Regulierer hat ein Auge auf die Netzneutralität

Iris Henseler-Unger, Vizepräsidentin der Bundesnetzagentur, äußert sich im c't-Interview zum Thema Netzneutralität. Sie hält ein Eingreifen für erforderlich, wenn die Innovationsfähigkeit des Netzes durch Zugangsbeschränkungen behindert wird.

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Von
  • Monika Ermert

Innovationen an den Rändern, den "edges", haben sich als Erfolgskonzept des Internets schlechthin erwiesen. Das sieht auch die Vizepräsidentin der Bundesnetzagentur in Bonn, Iris Henseler-Unger so, wird im Interview mit c't deutlich. Sollte diese Innvoationsfähigkeit behindert werden durch Beschränkungen beim Netzzugang, hält sie ein Eingreifen von Seiten der Regulierung für erforderlich. Vorerst sieht sie den gesunden Wettbewerb als gutes Gegengift.

c't: Frau Henseler-Unger, was ist das eigentlich, Netzneutralität?

Eine allgemeingültige Definition dafür gibt es eigentlich nicht. Meist wird bei einer Definition Bezug genomen auf die vier Internetfreiheiten, die Michael Powell, der damalige Chef der US-amerikanischen Federal Communication Commission, formuliert hat: dass man Zugang zum Inhalt und zu Anwendungen nach eigener Wahl hat, eigene Online-Anwendungen und -Inhalte ins Internet bringen kann, eigene Endgeräte mit dem Internet verbinden kann und dass es einen fairen Wettbewerb zwischen Netzbetreibern, Dienste- und Inhalteanbieter gibt. Das kann man als Definition akzeptieren, auch wenn sie schon recht alt ist.

Sind Sie als Regulierer aufgerufen, etwas für die Netzneutralität zu tun?

Bei dieser Frage muss man verschiedene Dinge überlegen. Ist eine Begrenzung von Netzneutralität tatsächlich wohlfahrtsminimierend? Oder ist sie eher wohlfahrtssteigernd? Vielleicht bekommt der Endnutzer eine größere Auswahl an Angeboten, wenn die Internetneutralität begrenzt wird. Rechtfertigt ein moderneres, leistungsfähigeres Netz Beschränkungen der Internetfreiheiten? Im zweiten Schritt muss man fragen, ob der normale Wettbewerb der Netze ausreicht, um gesamtwirtschaftlich unerwünschte Beschränkungen der Neutralität zu verhindern.

Halten Sie die Belange des Verbrauchers für zentral oder sind Marktzugang und Wettbewerb zwischen Anbietern das Wichtigste?

Ich sehe keinen Widerspruch zwischen beidem. Verbraucherrechte können in einer Wettbewerbsituation am besten wahrgenommen werden. Ein Beispiel dafür ist mit Blick auf die Netzneutralität der Versuch der Mobilfunkanbieter, für den mobilen Internetzugang einen "walled garden" zu errichten. Das wollten die Konsumenten nicht. T-Mobile hat sich mit Web & Walk dann vom Walled Garden-Modell verabschiedet und damit auch Druck auf die Wettbewerber ausgeübt. Genauso würde ich mir das in anderen Fällen vorstellen. Wenn ich mit dem Netzzugang bei einem Unternehmen nicht zufrieden bin, dann wechsle ich zur Konkurrenz. Dabei müsste man die Rolle der Deutschen Telekom als Unternehmen mit erheblicher Marktmacht gesondert betrachten.

Sehen Sie derzeit Verletzungen der Grundfreiheiten beziehungsweise der Netzneutralität im deutschen Markt?

Im Augenblick haben wir keine Kundenbeschwerden. Ich höre aus dem Markt nichts Entsprechendes, sodass ich davon ausgehe, dass wir im Moment kein Problem haben. Die Gewährleistung von Interoperabilität und diskriminierungsfreie Zusammenschaltungsverpflichungen gehören dabei zum Alltagsgeschäft des Regulierers. In der neuen Universaldienstrichtlinie (im Rahmen des TK-Review der EU-Kommission vorgelegt, d. Red) ist als neue Akzentuierung der Transparenzgedanke deutlich verankert. Das ist gut. Nur wenn der Konsument weiß, was er bekommt, dann kann er reagieren und auch den Anbieter wechseln.

