Schwarmintelligenz trifft Energiemanagement

Heiz- und Klimageräte, die sich untereinander selbst organisieren können, sollen die Stromrechnung künftig kräftig senken helfen.

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Von
  • Tyler Hamilton

Klima- und Heizungsanlagen sind gute Beispiele für energiehungrige Geräte, die sich in Miets- und Bürohäusern regelmäßig an und wieder ausschalten müssen. Werden sie gleichzeitig in Betrieb genommen, schießt auch der Verbrauch in die Höhe – und das besonders gerne zu Spitzenlastzeiten, in denen der Hausbesitzer auch noch einen Zuschlag an den Stromversorger zahlen muss.

Ein Start-up aus dem kanadischen Toronto hat nun eine Methode entwickelt, bei der sich das Energiemanagement an der Selbstorganisation von Bienen orientiert. REGEN Energy entwarf einen drahtlosen Controller, der mit den Steuereinheiten an Klima- und Heizungsanlagen verbunden wird. Er operiert als eine Art smarter Schalter. Sobald mehrere dieser Controller aktiviert wurden, erkennen sie sich gegenseitig über den Heimvernetzungsstandard ZigBee und handeln untereinander die besten Einschaltzeiten aus. Die Controller lernen unter anderem die Nutzungszyklen jedes einzelnen angeschlossenen Gerätes und rekonfigurieren sich, um die vorhandene Energie gemeinsam am besten auszunutzen.

Das Ziel der Elektronik ist dabei stets, zu vermeiden, dass alle Geräte gleichzeitig eingeschaltet werden – und zwar ohne dass die Nutzer darunter leiden müssten. Die Geräte lösen dieses Problem mit Algorithmen aus der Schwarmintelligenz, die ihre Aktivitäten koordinieren, ohne dass es eine zentrale Instanz geben müsste.

"Jeder Knoten denkt für sich selbst", sagt Mark Kerbel, Mitbegründer und Firmenchef von REGEN Energy, der den proprietären Algorithmus in den Controllern entwickelt hat. Vor einer Entscheidungsfindung bezieht ein Knoten stets die Umstände der anderen Knoten im Netzwerk mit ein. Beispielsweise benötigt ein Kühlschrank einen bestimmten Zyklus, um stets seine Mindesttemperatur zu halten. Ein Controller, der an einem Lüfter oder einer Pumpe angeschlossen ist, bleibt dann für zusätzliche 15 Minuten abgeschaltet – aber stets kurz genug, um die Temperatur zu halten. "Das Gerät muss die örtlichen Bedingungen einbeziehen, aber gleichzeitig auch das Gesamtziel des Netzes nicht aus den Augen verlieren", sagt Kerbel. Ein typisches Gebäude könne zwischen 10 und 40 Controllern enthalten, die gemeinsam als einzelner "Bienenstock" funktionierten. Die Knoten sind so einfach, dass sie sich schnell installieren lassen. Ein menschliches Eingreifen ist nicht notwendig und auch kein Training der Mitarbeiter. Alles läuft automatisch.

Für Kerbel ist das eine radikale Abkehr von der Struktur bestehender Gebäudeautomatisierungssysteme, bei der alles auf eine Zentralgewalt höre. Forscher hätten herausgefunden, dass sich Angebot und Nachfrage in einem komplex ausbalancierten elektrischen System besser managen ließen. Mancher sehe darin bereits die ersten Ausprägungen eines smarten Stromnetzes.

David Chassin, Forscher am Pacific Northwest National Laboratory und am "GridWise"-Projekt beteiligt, das an einem solchen smarten Stromnetz forscht, glaubt, dass die Nachfrage für solche Modelle steigen wird. "Insbesondere auch im kleineren Rahmen."

