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Schräg, aber genial

Frank Grotelüschen

Mit ARPA-E haben die USA eine Agentur gegründet, die auch abenteuerliche Ideen der Energieforschung finanziert. Deutschland will nun mit einer Zukunftswerkstatt nachziehen.

Mit ARPA-E haben die USA eine Agentur gegründet, die auch abenteuerliche Ideen der Energieforschung finanziert. Deutschland will nun mit einer Zukunftswerkstatt nachziehen.

Schwäne sind weiß. Diese Weisheit galt als unumstößlich – zumindest im Europa des 18. Jahrhunderts. Dass es auch dunkle Schwanenvögel geben könnte, hielten unsere Ahnen für unvorstellbar. Doch dann stießen Ornithologen in Australien auf einen anthrazitfarbenen Vogel – einen schwarzen Schwan. Heute gilt das Tier als Synonym für unerwartete Entdeckungen wie die des Penicillins. Sie war der zufälligen Verunreinigung einer Laborprobe mit einem Pilz zu verdanken, aber später sollte das Antibiotikum Millionen von Menschenleben retten.

Eine noch junge Agentur des US-Energieministeriums sucht nun gezielt nach schwarzen Schwänen im Energiesektor: Seit 2009 hält die "Advanced Research Projects Agency – Energy", kurz ARPA-E, nach Errungenschaften Ausschau, die nicht nur ein paar Quäntchen an Effizienzplus bringen. Stattdessen sollen sie wirklich für einen technologischen Durchbruch sorgen – und den kann die Menschheit gut brauchen. Da Schwellenländer wie China und Indien wirtschaftlich rasant wachsen, geht die Internationale Energieagentur IEA davon aus, dass die Welt im Jahr 2030 rund 40 Prozent mehr Energie verbrauchen wird als heute. Gleichzeitig werden die klimaschädlichen fossilen Rohstoffe immer knapper, und es ist umstritten, wann und in welchem Umfang sie von den regenerativen Energien wie Sonne und Wind ersetzt werden können.

Derzeit verfahren Wissenschaftler und Energieunternehmen für gewöhnlich nach folgender Strategie: Stetig verfeinern sie die etablierten Techniken, um aus den Anlagen ein paar mehr Prozent an Energieausbeute herauszukitzeln. So versuchen Kraftwerkskonstrukteure, die Temperaturen in einem Kohlemeiler sukzessive zu steigern und so den Wirkungsgrad sachte zu erhöhen. Ähnlich verläuft der Fortschritt bei Solarzellen, Windrädern, Batterien, Wasserturbinen und Gaskraftwerken. Doch die bereits in den 1980er-Jahren propagierte "Effizienz-revolution" stößt an Grenzen. Das erreichbare Plus an Effektivität wird immer kleiner, die Kosten immer größer.

Ganz anders bei ARPA-E: Mit einem Budget von immerhin 400 Millionen Dollar fördert die nach dem Vorbild der US-Militärforschungsbehörde DARPA gestrickte Agentur mehr als hundert technologische Top-oder-Flop-Projekte, für die selbst in den USA weder Banken noch Privatinvestoren zu gewinnen sind. Die Fördersummen für die einzelnen Produkte bewegen sich zwischen 500000 und neun Millionen Dollar. Die Philosophie dahinter: High risk, high reward – selbst wenn nur wenige der derzeit 117 Projekte Erfolg haben und sich der große Rest als Nieten erweist, dürfte der Nutzen derart groß sein, dass sich das ganze Förderprogramm am Ende rentiert. "Das sind sehr ambitionierte Ziele, weit über den Stand des vorhandenen Wissens hinaus", sagt Oliver Schultz-Wittmann vom ThinkTank 30 des Club of Rome Deutschland. "Da geht es nicht nur um die nächsten ein oder zwei Schritte, sondern gleich um die nächsten zehn."

