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Smart Predictive Maintenance zum frühzeitigen Erkennen von Fehlerquellen

Michaela Tiedemann
Smart Predictive Maintenance zum frühzeitigen Erkennen von Fehlerquellen

(Bild: Shutterstock)

Die Methoden des Machine Learning helfen dabei, unnötige Wartungstermine zu vermeiden und gleichzeitig präzise Vorhersagen über mögliche Ausfälle zu treffen.

Wartungstermine finden oft unnötig und ohne konkreten Anlass statt. Abhängig vom Komplexitätsgrad und Einsatzbereich einer Maschine sind auf Basis von Erfahrungs- und Richtwerten Wartungstermine vorgesehen und geplant. Bei Autos gelten gesetzte Zeit- oder Kilometerintervalle, obwohl die Wahrscheinlichkeit äußerst gering ist, dass die erste Inspektion einen Fehler aufdeckt.

Je kritischer der Einsatzbereich ist – etwa im Personenflugverkehr oder bei Turbinen in Kraftwerken –, desto mehr "unnötige" Wartungen finden aus Sicherheitsgründen statt. Selbst wenn die Wahrscheinlichkeit für den Ausfall eines spezifischen Bauteils bei einem Prozent liegt, findet eine regelmäßige Überprüfung aller Anlagen statt, in denen es verbaut ist. Wenn nur ein einzelnes defektes Teil in einhundert geprüften Maschinen identifiziert wird, gilt das angesetzte Wartungsintervall als Erfolg.

Data Science bietet mit dem Konzept Smart Predictive Maintenance bereits seit einigen Jahren einen Weg an, um den hohen personellen und finanziellen Aufwand zu verringern, den traditionelle Wartungskonzepte mit sich bringen. Im Zeitalter von Big Data und Machine Learning hat eine stetige Weiterentwicklung und Verbesserung der Predictive-Maintenance-Methoden stattgefunden.

Das wirft eine Reihe von Fragen auf, für deren Beantwortung ein Blick auf die Theorie und Praxis gleichermaßen nötig ist:

Bevor Daten und deren Analyse ins Spiel kommen, muss zunächst sichergestellt sein, dass eine konkrete Fragestellung vorliegt, für die Smart Predictive Maintenance mit einem Machine-Learning-Ansatz als geeignete Methode in Frage kommt. Informationen über fehlerhafte Bauteile, die Ursachen für Defekte in Maschinen sein können, lassen sich auch aus zahlreichen anderen Quellen beziehen.

Oft wissen Zulieferer, Brancheninsider oder Monteure genau, wo potenzielle Schwachstellen sind und wo Lösungen oder Verbesserungen ansetzen können. Die Hinweise aller an einem Projekt beteiligten Akteure liefern oft wertvollen Input für die Datenanalyse. Daher ist es ein zentraler Schritt, vor der aufwendigen Entwicklung eines Predictive-Maintenance-Ansatzes alle Beteiligten und Verantwortlichen mit am Tisch zu haben.

Für die Frage, ob Machine Learning ein geeigneter Ansatz ist, ist für ein datenbasiertes Wartungsmodell eine ausreichende Anzahl an dokumentierten Fehlerfällen mindestens ebenso wichtig. Neben den technischen Aspekten, die für oder gegen die Entwicklung eines auf Machine Learning basierten Lösungsansatzes sprechen, spielen wirtschaftliche Überlegungen eine wichtige Rolle.

Unternehmen müssen im Vorfeld abwägen, wie viel der Ausfall einer bestimmten Maschine kostet, welche finanziellen Vorteile ein datenbasiertes Modell im Vergleich zu einer manuellen Überprüfung bringen würde und inwiefern sich die frühzeitige Information über einen möglichen Ausfall auf den Prozess der Reparatur auswirkt. Wenn die Lieferung eines Ersatzteils nach wie vor mehrere Wochen dauert, bringt die Echtzeitanalyse einer Maschine keinen wirtschaftlichen Vorteil, sondern verursacht nur Kosten.

Eine weitere Voraussetzung für den sinnvollen Einsatz von Smart Predictive Maintenance ist die Gewährleistung einer ausreichenden Datenbasis. Als erster Richtwert lässt sich das Vorhandensein von Monitoring-Daten heranziehen, die bestimmten Kriterien entsprechen müssen. Der Einsatz von Machine-Learning-Algorithmen geht mit Big Data einher – Daten müssen in einer ausreichenden Menge, Vielfalt, Aktualität, Relevanz und Qualität vorhanden sein oder sich erheben lassen.