Die Vorteile liegen nicht nur in Einsparungen bei der Stromrechnung. Heutige elektrische Systeme sind für Spitzenlastzeiten ausgelegt, was bedeutet, dass Kraftwerksbetreiber sich stets auf jene paar Minuten konzentrieren müssen, in denen die Nachfrage deutlich über dem Tagesdurchschnitt liegt. Würde man die Spitzenlastnachfrage reduzieren, könnten die Stromanbieter ihre bestehenden Kraftwerke besser ausnutzen und vermeiden, neue bauen zu müssen, die nur ab und an zugeschaltet werden. Ein weiterer Vorteil wären verringerte CO2-Emissionen, da Kraftwerke, die Spitzenlaststrom liefern, zumeist weniger effizient arbeiten und "schmutzige" Energieträger wie Kohle verfeuern.

George Pappas, Professor für Elektro- und Systemtechnik an der University of Pennsylvania und Experte für verteilte Kontrollsysteme, glaubt, dass die Schwarmintelligenz für den Energiebereich ein idealer Kandidat sei. "REGEN ist hier ganz weit vorne", meint er.

Der Einsatz innerhalb eines Gebäudes ist die eine Sache, doch kann man der Schwarmintelligenz auch beim Management des ganzen Stromnetzes vertrauen? Forscher Chassin meint, dass viele Ingenieure noch Angst vor solchen dezentralisierten Systemen hätten. Sie funktionierten zwar bei einigen Anwendungen hervorragend, doch seien sie eben noch nicht besonders umfassend getestet worden.

Kerbel kam erstmals 2005 auf die Idee, Algorithmen aus der Schwarmintelligenz für das Energiemanagement einzusetzen. "Uns wurde damals freundlich mitgeteilt, dass diese Art der Kontrolle noch nicht einsatzbereit sei und es noch viel mehr Forschung auf diesem Gebiet brauche", erzählt er. Es sei zwar verständlich, dass es Ingenieuren schwer falle, die zentrale Steuerung aufzugeben. Doch gemeinschaftliche Entscheidungen durch das Kollektiv aller Knoten seien tatsächlich sehr hilfreich.

Herb Sinnock, Manager des Centennial Energy Institute in Toronto, räumt ein, anfangs zu denjenigen gehört zu haben, die ihre Zweifel an der Schwarmintelligenz hatten. Ingenieure wollten ein ständiges Feedback, so dass sich ein System stets messen und optimieren lasse. REGEN werfe das alles weg, Fehler könnten dabei vorkommen. "Es ist ja nicht so als würde man damit die Kontrollstäbe in einem Atomkraftwerk kontrollieren. Wir reden hier davon, die Temperatur in einem Raum um ein halbes Grad zu verändern. Eine gewisse Fehlerrate ist einkalkuliert."

Sinnocks Institut arbeitet mit REGEN Energy zusammen, um die Technologie im Feldversuch zu testen. Einsätze in Krankenhäusern, Hotels, Shoppingzentren, Fabriken und anderen großen Gebäuden hätten gezeigt, dass sich so bis zu 30 Prozent der Spitzenlastkosten sparen ließen. REGEN zufolge reicht das völlig aus, die Kosten für die Einrichtung und Miete seines Systems zu decken. Mit solchen Modellen sollen auch zögerliche Kunden angelockt werden. Kauft man eine solche Anlage, habe sie sich in weniger als drei Jahren amortisiert.

Sinnock hat besonders die Einfachheit der Installation beeindruckt: "In ein paar Stunden kann man die Geräte aufbauen und schon beginnen sie damit, ihre Umgebung zu erkunden." Experte Pappas glaubt wiederum, dass solche Anwendungen in den nächsten Jahren eine hohe Nachfrage verzeichnen werden. So enthalte das Konjunkturpaket von Präsident Obama unter anderem diverse Punkte, die die Energieeffizienz von öffentlichen Gebäuden vorantreiben sollen. Technologien aus dem Bereich des smarten Stromnetzes kämen hier gelegen. "Diese Früchte sind mit einem solchen Ansatz am leichtesten zu pflücken." (bsc)