stück mit aller Macht an eine wichtige Stelle gedrückt wurde.

In der wissenschaftlichen und politischen Debatte über die globale Erwärmung könnte das letzte falsche Stück der so genannte "hockey stick" sein - ein berühmtes Diagramm, das von dem Geowissenschaftler Michael Mann und seinen Kollegen an der Universität von Massachusetts publiziert wurde. Das Diagramm soll aussagen, dass wir derzeit das wärmste Klima in einem Jahrtausend erleben und die Erde nach Jahrhunderten mit wenig Veränderung vor etwa 100 Jahren plötzlich begann, wärmer zu werden - genau zu der Zeit, als die Verbrennung von Kohle und Öl zu einer Erhöhung des Kohlendioxid in der Atmosphäre führte.

Die Debatte um dieses Diagramm ist von Seiten der Politik und der Umweltschützer derart heiß, dass es schwer ist, ihren wissenschaftlichen Kern zu erreichen. Eine Kolumne, die ich im vergangenen Jahr geschrieben habe, forderte dazu auf, die Wissenschaft nicht zu missbrauchen und sie einfach weiter machen zu lassen. Eine vorsichtige wissenschaftliche Arbeit in diesem Bereich ist aber schwierig, weil das Thema so wichtig ist.

Nun aber zum Schock: Die kanadischen Wissenschaftler Stephen McIntyre und Ross McKitrick haben einen fundamentalen mathematischen Fehler in dem Computerprogramm entdeckt, dass das Hockeyschläger-Diagramm ausspuckte. In seiner Originalveröffentlichung gab Mann an, dass er dazu eine Standard-Methode benutzte, die sich "Principal Component Analysis" (PCA) nennt, um die wesentlichen Entwicklungen aus mehr als 70 verschiedenen Klima-Aufzeichnungen zu bestimmen.

Dem war aber tatsächlich nicht so. McIntyre und McKitrick besorgten sich einen Teil des Programmes, das Mann benutzte - und fanden ernste Probleme. Erstens bedient sich das Programm nicht der konventionellen PCA-Methodik. Zweitens werden die Daten auf eine Art normalisiert, die man nur als falsch bezeichnen kann.

Wirklich schockierend ist allerdings, dass die unsachgemäße Normalisierung dazu tendiert, dass alle Daten, die die Hockeyschläger-Form des Diagrammes hervorrufen, überbetont wurden - die Daten, die das nicht tun, aber unterdrückt. Um diesen Effekt zu demonstrieren, erzeugten McIntyre und McKitrick sinnlose Testdaten, in denen es im Durchschnitt keine bestimmten Trends gab. Diese Methode, Zufallsdaten zu generieren, nennt sich "Monte Carlo"-Analyse - nach dem berühmten Casino. Sie wird weitläufig in der statistischen Analyse verwendet, um die jeweiligen Verfahren zu testen. Als McIntyre und McKitrick diese Zufallsdaten in das Mann-Verfahren fütterten, kam plötzlich die Hockeschläger-Figur heraus!

Diese Entdeckung traf mich wie ein Schlag - ich vermute, dass das auch vielen anderen so gehen wird. Plötzlich zeigt sich, dass das Hockeyschläger-Diagramm, dieses Vorzeigeobjekt der globalen Erwärmung, offenbar schlicht auf fehlerhafter Mathematik basiert. Wie konnte das passieren? Was geht hier vor? Lassen Sie mich kurz technisch erklären, wie es zu diesem unglaublichen Fehler kam.

Bei der PCA-Technik und ähnlichen Methoden wird von jedem der betrachteten Datensätze sein Durchschnittswert abgezogen, sodass sie ein arithmetisches Mittel von 0 bekommen. Dann werden sie mit einer Zahl multipliziert, sodass die durchschnittliche Abweichung um diesen Mittelwert 1 ergibt. Im technischen Jargon spricht man davon, dass jeder Datensatz auf den Mittelwert und die Varianz 1 normalisiert wird. In der Standard-PCA-Technik wird jeder Datensatz über die vollständige Datenperiode normalisiert - im Fall von Manns Klima-Berechnungen war das der Zeitraum von 1400 bis 1980. Aber das Computerprogramm, das er einsetzte, funktionierte anders: Es brachte jeden Datensatz nur für die Periode von 1902 bis 1980 auf den Mittelwert 0 und sorgte dafür, dass sie zu den historischen Werten dieses Zeitraums passen. Diese sind gut dokumentiert, sodass dieses Vorgehen Genauigkeit verspricht - aber dummerweise macht es die PCA völlig wirkungslos. Die PCA befasst sich vor allem mit Datensätzen, die eine hohe Varianz haben, und die Mann-Normalisierung gibt tendenziell solchen Datensätzen eine sehr hohe Varianz, die die Hockeyschläger-Form besitzen. Diese Datensätze haben ein arithmetisches Mittel von 0 aber nur in der Periode von 1902 bis 1980 und nicht über die längere Periode von 1400 bis 1980.