Die Kunst besteht darüber hinaus darin, nicht in einer Flut von Daten zu versinken, sondern sie in all ihren Aspekten zu beherrschen – angefangen von der Menge über ihre Sicherheit und ihre Verfügbarkeit bis hin zu ihrer rechtlichen Konformität. Data Engineering und Data Governance sind zwei kritische Bestandteile erfolgreicher Data-Science-Projekte.

Im Kontext lernfähiger Algorithmen ist es ebenfalls wichtig, dass entweder historische Daten vorliegen oder dem Projekt eine ausreichend ausgedehnte Testphase vorausgeht. Bei Machine-Learning-Algorithmen im Allgemeinen und bei Predictive-Maintenance-Anwendungen im Speziellen handelt es sich nicht um Standardanwendungen, bei denen eine Installation vor dem Ausführen genügt. Vielmehr handelt es sich um lernfähige Anwendungen, die zunächst für ihr spezielles Einsatzgebiet trainiert werden müssen.

Sollte noch keine Datenbasis für ein Projekt vorhanden sein, müssen die Betreiber zunächst geeignete Messwerte erheben. Bei einem Kunden aus der Automobilbranche kam es im Rahmen des Lackiervorgangs der Karosserie immer wieder zu einer hohen Fehlerquote, was aufwendige manuelle Korrekturarbeiten nach sich zog. Um das Problem zu lösen, war zunächst die Installation einiger Sensoren erforderlich, die Messungen bestimmter Parameter vornahmen. Erst mit den Daten über die exakte Menge an verwendetem Lack pro Lackiervorgang, dem PH-Wert des Lackes, dem Druck beim Lackieren sowie der Trockentemperatur ließen sich die Fehlerursachen genau identifizieren.

Dazu ist es in einem ersten Schritt notwendig Normwerte zu definieren, die den "gesunden", fehlerfreien Betrieb charakterisieren. Anschließend ist es möglich, eine Abweichung von der Norm und damit aussagekräftige Prognosen über künftige Ereignisse zu erhalten. Erst später lässt sich das trainierte Modell mit Livedaten in Echtzeit anwenden. Dabei ist anzumerken, dass das Label Echtzeit in gewisser Hinsicht irreführend ist und manchmal nur unterstreicht, dass Ergebnisse und Warnhinweise zeitnah vorliegen.

Erst wenn die genannten Voraussetzungen erfüllt sind und den Weg zum datengetriebenen Unternehmen ebnen, können Tools wie Smart Predictive Maintenance ihre gesamte Bandbreite an Vorteilen ausspielen. Die vier wichtigsten Aufgaben und Ziele von Smart Predictive Maintenance sind folgende:

Mit diesen Zielen geht Smart Predictive Maintenance weit über die traditionellen Aufgaben und Ansätze von Wartung hinaus. Um zu klären, in welchen Fällen der Einsatz von Machine Learning bei Predictive-Maintenance-Ansätzen lohnenswert beziehungsweise grundsätzlich möglich ist, ist zunächst ein Verständnis für die Funktionsweise von ML erforderlich.

Die allgemeine, im Grunde seit den 1960er-Jahren gültige Definition, dass es sich bei Machine Learning um lernfähige Algorithmen handelt, gilt in ihrer offenen Form bis heute. Allerdings lassen sich davon ausgehend eine Reihe unterschiedlicher Lernmethoden und -prinzipien wie Unsupervised Learning, Supervised Learning, teilüberwachtes Lernen, statistisches Lernen, Transfer Learning oder Deep Learning identifizieren, die sich im Detail stark unterscheiden.

Zudem lassen sich, betrachtet man die Machine-Learning-Algorithmen von ihrem Ergebnis her, unterschiedliche Klassen von Algorithmen wie Decision Tree, Regression, Clustering oder künstliche neuronale Netze unterteilen und bestimmten Fragestellungen zuordnen.

Wenn es um die Analyse von Maschinen- und Sensordaten geht, spielen künstliche neuronale Netze (KNN) eine große Rolle. Im Vergleich zu anderen Methoden können sie komplexe Zusammenhänge exakter bewerten, weil einzelne Faktoren oder Parameter im Lauf der Zeit ihr exaktes Gewicht in der gesamten Kalkulation erhalten.

Künstliche neuronale Netze funktionieren auf eine ähnliche Weise wie das neuronale Netz des menschlichen Gehirns. Die einfachste Grundform, an der sich das Funktionsprinzip verdeutlichen lässt, ist ein Neuron. Es besteht aus einem Zellkern, der ein Signal erzeugen kann, einem Axon zur Weiterleitung des Signals und Synapsen, die das Signal an andere Neuronen weitergeben können, um ein komplexes neuronales Netz auszubilden.