Das Programm konzentriert sich auf jene Felder, in denen besonderes Potenzial für Umwälzungen zu schlummern scheint. Zum Beispiel die Suche nach einer völlig neuen Generation von Treibstoffen, die weder aus Erdöl noch aus Biomasse gewonnen wird. Stattdessen versuchen mehrere Forscherteams verschiedenste Mikroben gentechnisch so zu verändern, dass sie billig und klimafreundlich Treibstoffe produzieren, zum Beispiel Butanol. Der Clou: Als Ausgangsmaterialien sollen Kohlendioxid und Luftsauerstoff fungieren, dazu kommen je nach Projekt regenerativ gewonnener Wasserstoff, Ammoniak aus düngemittelgeschwängerten Abwässern oder ganz einfach Strom. Theoretisch könnte dieser Ansatz der künstlichen Photosynthese zehnmal effizienter sein als die heutige Herstellung von Rapsdiesel und Bioethanol – vorausgesetzt, den Forschern gelingt es tatsächlich, ihre Bakterien genetisch so zu frisieren, dass sie den Sprit mit dem erhofften Fleiß produzieren.

Innovationsschübe verspricht man sich vor allem von neuen Ideen für die Batterietechnologie – nach Meinung vieler Fachleute eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg der Elektromobilität. Mit den heutigen Akkus auf Lithium-Ionen-Basis sind im Alltagsbetrieb oft nicht viel mehr als 100 Kilo-meter drin, also deutlich weniger als bei Benzinkutschen und Dieselgefährten.

Viel mehr Kapazität könnte in Lithium-Luft-Akkus stecken – und zwar ein satter Faktor fünf. Statt Grafit würde als Anode Lithiummetall dienen, die Kathode wäre buchstäblich aus Luft. Der Sauerstoff darin dient dabei als chemischer Reaktionspartner des Lithiums. Bei dieser Technik könnte unter anderem deshalb weit mehr Energie gespeichert werden, weil der Sauerstoff der Umgebungsluft entzogen wird anstatt fester Bestandteil der Batterie zu sein. Ein Elektroauto könnte mit einer solchen Batterie rund 500 Kilometer weit fahren, bevor es wieder an die Steckdose müsste. Aber: "Das ist im Moment noch reine Laborarbeit", sagt Professor Gerhard Hörpel vom Batterie-Forschungszentrum MEET der Universität Münster. "Wir sind noch weit von der technischen Realisierung entfernt."

Die bisherigen Prototypen brauchen extrem lange, bis sie aufgeladen sind, und ihre Haltbarkeit ist niedrig. Ein weiteres Problem: Luft enthält nicht nur Sauerstoff, sondern auch Wasserdampf und Kohlendioxid – beide giftig für das Lithium. Wie man beide Gase effektiv und kostengünstig abtrennen kann, ist derzeit noch unklar. "Diese Batterien kommen keinesfalls vor 2015, wahrscheinlich auch nicht vor 2020", glaubt Hörpel.

Theoretisch würde die Chemie noch ganz andere Speicherdichten erlauben: Ein Lithium-Fluorgas-Akku etwa käme rein rechnerisch auf die fast 50-fache Kapazität heutiger Lithiumbatterien – und würde damit die Energiedichte von Diesel und Benzin erreichen. Dann wären mit einem nur 50 Kilogramm schweren Akku Reichweiten von bis zu 1000 Kilometern machbar. Allerdings ist noch unklar, wie sich das chemisch überaus aggressive Fluor zähmen lassen könnte – ein Auto mit Lithium-Fluor-Akku wäre derzeit eine rollende Bombe.

Technologiesprünge sind auch für andere, deutlich größere Speicher vonnöten: Energiespeicher, die den Zweck haben, die Stromschwankungen von Solarzellen und Windturbinen auszugleichen. Heute leisten vor allem Pumpspeicherkraftwerke diese Dienste: Wenn etwa Windparks bei einer steifen Brise mehr Strom liefern als benötigt, fördern elektrische Pumpen Wasser in ein oberes Speicherbecken. Stehen später bei einer Flaute die Rotoren still, rauscht das Wasser wieder die Röhren hinunter und erzeugt in Turbinen Strom. Das Problem: Für Pumpspeicher gibt es nur begrenzt Standorte. Gleichzeitig wird der Bedarf an Energiespeichern mit dem geplanten Ausbau von Wind- und Sonnenkraft immer größer. Ohne solche Speicher drohen die Schwankungen so übermächtig zu werden, dass das Stromnetz regelmäßig zusammenbrechen könnte.