Vorgeschlagen wurde auch, Minimalstandards für den Netzzugang festzulegen …

Vor einer Verordnung von Minimalstandards sollte man bedenken, dass diese ohnehin vielfach schon im Wettbewerb eingehalten werden. Wir bekommen zum Beispiel immer mehr Bandbreite. Sofern es dem Kunden möglich ist, den Anbieter zu wechseln, halte ich diese Möglichkeit im Übrigen auch für zumutbar, dass er dies tut, sollte er nicht zufrieden sein.

Wenn nun alle Anbieter gleichermaßen den Zugang mit Blick auf bestimmte Dienste beschränken würden, etwa einzelne VoIP-Angebote über den mobilen Zugang, was dann? Oder wenn bestimmte Angebote, auch inhaltliche, privilegiert würden?

In diesem Fall müssten wir das genau im Hinblick zum Beispiel auf einen Missbrauch ansehen. Gibt es zum Beispiel ein Abkommen mit einem bestimmten Anbieter, etwa auch einem Inhalteanbieter, das diskriminiert? Ich glaube allerdings nicht, dass so etwas wie ein benachteiligter Transport von Google im deutschen Wettbewerb durchsetzbar ist. Wir kommen hier grundsätzlich zu dem Punkt, an dem wir nach den gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtseffekten fragen müssen, also wo Innovationen am ehesten zu erwarten sind, zentral im Netz oder an den Rändern des Netzes. Die Beobachtung ist, dass Innovationen im Internet eher durch Endnutzer und Inhalteanbieter initiiert sind. Der Walled-Garden-Ansatz im Mobilfunk war auch deshalb als Dienst nicht erfolgreich.

… und diese Innovationsfähigkeit müsste geschützt werden …

Ja. Ich habe auf der Konferenz beim WIK in Bonn gesagt, dass wir die Situation beobachten. Wir würden Einschränkungen bei der Neutralität nicht leichtfertig akzeptieren. Eine Diskriminierung muss verhindert werden. Aber wir wollen auch nicht, dass durch ein zu frühes ungeprüftes Eingreifen mögliche Wohlfahrtsgewinne vernichtet werden. Bei uns wird im Gegensatz zu den USA die Debatte über Netzneutralität sehr viel weniger ideologisch geführt. Das ist eine Chance für sachgerechte Lösungen. Bei uns sind aber auch Alternativen beim Netzzugang da. Es wird zudem auch weiter in alternative Anschlussnetze investiert, nicht nur VDSL, sondern auch Fibre to the Building oder WIMAX.

Teilen Sie Befürchtungen, dass die Neutralität mit dem Aufbau des Next Generation Network (NGN) und der damit entstehenden stärker gemanagten Netze bedroht ist?

Das NGN hat natürlich das Potential, den Wettbewerb an den Rändern zu blockieren. Es hat allerdings auch das Potenzial, mehr Qualität zu bieten als das Internet. Wir kommen da zum Spannungsfeld von intelligentem Netz und intelligenten Rändern. Das Thema ist uns vertraut, unter anderem aus der Expertengruppe zur IP Interconnection. Wenn man eine bestimmte Qualität des Dienstes anbieten will, müssen entweder die Netze intelligenter werden oder entsprechende Kapazitäten vorhanden sein. Es gibt Bedenken, dass die vorhandenden Kapazitäten des Netzes bis 2010 voll belegt sein werden, wie kürzlich geäußert.

Die Gegner des NGN-Konzepts empfehlen daher ja, statt in einen Netz- und damit QoS-Management-Layer besser in eine dickere "Pipe" zu investieren? Was sagen Sie dazu?

Die Frage ist vielleicht, wie dick können die Röhren noch werden. Oder ist es an einem Punkt wichtig, in eine intelligentere Zuweisung von Kapazitäten zu investieren. Ich glaube allerdings selbst noch nicht so ganz, dass die Bandbreite in nächster Zeit wirklich knapp wird.

Wenn der Entwickler einer Anwendung nur noch per Vertrag seinen neuen Dienst ins Netz bringen könnte …

Wir haben Vorkehrungen gegen Diskriminierung im Telekommunikationsgesetz. Ich glaube außerdem, dass es in Deutschland verschiedene Optionen, also nicht nur ein NGN geben wird. Im Übrigen rate ich, zunächst die weitere Entwicklung abzuwarten. Sie ist noch nicht völlig absehbar. Wir werden sie weiter beobachten. Im Moment sehe ich noch kein Problem, eben weil der Wettbewerb gerade im Breitbandbereich lebhaft ist.

Zur Auseinandersetzung um die Netzneutralität siehe auch die Hintergrundinformationen und die Übersicht zur bisherigen Berichterstattung in dem Online-Artikel in c't – Hintergrund: (anw)