Schematische Darstellung einer biologischen Nervenzelle, wie sie im menschlichen Gehirn vorkommt (Abb. 1)

Schematische Darstellung einer biologischen Nervenzelle, wie sie im menschlichen Gehirn vorkommt (Abb. 1)

Eine sehr einfache Form eines KNN könnte wie auf Abbildung 2 dargestellt aussehen. Statt eines Zellkerns besteht ein künstliches Neuron aus einem Knotenpunkt. Letzterer kann darüber entscheiden, ob er ein Signal weitergibt und welches Gewicht einem Signal zukommt, das bei ihm ankommt. Ein Knotenpunkt in einem KNN funktioniert dabei mit mehr oder weniger einfachen Regeln.

Beispielsweise kann eine Ja-/Nein-Logik sein Verhalten definieren. Als Basis können konkrete Messwerte wie die in einem laufenden Motor gemessene Temperatur und Vibration dienen. Anhand dieser Werte, die über einen Input Layer in das KNN einfließen, lassen sich nun in Abhängigkeit von den Faktoren bestimmte Szenarien ableiten.

Vereinfachte Darstellung eines Künstlichen Neuronalen Netzes mit einem Input Layer, einem Hidden Layer und einem Output Layer (Abb. 2)

Vereinfachte Darstellung eines Künstlichen Neuronalen Netzes mit einem Input Layer, einem Hidden Layer und einem Output Layer (Abb. 2)

Das Entscheidende bei KNNs sind die Hidden Layer. Im Gegensatz zu der vereinfachten Darstellung in Abbildung 2 befindet sich zwischen dem Input- und dem Output Layer jedoch in der Regel nicht nur ein Hidden Layer, sondern viele. Diese Tiefe, die ein Netz mit einer großen Anzahl von Schichten erreichen kann, ist der Ursprung für den Terminus Deep Neural Network beziehungsweise Deep Learning.

Folgende Abbildung zeigt eine schematische Darstellung eines komplexeren KNN mit einer größeren Tiefe:

(b3.jpg) Darstellung eines Deep-Learning-Vorgangs, bei dem sowohl die Input Layer, die beiden Hidden Layer als auch die Output Layer aus einem künstlichen neuronalen Netz bestehen (Abb. 3)

(b3.jpg) Darstellung eines Deep-Learning-Vorgangs, bei dem sowohl die Input Layer, die beiden Hidden Layer als auch die Output Layer aus einem künstlichen neuronalen Netz bestehen (Abb. 3)

Je mehr Schichten und je mehr Knotenpunkte KNNs haben, desto komplexere Aufgaben lassen sich mit ihnen lösen. Aber sie spielen ihre Vorteile nicht ausschließlich aus, wenn es um Komplexität geht. Eine andere besondere Eigenschaft von Machine-Learning-Algorithmen – auch wenn sie nicht mit KNNs arbeiten – ist ganz allgemein ihre Lernfähigkeit. Bei Predictive-Maintenance-Anwendungen ist vor ihrem ersten Einsatz immer ein Training erforderlich.

Mindestens ebenso wichtig ist aber, dass Smart-Predictive-Maintenance-Anwendungen nicht nur auf eine gewisse Anzahl vorab festgelegter Fehler reagieren können. Vielmehr können sie im Lauf der Zeit neue, während des Trainings nicht bekannte Muster erkennen, die auf Fehler hindeuten.

Je größer die Datenmenge und der Betrachtungszeitraum sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, solche Muster zu erkennen. Dabei muss nicht jedes abweichende Muster bedeuten, dass ein Teil in einem Motor fehlerhaft ist oder ausfallen wird. Manche Fehlermuster können sich durch nur minimale, unregelmäßig auftauchende Abweichungen andeuten. Solche lassen sich erst in einem ausreichend andauernden Monitoring-Zeitraum identifizieren.

KNNs helfen beim Erkennen einer großen Bandbreite von Fehlern und Defekten. Das heißt jedoch nicht, dass KI beziehungsweise Machine Learning immer besser ist als andere Methoden. Die Antwort auf die Frage, ob Predictive-Maintenance-Ansätze ohne ML existieren, die ebenfalls wirkungsvoll bestimmte Ereignisse vorhersagen können, lautet eindeutig ja. Diskussionen über den Mehrwert neuer Methoden wiederholen sich auf eine ähnliche Weise im Zuge jeder neuen Erfindung oder Entwicklung.