Das Endresultat: Die PCA-Analyse ergibt als "zentrale Komponente" die Form eines Hockeyschlägers, obwohl die meisten Daten das nicht unterstützen.

McIntyre und McKitrick haben ihre detaillierte Analyse an das Magazin "Nature" geschickt, wo sie breit begutachtet wurde. Aber ihre Arbeit wurde dann doch zurückgewiesen. Frustriert stellten McIntyre und McKitrick ihre Kritik und die Korrespondenz mit "Nature" ins Web . Wenn man sich die Arbeit ansieht, erkennt man, dass McIntyre und McKitrick zahlreiche weitere Probleme in der Mann-Analyse aufgezeigt haben. Ich habe den Fehler in dem PCA-Programm hier so stark herausgestellt, weil er relativ leicht zu verstehen ist. Offenbar testeten Mann und seine Kollegen das Programm nie mit dem Standard-Monte-Carlo-Ansatz - sonst hätten sie den Fehler selbst entdeckt. Es gibt noch andere Kritik am Hockeyschläger-Diagramm, beispielsweise eine Arbeit von Hans von Storch und Kollegen, die am 30. September in "Science" erschien.

Einige Leute mögen sich darüber beklagen, dass McIntyre und McKitrick ihre Ergebnisse nicht in einer Zeitschrift veröffentlichten, die einen anerkannten Bewertungsprozess kennt. Das ist wahr, aber sie haben es ja versucht. Tatsächlich wurde die Arbeit begutachtet - die Ergebnisse können von jedermann nachgelesen werden. Die einzige Fehlleistung von McIntyre und McKitrick war es, dass sie "Nature" nicht davon überzeugen konnten, dass ihre Arbeit wichtig genug war, um publiziert zu werden.

Welchen Einfluss hat diese schockierende Erkenntnis nun auf die Art, wie wir über die globale Erwärmung denken?

Mit Sicherheit negiert sie nicht die Gefahr einer langfristigen globalen Temperaturerhöhung. McIntyre und McKitrick sind vorsichtig genug zu betonen, dass es schwer ist, Rückschlüsse aus den Daten zu ziehen, auch mit ihren Korrekturen. Gab es schon im Mittelalter eine globale Erwärmung? Im letzten Monat herrschte noch der Konsens, dass es sie nicht gab, nun ist die korrekte Antwort, dass es niemand wirklich weiß. Die Fehler in der Mann-Analyse offenzulegen, beendet nicht die Debatte - sie geht nur wieder von vorne los. Wir wissen nun weniger über die Klimageschichte und ihre natürlichen Fluktuationen über die Jahrhunderte, als wir bislang dachten.

Selbst wenn man die globale Erwärmung fürchtet (zu dieser Gruppe gehöre ich) und denkt, dass menschlich erzeugtes Kohlendioxid dazu beigetragen haben könnte (wie ich es tue), muss man anerkennen: Es ist gut, dass der Hockeyschläger zerbrochen wurde. Fehlinformationen können echten Schaden hervorrufen, weil sie die Vorhersagen verzerren. Nehmen wir einmal an, dass Messwerte aus der Zukunft in den Jahren 2005 bis 2015 eine klare und deutliche Abkühlung signalisieren. Wenn wir den Hockeyschläger ernst nehmen, könnten wir dann fälschlich annehmen, dass diese Abkühlung eben nicht nur eine Zufallsfluktuation innerhalb eines Trends zur Erwärmung ist - denn der Hockeysschläger besagt ja, dass solche Fluktuationen vernachlässigbar sind. Und genau das könnte schließlich zu dem Fehlschluss führen, dass die Vorhersagen einer globalen Erwärmung Unsinn sind. Wenn wir aber das Hockeysschläger-Diagramm zurückweisen und anerkennen, dass natürliche Fluktuationen tatsächlich groß sein können, werden wir uns nicht von ein paar Jahren zufälliger Abkühlung verwirren lassen.

Ein falscher Hockeyschläger ist gefährlicher als ein zerbrochener - wenn uns klar ist, dass er zerbrochen ist. Es ist unsere Verantwortung als Wissenschaftler, alle Daten unvoreingenommen zu betrachten und dann die Schlüsse zu ziehen, die sich aus ihnen ergeben. Wenn wir einen Fehler entdecken, räumen wir ihn ein, lernen daraus und machen uns hoffentlich einmal mehr klar, wie wichtig es ist, bei der Arbeit Vorsicht walten zu lassen.

Von Richard A. Muller; Übersetzung: Ben Schwan.

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Richard A. Muller ist Physik-Professor an der University of California in Berkeley. Dort hält er die Vorlesung "Physics for Future Presidents"; außerdem ist Muller seit 1972 Berater für die nationale Sicherheit der USA. (sma)