Deshalb basteln diverse ARPA-E-Projekte an neuen Ansätzen: Großbatterien, Schwungräder oder supraleitende Magneten, mit denen sich Schwankungen puffern lassen und die dadurch die Versorgungssicherheit garantieren sollen. So arbeitet die Firma ABB an einem supraleitenden Magneten, der den Strom bei minus 269 Grad Celsius in einem 30 Tesla starken Feld speichert und einen Wirkungsgrad von mehr als 85 Prozent verspricht. Er soll sich extrem schnell be- und entladen lassen, deutlich länger halten als ein Akku und billiger sein als eine Bleibatterie der gleichen Kapazität.

Verrückt klingende Ideen verfolgen die US-Forscher auch bei einem anderen ARPA-E-Schwerpunkt: der Entwicklung von innovativen, wirtschaftlichen Methoden der CO2-Abtrennung bei Kohlekraftwerken. Zum Beispiel untersuchen die Firmen ATK and ACENT, ob sich das Kohlendioxid per Überschalldüse aus den Abgasen des Kraftwerks lösen ließe. Das Prinzip: Die Tüftler wollen das Abgas durch feine, speziell geformte Düsen jagen, wie sie in der Raketentechnik Verwendung finden. Hinter der Düse expandiert das Gas in einen großen Raum, wodurch es sich so weit abkühlt, dass es Tröpfchen bildet.

Diese Tröpfchen regnen aus dem Gas heraus und können – so weit die Theorie – am Boden eingesammelt sowie anschließend in unterirdische Deponien verpresst werden. Funktioniert diese Methode, könnte sie vergleichsweise simpel an bestehende Kraftwerke angeflanscht werden. Die billige Kohlekraft würde damit zumindest übergangsweise zur klimaneutralen Alternative mutieren.

Massiv Energie sparen ließe sich vor allem in einem unspektakulär klingenden Bereich – der Leistungselektronik. Darunter versteht man unter anderem klobige Netzteile, Wechselrichter für Solarzellen und Konverter in Umspannwerken. Eine effektivere Leistungselektronik, so heißt es bei ARPA-E, könnte den Stromverbrauch der USA um 30 Prozent reduzieren. So arbeiten Forscher der Georgia Tech Research Corporation an Netzteilen, die auf einem Chip Platz finden und zum Beispiel in die Laptops und Handys der Zukunft eingebaut werden könnten. Unter anderem hätten sie deutlich geringere Wärmeverluste als die heutigen Netzteile. Dadurch, so die Hoffnung, würden die Geräte nicht nur Strom sparen, sondern auch leichter und billiger werden.

Eine weitere Baustelle im ARPA-E-Programm: die Entwicklung effizienterer Klimaanlagen und Kühlschränke. Unter anderem basteln die Wissenschaftler an Spezialmembranen, um die Feuchtigkeit aus der Luft zu filtern und dadurch die Effizienz der Klimaanlagen um bis zu 40 Prozent zu verbessern. Andere Experten versuchen sich an Kühlgeräten, die mit Stabmagneten oder Schallwellen funktionieren und dabei ganz ohne klimaschädliche Kühlmittel auskommen.

Egal ob es um effizientere Energiespeicherung, -einsparung oder um Klimaschutz geht: Die Projektpalette des ARPA-E-Programms ist bewusst breit aufgestellt, um die Chance auf einen Durchbruch zu erhöhen. Allerdings werden die Projekte nicht nur gefördert, sondern auch gefordert. Nach spätestens drei Jahren müssen die Forschergruppen zeigen, dass ihr Plan zumindest ansatzweise funktioniert – sonst gibt es keine Gelder mehr. Hierzulande trifft die Idee, spekulative Energieforschungsprojekte gezielt zu fördern, neuerdings durchaus auf Resonanz.

"Man sollte immer einen Plan B haben und auch über unkonventionelle Alternativen nachdenken", sagt Wilfried Kraus, im Bundesforschungsministerium für das Thema Energie zuständig. "Man braucht das Unerwartete." Heute hält sich sein Bereich 20 bis 40 Millionen Euro pro Jahr für programmatisch ungebundene Projekte frei – ein Topf, aus dem auch Hochrisiko-Projekte finanziert werden können. Bislang allerdings hing die Mittelvergabe vor allem davon ab, ob ein Forscher mit einer ungewöhnlich klingenden Idee zufällig auf einen Ministeriumsmitarbeiter traf, der sich von dem neuen Ansatz überzeugen ließ.