Selbst wenn neue Geräte oder Tools eine bestimmte Aufgabe besser und effektiver erledigen, sind sie nicht universal einsetzbar. Beispielsweise erleichtert ein Presslufthammer viele Arbeiten enorm, eignet sich jedoch nicht gleichermaßen für alle Anwendungsfälle, in denen ein Hammer und ein Meißel erforderlich sind. Analog dazu ist der Einsatz von ML eine von zahlreichen Methoden, die sich zu einem spezifischen Zweck verwenden lassen. Das Einsatzszenario und die konkrete Fragestellung entscheiden darüber, welcher Ansatz sinnvoll ist.

Das soll nicht in Zweifel ziehen, dass der Einsatz künstlicher Intelligenz ein großes Potenzial hat. Manchmal genügen jedoch einfache Monitoring-Ansätze, um eine konkrete Aufgabe wie das Erkennen von Verschleiß einzelner Teile zu erledigen. Wenn beispielsweise lediglich ein Parameter wie das Ansteigen der Temperatur über eine bekannte Grenze auf einen spezifischen Ausfall eines Bauteils hindeutet oder dessen Materialeigenschaften sich ab einer Temperatur über ein kritisches Maß hinaus verändern, genügt es, diesen Wert dauerhaft zu überprüfen.

Für Unternehmen ist es wichtig, Kompetenz im Umgang mit Daten und besonders mit dem Einsatz von KI aufzubauen, denn sie müssen berücksichtigen, dass die Methoden nicht als Wundermittel alle Vorgänge automatisieren oder unumstößliche Wahrheiten produzieren. Ein Verständnis dafür, was die Ergebnisse von Prognosen bedeuten und welche Konsequenz daraus folgt, ist unerlässlich. Darüber hinaus gilt es, nicht das menschliche Gespür für Maschinen und Situationen im Arbeitsalltag verlieren.

Obwohl Machine Learning nicht zwangsläufig im Zentrum einer Predictive-Maintenance-Anwendung stehen muss, spielt es im industriellen Kontext immer häufiger eine wichtige Rolle. Eine wichtige Funktion kann ML zudem in angrenzenden Bereichen übernehmen. Insbesondere wenn es um die Eingabe von Datenanalysen geht, lohnen sich ML-Algorithmen. Aufgaben wie Bilderkennung, Data-Mining oder Sound-Analysen können der entscheidende Schritt bei der Suche nach einer Lösung sein.

Besonders bei der Analyse komplexer Maschinen wie Turbinen oder bei Motoren in großen Flotten, bei deren Überwachung zahlreiche unterschiedliche Messwerte erhoben und ausgewertet werden müssen, spielt Smart Predictive Maintenance seine Stärken aus. Bei einem Ausfall droht entweder eine große Rückrufaktion, oder die Folgen eines Defektes sind gravierend.

Wenn beispielsweise im Rahmen der Energiewende der Einsatz von Windkraftanlagen zunehmend wichtiger wird, muss sichergestellt werden, dass sie weitgehend ungestört funktionieren. Die Daten aus Turbinenparks sind jedoch unterschiedlich – nicht alle Anlagen sind gleich alt und nicht alle befinden sich auf demselben technischen Stand. Einige haben vielleicht eine Wartung oder Reparatur hinter sich, andere nicht. In diesem Fall lassen sich durch den Einsatz von Machine Learning die Variablen identifizieren und vor allem multivariante Anomalien erkennen.

Machine Learning kann im Rahmen von Smart Predictive Maintenance auf unterschiedliche Weise zum Einsatz kommen. Es kann die Genauigkeit von Vorhersagen verbessern und der Komplexität eines untersuchten Gegenstandes besser gerecht werden als herkömmliche Ansätze. In manchen Fällen schaffen ML-Methoden erst die Grundlagen zum Betrachten eines komplexen Projekts.

Mit Smart Predictive Maintenance gehören nicht nur regelmäßige Wartungstermine der Vergangenheit an, sondern der gesamte Prozess rund um Reparaturen und das Monitoring von Maschinen lässt sich mit ML-Methoden besser organisieren.

Statt bei einer ausgefallenen Maschine zunächst eine Fehleranalyse durchzuführen, auf deren Basis Ersatzteile zu bestellen und beim Folgetermin auszutauschen, lässt sich vor der ersten Untersuchung die wahrscheinliche Ursache für den Fehler erkennen. Das bringt eine deutlich bessere Ausgangsposition. Ersatzteile lassen sich vorab bestellen, damit der Techniker sie im Idealfall beim ersten Termin mitbringt und austauscht. Smart-Predictive-Maintenance-Lösungen sind nicht zuletzt ein Gradmesser, der über den digitalen Reifegrad eines Unternehmens Auskunft geben kann.

Michaela Tiedemann
ist Chief Marketing Officer bei der deutschen Data Science Beratung Alexander Thamm [1]. Sie hat Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Marketingmanagement studiert.
(rme [2])


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