"Jetzt versuchen wir das systematischer", kündigt Kraus an. "Wir denken daran, eine Art Zukunftswerkstatt einzurichten, in der risikobehaftete Ideen weiterentwickelt werden können." Damit hätten deutsche Wissenschaftler mit ungewöhnlichen Plänen künftig eine neue Anlaufstelle – ein Paradigmenwechsel in der Forschungspolitik. "Die Gesellschaft sollte sogenannten Spinnern nach einer gewissen Plausibilitätsbetrachtung die Möglichkeit geben, völlig ungezwungen und ohne Erfolgsdruck etwas zu untersuchen", meint Karl-Friedrich Ziegahn vom Karlsruhe Institute of Technology (KIT).

Allerdings bergen Strategien wie die der ARPA-E auch ihre Gefahren: "Es kann passieren, dass Scharlatane auf den Zug aufspringen", sagt Ziegahn. So waren zum Beispiel erhebliche Gelder in die kalte Fusion geflossen: 1989 hatten zwei US-Chemiker behauptet, die kontrollierte Kernfusion, wie sie im Sonneninneren bei enormen Temperaturen passiert, elektrochemisch auf dem Labortisch nachgestellt zu haben. Andere Forscherteams konnten die Ergebnisse jedoch nicht wiederholen. Heute gehen die meisten Experten davon aus, dass eine kalte Fusion mit Energiegewinnung nicht funktioniert. Ähnliches gilt für die Suche nach dem Perpetuum mobile: Es hat schon mancher Hobby-Gelehrte seine gesamte Freizeit investiert, um gleich einem Don Quichotte vergeblich gegen elementarste physika-lische Grundgesetze anzureiten. Ziegahn: "Hier kommt es auf fähige Gutachter an, die den kompletten Unsinn herausfiltern und zugleich die wirklich interessanten Ideen erkennen."

Technologische Sprünge durch ungewöhnliche Ideen scheinen also möglich, und zwar auf den unterschiedlichsten Gebieten. Doch ob die Natur prinzipiell neue Methoden zur Energieerzeugung in petto hat, darüber streiten die Fachleute. "Man sieht kein grundsätzlich neues Energiewandlungsprinzip", glaubt Ziegahn. "Das mag ernüchternd klingen, aber es ist einfach so." Ein Statement, das manche Physiker nicht unterzeichnen würden: In ihren Theorien nämlich könnten sich in ferner Zukunft noch schwarze Schwäne entdecken lassen: So halten es einige Theoretiker für möglich, mit großen Teilchen- beschleunigern wie dem LHC am Europäischen Kernforschungszentrum bei Genf winzige schwarze Löcher zu erzeugen. Diese ließen sich zu einem Kraftwerk umfunktionieren, indem man sie mit gewöhnlicher Materie füttert. Dadurch würden sich die schwarzen in weiße Löcher verwandeln und die verschluckte Masse komplett als Licht beziehungsweise Wärme abstrahlen.

Um den Jahresstromverbrauch der Welt zu decken, würde rein rechnerisch ein Lastwagen voller Sand genügen", sagt Professor Horst Stöcker, Direktor des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung in Darmstadt. Noch aber hat der LHC keinerlei Anzeichen für irgendwelche Mini-Löcher entdeckt – weder für schwarze noch für weiße. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob diese Idee überhaupt einen Nährboden hat.

Etwas mehr Aussicht auf Erfolg hat da schon eine andere radikale Idee, entworfen vom Frankfurter Physikprofessor Horst Schmidt-Böcking: Würde man ein spezielles, positiv geladenes Material mit besonders präparierten Elektronen füttern, deren Spin – quasi die Drehachse – in ein und dieselbe Richtung zeigt, könnte es gemäß den Regeln der Quantenphysik extrem viele Elektronen aufnehmen.

Damit käme das Material auf eine rund tausendmal höhere Speicherleistung als ein heutiger Akku. "Mit einer Batterie von der Größe eines Kubikmeters könnte man mit einem Jumbo sechsmal um die Erde fliegen", sagt Schmidt-Böcking. Zwar ist derzeit noch völlig offen, wie sich die Idee technologisch umsetzen ließe. Immerhin aber hielt das Patentamt den Ansatz offenbar für so plausibel, dass sie Schmidt-Böcking ein Patent erteilte. (bsc [1])


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